Sexuelle
Gegenreformation

Mitten in einer vermeintlich auch sexuell offenen westlichen Gesellschaft -Stichwort "Fifty Shades of Grey" - propagieren Feministinnen eine neue Art der Prüderie.

von Gerfried Sperl © Bild: News

Im Jahr 1968, in einem Klima der Demontage alter Werte, fiel ein Tabu - Frauen ließen sich nicht länger von der Männerwelt diktieren, ob, wo, wann und mit wem sie außerhalb der Ehe Sex haben könnten. Immer mehr praktizierten die neue Freiheit. Man unterschätzte vor lauter Euphorie zwei Aspekte, die das möglich machten: einerseits die Pille, andererseits die verbreitete Meinung der Männer, die Frauen seien nun verfügbarer. Mit dem Einsatz von Kondomen fielen Rücksichten weg. Die Frauen, von alten Lasten befreit, machten mit. Eine neue Ära begann.

Freilich nur scheinbar, wie die unabhängig von den männerdominierten 68ern kämpfenden "Emanzen" bald bemerkten. Die Gesellschaft blieb in einem Punkt die alte: Die wirtschaftliche (und meist auch politische) Macht blieb bei den Männern, es dauerte Jahrzehnte, bis sie brüchig wurde. In einem blieb sie intakt -beim tagtäglichen Verhältnis zwischen Mann und Frau, auf den Karriereleitern und im Film-und Showbusiness. Dort ereignete sich die Explosion, befeuert von der Macht der Social Media. Einerseits mit dem Effekt, dass Unholde wie der Filmmagnat Harvey Weinstein bloßgestellt wurden, andererseits auch mit dem Begleitschatten, dass online publizierte Gerüchte momentan ausreichen, um Karrieren zu zerstören.

In den USA und in Großbritannien erlebt das Escort-Business deshalb einen neuen Boom. Aber nicht als Bestellsex für Reiche, sondern -zweites Geschäftsfeld - als Anstandsservice: Um sich vor sich selbst zu schützen, zahlt man für Aufpasser. Was machen Mittelstand und sozial Schwächere? Uni-Assistenten zum Beispiel? Abgesehen vom Zynismus des Vorgangs. Ein Anstandswauwau schafft das Problem nicht ab. Männer müssen sich des Vergehens bewusst sein, bevor es passiert.

In der Zeitschrift "The Spectator" hat Kolumnistin Lara Prendergast die Gefahr plakatiert, dass die trotz mancher "Grapsch-Gesetze" nach wie vor gängige Praxis vieler Männer in Form einer Art "Gegenreformation" zu einer neuen Form der Segregation führen könnte -einer Geschlechtertrennung, die in Großbritannien bereits in der Forderung militanter Feministinnen mündet, bei den British Railways gesonderte Waggons zu führen. Oder noch schärfer -der Schaffung einer "Frauenpolizei", die Männer nach vermeintlichen Vergehen an Ort und Stelle abstraft.

Paradox: Mitten in einer vermeintlich auch sexuell offenen westlichen Gesellschaft -Stichwort "Fifty Shades of Grey" - propagieren Feministinnen eine neue Art der Prüderie. Das wäre keine Reformation, sondern tatsächlich die Gegenreformation - nicht nur zu 1968. Nutznießer wäre aber nicht das Gros der Frauen, die man in eine neue Konsum und Moraljacke stecken würde, sondern jene, die es sich schon immer richten konnten. Sie favorisieren wahrscheinlich die neue Opferrolle von Frauen gegenüber tatsächlich realisierter Gleichheit.

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