Länder gegen Türkis-Blau

Worin besteht die ideologische Verschiebung? Die ÖVP ist längst keine christliche Partei mehr, die den kleinen Mann und die kleine Frau im Fokus hat.

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Kontrapunkt - Länder gegen Türkis-Blau

Nach vier Landtagswahlen und der in Salzburg noch zu fixierenden Koalitionsvariante wird feststehen: Noch nie haben sich die Bundesländer politisch von der Bundesregierung so weit entfernt wie jetzt. Vor allem die von schwarzen Landesfürsten regierten Länder, namentlich die im Westen, agieren weit weg von Wien.

Vordergründig hat das mit dem nahezu überall vollzogenen Wechsel von Proporz- zu Mehrheitsregierungen zu tun. Gleichzeitig aber ermöglicht genau das den Landeschefs, sich die Koalitionspartner auszusuchen - und den Landesparteien, sich einem Wiener Diktat zu widersetzen. Zuletzt in Kärnten, wo die ÖVP in Sachen Koalition der FPÖ trotz Wiener Druck nicht den Vortritt ließ. Regionale Posten sind also wichtiger als Loyalität mit der zentralen Macht.

Türkis-blaue Regierung kaschiert eine Machtverschiebung

Die geplante "Reform" der Sozial- und Krankenversicherung wird die Kluft zwischen Bund und Ländern weiter vertiefen. Denn die türkis-blaue Regierung kaschiert mit Begriffen wie "Verschlankung" oder "Effizienz" bloß eine Machtverschiebung: 1. Wenn die Sozialversicherungsbeiträge künftig von der Finanz eingehoben werden, wird die Selbstverwaltung der Versicherungen ausgehebelt. 2. Wenn die Versicherungen in Wien zentralisiert werden, dominieren die Bundesparteien das System. Ein Naivling, wer glaubt, dass bei weniger Krankenkassen auch weniger Parteipolitik betrieben wird. 3. Die Zentralisierung führt zu einer Ökonomisierung des Systems - soziale Aspekte geraten ins Hintertreffen. Dass die Bundesländer dagegen auftreten, hat nicht nur mit regionalen Machtansprüchen zu tun, sondern mit ideologischen Verschiebungen bei Türkis und Blau. Deshalb rücken Arbeiter-und Wirtschaftskammer mit ihren Abwehr-Argumenten näher zusammen. Die rot dominierte AK hat längst gemerkt, dass sozial schwächere Arbeitnehmer die "Modernisierungsverlierer" sind. Und die schwarze Wirtschaftskammer verliert so wie die AK an rechte Populisten, weil kleine Gewerbe-und Handelsbetriebe den großen Ketten und Konzernen fast machtlos ausgeliefert sind.

ÖVP längst keine christliche Partei mehr

Worin besteht die ideologische Verschiebung? Die ÖVP ist längst keine christliche Partei mehr, die den kleinen Mann und die kleine Frau im Fokus hat. Sie ist eine politische Agentur international vernetzter Großbetriebe. Die FPÖ wiederum gibt sich sozial, wandelt sich, einmal an der Macht, zum neoliberalen Interessenvertreter. Sie gibt vor, "das Volk" zu vertreten, agiert tatsächlich aber als AMS für die nationale Rechte inklusive Burschenschaften.

Bei Bundeskanzler Sebastian Kurz weiß man nicht, ob er begreift, was da vorgeht, oder ob er nur scheinbar modernen Reformslogans folgt. Er schwimmt jedenfalls auf Umfragewelle sieben. Solange die Bevölkerung ihm dieses "Drüberschummeln" abnimmt, können die Freiheitlichen in seinem Sonnenschein die Republik verändern.

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