Rechts-Staat?

Überrascht uns wirklich, dass Neonazis wie in Sachsen auf offener Straße Migranten jagen? Wir haben ihnen lang genug beim Online-Radikalisieren zugesehen. Und weggeklickt.

von #Chemnitz - Rechts-Staat? © Bild: Screenshot

Am Wochenende lachte das Internet noch. Zugegeben, es war kein fröhliches Lachen, eher ein hilfloses, vielleicht auch ein bisschen hämisches. Das Internet spottete über diesen dicken Mann mit Klohut in Deutschlandfarben, der in die Online-Annalen eingehen wird. Ein Anti-Merkel-Demonstrant des Pegida-Ortsvereins in Dresden, der sich nicht beim Marschieren und Skandieren filmen lassen wollte und daraufhin deutsche ZDF-Journalisten in die Hände der Polizei manövrierte. Das Internet bastelte Collagen, die sich - versehen mit dem inzwischen berühmt gewordenen, in triefend sächsischem Dialekt geflöteten Satz „Das klären wir jetzt polizeilich“ - über unsere Bildschirme spannten. Tatsächlich, was wurde gespottet, gehöhnt, gehechelt. Und dann knallte es sogar kurz, ein willkommener Action-Effekt, als wir erfuhren, dass der dicke, ziemlich rechtsgesinnte Hutträger ja selbst Mitarbeiter des Landeskriminalamts ist, ein "polizeilicher“ Polizeikollege sozusagen.

Vielleicht wären am Montag noch viel mehr Witzchen, Zoten und Memes dazugekommen, hätten sich nur ein paar Kilometer weiter, in Chemnitz, nicht plötzlich Dinge abzuspielen begonnen, über die nicht einmal das Internet mehr spaßen konnte. Gespenstische Fassungslosigkeit überschattete die sozialen Netzwerke. Denn durch die sächsische Stadt zog ein rechtsextremer Mob - auf der Jagd nach Menschen. Nach Menschen nicht-weißer Hautfarbe, Ausländern und Asylwerbern. "Rostock-Lichtenhagen 2.0“ sagte einer, und dann sagten es alle, manche konsultierten Wikipedia, das sagten sie nicht.

Was in den Chemnitzer Straßenzügen offen und radikalst eskalierte, wirkt wie eine Art realgewordenes Internet, wie zu Gewaltkörpern mutierte Hatespeech-Kommentare, wie in blutigen Hass verwandelte verbale Schläge, kreischende Hashtags. Wir lesen das alles jeden Tag, na gut, man überliest es inzwischen resignierend oder rollt mit geschlossenen Augen, jaja, blabla, nicht schon wieder, man kennt das, nix Neues, nur Unfug und Blödsinn. Anfangs meldete man solche Online-Hetzer noch, aber wo soll man da anfangen, Klick weiter.

An diesem letztem Montag im August 2018 aber haben wir es in echt beobachtet. Also fast: Wieder, wo sonst, zuerst im Internet, das uns doch immer das Gefühl gibt, ganz nah dran und mitten drin zu sein. Denn die konventionellen Medien schwiegen noch, als längst schon wackelige Handyvideos die sozialen Netzwerke überfluteten und diese grausamen, oft fratzenverzerrten, mit Geschrei überladenen Bilder lieferten. Es gab keine Sondersendungen, keine Eilmeldungen, keine Programmwechsel. Im TV schipperte alles normal dahin, nur das Internet begann zu brennen. Auch in den rechten und rechtsradikalen Online-Dunkelkammern ging das Licht an, dort, wo man nicht auf die Straße ausrückte, stattdessen getippte Anfeuerungsrufe.

Aber haben nicht Facebook und Konsorten, für die einen kuschelige, für die anderen nervige digitale Rückzugsorte direkt hinunter in die Abgründe rechten Hasses und zügellosen Lügenpresse-Gebrülls, nicht vielleicht einfach nur ihre Türen in die greifbare Realität hinaus geöffnet? Konnte man das wirklich nicht ahnen? Darf man also überhaupt überrascht oder schockiert sein? Wussten wir nicht eigentlich schon lange, dass diese Tür nur angelehnt war? Erinnern wir uns: „Wir werden sie jagen“, hatte der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland vor noch gar nicht so langer Zeit gesagt. Er meinte niemals Tiere. Wir wussten das.

Ein Rechtsstaat, in dem Menschen von einer Horde Glatzenmänner wie Vieh verfolgt und Journalisten verprügelt werden, während diese „besorgten Bürger“ hin und wieder lachend und johlend den Arm zum Hitlergruß in die irgendwann doch noch angereisten Fernsehkameras halten, aber der für Sicherheit und Ordnung zuständige Innenminister laut gelähmt vor sich hinschweigt, ein solcher Rechtsstaat hat im Grunde abgedankt. Im Internet und in echt. Wir sind mittendrin.

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