Van der Bellens Gegner

Die Bundespräsidentenwahl im Herbst wird beinhart. Freiheitliche wittern eine Chance, ihre Krise infolge der Ibiza-Affäre zu überwinden. Herbert Kickl will sie um jeden Preis nützen

von Kolumne - Van der Bellens Gegner © Bild: Privat

Seit Jahren lässt Bundespräsident Alexander Van der Bellen eine Frage offen, die er immer wieder hört: ob er sich für eine zweite Amtszeit bewerben werde. Ende Jänner war der "Kurier" einer Antwort nahe: "Wir sind bei dieser Entscheidung in der Endphase", ließ das Staatsoberhaupt wissen. In weiterer Folge sollte jedoch Woche für Woche verstreichen - ohne Ergebnis. Van der Bellen hat Gründe, zu zögern: In dem Moment, in dem er sich öffentlich festlegt, ist der Wahlkampf eröffnet. Ein solcher würde sich wiederum schwer vereinbaren lassen mit den Problemen, mit denen er als Bundespräsident konfrontiert ist: Der Umgang mit dem Krieg in der Ukraine ist eine Gratwanderung, die ihresgleichen sucht. Andererseits: Gerade in Krisen hat Van der Bellen bisher Zuspruch geerntet bei sehr vielen Menschen in Österreich. Damit geht eine Wahlempfehlung einher. Das ist besser als jede Kampagne.

Anfang dieser Woche hieß es, spätestens im Juni werde der 78-Jährige seine Entscheidung verkünden. Erwartet wird, dass er sich um eine zweite Amtszeit bemüht. Der Urnengang wird voraussichtlich Ende Oktober, Anfang November stattfinden. Würde Van der Bellen allein antreten, wäre eine bloße Abstimmung darüber nötig, ob er bleiben soll. Es wird jedoch Mitbewerber geben, also eine echte Wahl.

Manderln und Weiberln

Bei der impfgegnerischen Liste MFG gibt es Absichtserklärungen, bei den Freiheitlichen ist die Sache klar: Sie werden jemanden ins Rennen schicken. Es sei "längst an der Zeit", Van der Bellen "in Pension zu schicken", wettert Parteichef Herbert Kickl (53). Er selbst wird immer wieder als potenzieller Anwärter genannt, will sich aber "nicht zu früh" in die Karten schauen lassen. Möglich sei auch eine Frau oder ein anderer Mann: "Wir haben Manderln und Weiberln."

Der dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer (FPÖ), der es vor sechs Jahren in die Stichwahl geschafft hatte, dort aber mit 46,2 Prozent Van der Bellen unterlag, wird es nicht sein. Der 51-Jährige rechnet sich keine Chance aus und will daher pausieren bzw. es erst bei der übernächsten Gelegenheit wieder probieren.

Wobei: Als Partei können die Freiheitlichen kaum verlieren beim Urnengang im heurigen Herbst. Daher ist es für Kickl auch ein Muss, mit einem eigenen Kandidaten oder einer eigenen Kandidatin - zum Beispiel der Nationalratsabgeordneten Susanne Fürst (53) - dabei zu sein.

Zunächst würde es einem Zugang entsprechen, der seit Jörg Haiders Zeiten in den 1990er-Jahren gepflegt wird: Gerade wenn sich fast alle anderen Parteien einig sind, muss die FPÖ aus Prinzip eine Gegenposition einnehmen. Damit kann sie einen Teil der Wählerschaft umso fester an sich binden. Im besten Fall reicht es für eine relative Mehrheit.

»Der Bundespräsident hat Gründe, zu zögern: In dem Moment, in dem er sich festlegt, ist der Wahlkampf eröffnet«

Bei der Bundespräsidentenwahl geht es nun aber um viel mehr für sie, nämlich um eine Überwindung der Krise, in die sie infolge der Ibiza-Affäre unter Heinz-Christian Strache 2019 gestürzt ist. Die Aussicht, das zu schaffen, ist günstig: Sozialdemokraten, Türkise, aber auch Neos beabsichtigen, Van der Bellen zu unterstützen. Grüne werden es in jedem Fall tun, der Mann kommt schließlich aus ihren Reihen. Da bleibt für eine freiheitliche Gegenkandidatur allemal ein Potenzial von 20,30 Prozent. Zum letzten Mal ausschöpfen konnte die Partei ein solches bei der Nationalratswahl 2017, als sie 26 Prozent erreichte.

Natürlich: Ein Erfolg bei einer Bundespräsidenten-Wahl garantiert keinen solchen bei einer Nationalratswahl. Das weiß niemand besser als die Grünen: Im Jahr nach ihrem Triumph mit Van der Bellen flogen sie mit jämmerlichen 3,8 Prozent aus dem Hohen Haus.

2016 änderte viel

Man sollte das Ganze aber auch nicht unterschätzen. Das Debakel der beiden Großparteien beim Hofburg-Urnengang 2016 trug in der SPÖ zum Wechsel von Werner Faymann zu Christian Kern bei und in der ÖVP wenig später zu jenem von Reinhold Mitterlehner zu Sebastian Kurz. Jeweils nur gut elf Prozent für die Präsidentschaftskandidaten Rudolf Hundstorfer (SPÖ) und Andreas Khol (ÖVP) waren ein Zeichen dafür, dass sich etwas ändern muss.

Heute stehen ÖVP und SPÖ kaum besser da: Sie können nur hoffen, dass Van der Bellen wieder antritt. Sie selbst hätten niemanden, dem von vornherein Großes zuzutrauen ist. Schlimmer: Würde Van der Bellen jetzt noch absagen, hätten sie die Not. Die Zeit für eine wirkungsvolle Kampagne ist extrem knapp geworden.

Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil sprach im Übrigen einen wichtigen Punkt an, als er im Winter meinte, die Sozialdemokratie sollte in jedem Fall einen eigenen Kandidaten nominieren: Die 53,8 Prozent, die Van der Bellen vor sechs Jahren zusammenbrachte, stehen erstens dafür, dass die Wählerschaft sehr flexibel geworden ist, und zweitens dafür, dass neue Mehrheiten möglich geworden sind.

Der Ex-Grünen-Chef arbeitete damals mit seiner Herkunft aus dem Tiroler Kaunertal, zeigte gerne, dass er den dortigen Dialekt beherrscht, und ließ sich für Plakate auf einer Alm fotografieren. Darauf stand dann ein Begriff, der bis dahin eher Bürgerlich-Konservativen zugeschrieben worden war: "Heimat". Van der Bellen wollte das freilich in einem moderneren Sinne verstanden wissen, der im Zeichen der Migration steht. Österreich ist demnach vielen eine Heimat geworden.

Die Mehrheit, die er durch eine solche Akzentverschiebung eroberte, ist Schwarzen in der ÖVP noch immer ein Hinweis darauf, dass man auch ohne Rechtspopulismus, wie er von Kurz gepflegt wurde, erfolgreich sein kann. Van der Bellen ist jedoch der Einzige, der bisher den Beweis dafür erbrachte. Und bei der Bundespräsidentenwahl im Herbst wird es wohl wieder allein er tun. Voraussichtlich ebenfalls nur neidvoll zuschauen können Sozialdemokraten, denen Vergleichbares zuletzt allenfalls unter Bruno Kreisky (SPÖ) gelang, der mit Erfolg Katholiken ansprach.

Krisen stärken Van der Bellen

An einer Bestätigung des Bundespräsidenten besteht von der Papierform her kein Zweifel: Er ist der einzige Vertreter des politischen Systems, der in Umfragen nicht nur konstante, sondern passable Werte hält. Bei der APA/OGM-Vertrauenserhebung vom März sagten 69 Prozent, sie würden ihm vertrauen. Nur 27 Prozent taten es nicht. Das ergab einen Saldo von 42. Zum Vergleich: Bei Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) betrug dieser Wert vier, bei Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) gar minus 56. In seinem Fall überwog der Anteil derer, die ihm misstrauen, mit 72 zu 16 Prozent.

Krisen haben Van der Bellen stark gemacht. Zu Beginn der Pandemie übte er sich in einer beruhigenden Rolle, indem er etwa zuversichtlich erklärte, dass man die Herausforderungen gemeinsam schon meistern werde. In der Regierungskrise 2019 bewahrte er nach außen hin kontrollierte Gelassenheit und verwies auf "Schönheit und Eleganz der Verfassung", ohne es zu verabsäumen, Zitate von Strache aus dem Ibiza-Video zu verurteilen ("unerhörte Respektlosigkeit") und den Österreichern zu versichern: "So sind wir nicht."

Deutliche Kritik übte der Bundespräsident im vergangenen Herbst auch nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz als Kanzler. Er entschuldigte sich sogar für die Wortwahl in diversen Chats von und mit dem 35-Jährigen. Die gegenwärtige ÖVP trägt ihm das nicht einmal nach. Sie wirkt eher dankbar dafür, dass da einer ein Bedauern ausgedrückt hat. Sie selbst ziert sich.

Anders ist das bei der FPÖ: Hier war die Beziehung immer angespannt, kam es schließlich zum Bruch. Van der Bellen würde Kickl als Innenminister nicht mehr angeloben, wie er betont. Kickl ist das nicht nur egal, er betrachtet es als Ermunterung, erst recht hemmungslos eine Gegnerschaft zu pflegen -gegen Van der Bellen, ein "linkes Establishment" sowie Corona-Beschränkungen, Impfungen, Flüchtlingshilfe und vieles andere mehr, was er damit verbindet und was - am wichtigsten! - polarisiert bzw. Wähler mobilisiert.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at