Alemannischer Sumpf

Über die Vorarlberger Wirtschaftsbundaffäre sollte man sich nicht wundern: In den Bundesländern treffen viel Macht und wenig Kontrolle aufeinander. Das führt zu haarsträubenden Verhältnissen.

von Kolumne - Alemannischer Sumpf © Bild: Privat

Nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz zählte der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner im vergangenen Jahr zum kleinen Kreis der Bundeskanzler-Kandidaten. Für ihn sprach nicht nur, dass er ebenfalls der ÖVP angehört, sondern viel mehr noch die Annahme, dass er einen echten Neubeginn verkörpern würde. Er ist kein Mann der flotten Sprüche, sondern der nüchternen Worte. Einer, der so zuverlässig erscheint, dass man ihm zumindest bisher gerne auch seine letzten Ersparnisse anvertraut hätte. Wallner entsprach Klischees, die mit Alemannen in Verbindung gebracht werden: anständig, sparsam, verantwortungsbewusst.

Heute kann sich die ÖVP glücklich schätzen, dass Karl Nehammer und nicht der 54-Jährige die Regierung übernommen hat. Sie würde sich in einer noch größeren Krise befinden, als sie es infolge diverser Korruptionsaffären ohnehin schon tut. Wallner steht an der Spitze eines Systems, das, frei nach Sebastian Kurz, "kaputt" wirkt. Er selbst gibt zu, "ein wenig" zu lange zugeschaut zu haben. Da und dort hätte er möglicherweise früher eingreifen müssen, wie er gesteht. Doch dafür ist es zu spät. Jetzt fliegt ihm alles um die Ohren.

Von Wallner zu Wallner

Die Geschichte setzt sich zunächst einmal aus zwei Ebenen zusammen. Zum einen ist da Wallners Vorarlberger Volkspartei, die je nach Darstellung in den vergangenen Jahren 900.000 Euro oder eineinhalb Millionen Euro von ihrer Teilorganisation Wirtschaftsbund erhalten hat. Und zwar für Wahlkampagnen, die ganz auf den Landeshauptmann zugeschnitten waren. Dieser Wirtschaftsbund lebte unter anderem von Inseraten in einem Magazin namens "Vorarlberger Wirtschaft". Wallner wird von einem Unternehmer vorgeworfen, sich auch persönlich um Werbeschaltungen bemüht zu haben. Verbunden habe er das mit dem Hinweis, dass es dafür zum Beispiel bei Betriebsbewilligungen ein Entgegenkommen der Behörden geben könnte. Er selbst weist dies ausdrücklich als "Lüge" zurück. Eine Klagsdrohung steht im Raum. Zu den Inserenten zählten abgesehen davon Beteiligungsunternehmen des Landes. Das ist nicht verboten, ergibt jedoch eine schiefe Optik. An der Spitze des Landes steht Wallner.

»In den Ländern ist noch mehr Machtmissbrauch möglich als auf Bundesebene, die an Skandalen ja auch nicht arm ist«

Für Schlagzeilen sorgt, was der Wirtschaftsbund mit seinem Geld noch so gemacht haben dürfte: In den Büchern soll eine 4.500-Euro-Spende an das Rote Kreuz ausgewiesen sein, die dort allerdings nie angekommen ist. Oder ein zinsloses Darlehen über eine Viertelmillion Euro für Ex-Direktor Jürgen Kessler, der nebenbei auch noch an jedem Inserat in der „Vorarlberger Wirtschaft“ mitverdient habe. So etwas passiert nicht einfach. Das leitet über zur zweiten Ebene der Geschichte: Es braucht Rahmenbedingungen, die solche Dinge schwer bis unmöglich machen. Und in den Ländern fehlen diese Rahmenbedingungen noch viel mehr als auf Bundesebene, die an Skandalen ja auch nicht gerade arm ist.

Etwas Monarchenhaftes

Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll bei den Missständen. Vorarlberg zählt gemeinsam mit Niederösterreich, Oberösterreich, Tirol und Wien zu den Bundesländern, in denen ein und dieselbe Partei seit 1945 durchgehend den Landeshauptmann stellt. Zu sagen, dass das von einer Mehrheit der Wählerinnen und Wähler so gewollt und daher zu respektieren sei, ist zu billig. Es hapert nämlich an Transparenz und Kontrolle. In Bregenz fand diese Woche zum erst zweiten Mal in der Geschichte der Zweiten Republik ein Sonderlandtag statt. Der erste hatte sich vor einem Vierteljahrhundert mit dem Bau einer Autobahnraststätte auseinandergesetzt. Am Montag ging es nun um die Wirtschaftsbundaffäre. Von gelebtem Parlamentarismus kann hier keine Rede sein. Die Möglichkeiten des Rechnungshofes sind wiederum begrenzt. Das führt zum Problem: Wählerinnen und Wähler erfahren zu wenig, um wirklich umfassend beurteilen zu können, was läuft. Mit ihrer Stimmabgabe geht zwangsläufig zu viel Unwissenheit einher. Das ist eine Zumutung.

Landeshauptleute umweht etwas Monarchenhaftes: Sie sind eine Art Staatsoberhaupt, Regierungschef und Träger der mittelbaren Bundesverwaltung. Außerdem führen sie die jeweils stärkste Partei, die indirekt oft auch Kammern und Sozialversicherungen kontrolliert. Von daher kommt die immer wieder auftauchende Bezeichnung Landesvater oder -mutter: Sie bestätigt den gerne gepflegten Eindruck, dass sich Landeshauptleute um alles kümmern können. An Barem scheitert es selten: Entweder verteilen sie das Steuergeld, das der Bund per unbefristetem Dauerauftrag überweist im Rahmen des Finanzausgleichs, oder sie verlangen mehr von "Wien".

Zur Verantwortung gezogen werden sie so gut wie nie; auch, weil sie gelernt haben, sich zurückzunehmen, wenn es unangenehm wird. Zur Erinnerung: Landeshauptleute waren es, die im November die Einführung der Impfpflicht durchgesetzt haben. Als sie jedoch beschlossen war und sich herausstellte, wie unpopulär und kontraproduktiv sie ist, hatten Johanna Mikl-Leitner (NÖ) und ihre männlichen Kollegen vom Boden- bis zum Neusiedler See nichts mehr damit zu tun.

Macht macht unvorsichtig

Immerhin gerät nun vieles unter Druck. Womit wir uns wieder Vorarlberg zuwenden müssen: Nachdem im Dezember erste Berichte über Wirtschaftsbund-Überweisungen an die ÖVP erschienen waren, wollte Wallner keine Angaben zu ihrer Höhe machen. Er verwies auf unzulängliche Parteien-Transparenzbestimmungen und meinte, dass er nicht dazu verpflichtet sei. These: Im 21. Jahrhundert kann man sich so etwas nicht mehr leisten. Es motiviert eine kritische Öffentlichkeit nur, umso mehr nachzubohren. Dazu ist es tatsächlich gekommen, und in Verbindung mit einer Steuerprüfung wurde etwa bekannt, dass bis zu eineinhalb Millionen Euro an die ÖVP gegangen sein könnten.

Vor allem aber kam noch mehr ans Licht. Ermuntert durch immer neue Berichte meldeten sich Unternehmer, die angaben, dass in der "Vorarlberger Wirtschaft" nicht nur freiwillig inseriert wurde. Einzelne taten es, nachdem sie dazu gedrängt worden waren.

Genau genommen gibt es bei der ganzen Geschichte noch eine dritte Ebene: Wer zu lange zu viel Macht in dem Sinne hat, dass er nichts und niemanden fürchten muss, wird unvorsichtig. Wallner war bisher in der schwarzen Volkspartei im Ländle so unangefochten wie Sebastian Kurz 2017 bis Mitte 2021 in der türkisen Bundes-ÖVP. Er sorgte für eine loyale Umgebung und dafür, dass niemand neben ihm aufkommen konnte. Auch er bemühte sich um "Message Control", setzte einen langjährigen Vertrauten an die Spitze der Landespressestelle.

Man glaubte, sich alles leisten zu können. Im Wirtschaftsbund tauchen haarsträubende Belege auf, die tief blicken lassen. Schlimmer: Nachdem die alte Führung weg ist, sind verbliebene Funktionäre mit Unterlagen konfrontiert, die ihnen nicht Antworten liefern, sondern weitere Rätsel aufgeben. Sofern überhaupt welche vorhanden sind. Zuletzt wurde etwa tagelang nach einem Organisationsstatut gesucht, wie es bei jedem Freizeitclub eigentlich immer und auf der Stelle greifbar ist.

Unternehmer auf Distanz

Da tut sich etwas auf, über das man sich unter den gegebenen Umständen nicht wundern sollte. Und was der gesamten ÖVP nun zu schaffen macht: Die Wirtschaftselite des Landes hat bisher sehr gut mit ihr gelebt, man hat einander unterstützt und voneinander profitiert. Jedes Jahr, zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele, rollte man sich gegenseitig den roten Teppich aus und ließ einander hochleben. Der Landeshauptmann trat als Gastgeber auf.

Das wird sich heuer, Mitte Juli, kaum wiederholen lassen: Unternehmer gehen auf Distanz zu Wallner, Volkspartei und ihrem Wirtschaftsbund. Sie mögen sich selbst vorwerfen, zu lange zu vieles aus den unterschiedlichsten Gründen ignoriert zu haben, jetzt erwarten sie sich jedoch Konsequenzen, die weit über das hinausgehen, das vorgesehen ist. Laut Christoph Hinteregger, einem ehemaligen Manager beim weltweit tätigen Seilbahnhersteller Doppelmayr, geht es schlicht darum, einen Sumpf trockenzulegen. Dazu ist viel nötig. Vor allem ein Landeshauptmann, der dazu bereit ist.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at