Köstinger: "Jeder
Unfall ist einer zuviel"

Tourismusministerin Elisabeth Köstinger sorgt sich um die Sicherheit auf Österreichs Skipisten: Sollten Sperrstunden auf Hütten keine Verbesserungen bringen, sind auch Alkotests und strengere Strafen denkbar. Dem massiven Fachkräftemangel soll eine Lockerung der Zumutbarkeitsbestimmungen Abhilfe schaffen.Tourismusministerin Elisabeth Köstinger sorgt sich um die Sicherheit auf Österreichs Skipisten: Sollten Sperrstunden auf Hütten keine Verbesserungen bringen, sind auch Alkotests und strengere Strafen denkbar. Dem massiven Fachkräftemangel soll eine Lockerung der Zumutbarkeitsbestimmungen Abhilfe schaffen

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Politik - Köstinger: "Jeder
Unfall ist einer zuviel"

Frau Ministerin, Sie führen ein Riesenressort -mit Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, Telekommunikation und Post plus Zivildienern. Steckt da ein größerer Plan dahinter oder hat mehr der Zufall Regie geführt?
Diese Vielfalt macht auf jeden Fall Sinn; wir haben bei der Regierungsbildung die Chance genützt, ein Ministerium zu schaffen, das sich auf den ländlichen Raum und die Regionen konzentriert. Mit den bäuerlichen Familienbetrieben als Zentrum, dem Tourismus als sehr wichtigem Wirtschaftsfaktor, dem Breitband-5G-Ausbau zur Stärkung des Standorts im Wettbewerb - und dem Zivildienst als Regionaldienst. Der ist von eminenter Bedeutung für die Hilfsdienste am Land und er dient auch für viele junge Menschen als Einstieg in Ehrenämter.

Es ist jetzt die Einführung einer Teiltauglichkeit geplant. Wird die dem Zivildienst zusetzen?
Das glaube ich nicht, die Teiltauglichkeit soll mehr eine Ergänzung sein - auch für alle jene, die sonst nicht tauglich für den Wehrdienst wären und künftig entsprechend ihren Fähigkeiten den Dienst an der Gesellschaft im Büro oder in der Küche ableisten werden können. Das System des Zivildienstes funktioniert grundsätzlich sehr gut, es wird von den Blaulichtorganisationen und den Ländern sehr gerne angenommen, und wir sind derzeit in der Lage, 90 Prozent der Nachfrage an Zivildienern abzudecken.

Apropos Plan: Sie haben bereits in Ihrer ersten Phase als Ministerin den Masterplan Tourismus angestoßen. Wie weit ist der aktuell?
Wir sind vom Abfeiern der Nächtigungsrekorde als Gradmesser für den touristischen Erfolg weggegangen und haben ein Satellitenkonto mit unterschiedlichen auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Wertschöpfungsparametern eingeführt, um die Position Österreichs als eine der führenden Destinationen in der Welt zu halten bzw. auszubauen. Wichtig ist eine ganzheitliche Betrachtung der Branche: etwa dadurch, dass Landwirtschaft, Tourismus und Kulinarik stärker vernetzt werden und es für oft sehr kleine Betriebe Vereinfachungen bei Auflagen und Bürokratie und eine steuerliche Entlastung gibt. Da sind wir mittendrin.

Welche Entlastungen gibt es für die Betriebe?
Die Senkung der Mehrwertsteuer auf Beherbergung von 13 auf zehn Prozent war ein wichtiger erster Schritt -und natürlich werden die Betriebe auch von der weiteren Umsetzung der Steuerreform profitieren. Ziel ist, dass sie wieder mehr Spielraum zum Investieren bekommen. Ganz wichtig ist auch die Digitalisierung, also die Breitbandinternetanbindung in den ländlichen Regionen; die ist für die Tourismusbetriebe überlebensnotwendig. Wenn heute in einem Hotel das Warmwasser einen halben Tag lang ausfällt, regt das nicht besonders auf, wenn aber das Internet fünf Minuten nicht funktioniert, gibt es einen Aufstand. Die Gäste erwarten sich das einfach. Bis 2030 soll es daher eine flächendeckende 5G-Abdeckung im ländlichen Raum geben.

Wie wollen Sie den Betrieben beim offenbar massiven Fachkräftemangel helfen?
Der Arbeitskräftemangel ist ein Riesenproblem und auffallend ist, dass es da ein massives Ost West Gefälle gibt. Köche oder andere Mitarbeiter, die in Tirol oder Salzburg gesucht werden, sind in Wien oder Niederösterreich arbeitslos gemeldet. Wir werden daher mit Arbeits und Familienministerin Aschbacher Maßnahmen umsetzen, um Nachfrage und Angebot, also offene Stellen und Arbeitssuchendebesser zusammenbringen zukönnen. Dafür ist auch eine Änderung der Zumutbarkeitsbestimmungen geplant: Wennjemand jung und ungebundenist, sollte nichts dagegensprechen, dass er für eine befristete Zeit z. B. eine Saison in einem anderen Bundesland arbeitet. Langfristig verbessernwir auch die Ausbildung. Wirhaben erst diese Woche ein Lehrberufspaket auf den Weggebracht, auch mit moderneren und neuen Lehrberufen fürden Tourismus.

Wann soll diese Aufweichung der Zumutbarkeitsbestimmungen kommen?
Am 20. Februar wird es dazueinen großen Arbeitsmarktgipfel mit Ministerin Aschbacherund Wirtschaftsministerin Schramböck geben, und die Maßnahmen sollen dann imersten Halbjahr erarbeitet werden. Ziel ist es, sie so schnellwie möglich umzusetzen.

Sie sind eine Verfechterin des Qualitätstourismus; neuerdings gibt es immer öfter Klagen über sogenannten Over Tourismus
Das ist in manchen Regionentatsächlich ein großes Problem, das auch zu einer negativen Stimmung in der Bevölkerunggegenüber dem Tourismusführt. Da gilt es, darüber nachzudenken, wie die Einwohnerin solchen Orten entlastet werden können auch mit Hilfeder Digitalisierung. Damit kannman Besucherströme bessersteuern, sodass sie niemandenüberfordern. Hallstatt, wo esjetzt Time Slots für Besuchergibt, ist da ein Beispiel.

Ein Thema, das derzeit für negative Schlagzeilen sorgt, ist die Après Ski Hüttengaudi samt betrunkenen Skifahrern, die die Sicherheit auf den Pisten gefährden. Jüngst in Großarl, wo deshalb sogar ein Seilbahnengeschäftsführer zurücktrat. Sind Sie für strengere Maßnahmen?
Dieses Phänomen tritt regionalsehr unterschiedlich auf, in der Mehrheit der Skigebiete garnicht, in anderen ist es tatsächlich ein großes Problem. Mansollte auch bedenken, dass nurbei zwei Prozent aller Skiunfälle Alkohol im Spiel ist, wobeinatürlich jeder Fall einer zuviel ist. Oft ist auch das Material besser als das skifahrerische Können der Verunfallten. In Großarl kam dazu, dass die Betrunkenen offenbar in der Nacht unterwegs waren. Problematisch ist sicher, dass häufig Skihütten länger offen haben als Pisten. Hier wird mansich als Erstes Schritte überlegen müssen, etwa einen Ausschankstopp um 16 oder 17 Uhr.

Sind auch Alkotests, eine Promillegrenze und härtere Strafen denkbar?
Man sollte sich die Ursachenjetzt einmal genau ansehenund überlegen, was man dagegen unternehmen kann. Wennes keine Verbesserungen gibt, kann man in einem zweiten Schritt auch an solche Maßnahmen denken.

Zurück zu Ihrem Ressort: Die Umweltagenden mussten Sie abgeben. Schränkt Sie das bei Ihrem Vorhaben ein?
Nein, ich bin sehr zuversichtlich, dass die Zusammenarbeitmit Klimaschutz , Umwelt- und Mobilitätsministerin Gewessler gut gelingen wird. Die hat eine Mammutaufgabezu bewältigen und da sind Landwirtschaft und Tourismus, die ja auch vom Klimawandel stark betroffen sindund wo es auch um Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung geht, ein Teil der Lösung.

Für Sie funktioniert die Zusammenarbeit also. Öffentlich hatte man zuletzt nicht immer diesen Eindruck.
Eine türkis grüne Koalition gab es bisher so noch nie. Das Regierungsprogramm ist so angelegt, dass die zuvor üblichen Minimalkompromisse vermieden wurden, und natürlich gibt es da in einigen Bereichen Auffassungsunterschiede. Es ist eine neue Form des Regierens, bei der man auch unterschiedliche Betrachtungsweisen zulassen muss. Die Zusammenarbeit ist insgesamtsehr konstruktiv und positiv.

Sind Sie als Ex Umweltministerin eigentlich froh, dass jetzt das umstrittene Tempo 140 wieder abgeschafft wird?
(Lächelt.) Das war ein Projekt von FPÖ Infrastrukturminister Hofer und es war auch als Testbetrieb deklariert. Die Einstellung ist außerdem im Regierungsprogramm verankert.

Der Gegensatz zwischen den Wirtschaftsinteressen der ÖVP und dem Klimaschutzfokus der Grünen ist also überwindbar?
Klimaschutz und der Umbau des Wirtschaftssystems sind notwendig und wichtig, sie müssen aber in Einklang mitdem Wirtschaftsstandort passieren. Wir haben nichts davon,wenn große Industriebetriebe und Arbeitsplätze wegen zu strenger Auflagen abwandern. Emissionen machen vor Grenzen nicht halt.

Ein Streitpunkt ist auch das Dieselprivileg, das die Grünen abschaffen wollen. Das wäre für die Landwirtschaft nachteilig. Werden Sie das so hinnehmen?
Es wird ja eine Taskforce zur ökosozialen Steuerreform eingerichtet, die bis 2022 Vorschläge erarbeitet - und es ist vereinbart, dabei auf regionale und soziale Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. Die Umstellung auf Elektrotraktoren wird sich wohl nicht so schnell machen lassen wie die auf E-Autos im Stadtverkehr. Es gibt außerdem viele Möglichkeiten, Biotreibstoffe wie etwa Holzdiesel zu produzieren und diese dem Diesel beizumischen. Die beste Klimaschutzmaßnahme ist sowieso, zu regionalen, österreichischen Lebensmitteln mit kurzen Transportwegen zu greifen.

Ein hehrer Ansatz. Kleine, regionale Produzenten tun sich aber immer schwerer, auch weil das EU-Budget in dem Bereich gekürzt wird.
Das Dilemma ist, dass die EU mit ihrem Green Deal Bio und Regionalität fördern will, aber genau hier das Geld gekürzt werden soll. Wir wollen daher ein neues Agrarsystem: weg von der Massen-zur Qualitätsproduktion mit Fokus auf bäuerliche Familienbetrieben. Die EU muss ihren Green Deal daher mit Leben erfüllen. Deshalb braucht es auch verpflichtende Förderobergrenzen zwischen 60.000 und 100.000 Euro, damit nicht weiter Millionenbeträge in Agrarfabriken im Norden oder Osten Europas mit ukrainischen, chinesischen oder US-Investoren fließen. Da haben unsere kleinen Betriebe keine Chance.

Auch der Druck des Handels ist nach wie vor ein Problem. Sie haben jetzt angekündigt, gegen Preisdumping vorzugehen und eine Ombudsstelle für Bauern einzurichten. Das haben Sie vor zwei Jahren auch schon getan. Warum ist da bisher nichts passiert? Unsere Arbeit wurde durch die Ibiza-Affäre unterbrochen; die Konzentration im Handel ist aber nach wie vor extrem und die Preise für Lebensmittel sind im Keller. Den Bauern wird oft das Gefühl vermittelt, am Unheil der Welt schuld zu sein, gleichzeitig wollen die Konsument alles zu jeder Zeit und zum billigsten Preis. Die Margen machen die Konzerne und der Handel -und den Produzenten bleibt nichts mehr zum Leben. Wir versuchen das nun über bessere Rahmenbedingungen aufzulösen. Erstmals ist auch ein echtes Entlastungspaket in Höhe von 120 Millionen Euro für die Bauern vorgesehen, das vor allem auf die Sozialversicherungsbeiträge und die kleinen Pensionen abzielt.

Was soll die Ombudsstelle konkret bringen?
Es braucht generell ein Umdenken. Die Ombudsstelle, an die sich betroffene Bauern wenden können, soll heuer eingerichtet werden und den Produzenten mehr Fairness bringen und helfen, unlautere Geschäftspraktiken, die an der Tagesordnung sind, zu unterbinden. Lebensmittel waren noch nie so billig wie heute. Seit Mitte der 1970er-Jahre sind die Haushaltsausgaben für Lebensmittel inklusiver nichtalkoholischer Getränke in Österreich von 20 Prozent auf elf Prozent gesunken. Auch im Biosegment ist die Dumpingpreisspirale längst in Gang.

Und Pläne darüber hinaus?
Zusätzlich zu mehr Fairness ist auch eine Herkunftsbezeichnung für verarbeitete Produkte -Fleisch, Eier, Milch -mit einem österreichischen Zutatenanteil von mehr als 50 Prozent nötig. Die wird gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium erarbeitet. Außerdem sollen in Großküchen und Kantinen der öffentlichen Hand oder in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen verstärkt heimische, regionale Produkte verwendet werden - statt Butter aus Holland oder Fleisch aus Polen. Die Abkehr von Billigstbieter-zum Bestbieterprinzip macht das möglich. Das rechnet sich auch indirekt: Zehn Prozent mehr regionale Lebensmittel bedeuten rund 20.000 zusätzliche Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und eine größere Wertschöpfung.