Das verspielte Vertrauen in die Koalition

Auch die Umbildung der ÖVP-Regierungsmannschaft hat das Vertrauen der Menschen in die Handlungsfähigkeit der Koalition nicht gestärkt. Eine Exklusiv-Umfrage zeigt, dass Volkspartei und Grünen nicht wirklich zugetraut wird, wirksame Lösungen gegen Teuerung und Pflegenotstand sowie für mehr Sicherheit zu finden. Dafür befindet sich die SPÖ bei den Österreicherinnen und Österreichern im Aufwärtstrend.

von Politik - Das verspielte Vertrauen in die Koalition © Bild: imago images/SEPA.Media

Wenn Bundeskanzler Karl Nehammer geglaubt hat, mit den personellen Wechseln im ÖVP-Regierungsteam Durchschlagskraft und Lösungskompetenz für die Volkspartei und die Koalition mit den Grünen unter Beweis stellen zu können, dann hat er sich getäuscht. Wie eine Umfrage des Instituts für Demoskopie und Datenanalyse (IFDD) für News zeigt, hat die unmittelbar vor dem ÖVP-Parteitag vollzogene Neuaufstellung in den Ressorts Wirtschaft, Landwirtschaft und Tourismus die beabsichtigte Wirkung weitgehend verfehlt: Denn immerhin 62 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher - also fast zwei Drittel - beantworten die Frage "Halten Sie die Regierung nach der personellen Umgestaltung in der ÖVP für ausreichend handlungsfähig für die Bewältigung der kommender Herausforderungen?" mit Nein - und nur 26 Prozent mit Ja. Dass die Meinung, der personelle Umbau sei nicht ausreichend gewesen, bei Anhängern von SPÖ, FPÖ und Neos mit 76, 79 bzw. 72 Prozent besonders stark ist, überrascht wenig -dass aber auch 48 Prozent der Grün- und 45 Prozent der ÖVP-Wähler so denken, hingegen schon.

"Totaler Frust"

Für IFDD-Chef Christoph Haselmayer sind die Antworten "Ausdruck von totalem Frust gegenüber allem, was mit Politik zu tun hat" und "Zeichen einer tiefgehenden Vertrauenskrise". Dies habe vor allem mit zweieinhalb Jahren Corona-Management und einer Ankündigungspolitik zu tun, bei der vieles nicht gekommen sei, was zuvor verkündet wurde, so der Meinungsforscher: "Zuletzt war das zum Beispiel bei der umstrittenen Impfpflicht der Fall." Jetzt mache die Teuerungswelle, die erst begonnen habe, den Menschen zu schaffen, Maßnahmen dagegen gebe es aber kaum.

Die Politikverdrossenheit sei zwar ein internationaler Trend, "in Österreich aber noch ein Stück weit ausgeprägter", sagt der Meinungsforscher - und Ausdruck einer Spaltung der Gesellschaft, die während der Pandemie voll zu Tage getreten und nach wie vor vorhanden sei. Das zeige auch die Antwort auf die Frage, ob es zu vorgezogenen Neuwahlen auf Bundesebene kommen soll. Hier gibt es eine klassische Pattsituation: 45 Prozent der Befragten sind dafür - laut Haselmayer ein sehr hoher Wert - und 45 Prozent dagegen.

Wenn jedoch momentan bzw. in absehbarer Zeit gewählt würde, dann hätte offenbar die SPÖ die besten Chancen: Das zeigt sich u. a. darin, dass auf die Frage "Welche/r Parteichef/in ist Ihnen in letzter Zeit positiv aufgefallen?" am häufigsten SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner genannt wird, nämlich von 26 Prozent. ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer kommt dagegen lediglich auf 19 Prozent, Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler gar nur auf fünf Prozent. Da wird es ihn auch nicht wirklich trösten, dass er im Umkehrschluss nur sechs Prozent negativ aufgefallen ist.

Rote top - Grüne flop

"Kogler tritt auch sonst kaum in Erscheinung, und entsprechend schauen seine Werte aus", erklärt der IFDD-Chef, der im Übrigen die Grünen lediglich im einstelligen Bereich verortet. Dass FPÖ-Hardliner Herbert Kickl das Negativranking mit Abstand anführt, sei hingegen üblich. Der blaue Spitzenmann weise auch in Vertrauensumfragen regelmäßig die schlechtesten Werte auf, so Haselmayer: "Viel interessanter ist, dass Bundeskanzler Nehammer hier auch nicht gut wegkommt." Was wahrscheinlich mit Auswirkungen vom sogenannten Cobra-Gate rund um die Personenschützer seiner Familie oder dessen Reise zum ukrainischen Präsidenten Selenskyj nach Kiew bzw. im Anschluss zu Aggressor Putin nach Moskau zu tun habe.

»Die SPÖ profitiert von ihrer Oppositionsrolle; primär aber doch vom sozialdemokratischen Anspruch«

SPÖ-Parteivorsitzende und Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner habe dagegen wohl auch mit ihrer Rede am 1. Mai am Wiener Rathausplatz einen positiven Eindruck hinterlassen: Dort sei Einigkeit demonstriert worden. Zudem helfe ihr, dass es in der letzten Zeit keine internen Querschüsse gegen sie gegeben habe.

Soziales Branding zieht

Dass sich die Sozialdemokraten in einem Aufwärtstrend befinden, zeigt sich auch in der Antwort auf die Frage "Welcher Partei trauen Sie am ehesten zu, wirksame Maßnahmen gegen Teuerung und Inflation setzen zu können?" Denn dies trauen die Befragten mit Abstand am ehesten der SPÖ zu - nämlich zu 43 Prozent. Von der FPÖ glauben das immerhin noch 23 Prozent, von der ÖVP nur 20 Prozent, von den Neos 15 und von den Grünen nur elf Prozent.

Erstaunlich ist, wenn man sich die Ergebnisse im Detail ansieht, allerdings der Umstand, dass auch 36 Prozent der ÖVP-Wähler der Ansicht sind, die SPÖ könne wirksame Maßnahmen zur Abfederung der Teuerung setzen. Immerhin glauben das nur wenig mehr (39 Prozent) von ihrer eigenen Partei. Und besonders ernüchternd für die Grünen muss es wohl sein, dass sogar 55 Prozent ihrer Wähler diese Lösungskompetenz der SPÖ zutrauen, ihrer eigenen Bewegung hingegen nur 38 Prozent. Besonders stark punkten die Roten offenbar bei männlichen Städtern über 50 Jahren. Aber auch bei Befragten mit zumindest Maturaniveau. Haselmayer: "Die SPÖ profitiert natürlich auch von ihrer Oppositionsrolle, primär aber doch von ihrem sozialdemokratischen Anspruch, den sie seit ihrer Gründung vor sich her trägt. Und auch die FPÖ erntet mit ihrem Branding als soziale Heimatpartei Zuspruch." Die ÖVP dagegen leide in dem Kontext von unsäglichen Chat-Aussagen wie, sie sei "eine Hure der Reichen", so der IFDD-Chef. Nach dem Motto: Um Stefan Pierer oder Sigi Wolf kümmere sie sich die Volkspartei, um die Schwachen und sozial Benachteiligten dagegen nicht.

Teuerung bestimmendes Thema

Die nicht enden wollende Teuerungswelle ist in der Augen der Bevölkerung im Moment jedenfalls eindeutig das politisch am vordringlichste Thema: Das erklären 84 Prozent der Befragten. Bei SPÖ-Anhängern sind es sogar 92 Prozent, bei FPÖlern 87, bei ÖVP-Wählern 85 und bei Neos-Sympathisanten 81 Prozent. Nur bei den Grünen sind es vergleichsweise geringe 67 Prozent - für möglicherweise gut situierte Bobos haben Klima (68 Prozent) und Pflegenotstand (70 Prozent) doch mehr Relevanz.

Wobei der Pflegenotstand neben der Teuerung auch bei der Allgemeinbevölkerung mit 60 Prozent das zweitwichtigste Anliegen ist - noch vor Neutralität/Sicherheit (52 Prozent). Weniger bedeutsam sind der Bevölkerung aktuell Themen wie Korruption, Klima, Schule und Bildung, Migration oder Jobsicherheit. Letzteres ist nur für 22 Prozent relevant, was der Meinungsforscher erfolgreichen Arbeitsmarktmaßnahmen wie der Kurzarbeit zuschreibt: "In dem Punkt wird die Regierung unter ihrem Wert geschlagen, weil diese Maßnahmen als gegeben hingenommen werden und es jetzt ganz andere Baustellen gibt."

Starke Betroffenheit

Unbestritten ist indes, dass die Bevölkerung die Teuerung quer durch alle Alters- und Bildungsschichten und unabhängig von Geschlecht, Bildungsniveau bzw. Wohnort zu spüren bekommt: 65 Prozent, also rund zwei Drittel, spüren sie sehr stark bzw. stark, 29 Prozent immerhin mittelmäßig. Zusammen sind das 94 Prozent. Nur fünf Prozent spüren die Preissteigerungen kaum oder nicht. Konkret macht sich die Teuerung am stärksten, bei 82 Prozent der Befragten, bei Lebensmitteln bemerkbar, gefolgt von Treibstoffen (75 Prozent) und Strom sowie Heizung (72 Prozent). Vergleichsweise geringer fällt die Betroffenheit beim öffentlichen Verkehr, bei Gebühren, Freizeitaktivitäten oder Gastrobesuchen aus. Wobei sich die Menschen gerade bei Lokalbesuchen am stärksten einschränken, mehr als beim Tanken, Kleidungskauf oder Reisen. "Man hat in der Pandemie auf Gasthausbesuche verzichtet, und daher scheint hier eine Einschränkung für 19 Prozent der Befragten problemlos möglich zu sein", sagt der Meinungsforscher.

Ein Paradoxon zeigt sich dafür bei der Frage "Sind Sie für möglichst harte Sanktionen gegen Russland und wären Sie bereit, dafür weitere Einschränkungen in Kauf zu nehmen?" 40 Prozent lehnen härtere Maßnahmen ab, 50 Prozent befürworten diese. Allerdings nur dann, wenn sie deshalb selbst keine Einschränkungen in Kauf nehmen müssen - indem sie zum Beispiel bei reduzierten Gaslieferungen weniger heizen. "Frieren gegen Putin" ist für 47 Prozent der Befragten keine Option.

Pessimismus überwiegt

Insgesamt zeichnet die Umfrage ein wenig optimistisches Bild von der Stimmung im Land: 65 Prozent der Bevölkerung sind eher nicht oder gar nicht zuversichtlich, dass sich die angespannte Allgemeinsituation kurz- bzw. mittelfristig wieder verbessert. "Es gibt derzeit einfach sehr viele Unsicherheiten und dazu noch eine schlechte Meinung, was die Lösungskompetenzen der Regierung betrifft", erklärt Haselmayer den Umstand, dass nur drei Prozent der Menschen im Moment sehr optimistisch eingestellt sind.

Die Umfrage im Überblick

Halten Sie die Regierung nach der personellen Umgestaltung in der ÖVP für ausreichend handlungsfähig für die Bewältigung der kommenden Herausforderungen?
26 % Ja
62 % Nein
12 % Weiß nicht, keine Angabe

Sollte es Ihrer Meinung nach zu vorgezogenen Neuwahlen auf Bundesebene kommen?
45 % Ja
45 % Nein
10 % Weiß nicht, k. A.

Welche politischen Themen sind für Sie derzeit am wichtigsten? (Mehrfachennung möglich)
84 % Teuerung
60 % Pflegenotstand
52 % Neutralität/Sicherheit
50 % Korruption
43 % Klima
35 % Schule/Bildung
28 % Flüchtlingsbetreuung/Migration
22 % Jobsicherheit

Welchen Parlamentsparteien trauen Sie es am ehesten zu, wirksame Maßnahmen gegen Teuerung und Inflation setzen zu können? Nach Gesamtbevölkerung (Mehrfachnennung möglich)
43 % SPÖ
23 % FPÖ
20 % ÖVP
15 % NEOS
11 % Grüne

Stichwort Teuerung: Wie stark spüren Sie diese persönlich?
31 % Sehr stark
34 % Stark
29 % Mittelmäßig
5 % Wenig/kaum
1 % Weiß nicht, keine Angabe

In welchen Bereichen spüren Sie die Teuerung am stärksten? (Mehrfachnennung möglich)
82 % Lebensmittel
75 % Treibstoffe
72 % Strom, Heizung
27 % Verkehr, Transport
27 % Gastronomie
21 % Gebühren
21 % Freizeit

Wo schränken Sie sich am stärksten ein?
19 % Gasthausbesuch
15 % Kleidungskauf
15 % Tanken
14 % Reisen
10 % Strom, Gas
10 % Essen
10 % Freizeitaktivitäten
7 % Weiß nicht, keine Angabe

Sind Sie für möglichst harte Sanktionen gegen Russland, und wären Sie bereit, dafür weitere Einschränkungen in Kauf zu nehmen?
50% Ja, harte Sanktionen sind dringend notwendig
40 % Nein, bitte keine harten Sanktionen
10 % Weiß nicht, keine Angabe

Wie zuversichtlich sind Sie, dass sich die momentan angespannte Allgemeinsituation kurz- bzw. mittelfristig wieder verbessert?
3 % Sehr
29 % Eher schon
48 % Eher nicht
17 % Gar nicht
3 % Weiß nicht, keine Angabe

Der Beitrag erschien ursprünglich im News 21/2022.

Quelle: IFDD -Institut für Demoskopie und Datenanalyse GmbH, Umfragezeitraum 17.5. bis 21.5.2022,1.200 Online-Interviews, repräsentativ für die wahlberechtigte österreichische Bevölkerung ab 16 Jahren, max. Schwankungsbreite ±2,8 %, Umfragezeitraum =Feldzeit. IFDD ist Mitglied im Verband der Marktforscher Österreichs und handelt nach den gültigen Normen und ethischen Grundsätzen von ESOMAR.Laut aktuellen Werten der Statistik Austria nutzen 93 %der 16-bis 74-Jährigen das Internet. Die Digitalisierung hat speziell bei älteren Personengruppen aufgrund der Coronapandemie zugenommen.