Sozialhilfekürzungen
statt Grundrechte

Mit dieser Forderung widerspricht die neue Regierung europäischen Grundrechten

Mit der beabsichtigten Neugestaltung der Sozialhilfe würde die neue Regierung europäischen Grundrechten widersprechen. Doch wie leicht können diese geändert werden?

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Koalition - Sozialhilfekürzungen
statt Grundrechte

Schlägt man Seite 117 im neuen Regierungsprogramm auf, so findet man das Kapitel „Soziales und Konsumentenschutz“. In diesem wird unter anderem ein Stopp der Zuwanderung in den Sozialstaat gefordert. Schließlich sei das gut ausgebaute Sozialsystem „einer der Hauptgründe, warum Menschen sich auf den Weg nach Österreich machen“. Daher sollen alle wesentlichen Grundsätze der Sozialhilfe neu geregelt werden.

»Vor allem das gut ausgebaute Sozialsystem in Österreich ist einer der Hauptgründe, warum Menschen sich auf den Weg nach Österreich machen. Diese Zuwanderung in den Sozialstaat muss gestoppt werden.«

So soll die Geldleistung für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte von 840 Euro im Monat auf eine Grundleistung von 365 Euro reduziert werden. 155 Euro soll es zusätzlich als „Integrationsbonus“ geben. In Zukunft sollen außerdem nur jene Personen Anspruch auf bedarfsorientierte Mindestsicherung haben, die in den vergangenen sechs Jahren mindestens fünf Jahre legal in Österreich gelebt haben.

Nicht mit der EU-Grundrechtecharta vereinbar

„Eine solche Regelung ist nicht mit der Personenfreizügigkeit, wie sie in der Unionsbürgerrichtlinie konkretisiert wurde, vor allem aber nicht mit dem Diskriminierungsverbot aufgrund der Staatsbürgerschaft vereinbar. Es müsste also insbesondere das Diskriminierungsverbot eingeschränkt werden, was einen Grundpfeiler des EU-Rechts darstellt und eine Änderung des EU-Rechts voraussetzt“, erklärt Josef Melchior.

»Eine solche Regelung ist mit dem Diskriminierungsverbot aufgrund der Staatsbürgerschaft nicht vereinbar«

Der Wiener Politikwissenschaftler beruft sich dabei auf die Grundrechtecharta der Europäischen Union, die Grund- und Menschenrechte kodifiziert und sich an der Europäischen Menschenrechtskonvention orientiert. Letztere kritisierte der nunmehrige Innenmister Herbert Kickl bereits vor zwei Jahren und forderte ein eigenes Modell für Österreich: „Die Europäische Menschenrechtskonvention ist nicht dazu geeignet, die Völkerwanderungsproblematik in den Griff zu kriegen. Sie muss entweder auf EU-Ebene erneuert oder durch eine ‚Österreichische Menschenrechtskonvention‘ ersetzt werden.“ Gegenüber dem Bundespräsidenten nahmen allerdings sowohl FPÖ als auch ÖVP eine pro-europäische Haltung ein:

Wie leicht lässt sich das EU-Recht ändern?

Änderungen im EU-Recht müssen im Zuge einer Regierungskonferenz als völkerrechtlicher Vertrag beschlossen werden. Dieser muss allerdings von allen Staaten und den jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften folgend ratifiziert werden. Erst dann kann eine Änderung in Kraft treten. „In Bezug auf nicht berufstätige EU-Ausländer gibt es", sagt Melchior, "bereits jetzt weitgehende Möglichkeiten, den Zugang zum Sozialsystem einzuschränken, die der EuGH in den letzten Jahren im Rahmen seiner Rechtsprechung auch immer weiter verschärft hat“.