Die neue Regierung &
ihre größten Baustellen

Das Programm der Koalition von ÖVP und Grünen ist ambitioniert, aber auch voller Hürden. Von Steuersenkungen über Migration bis zu öffentlichem Verkehr und Klimaschutz - zahlreiche mögliche Stolpersteine könnten das Zusammenleben der beiden neuen politischen Partner schwieriger gestalten als gedacht

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Koalition - Die neue Regierung &
ihre größten Baustellen

Österreich hat eine neue Regierung - erstmals eine Koalition von ÖVP und Grünen. Das Zusammengehen der zwei inhaltlich doch ziemlich verschiedenen Parteien wird von politischen Beobachtern und Insidern zum einen als Wagnis, zum anderen als Chance zu großen Veränderungen gesehen - insbesondere im Klimaschutz. Viele glauben, im Regierungsprogramm eine deutliche Handschrift der ÖVP erkennen zu können -Stichworte Steuer und Migration -, und sehen die Gefahr, dass die Türkisen die Grünen bei ihren Schwerpunktthemen -Stichwort Klimaneutralität bis 2040 -ins Leere laufen lassen könnten. Für ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz ist das Arbeitspapier "das Beste beider Welten", was seinen grünen Vizekanzler Werner Kogler zur Replik "Es gibt nur eine Welt, in der wir alle leben" veranlasste. Es wird also spannend, wie reibungslos bzw. pragmatisch die tägliche Zusammenarbeit der beiden Regierungspartien tatsächlich funktionieren und mit welchen Veränderungen Österreich letztlich tatsächlich konfrontiert wird.

Die neuen Minister und Ministerinnen im Video

© Video: News

Lob und Skepsis

Von Experten bekommt die Regierung für ihr geplantes Arbeitsprogramm jedenfalls grundsätzliches Lob, es schlägt ihr aber auch Skepsis entgegen. Für IHS-Chef Martin Kocher verdient die neue Regierung einen "Vertrauensvorschuss", wenngleich "vieles in der Umsetzung noch nicht spezifiziert" sei. Vor allem die Finanzierung der Steuersenkungen sei noch eine große Unbekannte. Es gebe nur wenige Hinweise, wie die Senkung der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer (KÖSt) sowie weitere fiskalische Änderungen (wie die Abschaffung der Schaumweinsteuer oder die Anhebung der Pauschalierung für Bauern) gestemmt werden sollen, erklärt er.

Steuersenkung in Etappen

Dass die Senkung der Einkommensteuersätze in Etappen -2021 die Reduzierung von 25 auf 20 Prozent und später die Senkung von 35 auf 30 Prozent bzw. von 42 auf 40 Prozent -kommen soll, hält Kocher für vernünftig: "Das wird man machen müssen, sonst geht das nicht", so der Ökonom, der sich noch nicht sicher ist, ob der Spitzensteuersatz von 55 Prozent für Einkommensmillionäre heuer tatsächlich das letzte Mal eingehoben wird. "Die Befristung läuft dieses Jahr zwar aus, es ist aber unklar, ob es eine Verlängerung wie ursprünglich geplant geben wird oder nicht. Im Regierungsprogramm steht dazu nichts drinnen." Für das Gesamtbudget habe dieser Steuersatz, der nur "wenige Hundert Steuerzahler" betreffe, aber ohnehin keine große Bedeutung, so Kocher: "Da geht es mehr um die Symbolik."

In Summe geht der IHS-Chef von einem "Entlastungsvolumen jenseits von fünf Milliarden Euro" aus, das gegenfinanziert werden muss: zwischen drei und 3,5 Milliarden für die Reform der Einkommensteuer, eine bis 1,5 Milliarden für die Senkung der KÖSt von 25 auf 21 Prozent und noch "einige Hundert Millionen" u. a. für die Erhöhung der Pauschalierungen und Gewinnvorträge. Dazu kämen noch ein bis zwei Milliarden Euro für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs. "Die Frage wird sein: Wie viel davon kann man aus dem Budget nehmen und wie hoch werden die Einnahmen aus der geplanten CO2-Bepreisung sein?"

Komplexe Vorhaben

Ähnlich lautet die Einschätzung von Wifo-Chef Christoph Badelt: Für ihn ist es entscheidend, ob und wie es gelingen kann, die diversen ökonomischen und budgetären Vorhaben -Senkung der Staatsschulden, Nulldefizit, steuerliche Entlastungen und umfassende öffentliche Investitionen etwa für Verkehr und Einführung eines Österreich-Tickets, Gebäudesanierungen, Landesverteidigung oder Justiz - unter einen Hut zu bringen: "Das wird nur gehen, wenn Ausgaben gekürzt werden und die viel strapazierte Verwaltungs-und Strukturreform endlich kommt. Doch von Letzterer steht im Regierungsprogramm wenig." Vieles dabei habe mit Föderalismus zu tun - von Bildung bis zu Förderungen -und da sei noch einiges zu erledigen, so Badelt, für den das Regierungsprogramm "vom Ansatz her positiv" ist: "Das Ineinandergreifen von wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Faktoren ist wirklich neu."

Dass im ÖVP-Grünen-Programm einiges vage geblieben ist, überrascht den Wifo-Chef nicht; das sei in Wirklichkeit - so wie bei Programmen in der Vergangenheit - zu erwarten gewesen. Freilich: Wenn gewisse Punkte wie etwa die CO2-Bepreisung im Rahmen der Ökologisierung Österreichs bis 2022 evaluiert werden, sei auch nicht klar, wie diese letztlich aussehen werde. "Bis etwas nicht als Gesetzestext vorliegt, gibt es auch keine hundertprozentige Garantie der Umsetzung", so Badelt. "Bei der CO2-Bepreisung stellt sich auch die Frage: Was ist machbar und wie viel der Einnahmen wird dann im Sozialbereich verwendet?"

"Wenig Spielraum im System"

IHS-Chef Kocher geht jedenfalls davon aus, dass die CO2-Besteuerung "keine Riesensummen für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs bringen" werde: "Milliarden werden das wohl nicht sein." Und auch für dringend notwendige Investitionen in Landesverteidigung, Grundlagenforschung oder Justiz sieht er "nicht allzu viel Spielraum im System". Wohl aber im föderalistischen Förderungswesen, wo ein "hoher einstelliger Milliardenbetrag" ausgegeben werde. "Hier ist die Eintragung der Länder in die Transparenzdatenbank überfällig, ohne die man keine klaren Aussagen dazu treffen kann", so Kocher, der da eine "unbefriedigende Situation" ortet.

Insgesamt enthalte das Regierungsprogramm gute und sinnvolle Details -auch in Hinblick auf Entbürokratisierung und Stärkung des Standorts - es fehle jedoch die Harmonie: "Manche Kompromisse zu einzelnen Punkten, bei denen man sich nicht einigen konnte, wurden verschoben und es wird vom Tagesgeschäft abhängen, damit man sieht, wie es letztlich funktioniert. Absichtserklärungen allein sind nicht so entscheidend." Neben der Ökosteuer würden auch Themen wie Pflege oder Pensionen, zu denen sich im Regierungsprogramm nur vage oder allgemeine Formulierungen finden, im Fokus stehen, so Kocher: "Man wird sehen, welchen Modus ÖVP und Grüne finden werden, wie sie bei Vorhaben, bei denen sie sich bislang nicht einigen konnten, umgehen werden."

Neue Art der Zusammenarbeit?

Wie die Zusammenarbeit der neuen Regierung in der Praxis aussehen könnte, ließ sich ansatzweise beim ersten Ministerrat am Mittwoch erahnen: Dieser ging unaufgeregt und ohne viel Inszenierung über die Bühne. Nicht neu war, dass nach der Regierungssitzung nicht - wie seit der Zeit von Ministerrat-Erfinder Bruno Kreisky (SPÖ) lange üblich -der Kanzler vor die Medien trat. Stattdessen berichteten die Regierungskoordinatoren Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) über die türkis-grünen Budgetpläne. Bis zum 18. März, wenn Blümel seine Budgetrede halten wird, wollen die beiden Parteien mit einem Budgetprovisorium regieren, das das Budget 2019 im Wesentlichen fortschreibt, das heute, Freitag, im Nationalrat beschlossen wird.

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Blümel kündigte an, die Regierung werde "sofort mit der Arbeit für Österreichstarten" und das Budget 2020 vorbereiten. Ein Doppelbudget bis inklusive 2021 solles, anders als nach vergangenen Wahlen, nicht geben. Dafür sei die Zeit zu knapp. Ziele seien, keine neuen Schulden zu machen, Gestaltungsspielräume zu schaffenund die Schulden in Richtung der von der EU vorgegebenen Grenze von 60 Prozentder Wirtschaftsleistung zu drücken. Koglerbekannte sich ebenfalls zum vereinbartenausgeglichenen Haushalt; es würden abergleichzeitig Investitionsmöglichkeiten geschaffen und im Fall einer größeren Krisemüsse man gegensteuern, erklärte der Vizekanzler. Zu Details der ersten Etappeder Steuerreform im Jahr 2021 wollten sichaber weder Blümel noch Kogler äußern.

Im Fokus der Wähler

Angesichts der bevorstehenden Mammutaufgaben, des Experimentalcharakters der Regierung und der bereits gestarteten Querschüsse der Opposition insbesondere der FPÖ müssen sich ÖVP und Grüne klar sein, dass jede einzelne von ihnen beschlossene Maßnahme von den anderen Parteien und den Wählern mit Argusaugenbeobachtet werden wird. Dennoch: Die Voraussetzungen, dass die Regierung eine ganze Legislaturperiode Bestand hat, werden von Politinsidern als nicht schlechteingeschätzt. Immerhin ist auch die Zustimmung der Bevölkerung für Türkis Grün von Sommer 2019 bis Mitte Dezember von vier auf 40 Prozent gestiegen,sagt Christoph Haselmayer, Vorstand des Meinungsforschungsinstituts OGM, "und in den letzten Wochen hat sie tendenziell noch etwas zugelegt". Durch ihr Zusammengehen hätten sich ÖVP und Grüne "von ihren Positionen her in der Mitte verbreitert". Das mache es für SPÖ und FPÖ schwerer, da sie dadurch gewissermaßen an den linken bzw. rechten Rand gedrückt würden. Wenn die angekündigten Reformen kommen, werde sich die Opposition noch schwerer tun, so Haselmayer: "Nur wenn zum Beispiel Schutzhaft oder Kopftuchverbot für Mädchen bis 14 nicht kommen, hat die Opposition eine Chance." Die ÖVP sei derzeit "so geschlossen wie noch nie", und auch die 93-prozentige Zustimmung zum Regierungsprogramm der Grünen beim Bundeskongress sei "beeindruckend" gewesen, befindet der Meinungsforscher. "Deshalb wird es auch eine Pakttreue geben."

In Bedrängnis gebracht werden könne die neue Regierung nur aus zwei Gründen: einerseits, wenn es tatsächlich eine neue Flüchtlingskrise wie im Jahr 2015 geben könnte - beispielsweise wenn die Türkei ihre Tore Richtung Europa öffnet. Denn dann würde der im Regierungsprogramm vereinbarte koalitionsfreie Raum schlagend, der es Kanzler Kurz erlauben würde, in der Migrationspolitik wieder mit der FPÖ gemeinsame Sache zu machen. Schwierig könnte es andererseits auch werden, wenn in den grünen Ministerien Beamte mit SPÖ-,FPÖ- oder ÖVP-Nähe den jeweiligen Neoministern bzw. -ministerinnen die Arbeit - und damit die Umsetzung ihrer ambitionierten Vorhaben - schwer machen. Den schwarzen Peter für nicht realisierte bzw. verzögerte Vorhaben hätte dann wohl der jeweilige grüne Minister - was die laut Finanzminister Blümel derzeit "ausgezeichnete" Stimmung zwischen den beiden Koalitionspartnern wohl beträchtlich trüben würde.

Regierungsprogramm

326 Seiten starker Arbeitspakt

Unter dem Titel "Aus Verantwortung für Österreich" ist auf 326 Seiten festgehalten, was ÖVP und Grüne bis zum Ende der Legislaturperiode 2024 vorhaben. Hier einige wenige Auszüge: Ein ganz wesentlicher Punkt ist, dass Österreich bis 2040 klimaneutral werden soll und der C02-Ausstoß bepreist wird. Für Bahnfahrer ist ein bundesweites Ticket um drei Euro pro Tag geplant; Arbeitnehmer und Unternehmen sollen durch eine Senkung von Lohn-bzw. Körperschaftsteuer profitieren. Um internationale Fachkräfte leichter ins Land zu bekommen, ist eine Überarbeitung der Rot-Weiß-Rot-Card geplant. Beim Thema Migration sollen Asylverfahren künftig beschleunigt werden, bei Gefahr in Verzug die Verhängung einer Sicherungshaft möglich sein. Und im Fall einer neuen Flüchtlingswelle ist ein koalitionsfreier Raum geplant, damit die ÖVP härtere Gesetze auch mit einem anderen Partner durchbringen kann. Das Regierungsprogramm zum Download gibt es hier.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 1+2/20

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