Klimaforscher: "Opportunist Mensch kann nicht langfristig denken"

Wieso bekommt Homo sapiens, der weise Mensch, seine klimaschädlichen Aktivitäten nicht unter Kontrolle?

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Klimawandel - Klimaforscher: "Opportunist Mensch kann nicht langfristig denken"

Das evolutionäre Erbe der Menschen verhinderte bisher, dass sie ihre klimaschädlichen Aktivitäten einstellen, sagte der deutsche Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber der APA anlässlich eines Vortrags an der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien. Er attestiert den jungen Menschen um Greta Thunberg das Recht, dies erzürnt einzufordern, doch die Klimaschutz-Bewegung könnte zu spät kommen.

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APA: Wieso bekommt Homo sapiens, der weise Mensch, seine klimaschädlichen Aktivitäten nicht unter Kontrolle?
Hans Joachim Schellnhuber: Er ist während der Eiszeiten als Jäger und Sammler entstanden und war von Anfang an ein Opportunist. Der Mensch ist unheimlich gut darin, kurzfristige Vorteile zu realisieren, aber nicht in der Lage, systemisch langfristig zu denken. Wir sind also evolutionär nicht dafür geschaffen, in einer sesshaften Gesellschaft für die Zukunft zu planen, auch wenn wir das natürlich seit etwa fünf Jahrtausenden ständig versuchen.

Was bedeutet das für Bemühungen, den Klimawandel abzuschwächen?
Wir müssten heute etwas gegen diese systemische Bedrohung tun, die näher rückt und sogar unsere ganze Zivilisation in 30 bis 50 Jahren gefährdet. Wir erleben aber, dass der Einzelne dabei kurzfristig immer das Falsche tut: Entweder gar nichts, oder er sagt, solange die Party anhält, nehm' ich noch daran teil.

Wie kann man dieses Dilemma umgehen?
Es ist Aufgabe der Wissenschaft, diese unbequemen Wahrheiten immer wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, der Politik und der Wirtschaft zu bringen. Natürlich scheitert sie zunächst immer wieder dabei, aber irgendwann sinkt die Einsicht trotzdem ein und dann passiert etwas völlig Unerwartetes, wie jetzt, dass 14-Jährige auf die Straße gehen. Es ist wie bei einer Plattenverschiebung, wo die Kontinente langsam millimeterweise aufeinander zu driften. Irgendwann knallen sie zusammen, dann kommt es zu einem Erdbeben, und die Folgen sind irreversibel. Ich glaube, so einen Zeitpunkt erleben wir gerade: Es hat einen gewissen Ruck gegeben, ausgelöst durch Greta Thunberg, Papst Franziskus oder wen auch immer.

Spielt dabei nicht auch eine Rolle, dass man die Auswirkungen immer mehr sieht und spürt, unter anderem auch in Mitteleuropa.
Sicherlich. Wir hatten zum Beispiel 2018 massive Dürren in Deutschland, jeder kann sehen, dass in den Alpen die Gletscher schwinden. Dann kam eben plötzlich dieser junge Mensch Greta Thunberg, die auf völlig unorthodoxe Weise das System unterlaufen hat, es gab den Bericht des Weltklimarats IPCC und ein Bündel von Faktoren. Irgendwie war die Zeit reif für diese Plattenverschiebung, die sich aus vielen kleinen Spannungen und Vorbeben ergeben hat. Aber zum Schluss kommt immer das große Beben, und ich glaube, es passiert jetzt. Möglicherweise ist es aber zu spät, um die ganz große Klimakrise abzuwenden.

Besteht nicht auch die Gefahr, dass es nur ein kurzfristiges Beben ist, das verebbt und vergessen wird?
Ja. Ich habe schon verschiedene Konjunkturzyklen der Aufmerksamkeit für den Klimawandel miterlebt. Es gab zunächst drei Phasen der Auseinandersetzung, wo man sich jeweils eine bequeme Unwahrheit zurechtlegte: Zunächst hieß es, den Klimawandel gibt es nicht, obwohl die Meteorologen dies beobachteten. Die zweite Phase war, dass er nichts mit dem Menschen zu tun hat. Es gab lange Debatten der sogenannten Klimaskeptiker, die zum Teil einfach Irrläufer sind, zum Teil auch von der Industrie bezahlt wurden. Die Debatte ist zu Ende, auch wenn sich im Internet noch ein paar Spinner dazu finden. Die dritte Phase war, dass das Ganze nicht so schlimm ist und die Folgen beherrschbar wären. Das sehen wir nicht. Der Meeresspiegel steigt, es beginnen jetzt schon ganze Kulturen durch Dürre, Überflutungen oder Gletscherschmelze abzuwandern oder zu implodieren.

Und wo stehen wir jetzt?
Die vierte bequeme Unwahrheit wäre, dass man zynisch und nihilistisch wird und sagt: Wir können nichts mehr dagegen tun, also lasst uns in Saus und Braus weiterleben, und die paar hundert Millionen Afrikaner, die davon um ihre Lebensgrundlage gebracht werden, versuchen wir mit Stacheldraht und Maschinengewehren zurückzudrängen. Es könnte jetzt aber auch eine Art Schockoffenbarung entstehen, angetrieben durch die jungen Leute. Es gibt auch vermehrt Stimmen, wie von Papst Franziskus, Künstlern und Wissenschaftern, die sagen: Nein, es ist noch längst nicht alles verloren, es lohnt sich um jedes Zehntel Grad zu kämpfen. Das ist auch meine Haltung. Es ist aber die Wahrscheinlichkeit eher größer, dass man dem zynischen Nihilismus frönen wird.

Ist die Auseinandersetzung auch ein Generationenkonflikt?
Meiner Meinung nach ist dies der Generationenkonflikt per se. Ich bin 68 Jahre alt und werde, wenn ich Glück habe, mithilfe der modernen Medizin noch 20 bis 25 Jahre leben. In dieser Zeit werden die Folgen des Klimawandels zumindest in privilegierten Ländern wie Deutschland und Österreich nicht so gravierend sein, dass wir damit nicht zurecht kämen. Ich habe aber einen elfjährigen Sohn. Der hat ein völlig anderes Interesse an der Problematik als ich. Ich gehöre zu jenen Angehörigen der älteren Generation, die sich Sorgen um ihre Nachkommen machen - eigentlich müsste man annehmen, das wäre ein Grundgesetz des Menschlichen, aber irgendwann ist da Etwas verloren gegangen.

Wie können die jungen Menschen etwas erreichen?
Sie haben keine andere Wahl, als ein Recht auf eine gute Zukunft einzufordern, auch zum Teil durch zivilen Ungehorsam, wie es jetzt geschieht. Ich hoffe, dass es nicht zu Gewalttätigkeiten kommt. Ich bin der Meinung, dass wir das Problem auf friedliche Weise einhegen können, aber es versteht sich von selbst, dass die jungen Menschen erbost und erzürnt sein müssen. Ich bin sogar verwundert, wie lange sie dem Treiben der Etablierten zugeschaut haben.

ZUR PERSON

Der Klimaexperte Hans Joachim Schellnhuber wurde mit seinen Forschungen zu "Tipping Points" bekannt, also Kipppunkte, wo sich das Klimasystem abrupt und zum Teil unumkehrbar ändern kann. Er war Gründer und bis 2018 Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung in Deutschland, ist langjähriges Mitglied des Weltklimarats (IPCC) und der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften. Er hielt Dienstag Abend im Rahmen des Forschungsprogramms "Earth System Sciences" einen Vortrag an der ÖAW in Wien.

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