Klima Krimi: Was ist normal?

Sturm, Starkregen, Gewitter und Hitze. Was ist davon noch normal und was schon der Klimawandel?

Heftige Gewitter, orkanartige Sturmböen und Starkregen: Was in diesem Jahr in Europa und der Welt passiert, wirkt apokalyptisch. Zeigt sich jetzt der Klimawandel mit aller Macht?

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WETTER - Klima Krimi: Was ist normal?

Am Tag nach dem Sturm stehen die Feuerwehrmänner fassungslos vor d e m Schlacht feld. Die hellbraune Holzwand, die das Festzelt stabilisieren sollte, hat sich verdreht wie eine Spirale. Die Bierbänke sind umgekippt, Äste und ganze Bäume liegen verstreut auf dem Parkett. Das Ende einer Unwetternacht. Vor drei Wochen waren orkanartige Sturmböen mit bis zu 130 km/h über das Zeltfest in der Gemeinde St. Johann am Walde im Bezirk Braunau in Oberösterreich gefegt. Die Rettung rückte mit 150 Mitarbeitern an. Das Rote Kreuz löste Katastrophenalarm aus. 140 Besucher wurden verletzt, zwei Menschen starben.

Auch in anderen Teilen Oberösterreichs und Salzburgs entwurzelte der Sturm Bäume, beschädigte Autos und Leitungen. 150.000 Haushalte waren stundenlang ohne Strom. Die Energie AG Oberösterreich (EAG) bezifferte den Schaden mit mehr als 2,5 Millionen Euro.

Wetterchaos in Österreich

Nicht der einzige Sturm in diesem Jahr: Am 30. Juli erreichten Windböen während eines Gewitters über dem Innsbrucker Flughafen 165 km/h. Das ist einer der höchsten Werte, die jemals in Österreich gemessen wurden. Knapp zwei Wochen später wurden bei Gewittern im Gebiet vom Burgenland über das Wiener Becken bis zum Weinviertel Sturmböen immerhin um 100 km/h gemessen. In Wien musste deshalb ein Open-Air-Konzert kurz nach Beginn abgebrochen werden. Die Hallen der Arena wurden geöffnet, damit Besucher nicht bei Blitz und Donner auf die Straße mussten. Die Feuerwehr musste allein in dieser Nacht 200 Mal in Wien ausrücken. Zur gleichen Zeit kamen in Tirol innerhalb von 24 Stunden mehr als 55 Milliliter Regen zusammen. Zum Vergleich: In einem durchschnittlichen August regnet es in Innsbruck im gesamten Monat rund 130 Milliliter. Und zum Unwetter kam die Hitze: Viele Ostösterreicher ächzten diesen August unter hohen Temperaturen. Wetterexperten bestätigen: Der Sommer war der drittwärmste seit dem Messbeginn im Jahr 1767. In der Wiener Innenstadt wurden in 28 Nächten Temperaturen über 20 Grad gemessen. Normal sind 16 solcher Tropennächte im Sommer.

Sturm, Starkregen, Gewitter und Hitze: Seit Monaten herrscht Wetterchaos. Da stellt sich die Frage, ob diese Unwetter normal sind? Oder ist das der Klimawandel?

Da, wo man diese Fragen beantworten kann, herrscht an diesem Mittag im September eine Lufttemperatur von 19,5 Grad. Das zeigt der schwarze Monitor, der mitten auf dem Gelände der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) steht, dem allgemeinen staatlichen Wetterdienst Österreichs. Seit Kaiser Franz Joseph 1851 die Einrichtung bewilligte, wird von der Hohen Warte im 19. Wiener Gemeindebezirk aus das Wetter beobachtet und vorhergesagt. Mittlerweile stehen auf dem Gelände drei Gebäude. Vom Prachtbau mit Stuckverzierungen bis zum containerartigen Bürokomplex aus den 70er-Jahren.

Klimawandel ist bewiesen

Die Tür zu der Villa aus dem 19. Jahrhunderts ist verschlossen. Der Besucher muss zwei Eingänge mit Chipkartenabfrage passieren, bevor er vor einem der schnellsten und größten Computer Österreichs steht: Dem SGI ICE X Bladecenter, dem Hochleistungsrechner der ZAMG.

Im Raum ist es stickig. Die Kühlmodule dröhnen, als wären sie Flugzeugturbinen. Der Supercomputer schaut aus wie mannshohe schwarz-grüne Schränke, jeder von ihnen vollgepackt mit Hunderten Prozessoren. 82 Billionen Rechenschritte führen sie pro Sekunde aus, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Er verarbeitet Wetterdaten aus ganz Europa. Luftdruckwerte, Niederschlagsmengen, Bodentemperaturen und Windgeschwindigkeiten. Gesendet von Satelliten und Radargeräten, Radiosonden und Wetterstationen. Der Superrechner der ZAMG hat mehr als zwei Millionen Euro gekostet, und seine Aufgabe ist es, vor extremen Wettereignissen zu warnen, das Klima zu prognostizieren und Vorhersagen zu machen über die Ausbreitung von gefährlichen Substanzen nach Unfällen in Atomkraftwerken.

Ivonne Anders weiß genau, was in den Schränken vor sich geht. Sie arbeitet täglich mit den Daten aus dem Supercomputer und versucht damit, in die Zukunft zu schauen. Anders sitzt in ihrem Büro im ältesten der drei Gebäudekomplexe, seit neun Jahren arbeitet sie hier, Abteilung "Klimaforschung". Die 39-jährige Wissenschaftlerin aus Deutschland gesteht, dass die Klimaprognose unsicher ist und die Frage nach dem Klimawandel nicht so leicht zu beantworten ist.

Warum? Als wissenschaftlich belastbar gälte ein Trend erst, wenn man ihn für einen Zeitraum von mindestens 30 Jahren nachweisen könne. Viele Daten gebe es aber gar nicht. Entweder weil durch Kriege und historische Veränderungen Daten verloren gingen oder weil sich die Messmethoden in den letzten Jahrzehnten verändert haben. Für die Klimatologen müsse das Messinstrument allerdings immer gleich sein, damit sie zu einem wissenschaftlichen Ergebnis kommen können, erklärt Ivonne Anders. Ein anderer Grund: Nicht an jedem Fleck von Österreich steht eine Wetterstation. Damit werden kleine, lokale Niederschläge manchmal gar nicht erfasst. Da hilft auch kein Supercomputer.

Dazu kommen die veränderten Bedingungen. "Will man wissen, wie sich das Klima entwickelt, muss man wissen, wie sich die Erde und die Menschheit verändern. Dafür haben wir nur Szenarien, und die sind auch unsicher", sagt Anders.

Sicher scheint also nur eins: Es wird wärmer in Österreich. "Die elf wärmsten Sommer, die seit dem Beginn der Messung aufgezeichnet wurden, gab es in den vergangenen 16 Jahren", sagt Anders. Weil Wissenschaftler wissen, dass es weltweit wärmer wird, sind sie sicher: Auch der Temperaturanstieg in Österreich hängt mit dem Klimawandel zusammen. Das ist bewiesen. Und die steigenden Temperaturen führen dazu, dass Wetterextreme weltweit zunehmen.

Das Jahr 2017 hat dies bereits brutal demonstriert: Vergangene Woche zog Hurrikan Irma mit Orkanwinden, Sturmfluten und sogar Tornados über die Karibik und Florida hinweg (siehe Seite 48). Ende August hatte Harvey in Texas und Louisiana gewütet. In Südostasien hat die Monsunsaison mit ungewöhnlich schweren Überschwemmungen begonnen. 2.100 Menschen verloren in Indien, Bangladesch und Nepal ihr Leben. Europas Südhälfte litt im Sommer unter extremer Hitze, während in der Nordhälfte ein Unwetter auf das nächste folgte. Weltweit sind wetterbedingte Versicherungsschäden in den letzten 30 Jahren um das 15-Fache angestiegen. Laut Zahlen der Münchener Rückversicherung beliefen sich die versicherten Schäden im Jahr 2016 weltweit auf rund 50 Milliarden US-Dollar.

In Österreich sind in den vergangenen 16 Jahren rund vier Millionen Schäden entstanden. Kaum ein Bundesland bleibt von den Naturkatastrophen verschont. Hagel liegt laut der Schadenstatistik der Allianz seit 2000 auf Platz eins. Der verursachte 34 Prozent der Schäden. Etwas weniger, nämlich 26 Prozent, machten Sturmschäden aus. "Während durch Stürme vor allem die Regionen vom Innviertel bis ins südliche Niederösterreich bedroht sind, ist die Hagelgefahr im Salzburger Pinzgau, im Salzkammergut und dem Tiroler Unterland am größten", sagt Beate Sommerer, Schadenexpertin und Geschäftsführerin des Allianz Kundenservice.

Von Hochwasser seien vor allem die Regionen betroffen, wo die mittelgroßen Flüsse der Alpennordseite in die Donau münden. Ein größeres Problem sieht Beate Sommerer aber in den sogenannten "Flash Floods". "Das sind kleine, unscheinbare Bäche im ganzen Land, die sich binnen Stunden in reißende Ströme verwandeln können", sagt Sommerer. Dementsprechend fällt die Prognose der Expertin aus: Naturkatastrophen und daraus resultierende Schäden werden weiter ansteigen.

Auf Gefahrenzonen achten

Laut einer aktuellen Erhebung des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KFV) fühlen sich rund 73 Prozent der Österreicher durch Extremwetterereignisse gefährdet. Der Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs etabliert deshalb derzeit ein Programm der Vereinten Nationen zur Reduktion des Katastrophenrisikos in Österreich. Der Verband rät, bereits beim Kauf eines Hauses vorauszuschauen, ob es sich in einer potenziellen Gefahrenzone befindet, und dementsprechend den Ernstfall vorzubereiten und Vorräte anzulegen.

Politik ist gefordert

Die Klimazukunft schaut düster aus. Ob sich die Erderwärmung auf maximal zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit wird eingrenzen lassen, ist umstritten. Zudem hat US-Präsident Donald Trump entschieden, aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen. Sein Land liegt bei den CO2-Emissionen nach China weltweit immerhin auf Platz zwei.

Um so wichtiger erscheint es, dass jeder Einzelne seinen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Laut dem CO2-Rechner des Forums Umweltbildung produziert jeder Bürger in Österreich durchschnittlich 12,8 Tonnen CO2 im Jahr. Die Initiative des Umweltund des Bildungsministeriums ruft deshalb dazu auf, beim Einkauf auf biologische, regionale und langlebige Produkte zu setzen, am besten pflanzliche Lebensmittel statt Fleisch und Fisch, um die Energie bei der Produktion einzusparen.

Die Wiener Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb appelliert an den Hausverstand: "Wenn jeder glaubt, für 200 Meter das Auto nehmen zu müssen und nicht zur Fuß oder mit dem Fahrrad fahren zu können, werden wir auf Dauer nicht viel ändern können." Für die Expertin besonders wichtig: die Heizung. "Jeder zweite Haushalt in Österreich heizt noch mit fossilen Brennstoffen." Bis 2030 sollte das umgestellt sein, doch hier sei der Staat säumig: "Die Bevölkerung muss die Politik motivieren, damit sie die entsprechenden Rahmenbedingungen schafft. Umgekehrt funktioniert es offenbar nicht." Dies gelte auch für die Förderung von Passivhäusern und Energie-plus-Häusern. "Noch besser, als Subventionen auszuschütten, wäre es, schädliche Entwicklungen steuerlich zu belasten", so Kromp-Kolb. Immerhin gebe es international Tausende von Beispielen, wie man es richtig machen könne: "Österreich muss nicht alles neu erfinden." Es gebe aber dringenden Aufholbedarf, so die Wissenschaftlerin: "Wir sind auf EU-Ebene Zweitletzter vor Polen -und die paar Leuchtturmprojekte, die wir haben, reißen uns da auch nicht raus."