"Aus Rom
kommt Rückenwind"

Mit Dompfarrer Toni Faber hinter den Kulissen einer Messe. Was muss ein Priester können? Wird Gottesdienst irgendwann Routine? Gibt es bei Hochzeiten auch Hoppalas? Und: Wie ist das mit den Priesterkindern? Teil eins einer News-Serie über die bekannten und weniger bekannten Seiten der Kirche.

von Messe im Stephansdom © Bild: Matt Observe/News

Etwa eine Viertelstunde vor zwölf Uhr betritt Toni Faber durch einen Seiteneingang den Stephansdom. Täglich liest der Dompfarrer hier eine Messe, an diesem Donnerstag jene zur Mittagsstunde, am Wochenende sind es zwei bis drei Gottesdienste pro Tag. Er eilt in die Sakristei. Faber, der Öffentlichkeit als charmanter, wortgewandter Vermittler in Glaubensfragen und als umtriebiger Menschenfischer am Society-Parkett bekannt, ist konzentriert und fast wortkarg. Eine Handvoll Menschen umgibt ihn: Ministranten, Mesner, Musiker. Schnell wird das Prozedere abgeklärt: "Wer nimmt die Lesung?", fragt Faber in die Runde. "Hamma a Kyrie?", fragt der Organist. Er kommt knapp und scherzt: "Die fangen eh nicht an, wenn ich nicht da bin." Ein Messdiener hilft Faber inzwischen ins Messgewand - violett, die Farbe der Fastenzeit. "Ich lass den Schal drunter an", sagt der Priester, denn in der Kirche ist es trotz Heizung bitterkalt.

Im Namen des Herren

Dann wird es ruhig. Faber und die beiden Ministranten verharren versunken vor einem Altar in der Sakristei. "Unsere Hilfe ist im Namen des Herren." Und die anderen: "Der Himmel und Erde erschaffen hat." Das ist ein Psalmvers, den alle Priester vor der Messe sagen. Faber eilt unter Orgelklängen mit seiner Gefolgschaft in den Dom. Gut 100 Gläubige warten schon. "Menschen, die die Mitte des Tages nützen, um einzutauchen in eine Wirklichkeit, die wir nicht so fassen und beschreiben können, die aber doch eine Verbindung zwischen oben und unten ist", sagt der Dompfarrer. Seine Kirche, der Stephansdom, biete vielleicht nicht "die Stille eines einsamen Kapellchens im Wald, sondern steht mitten in der Brandung der Großstadt." Dennoch kommen täglich Hunderte für ein Gebet oder einen Moment der Andacht, werden an Spitzentagen Zehntausende Kerzen im Dom angezündet, im Jahr sind es drei Millionen.

365 Tage im Jahr ist hier Betrieb, sieben Messen pro Tag, 105 Beichtstunden pro Woche (täglich von sieben bis 22 Uhr), 60 Priester stehen dafür bereit. "Bei mir im Dom kann man in 50 Sprachen beichten", sagt der Dom-Manager Faber.

Messe im Stephansdom
© Matt Observe/News

Rund 5,6 Millionen Menschen kommen pro Jahr in den Dom. Doch in der Mehrzahl sind es Touristen, die sich ganz profan das Wahrzeichen Wiens ansehen und die 343 Stufen auf den 137 Meter hohen Südturm steigen. "Wir haben in der Stadt nur 40 Prozent Katholiken, und von diesen gehen nur zwei bis drei Prozent überhaupt in die Gottesdienste", bekennt Faber ein. "Insgesamt erreiche ich also nur vielleicht ein Prozent der Wiener über die heilige Messe." Dafür umso mehr mit "Seitenblicke"- und Medienauftritten: "Wenn wir da nicht vorkommen, kommen wir gar nicht mehr in die Lebenswirklichkeit der Menschen."

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Jedes Jahr verlassen Zehntausende die katholische Kirche. 53.510 Katholiken haben im Jahr 2017 bei der Bezirkshauptmannschaft oder dem Magistrat ihres Hauptwohnsitzes ihren Austritt veranlasst. Gegenüber den Vorjahren ist die Zahl rückläufig, doch stetig leeren sich die Reihen der Gläubigen: Mit Ende 2017 zählte man noch 5,11 Millionen Katholiken. Die Gründe für den Austritt sind seit Jahren die gleichen. Missbrauchsfälle innerhalb der Kirche etwa: Als 2010 zahlreiche solcher Skandale bekannt wurden, erreichte die Zahl jener, die sich von dieser Kirche abwendeten, mit fast 86.000 einen Höhepunkt. In anderen Jahren ist es die schleichende Unzufriedenheit mit der Weltfremdheit, dem Dogmatismus, dem verzopften Frauenbild der Kirche, die die Leute vertreibt.

Dabei hat Toni Faber auch Hoffnung: "Diese große Kritik an der Kirche kenne ich seit Jahrzehnten und bin sehr froh, dass wir mit Papst Franziskus manche alten Zöpfe abgeschnitten haben. Dass man heute angstfrei und zukunftsoptimistisch über Homosexuelle in der Kirche reden kann, dass man über geschiedene Wiederverheiratete und über Lebensformate, die früher nicht willkommen schienen, reden kann. Da gibt es einen Stilwechsel. Oder dass über das Priestertum der Frau nicht ein abschließendes Urteil gefällt ist wie unter Johannes Paul II., sondern dass wir über Frauen im Diakonat sehr wohl reden müssen: Das geht alles sehr langsam, aber auch die evangelische Kirche, die ich bewundere für viele Dinge, die sie schon erledigt hat, hat das Priestertum für Frauen erst seit 50 Jahren."

Religionen in Österreich
© Merridee Stein/News

365 Flaschen Wein

Dort, wo die Kirche sich dienstbar dem Leben stelle, würden die großen Kritikpunkte kleiner, meint Faber. "Aus Rom kommt jetzt viel Rückenwind. Viele Seelsorger, die sich über Jahrzehnte zeitgemäß den Menschen zugewendet haben, haben es heute leichter als früher, als Kämpfer in der Brandung, immer in der Gefahr, als nicht katholisch angesehen zu werden."

Immerhin: 5.364 Menschen sind 2017 in die katholische Kirche zurückgekehrt. Toni Faber selbst hat 110 Wiedereintritte begleitet. "Das liegt an unserer guten Performance", sagt er locker. Aber auch am Thema Islam. Die politische Debatte über diesen steigert offenbar auch die Bekenntnisbereitschaft zum Christentum. Jeder brauche einen Glauben, ist Faber überzeugt: "Jeder Mensch ist unrettbar gottessüchtig, gottessehnsüchtig, wie Kardinal König gesagt hat. Die religiöse Frage steigt bei jedem irgendwann auf, gerade bei Lebenswenden: Geburt, Hochzeit, Krankheit, Tod oder wenn man Schuld auf sich geladen hat. Ich werde manchmal ins Gefängnis gerufen und kann liebe Freunde dort besuchen, die Schuld haben oder angezählt sind. Wenn ich dabei gesehen werde, kommen dann die Anrufe: 'Was, du bist im Häfen?' 'Nein', sag ich dann, 'ich war nur auf Besuch.'" Die Messe geht zu Ende, Faber spendet die Kommunion. Die Hostien für den Stephansdom werden von Klosterschwestern gebacken, den Karmeliterinnen im 13. Wiener Gemeindebezirk. Pro Jahr, so rechnet Faber hoch, werden hier im Dom über 400.000 Hostien verteilt.

Messe im Stephansdom
© Matt Observe/News Dompfarrer Toni Faber liest jeden Tag eine Messe. News begleitete ihn bei einer Mittagsmesse. Gut 100 Gläubige kommen um diese Zeit in den Dom

Genaue Zahlen verrät er auch über den Messwein. Dieser wird von Wienwein, einer Vereinigung von sechs Wiener Winzern, zur Verfügung gestellt. Einer von diesen heißt ja passenderweise Christ. "Im Radl" stellt jeder der Winzer 120 bis 150 Flaschen Wein zur Verfügung, erzählt Faber. Derzeit ist gerade der Mayer am Pfarrplatz mit einem Grünen Veltliner dran. 365 Flaschen pro Jahr werden gebraucht, also eine Flasche pro Tag für die sieben Messen. St. Stephan ist übrigens auf Wein gebaut: 1450, als der Nordturm begonnen wurde, verzeichneten die Wiener Weinbauern einen katastrophalen Jahrgang. Der Wein geriet extrem sauer und wurde auf die Straße gelehrt. Kaiser Friedrich III. ordnete an, den Wein zum Stephansdom zu bringen, mit ihm wurde dann der Kalk für den Turmbau abgelöscht.

Das Messgewand, das Faber während dieses Gottesdienstes getragen hat, ist eines von Hunderten im Dom. "Von den modernen violetten Ornaten, die wir unter der Woche anhaben, haben wir etwa 20 bis 30. Genauso viele sind es in Weiß, Rot und Grün. Das sind die vier liturgischen Farben. Dann haben wir noch sehr viele barocke, wertvolle Gewänder, die nur einmal im Jahr getragen werden. Der Breuner-Ornat wird nur am Stephanitag verwendet, den trägt der Kardinal seit 1647. Viele werden gestiftet, früher oft von den Habsburgern. Einmal hat eine alte Dame ihr Hochzeitskleid gestiftet, aus dem eine Kasel (das liturgische Obergewand, Anm.) gemacht wurde. Es ist eine schöne Sache, wenn man in eine Kasel schlüpft, die Papst Johannes Paul II. getragen hat. Die trage ich immer zu Ostern."

Messroutine

Früher, vor 30 Jahren, als Anfänger in seinem Amt habe er sich gedacht: "Jössas, hoffentlich bleib ich nicht in einer Predigt stecken. Ich habe jede wortgenau vorbereitet und gelernt", erzählt Faber. Heute habe er Bausteine und reagiere auf die Situation: "Auf Störungen, auf Interesse. Wenn jemand aufmerksam schaut, dann bleib ich dran. Wenn jemand vor dir schon eingeschlafen ist, ist man anders." Routine gäbe es keine bei ihm. Jede Messe, jede Hochzeit, jedes Begräbnis, jede Taufe hat seine volle Aufmerksamkeit, betont Faber. "Wenn eine Messe zu routiniert wird, spürt man es, und das ist schlecht. Es macht mich ganz wahnsinnig, wenn ich merke, ein Priester lässt das nur runterrennen."

Toni Faber
© Matt Observe/News Der Dompfarrer mit der Toni-Faber-Handpuppe

Hoppalas im Priesteralltag?"Ein Kollege von mir hat eine Hochzeitsgesellschaft als liebe Trauergemeinde angesprochen. Die waren nachher verschnupft", schmunzelt er. Er selbst sei einmal zu einer Hochzeit zu spät gekommen, weil er an diesem Tag auch noch eine Firmung und eine zweite Hochzeit hatte: "Auf einmal läutet mein Telefon und die Brautmutter sagt:'Wo bist du? Die Braut wartet schon vor der Tür!' Das war mir sehr peinlich. Aber weil die Braut ohnehin sehr aufgeregt war, hat es ihr letztendlich ganz gut getan, dass sie noch eine Viertelstunde warten konnte."

Moral im Beichtstuhl

Nicht zu Routine werden dürfen auch Beichtgespräche. Sie bewegen sich oft an der Grenze zur Therapie. "Ehrlicherweise muss man gestehen, dass in sehr vielen Kirchen in Wien und Umgebung die Beichte gleichsam eingestellt ist", erklärt Faber. Daher wachse die Nachfrage im Stephansdom. "Als Junger habe ich gedacht, da kommen nicht mehr viele zur Beichte, weil man Dinge, die früher böse waren, heute liberaler sieht. Im Gegenteil: Wir hören das Morallexikon von A bis Z. 'Wissen Sie, Herr Pfarrer, mein Psychotherapeut sagt das, aber was sagen Sie?'" Und im Gegensatz zum Therapeuten könne er "im Namen Gottes die Sünde abnehmen".

Werden Priester darauf vorbereitet, dass Beichtende auch therapeutischen Beistand brauchen könnten? "Diese Grenzziehung ist Teil der Ausbildung, um abzugrenzen und nicht selber Therapeut zu spielen. Wir haben in den Beichtzimmern eine Liste von 50 Psychotherapeuten und Psychiatern, die wir empfehlen, wenn wir das Gefühl haben, nicht helfen zu können."

Letzte Frage: Hat bei ihm schon einmal einer seiner Priester gebeichtet, Kinder zu haben? "Natürlich gibt es das. Ich erinnere mich an einen Priester, der von Kardinal König gehalten wurde. Er hatte zwei Kinder, die Mutter war gestorben. Er hat dann als Lehrer gearbeitet, damit er mehr verdient. Das gibt es vereinzelt. Wer ist nicht fehlbar?" Und gibt es tatsächlich finanzielle Rücklagen für Priesterkinder?"Das ist eine Legende. Ein Priester muss mit seinem Gehalt selbst für Kinder aufk ommen. Nur in einer Notlage darf er sich an den Finanzchef wenden. Wir würden nicht zulassen, dass die Kinder darunter leiden."

Lesen Sie im aktuellen News (14/2018): Die Kirche als Unternehmen