Im Netz der Kinderfänger

Der Bub ist fünf, das Mädchen sieben: Ein Wiener Vater bietet die eigenen Kinder zum Missbrauch an, filmt mit, stellt sein Material im Internet zur Verfügung: Was tut sich da nur für eine Parallelwelt auf, welche Menschen bevölkern sie? Eine Spurensuche in den Abgründen der Kinderpornografie.

von Illustration Kinderpornografie © Bild: Arnulf Rödler

Der 28-jährige Vater ließ sich widerstandslos festnehmen. Gerade einmal fünf Jahre ist sein Sohn alt, seine Tochter zählt sieben Jahre. Das Mädchen sei doch immer sein "Schatzi" gewesen, sollte er später während des Verhörs zu Protokoll geben. Der Arbeiter, der mit seiner Familie in Wien-Favoriten lebt, hatte seine beiden Kinder von klein auf sexuell schwer missbraucht.

Erst noch ohne Augenzeugen, die Mutter, die gesundheitlich schwer gezeichnet ist, sah nichts oder wollte nichts gesehen haben. Später dann stellte er erste Bilder und Filme seiner Delikte ins Netz, parkte sie in diversen Darknet-Plattformen und fand so schon bald Gleichgesinnte. Durch den Austausch der Daten kam man sich rasch näher, es entstanden geheimbündlerische Pädophilenfeundschaften. "Da geht es kaum um finanzielle Interessen, sondern tatsächlich um so etwas wie Sammlerleidenschaft", sagt Ewald Ebner, der im Wiener Bundeskriminalamt das Büro für internationale polizeiliche Kooperationen bei Gewaltdelikten leitet. "Die User wollen sich gegenseitig mit ihrem Material übertrumpfen und stacheln sich gegenseitig zu immer unbegreiflicheren Schritten an."

»Die User stacheln sich gegenseitig zu immer unbegreiflicheren Schritten an«

Etwa zum Schritt aus der virtuellen Unterwelt hinauf ins eigene Wohnzimmer: Der junge Vater aus der Vorstadt lud einen 61-jährigen Deutschen und einen 40-jährigen Österreicher schließlich für drei Tage zu sich nach Hause ein. Die Gäste durften an den Kleinen ungestört ihre Fantasien ausleben. Die beiden Kinder waren angehalten, die "Onkels" gewähren zu lassen und keinem etwas zu sagen. Und der Vater, der hielt mit der Kamera drauf und versandte die Videos dann in die düsteren Tiefen des Internets. An eine Kinderporno-Plattform namens "Elysium". In der griechischen Mythologie ist das die Insel der Seligen - im weltweiten Netz ein Marktplatz sexueller Armseligkeit.

Der Hinweis der Lehrerin

Im Frühsommer stießen Beamte des Bundeskriminalamtes Wiesbaden im Zuge gezielter Recherchen auf die verbotenen Filme aus Wien. Durch ein unscheinbares Detail im Hintergrund ließ sich der Drehort regional eng einschränken. Von da an übernahmen Kollegen des Wiener Bundeskriminalamtes und ließen den Volksschulen im unmittelbaren Umfeld Bilder des siebenjährigen Mädchens zukommen. "Zielgruppenorientierte Öffentlichkeitsfahndung" nennt man das. Eine Lehrerin erkannte auf dem Foto ihre Schülerin, was schließlich zur Identität des Vaters führte.

Eine Identität, die er im Internet mit Hilfe eines sogenannten Tor-Browsers über Jahre hinweg problemlos verschlüsselt hatte. Ein Tor-Browser, das ist eine Art virtuelle Tarnkappe, die sich auch Laien mit ein paar gezielten Mausklicks aus dem legalen Netz herunterladen können - um unter deren Schutz zu surfen, ohne irgendwo IP-Adressen zu hinterlassen. Und um problemlos Zugang zum Darknet zu bekommen. Das reinste Kinderspiel, könnte man mit Fug und Recht sagen - hätte das Wort nicht mit einem Mal diesen unsäglichen Beigeschmack.

Im Juni konnten die Ermittler schließlich in Deutschland den Administrator von "Elysium" festnehmen, zudem ein gutes Dutzend weiterer Haupttäter, die allesamt selbst kinderpornografisches Material produziert hatten, unter ihnen der junge Vater aus Wien. Zu dem Zeitpunkt, als die Plattform von den Fahndern vom Netz genommen wurde, hatte sie bereits 87.000 Mitglieder, ein Gutteil davon Westeuropäer, im Echtleben unauffällige Mitbürger.

Ein gezielter Schlag gegen die Produzenten und Konsumenten von Kinderpornografie ist der Exekutive da wieder einmal gelungen, einer, der die Triebtäter zumindest für kurze Zeit verunsichert - für zu kurze Zeit: Eine ähnliche Plattform mit dem zynisch-verharmlosenden Namen "Childs Play" etwa weist, wie sich die Administratoren selbst rühmen, derzeit an die 426.000 Mitglieder auf. Und zieht, da sind sich IT-Experten sicher, auch einen Gutteil der heimatlosen "Elysium"-Klientel an.

Wie Trinker im Dauerrausch

"Die meisten Pädophilen, mit denen wir zu tun haben, sind Wiederholungstäter", sagt Ebner. "Diese Menschen sind wie Alkoholiker, wie Süchtige, die immer wieder aufs Neue in einen schweren Rausch verfallen." Die meisten bemitleiden sich in raren nüchternen Momenten selbst, einige wenige bemitleiden ab und an kurz ihre Opfer, manche jedoch verklären sich selbst zu Sexualrevolutionären - und beklagen im Kreise der Ihren das Unverständnis einer ahnungslosen, bornierten Gesellschaft.

»Die meisten Pädophilen, mit denen wir zu tun haben, sind Wiederholungstäter«

Ein IT-Experte hat sich aus Recherchegründen unter fingierter Identität in eine der Plattformen eingeschleust; und stieß in den Chats zwischen den einfachen "Members" (schauen, sammeln, tauschen, keine Eigenproduktionen) und den "Trusted Users" (vom Administrator ausgewählte Bereitsteller besonders begehrter Ware, je nach Angebot und Vertrauenswürdigkeit mit einem bis fünf Sternen bewertet) auf Täter, die sich selbst zu Opfern stilisieren: "Es ist alles so verlogen, und die dumme Menschheit glaubt jeden Quatsch", empört sich da etwa einer der User unter dem zuckersüßen Nickname "Kirsche". Und weiter: "Was hat der Elysianer eigentlich wirklich getan? Er saß daheim vor seinem Rechner, schaute sich anregende Bilder an, die er mit ins Bett nahm, und eine ruhige Nacht konnte beginnen." Ja, und was macht die engstirnige Polizei, was die allzeit lügenbereite Presse? "Das reinste Sodom und Gomorrha wird verbreitet." Wobei: "Jeder, der 'Elysium' kannte, weiß es besser."

Was zählt es da schon, dass bislang allein im Zuge der "Elysium"-Ermittlungen 29 minderjährige Missbrauchsopfer identifiziert werden konnten? Dass die Fahnder auch Hardcore-Material von Kleinkindern sicherstellten? Dass Volksschul- und Kindergartenkinder wie jene des verhafteten Arbeiters aus Wien-Favoriten, vor den Augen ihrer eigenen Väter von Fremden?

Illustration Kinderpornografie
© Arnulf Rödler

Einer dieser monströsen Missverstandenen, er firmiert unter dem arglosen Nickname "Papposchka", brüstet sich auf einer ähnlichen Plattform seiner unglaublichen Begegnung mit einer Sechsjährigen: "Die Kleine sprang auf und zog mich, an meinen Händen zerrend, ins Schlafzimmer."

Die getarnte Hölle

Die Hölle, das sind immer die anderen. Doch diese anderen sind mitten unter uns. Jahr für Jahr werden bei der Wiener Meldestelle "Stopline" an die 1.000 Filme mit verbotenem kinderpornografischem Inhalt gemeldet. Und - diese anderen gerieren sich in der Öffentlichkeit nicht als die Bestien, zu denen sie hinter verschlossenen Türen mutieren. Sie sind freundlich, angesehen, angetan mit dem trügerischen Tarngewand der Bürgerlichkeit.

Der 60-jährige Arzt aus dem Hausruckviertel, der im April in Untersuchungshaft genommen wurde, weil er kinderpornografische Fotos und Filme gesammelt und verbreitet haben soll und jede Schuld von sich wies; der 22-jährige Tischler aus dem Großraum Korneuburg, der im Frühsommer vor Gericht stand, weil er - selbst ein zweifacher Vater - ein zehnjähriges Mädchen in einem Chatroom dazu brachte, für ihn Intimfotos von sich zu fertigen; der arglose Opa, 69 Jahre alt, aus dem Wiener Umland, der Sexfotos von Buben und Mädchen hochlud, die vom Alter her seine Enkel sein könnten: Allein im Vorjahr wurden in Österreich 681 Fälle von pornografischer Darstellung Minderjähriger zur Anzeige gebracht, dazu kommen noch 595 Fälle von sexuellem Missbrauch und schwerem sexuellen Missbrauch von Unmündigen - Tendenz steigend.

Etwa ein Prozent der männlichen Bevölkerung gilt zumindest als latent pädophil, zu diesem Schluss kommt eine deutsche Studie, die sich auch auf die heimischen Verhältnisse umlegen lässt. Rund 40.000 Personen wären das demnach in Österreich, Frauen sind praktisch keine darunter, Pädophilie gilt als rein männliches Verbrechen. Warum das so ist, darüber existieren keine gesicherten Erkenntnisse, Wissenschaftler vermuten hinter dem Phänomen eine dramatische Radikalisierung jener Anziehungskraft, die jüngere Frauen, speziell sogenannte Lolitatypen, schon seit jeher auf ältere Männer ausüben. Es geht teils um die eigene Aufwertung durch jüngere, viel jüngere Partnerinnen, teils um die Angst vor dem eigenen Alter, teils um die kolossale Selbsterhöhung durch Dominanz und Macht.

Das innere Monster

"Die einen leiden unter dem Drama ihres unerfüllten Begehrens", sagt der Psychotherapeut Michael Schreckeis, der im Rahmen der Salzburger Sexualberatungsstelle mit gerichtlich verurteilten Konsumenten von Kinderpornografie arbeitet. Das sind Menschen, die sich beim Ausleben ihrer kranken Lust an persönlichen Traumen orientieren und nicht selten als Kinder selbst missbraucht wurden - wie etwa der Vater aus Wien-Favoriten. "Fixierungsstellen" nennt Schreckeis diese Berührungspunkte zwischen der eigenen Vergangenheit als Opfer und der Gegenwart als Täter. Diese Gruppe sei, wenn schon nicht heil-, so zumindest therapierbar. Und vor allem therapiewillig. "Sie betrachten die eigene Pädophilie als Monster."

»Sie betrachten die eigene Pädophilie als Monster«

Andere wiederum kämen bloß, weil sie das Gericht geschickt habe - und nur deswegen. Demaskierende Einstiegsfrage: "Wie lange muss ich denn zur Therapie kommen?" Doch wie füllen die Pädophilen ihre boomenden Plattformen und Foren, woher kommen all die Bilder und Filme? Die Materialbeschaffung verläuft nach einfachen Mustern: Viele Triebtäter bahnen ihre Kontakte im Rahmen ganz normaler, nach außen hin völlig unverdächtiger, Video-Chat-Plattformen an. Seit auch die meisten Kinder schon Smartphones mit HD-Kameras besitzen, tummeln sich dort unzählige Minderjährige. Nichtsahnend, völlig arglos. "Sie nützen die Chat-Plattformen als Forum der Selbstpräsentation - und dafür, in ihrer kindlichen Unsicherheit Anerkennung und Aufmerksamkeit zu generieren", sagt Barbara Schloßbauer, Chefin der Kinderporno-Meldestelle "Stopline". Doch genau das wissen die lüsternen Kinderfreunde -und machen sich mit geheuchelter Empathie und Komplimenten ganz gezielt an ihre Opfer heran.

Perfides Belohnungssystem

Ist der Kontakt im öffentlichen Chaträumen einmal angebahnt, erfolgt die gezielte Verlagerung Richtung private Videokonferenzen. Plötzlich sind dann mehrere Männer zugeschaltet, welche die Minderjährigen in schmieriger Gier anfeuern, sich vor der Kamera zu präsentieren, immer freizügiger, immer eindeutiger. Ein perfides Belohnungssystem aus "Likes", "Hearts", "Superhearts" und billigen Grafiken soll den Ehrgeiz der Kinder möglichst lange aufrecht erhalten. Oft gelingt es den Tätern auch, während der Chats persönliche Treffen mit ihren Opfern zu arrangieren. "Cyber-Grooming" nennt sich das Phänomen, das die Grundlage für die Produktion immer wieder neuen Materials bildet - welches dann wiederum auf Plattformen wie "Elysium" hochgeladen wird. So können die Konsumenten, die daheim an ihren Rechnern sitzen, ganz gezielt nach einschlägigen Videostreams suchen, ihre Erfahrungen in der Gruppe austauschen und sich in der Community ihrer Taten brüsten.

Wie jener 28-jährige Vater aus Wien-Favoriten, der seinen fünfjährigen Sohn und seine siebenjährige Tochter von klein auf missbraucht hatte - ehe er zwei Gleichgesinnte zum Mitmachen zu sich nach Hause einlud. Die Tochter sei doch immer sein "Schatzi" gewesen, sollte er nach seiner Verhaftung zu Protokoll geben.