Wird Kickl
der neue Haider?

Nach dem Abgang von Norbert Hofer ist er der starke Mann in der FPÖ. Herbert Kickl hat die politische Kampfzone auf die Straße ausgeweitet. Aber was will der blaue Agitator? Und wie gefährlich ist sein kühl kalkuliertes Machtspiel?

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Coverstory - Wird Kickl
der neue Haider?

Herr Kickl, würden Sie denn gerne selbst Parteichef werden? „Ich wäre ein schlechter und unehrlicher Politiker, wenn ich nicht sagen würde: Natürlich ist das eine reizvolle Überlegung. Jeder Fußballer will im Nationalteam stehen, jeder Teamspieler will Kapitän sein.“ Zumal sich der bisherige Kapitän am vergangenen Dienstag per Twitter-Meldung selbst austauschte.

Es war am 9. Februar 2021 am späten Nachmittag, als FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl im Interview mit News hochoffiziell den Anfang vom nunmehrigen Ende der Ära Hofer einläutete: „Wenn sich die Situation ergibt, dann würde ich nicht sagen, ich mache das nicht. Sonst wäre es ja sinnlos, dass ich das Ganze über all die Jahre mit aufgebaut habe.“

Nun also ist der stets konziliant wirkende Burgenländer blaue Obmann-Geschichte, und der kantige, drahtige Kickl, mal Verbal-Rambo, mal Rumpelstilzchen, avanciert mittelfristig zum neuen starken Mann im Dritten Lager.

Eigentlich ist es ja eine Übernahme auf Raten, denn schon in der Zeit, als ein diffuses Häufchen von Obskuranten und tatsächlichen Covid-Verlierern ihren Protest lautstark zur artikulieren begann, entdeckte der Kärntner Arbeitersohn aus Radenthein, der als Teenager gemeinsam mit Eva Glawischnig das Gymnasium besuchte, die außerparlamentarische Opposition und die Macht der Straße für sich – und begann, die stetig wachsende Unzufriedenheit in Teilen der Bevölkerung realpolitisch zu nutzen. Einerseits, um seiner Partei nach dem Kuschelkurs in der Regierung und den irritierenden Ibiza-Querelen endlich wieder einen ultrastraff en Antiregierungskurs zu verpassen. Aber auch, um sich selbst, während Kollege Hofer mit Corona in Quarantäne schmorte, als das neue öffentliche Gesicht der Partei zu positionieren.

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„Manchmal“, sagt Kickl, „muss man auch neue Wege gehen, um Dinge voranzutreiben.“ Und: „Politik lässt sich nicht auf institutionalisierte Politik beschränken, die sich nur parlamentarischer Mittel bedient.“ Aber müssen Demokraten traditioneller Prägung Worte wie diese nun als gefährliche Drohung verstehen? Und vor allem: Was ist das für ein neues Gesicht, das diese Partei dank Kickl nun hat? Ja und überhaupt – wie wird sie es unter der Patronanz ihres neuen Emotional Leaders in den nächsten Wochen und Monaten noch verändern?

„Was nun mit der FPÖ passieren wird, ist die Fortsetzung der Radikalisierung in Wort und Tat“, befürchtet etwa SPÖ-Altkanzler Franz Vranitzky, der mit neuen blauen Gesichtern seit Haiders rasantem Aufstieg so seine Erfahrungen hat. „Kickl geht einen Weg, den auch Haider gegangen ist – mit radikaler Wortwahl und der Einstellung, gegen alles zu sein, egal, ob die Corona-Maßnahmen oder den Parlamentarismus.“ Das, so Vranitzky, sei nicht mehr und nicht weniger als das „Haider-Verfahren“, ja sogar „Haider pur“. Was die Gesellschaft somit von Kickl zu erwarten habe, sei eine „kaum bündnisreife Oppositionspolitik“. Wohl aber eine quantitativ erfolgreiche: „Ich halte für vorstellbar, dass er an der 20-Prozent-Marke kratzt“, prognostiziert der Ex-Regierungschef.

Narzistisch nicht verführbar

Laut Vranitzky ist der neue Blue Star zwar „ein Grenzgänger“ wie weiland auch dessen Landsmann Jörgl, „wobei Haider ein fescher Bursche war, was Kickl erst aufholen müsste“. Aber wohl gar nicht möchte: „Der Herbert ist narzisstisch nicht verführbar“, sagt der Psychotherapeut Ferdinand Stürgkh, der über Jahre hinweg zum Inner Circle Heinz-Christian Straches zählte und so auch stets ganz nah an Kickl dran war. „Das Scheinwerferlicht“, sagt Stürgkh, „ist für ihn keine Selbstbestätigungsbühne.“ Vielmehr sei er der nüchterne Stratege, der kühle Planer, dessen öff entliches Wirken rein rational auf Stimmenmaximierung ausgerichtet sei. So etwas wie eitle Lust an der Massenhypnotisierung empfi nde Kickl im Gegensatz zu Haider und später auch Strache überhaupt nicht.

Kickl, der Marathonläufer, Kickl, der Ironman-Teilnehmer, der Kletterer, asketisch, und doch hochgradig bierzeltgeeicht, am Rednerpult in entfesseltem Dauerfuror, privat aber dennoch umgänglich, manchmal in Ansätzen sogar fast so was wie selbstironisch. „Kein Chihuahua“ sei er, also kein Schoßhündchen, sagte er einmal im Gespräch mit News, sondern „eher ein Hund, der anschlägt wenn sich Gefahr nähert“. Letztendlich sei er weder in die Politik gegangen, um Schauspieler zu werden, noch dürfe man sich als Oppositionspolitiker in den „Streichelzoo der Regierung“ eingemeinden lassen.

Doch wie hält es Kickl mit den alten Kameraden großdeutschen Zuschnitts und deren jungen Glorifi zierern in Bomberjacken und Springerstiefeln? Wie hält er es mit den ehemaligen Pfl ichterfüllern und den tausendjährigen Wiederbetätigern? Fest steht, Kickl ist für den rechten Rand der Gesellschaft hochattraktiv: „Die außerparlamentarische extreme Rechte begegnete Hofer noch mit Geringschätzung und teilweise off ener Verachtung: zu gemäßigt, zu kompromisslerisch, zu distanzierungswillig war er ihnen“, holt Rechtsextremismus- Forscher Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, aus.

Küssel ist Kickl-Fan

„Hinter Kickl hingegen steht sie in seltener Einigkeit – aufgrund seiner Inhalte, seines Stils, seiner Lust am Tabubruch.“ Wer wie heuer im Zuge der zum Gutteil von Rechtsextremen orchestrierten Corona-Proteste den Schulterschluss zwischen Partei und Straße ausrufe, könne sich der „Ergebenheit von Neu- wie Altrechten“ sicher sein. Selbst Neonazi-Führer Gottfried Küssel, der sonst nur höchst abfällig über die „Systempartei“ FPÖ spreche, würdige Kickl als den „einzigen politischen Kopf“ der Freiheitlichen. Doch wie sehr wird diese Zuneigung vom derart adorierten Noch-Klubobmann Kickl auch erwidert?

Einerseits verachtet Kickl das blau-bräunliche typische Männerbündlerische in der FPÖ, gehört selbst keiner Burschenschaft an und pfl egt auch keine nibelungentreuen Freundschaften. Andererseits überwarf er sich mit zwei maßgeblichen Figuren aus dem deutschnationalen Eck nur aus rein persönlichen Gründen, nicht aber aus ideologischen.

Mit Strache, seinem Ex Chef, überwarf er sich, weil ihn dessen haltlos lallendes Schwadronieren auf Ibiza zutiefst anwiderte. Strache über Kickl: „Welch falsche Schlange habe ich da an meiner Brust genährt, die nur danach gierte, mich zu beerben und dann auf mich draufzusteigen?“

Doch auch die Loyalität zu Norbert Hofer, Straches Nachfolger an der Parteispitze, platzte praktisch über Nacht. Und schlug, zumindest von Seiten Kickls, in tiefe Ablehnung und Feindschaft um. Wer die Ursachen für den Konfl ikt verstehen will, der nun die Medien beherrscht, muss gut zwei Jahre zurückblicken: Nachdem Straches Suff-Video aufgepoppt war, der Hauptdarsteller ernüchtert abdanken musste und Hofer zur Nummer eins avancierte, hat Letzterer noch alles versucht, um die Regierung – und die blaue Regierungsbeteiligung – zu retten. „Hofer hat sich Kurz richtiggehend angebiedert“, erinnert sich Straches damaliger strategischer Vordenker, Stürgkh. „Doch diese Anbiederung hat Kickl irrsinnig aufgeregt.“

Das verfrühte Opfer

Damals ging es darum, dass ein Innenminister Kickl nicht die Ermittlungen gegen seinen Ex-Chef Strache leiten könne. Dieser Meinung waren zumindest Bundespräsident Van der Bellen und Kanzler Kurz. „Und Hofer ließ sich von ihnen breitschlagen und opferte Kickl – noch bevor die Regierung platzte“, sagt Stürgkh.

Betrachtet man die rasant wechselnden Mannschaftsaufstellungen der FPÖ, so agierte Kickl stets als Mann der zweiten Reihe, sozusagen als hängende Spitze. Aber kann der studierte Philosoph (kein Abschluss) und bekennende Hegel’sche Dialektiker auch Chef, auch, nun ja, Führer? Ehemalige Parteimitglieder, die einst im Streit und wegen Kickl die blaue Gesinnungsgemeinschaft verließen, sagen: Das komme ganz darauf an. Eine dieser Personen ist News-Kolumnist Peter Sichrovsky. „Kickl“, sagt er heute, „ist für mich ein Provokateur ohne größeres Konzept.“ Dabei habe er sich in den letzten Jahren verrannt. „Eine Partei, wie es die FPÖ noch in den 1970er-Jahren war, kann er zwar führen. Eine zeitgemäße, die vielleicht sogar Verantwortung übernimmt, nicht.“

In seinen rund eineinhalb Jahren als Innenminister unter Türkis-Blau jedenfalls hinterließ der Mann mit dem ausgeprägten Faible für die berittene Polizei – selbst Viktor Orbán schickte damals aus nachbarschaftlicher Verbundenheit einen Gaul – nachhaltige Eindrücke. Herbert Kickl, 52, ein Typ zum Pferdestehlen?

„Ich habe ihn als jemanden erlebt, der selbst Menschen, die er persönlich schätzt, beruflich vernichtet, wenn es seinen Zielen dient – und diesen Menschen dann erklärt, dass sie all das nicht so eng sehen dürften, das sei doch nur Politik.“ Die Person, die das erzählt, hatte als beamtete Führungskraft an der Spitze des Ministeriums regelmäßig persönlichen Zugang zum blauen Minister. Und beobachtete aus allernächster Nähe Kickls Auseinandersetzung mit gleich drei ÖVP-nahen Sektionschefs, die er wegen angeblich zweckwidriger Verwendung von Geldern vor Gericht brachte. Allesamt wurden sie freigesprochen, aber das Ziel, nämlich die Betroff enen während des Verfahrens kalt zu stellen, war für Kickl erreicht.

Durchwachsene Nachrufe

Die Nachrufe, die man aus dem Kreis der Spitzen von Kriminalpolizei, Sektionen, Asylbehörden und Staatsschutz über den freiheitlichen Frontman hört, fallen differenziert, aber doch überwiegend kritisch aus. „Freundlich im Ton, interessiert an allem, aber beinhart in der Sache“, sagt einer. „Im Gegensatz zu vielen anderen unbestechlich, aber jemand, der in allen, die nicht für ihn sind, Feinde sieht“, ein anderer.

Aber Kickl und die Kieberer? Was sich während seiner Zeit an der Spitze des Sicherheitsapparats deutlich zeigte: Der begeisterte Sportler verlangte auch von seinem Umfeld Hartnäckigkeit, Durchhaltevermögen und Gehorsam. Im Rahmen mehrerer Klausuren mit den absoluten Topleuten des Hauses erzählte er den Direktoren und Generälen immer wieder die Geschichte des Expeditionsschiff s „Endeavor“, jenes Dreimasters, mit dem der legendäre Entdecker James Cook im 18. Jahrhundert die Weltmeere bereiste.

Kickl präsentierte den Spitzenbeamten die Erzählung von der entbehrungsreichen Reise der „Endeavor“ als Metapher dafür, dass man mit Zusammenhalt alles, wirklich alles erreichen könne. Mitglied einer dieser Runden in freundlicher Atmosphäre war übrigens auch der damalige Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), Peter Gridling. Kurze Zeit nach dem Termin forcierte Kickl eine folgenreiche Hausdurchsuchung im BVT – und sprach die später von einer Kommission aufgehobene Suspendierung Gridlings aus.
Das Schiff FPÖ, es schlingert, ähnlich der „Endeavor“, einmal mehr in tosenden Fluten. Der neue Kapitän mag es, wenn Stürme die Segel blähen, denn Wind ist Wirbel, und Wirbel ist immer wirkungsvoll. Der Kapitän heißt Kickl, nicht Cook.

Der Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (22/2021) erschienen.