Die Kickl-Macher

Der FPÖ-Chef ist auf dem Weg zu einem bestimmenden Faktor der österreichischen Politik. Zelte für Geflüchtete bringen ihm ebenso Wähler wie Korruptionsaffären.

von Politische Analyse - Die Kickl-Macher © Bild: Privat

Analyse

2022 ist bisher ein durchwachsenes Jahr gewesen für Herbert Kickl: Zunächst machte dem FPÖ-Chef die impfgegnerische Liste MFG zu schaffen. Im Sommer erlitt er einen Hörsturz. Bei der Bundepräsidentenwahl kam sein Kandidat Walter Rosenkranz nicht über 17,7 Prozent hinaus. Mittlerweile ist MFG jedoch dabei zu verschwinden und über die Bundespräsidentenwahl redet kein Mensch mehr.

Kickl kann sich zurücklehnen: Bei steigender Tendenz liegt die FPÖ im Durchschnitt der Umfragen bei 25 Prozent und damit deutlich vor der ÖVP (21) und nur noch knapp hinter der SPÖ (27). Groß anstrengen muss er sich nicht dafür. Freiheitliche Wähler, die Sebastian Kurz für die Volkspartei gewonnen hat, kehren wieder zurück. Bundeskanzler Karl Nehammer und Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP) sind unfreiwillige Helfer dabei: Nehammer setzt keine Akzente, um sie zu halten, Karner verschreckt sie. Die Zelte, die er zur Unterbringung von Flüchtlingen aufstellen lässt, stehen für eine gescheiterte Asylpolitik. Eine Bankrotterklärung.

Keine Widerrede

Im Übrigen lässt man Kickl gewähren: Nicht nur, dass er fordert, die EU-Sanktionen gegen Russland aufzuheben, er will auch, dass Österreich keinen Cent mehr nach Brüssel überweist. Damit möchte er verhindern, dass heimisches Steuergeld in die Stärkung der ukrainischen Abwehr fließt. Unter Jörg Haider oder Heinz-Christian Strache hätte derlei noch zu einer Debatte geführt, die für eine Masse bewusstseinsbildend gewirkt hätte. Bei Kickl ist das nicht mehr der Fall. Er kann ungestört Zielgruppen pflegen, die in ihrer Größe nur schwer überschätzt werden können. Er kann diesen Leuten erzählen, was er will. Sie bekommen kaum ein Gegenargument zu hören, das ihnen die Rolle erschließt, die Österreich unter türkis-grüner Führung einnimmt.

Und dann sind da noch die Korruptionsaffären: An Kickl werden keine besonderen Ansprüche gestellt. Darum geht es in seinem Fall nicht. Er profitiert schlicht von der Tatsache, dass sich wachsende Teile der Bevölkerung abwenden von der Politik; dass er sich als "Anti-System-Vertreter" ausgibt, über den man Regierenden eins auswischen kann.

Der 54-Jährige kommt so fast unbemerkt zu einer mächtigen Position: Er, den seit seiner Zeit als Innenminister (2017 bis 2019) kaum jemand selbst noch einmal in Verantwortung sehen möchte, ist dabei, ein bestimmender Faktor der österreichischen Politik zu werden: Wenn die FPÖ weiter zulegt, steigt ÖVP-, aber auch SPÖ-intern der Druck, inhaltlich zu reagieren. Schon jetzt werden Stimmen laut, ihm in der Asylpolitik nachzuziehen. Kommt die FPÖ bei einer Nationalratswahl schließlich über 25 Prozent, wird es schwierig, eine Koalition gegen sie zu bilden. Dann ist Kickl seinem Ziel, Kanzler zu werden, nahe.

Zahl

Kurz beim Wort genommen

Darauf zu setzen, dass die Wähler die Korruptionsaffären vergessen, wäre riskant für die ÖVP, die mit ehemaligen und amtierenden Funktionären wie Ex-Kanzler Sebastian Kurz und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka im Fokus steht: Einer Masse ist das alles nicht egal.

Das Gallup-Institut hat Ende Oktober 1.000 Wahlberechtigte befragt, zu welchen Themen eine Partei jedenfalls Lösungen präsentieren muss, damit sie sie unterstützen. Auf Inflation und Teuerung entfielen mit 71 Prozent die meisten Nennungen, gefolgt von Energieversorgung (67 Prozent) sowie Gesundheit und Pflege (62). Mit vorne dabei sind schließlich Bereiche, bei denen es um die Beseitigung des "Wasserschadens" für die Republik geht, den Bundespräsident Alexander Van der Bellen ortet: Korruption und Unabhängigkeit der Justiz (jeweils 60 Prozent) sowie Sicherung demokratischer Werte (56 Prozent). Konzepte dazu sind für mehr Menschen dringlich als etwa zu Zuwanderung und Grenzschutz (51 Prozent) oder Klimawandel (42 Prozent).

Schon üble Ideen gehen zu weit

Gerade die ÖVP sollte jedoch wissen, dass Korruption auch dann ein relevantes Thema sein kann, wenn noch keine strafrechtliche Entscheidung vorliegt. Gleich nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos hat Sebastian Kurz mit den Worten „Genug ist genug“ die Koalition mit der Heinz-Christian-Strache-FPÖ aufgekündigt und betont, dass es um mehr gehe: "Wirklich schwerwiegend" seien "Ideen" des Machtmissbrauchs sowie des Umgangs mit Steuergeld und den Medien. Das wirkte überzeugend: Die Freiheitlichen stürzten bei der Neuwahl wenige Monate später ab, die Liste Kurz triumphierte und kam auf 37,5 Prozent. Erkenntnis für die ÖVP: Auch heute reichen sehr vielen Wählern offenbar "Ideen" des Machtmissbrauchs, die in diversen Chats dokumentiert sind, um auf Maßnahmen für ein sauberes Österreich zu bestehen.

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Bericht

Wie die Mitte zerfällt

Politisch betrachten sich acht von zehn Österreichern weder als Linke noch als Rechte, sondern ordnen sich der Mitte zu. Das hat das Institut für Höhere Studien (IHS) herausgefunden, und das wirkt erfreulich für Massenparteien wie ÖVP und SPÖ, die immer wieder versuchen, in dieser Mitte zu punkten. Allein: Die Mitte zerfällt, und das erklärt sehr viel über die Entwicklung der Parteien.

"Die alte, staatstragende Mitte, deren Leitmotive Stabilität und Normalität waren, existiert in dieser Form nicht mehr", analysiert Martin Mayr vom Markt- und Meinungsforschungsinstitut Integral: Abgelöst werde sie durch ein nostalgisch-bürgerliches Milieu, das von Abstiegsängsten geplagt wird, die vermeintliche Ordnung der Vergangenheit wieder herstellen möchte und sich zum Sprachrohr des überforderten und unzufriedenen Teils unserer Gesellschaft entwickelt. Daneben ist laut Integral eine neue Gruppe entstanden, die sich für eine nachhaltige Zukunft einsetzt. Festgestellt hat das Institut das bei seiner jüngsten Erhebung für eine Sinus-Milieu-Studie, bei der unterschiedliche Lebens- und Wertewelten zusammengefasst werden.

Potenzial für Blaue, Grüne und Pinke

Der Zerfall der Mitte lässt sich parteipolitisch nachzeichnen: Von ÖVP und SPÖ, die sich über die Jahrzehnte zunehmend schwerer tun, groß zu punkten und das nur noch in Ausnahmenfällen schaffen, war bereits die Rede. Die beiden haben Teile der Mitte verloren – Unzufriedene an Freiheitliche, "progressive Realisten", die sich für eine nachhaltige Zukunft einsetzen, eher an Grüne und Neos.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at