Virtuoses
Verhör nach Zeit

Daniel Kehlmanns Zweipersonen-Thriller "Heilig Abend" im Theater in der Josefstadt

Der Polizist Thomas hat genau 90 Minuten Zeit, um herauszufinden, ob Judith irgendwo in der Stadt eine Bombe explodieren lässt. Daniel Kehlmann antwortet auf die Fragen der Zeit von Terror und totaler Überwachung mit einem kompakten, exzellent gebauten Thriller. Die Einfachheit des Geschehens ist bestechend, der Text ingeniös.

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Uraufführung - Virtuoses
Verhör nach Zeit

Die digitale Uhr tickt. Am Heiligen Abend um Mitternacht soll eine Bombe explodieren. Es ist 22.30 Uhr: In einem kahlen, grauen Raum aus Plexiglas (Bühne: Walter Vogelweider) wird die Philosophieprofessorin Judith (Maria Köstlinger) festgehalten. Die Uhr tickt, Minuten vergehen. Ein grau gekleideter Mann (Bernhard Schir) betritt den Raum. Man erfährt nach und nach, dass er Polizist ist, dass Heiliger Abend ist, dass diese Frau verdächtigt wird, einen Anschlag zu verüben.

Ihr Computer wurde gehackt, jeder ihrer Schritte überwacht. Kehlmann zeigt, dass kann jedem von uns passieren, jederzeit. Denn „Seit Paris ist alles anders“, sagt der Polizist.

Mit schnödem Befragen gibt sich Kehlmann indessen nicht zufrieden. Er spielt mit seinem Text. Er zeigt, was die sogenannte, radikale, gebildete Linke heute ist: eine einfache Beute für jeden Polizisten, der keinen Hochschulabschluss braucht, um deren Theorien nachsprechen zu können.

Die Ausgewogenheit eines wohl dosierten Quantums an Humor und beklemmender Thrillerspannung zeichnet diesen Text aus. Dass den zwei so virtuose Schauspieler wie Maria Köstlinger und Bernhard Schir eineinhalb Stunden lang hinter Plexiglas und mit Mikrophonen sprechen müssen, ist das einzige, das man der Produktion anlasten könnte, aber das kann dem Text nichts anhaben.

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