Katharina Straßer:
"Singen werde ich immer"

Über die Wiener Volkssängerin Cissy Kraner hat Katharina Straßer das Stück "Alles für'n Hugo" geschrieben und selbst produziert. Dass die Liedtexte nicht den Kriterien politischer Korrektheit entsprechen, stört sie nicht. Premiere ist am 27. Februar im Wiener Rabenhof

von Kultur - Katharina Straßer:
"Singen werde ich immer" © Bild: Lukas Ilgner

Das Faszinierende an Cissy Kraner? Ihre Unheimlichkeit, sagt Katharina Straßer. Wenn sie in Kindertagen die bis ins hohe Alter aktive Gestalt mit eisblondem, wallendem Haar im Fernsehen davon singen hörte, sie wünsche sich einen Vorderzahn zum Geburtstag: Da habe sie sich geängstigt, lässt die 34-jährige Schauspielerin wissen. Das Potenzial der Lieder, mit denen der Kabarettist Hugo Wiener seiner Ehefrau Cissy Kraner schon zu Lebzeiten Legendenstatus verschafft hatte, entdeckte Straßer erst, als sie selbst zur Volksschauspielerin avanciert war.

Chansons, wie "Der Novak lässt mich nicht verkommen" waren die Begleitmelodien im Alltag der Wiener der Nachkriegszeit. Der Kritiker Hans Weigel nannte Kraner eine "Volkssängerin im besten Sinne". Wie abenteuerlich das Leben von Cissy Kraner war, ist heute nur noch wenigen bekannt. Die 1918 als Gisela Maria Spitz geborene Tochter eines Buchdruckers trat bereits während ihrer Gesangsausbildung am Konservatorium im Wiener Kabarett "ABC" auf. Wo Autoren wie der Arbeiterdichter Jura Soyfer zu den Hausautoren zählten, schärfte sie ihren Blick für das Zeitgeschehen. 1938 nahm sie eine Stelle als Soubrette in Hugo Wieners Revue an, die sie nach Bogotá führte. Das war lebensrettend für Wiener, denn er war Jude und konnte nicht ins von den Nationalsozialisten besetzte Wien zurück. Kraner und Wiener wurden ein Paar, gründeten in Caracas eine Pianobar und kehrten 1948 nach Wien zurück, wo sie das kabarettistische Geschehen nachhaltig prägten.

Einige der Chansons, die Hugo Wiener für seine Frau geschrieben hat, trug Katharina Straßer schon in anderen Programmen vor. Nun verdichtete sie dieses Künstlerleben zum Einpersonenstück "Alles für'n Hugo". In 90 Minuten führt sie darin durch das Leben der Wiener Legende -eine Biografie in Liedern. Katharina Straßer ist dabei nicht nur Darstellerin, sondern auch Produzentin. Vor der Premiere am 27. Februar im Wiener Rabenhof traf sie News zum Gespräch.

Was fasziniert Sie an Cissy Kraner?
Mir ist sie unheimlich. Als Kind habe ich mich immer gefürchtet, wenn ich sie im Fernsehen gesehen habe. Auch mein Sohn Emil, der bei den Proben einmal gehört hat, wie ich das Lied "Ich wünsch' mir zum Geburtstag einen Vorderzahn" gesungen habe - der wollte das gar nicht.

Dieses Lied handelt von häuslicher Gewalt. Ein Mann schlägt seiner Frau einen Zahn aus. Können Sie erklären, weshalb das viele so unterhaltsam finden?
Das verstehe ich schon, weil das Lied in eine liebliche Melodie verpackt ist. Deshalb ist es auch so böse und deshalb geht es so tief. Da ist Tragik in Humor verpackt. Das ist die größte Waffe am Theater. Die funktioniert auf der ganzen Welt. Hugo Wiener hat das perfekt beherrscht. Ein gutes Beispiel dafür ist der Film "La vita è bella" von Roberto Benigni. Der ist so tragisch, und deshalb berührt er so. (Der italienische Komödiant Benigni erzählt von einem jüdischen Vater, der seinen Sohn im Konzentrationslager beschützt und selbst umkommt, Anm.)

Hugo Wiener war um 15 Jahre älter als Cissy Kraner, als er sie für seine Revue in Südamerika engagiert hat. Sie ist ihm gefolgt, ohne zu zögern. Können Sie sich das erklären?
Sie ist zuvor im Kabarett "ABC" aufgetreten. Dort haben sie schon wilde Lieder gegen den Krieg gesungen. Sie muss geahnt haben, dass etwas Schreckliches in Wien bevorstand. Hugo Wiener und sie kamen einander erst auf der Schiffsreise näher. Als er sie in der Volksoper sah, fragte er sie, ob sie mit ihm nach Südamerika kommen will. Zum 400-jährigen Bestehen von Bogotá hat er eine Revue geschrieben. Das hat ihm das Leben gerettet.

Wie stellen Sie sich das Leben dieser jungen Frau in der Emigration vor?
Karriere war ihr und Hugo Wiener sehr wichtig. Sie haben sich bewusst gegen Kinder entschieden. Denn es war damals noch nicht möglich, als Frau mit Kindern Karriere zu machen. Es ist auch heute noch schwer genug, aber man macht es. Ihr Leben muss abenteuerlich gewesen sein. Er war Klavierlehrer, sie arbeitete in einer Bäckerei, dann als Sekretärin. Als sie von ihrem Chef im Büro bedrängt wurde, hat sie gekündigt. 1943 gründeten sie eine Pianobar in Caracas (Venezuela, Anm.) und sangen seine Lieder in mehreren Sprachen. Der Novak aus "Der Novak lässt mich nicht verkommen" hieß Mr. Matico. Hugo Wiener konnte seinen Wortwitz in mehrere Sprachen übertragen, das muss man einmal schaffen.

Wie trägt man heute ein Lied vor, in dem davon die Rede ist, dass eine Frau nackt vor Negern tanzt? Muss man das nach politisch korrekten Kriterien umschreiben?
Ich singe natürlich den Originaltext, denn ich stelle eine Figur dar, die in der Vergangenheit dieses Lied gesungen hat. Und als solche darf man auch "Neger" sagen. Das ist überhaupt nicht abwertend. Was soll ich denn sonst singen?

"Afro-Amerikaner"?
Das ginge sich vom Rhythmus nicht aus. Aber was soll das überhaupt? Sind alle Schwarzen Afro-Amerikaner? Man muss unterscheiden, wie etwas gesungen wird. Abwertend ist da nichts. Aber über solche Dinge habe ich mir keine Gedanken gemacht, denn der "Novak" wird heute überall gesungen. Ich übertrage auch keine anderen Texte in die Gegenwart. In "Ich möchte' so gern ein Teenager sein" singe ich auch "Ich tanzert' zu der Musicbox vom Let Kiss alles bis zum Fox". Das ist etwas veraltet, aber ich ändere es nicht. Diese Begriffe verwendete man damals, so wie "Neger".

Hugo Wiener brachte bereits Jahrzehnte, bevor der Feminismus durch Alice Schwarzer bei uns überhaupt ins Gespräch kam, Themen wie die Ausbeutung von Hausfrauen in seine Lieder ein, zum Beispiel in "Wie man eine Torte macht".
Ja, dieses Lied ist erbarmungslos. Meine Freundinnen in Tirol kennen das alles nicht. Ich möchte Cissy Kraner einem Publikum näherbringen, das sie nicht kennt. Ich bin gespannt darauf, wie man mein Stück in Innsbruck (Vorstellung am 16. März im Treibhaus) aufnimmt. Denn in Tirol ist Kraner nicht so bekannt.

Das Lied "Pin-up-Girl" erzählt von der Rache einer Frau, die sich belästigt fühlt. Haben Sie jemals Einschlägiges erlebt?
Nur einmal hat mich jemand berührt. Aber dem habe ich sofort eine Watschen geben. Seither ist mir nichts mehr passiert.

Cissy Kraner war 50 Jahre mit Hugo Wiener in Ehe und Beruf verbunden. Wäre ein gemeinsames Bühnenprojekt mit Ihrem Mann, dem Kabarettisten Thomas Stipsits, für Sie interessant?
Nein, überhaupt nicht. Erstens wüsste ich nicht, wie ich das familientechnisch organisieren soll. Zweitens ist er Kabarettist. Und Kabarett zu machen, interessiert mich nicht und kann ich auch nicht. Ich bin Schauspielerin und keine Kabarettisten. Mich vor die Leute hinzustellen, um ihnen etwas Lustiges zu erzählen, würde mich in Panik versetzen. Ich hoffe, dass man mein Programm über Cissy Kraner nicht falsch versteht. Das ist ein Theaterstück mit Gesang, kein Kabarett.

© Rabenhof/Rita Newman "Alles für'n Hugo": Katharina Straßer leiht der Wiener Legende Cissy Kraner im eigenen Stück ihre Gestalt. Am Klavier: Boris Fiala

Aber Sie haben doch 2016 mit Thomas Stipsits die ORF-Serie "Gemischtes Doppel" gedreht. Ist die Arbeit mit dem Ehepartner vor der Kamera für Sie vorstellbar?
Ich würde gerne wieder mit ihm drehen. Und bei der Arbeit ist Thomas ein Kollege wie alle anderen auch.

Im Film "Love Machine" stellen Sie eine Frau dar, die vor der Geburt steht und einen Callboy ruft. Den stellt Thomas Stipsits dar. Wenige Wochen nach dem Dreh brachten Sie Ihre Tochter Lieselotte auf die Welt. Wie werden Sie Ihren Kindern einmal erklären, dass ihr Vater diesen Callboy gespielt hat?
Die dürfen den Film frühestens ansehen, wenn sie 20 sind. Ich halte einige Szenen darin für sehr gewagt. Und das sage ich nicht als Ehefrau, sondern als Konsumentin. Aber was soll's, Sex sells. Die Auslastung (2. Platz in den österreichischen Kinocharts am Startwochenende, Anm.) ist für Thomas und für uns, die Schauspieler, gut. Der Erfolg ist wichtig, damit österreichische Filme gefördert werden.

Wie weit würden Sie in einem Film gehen?
Überhaupt nicht weit. Ich werde mich nie ausziehen, wenn Sie das meinen. Es war für mich schon hart an der Grenze, als ich am Volkstheater in dem Stück "Der nackte Wahnsinn" in Unterwäsche auftreten musste. Mir ist es auch zu Tode peinlich, wenn ich im Publikum bin und zuschauen muss, wie sich jemand sich auf der Bühne auszieht. Wenn ein Schauspieler nackt ist, verliert er den Schutz durch die Figur. Dann ist er nur noch der Nackte.

Sehnen Sie sich noch nach dem Volkstheater?
Mir blutet das Herz, wenn ich in diesem Haus bin. Ich kenne dort alle vom Billeteur bis zum Portier. Als ich noch dort im Ensemble war, schwärmten alle von der schönen Zeit mit Emmy Werner. Jetzt sprechen alle, wie gut es bei Schottenberg war. Es wäre wichtig, dass man dieses Haus wieder aufpäppelt. Ich würde auch gern wieder an der Volksoper spielen. Mit Herbert Föttinger bin ich für die Josefstadt im Gespräch. Und singen werde ich immer.

Vielleicht Chansons wie Maria Bill?
Nein, Pop wie Lady Gaga.

Sie prägten zehn Jahre die Figur der Blumenverkäuferin Eliza in Alan Jay Lerners Musical "My Fair Lady" an der Volksoper. Vergangenes Jahr waren Sie zum letzten Mal in dieser Rolle zu sehen. War dieser Abschied endgültig?
Ja. Herbert Föttinger und ich haben gemeint, zehn Jahre sind genug. Wir haben gesagt, wir ziehen das gemeinsam durch und hören gemeinsam auf. Und der Aufwand, jedes Jahr für nur vier Vorstellungen alles neu zu proben, ist sehr groß. Es ist sehr schade, dass mein Sohn Emil mich nie live als Eliza auf der Bühne sehen konnte. In zwei Jahren wäre es so weit gewesen, dann ist er sechs. Aber ich habe mir immer geschworen, dass ich die Eliza nicht so lange wie Dagmar Koller spiele. Mit 53 Jahren zu sagen, "Ich bin ein anständiges Mädel", halte ich für gewagt.

Bereitet es Ihnen Sorgen, einmal nicht mehr zur jungen Generation zu gehören?
Noch nicht, noch bin ich keine 35. Ich habe heute mehr Kraft als vor zehn Jahren. Ich bin im Leben angekommen. Früher war es schlimm, wenn eine Probe um zehn Uhr angesetzt war. Heute beginnt mein Tag um sechs Uhr morgens. Ich schlafe höchstens sechs Stunden, sorge für meine Kinder, denn mein Mann ist wenig zu Hause. Ich arbeite enorm viel, aber ich kann mir Gott sei Dank meine Projekte aussuchen. Bereits drei Monate nach der Geburt stand ich am Set für die ORF-Stadtkomödie "Curling für Eisenstadt", weil mir das Drehbuch so gut gefallen hat. Ich weiß aber, dass ich in diesem Tempo nicht weiterfahren kann. Meine Mama sagt immer, dass man ab 40 etwas kürzertreten muss. Aber dann kann ich auf eine ordentliche Karriere zurückblicken. Und zwei Kinder habe ich auch. Was will man mehr?

ZUR PERSON

Katharina Straßer wurde 1984 in Rum in Tirol geboren. Sie wuchs in Innsbruck auf und studierte am Wiener Konservatorium Schauspiel. Erste Engagements führten sie ans Theater der Jugend, an die Josefstadt und ans Volkstheater. Von 2008 bis 2018 prägte sie an der Wiener Volksoper die Rolle der Blumenverkäuferin Eliza in "My Fair Lady". Seit 2014 ist sie mit dem Kabarettisten Thomas Stipsits verheiratet. Das Paar hat zwei Kinder.

ZUR PRODUKTION

"Alles für'n Hugo"
Katharina Straßer würdigt die Wiener Kabarettistin und Sängerin Cissy Kraner im Einpersonenstück "Alles für 'n Hugo". Straßer ist nicht nur Interpretin, sondern hat das Stück selbst verfasst und produziert Andy Hallwaxx führt Regie, Boris Fiala begleitet am Klavier. Ab 27. Februar im Wiener Rabenhof.
Weitere Termine in Österreich: 16. März Treibhaus, Innsbruck, 17. März, kleines Theater Salzburg, 12. April Tulln Danubium

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 6/19