Frank Otto: "Ich war bereit, herauszufinden, wer ich bin"

Er ist der Rebell der milliardenschweren Otto-Versand-Dynastie. Im Leben von Frank Otto waren Kunst, Rockmusik und Demos wichtig. Der "andere" Otto im Karriere-Gespräch

von Karriere - Frank Otto: "Ich war bereit, herauszufinden, wer ich bin" © Bild: imago images/STAR-MEDIA

Seinen Kindermädchen im großbürgerlichen Hamburger Villenviertel Hochkamp besorgte er einen spannenden Berufsalltag. Frank Otto erinnert sich gern daran, wie er in der Kanalisation nach Totenköpfen jagte. Die Elbe mittels Floß erkundete. Und einmal mit dem Kettcar auf einem zugefrorenen Teich einbrach. Seine Mutter -die zweite Frau des Vaters - hatte die Familie Richtung Ibiza verlassen. Der Vater war mit dem Aufbau des 1949 als Schuhversand gegründeten Handelsimperiums beschäftigt. Also erschloss sich Otto auf eigene Faust die Welt.

Es sollte zum Lebensmodell für das dritte von fünf Otto- Kindern werden. "Meine Grundhaltung lässt sich als uneinsichtig, trotzig, renitent beschreiben", konstatiert der 64-Jährige trocken. Seine Halbbrüder Michael, 78, und Alexander, 54, stiegen ins Familienunternehmen ein und zählen laut Forbes mit Vermögen um die zehn Milliarden Dollar zu den reichsten Deutschen. Die ältere Halbschwester Ingvild Goetz, 80, ist eine der weltweit führenden Kunstsammlerinnen, die Jüngere, Katharina Otto-Bernstein, 57, lebt als Filmemacherin in New York.

Der andere Otto

Frank Otto wollte anders leben. Dazu gehörten Wohngemeinschaften, eine Zeit als alleinerziehender Vater und die Erfahrung, ab Monatsmitte Haferflocken zu essen, wenn das Geld nicht reichte. "Für mich stand fest, dass ich niemals nur Erbe sein wollte", schreibt er in seiner Biografie "Sinn und Eigensinn". Er suchte einen Weg, der zeigte, "ich bin Frank und nicht nur der Sohn von Werner". Otto wurde Restaurator, studierte Kunst, ging mit seiner Rockband auf Tour und auf Anti-Atomkraft-Demos.

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Sein Erfolg als Medienunternehmer entspringt dieser Leidenschaft für Musik und politisches Engagement. Es war ein rebellischer Hamburger Jugendsender, der Ottos wirtschaftlichen Erfolg begründete. Diese Erfahrung sei auch für die Seele ein großer Gewinn gewesen, erzählt der laut "Forbes" etwa 900 Millionen Euro schwere Medienunternehmer im News-Gespräch.
Er bestätigt auch, dass er seit der im Boulevard lautstark begleiteten Trennung von einem um 40 Jahre jüngeren Model als Single lebt. Diese Freiheit genießt der Patchwork-Familienmensch -er war zweimal verheiratet und hat vier Kinder -zum ersten Mal im Leben.

Was haben Sie bei der Arbeit am Buch über sich gelernt?
Durch das Buch ist mir klar geworden, dass mein Leben immer aufregender wird. Es gibt Menschen, die denken, alt zu werden ist Scheiße. Ich fühle mich nicht alt. Ich fühle mich intensiver. Durch das Buch ist mir klar geworden, was für ein intensives Leben ich hatte und dass es noch lange nicht fertig erzählt ist. Mir wurde auch bewusst, wie selbstbestimmt vieles in meinem Leben klingt, das in Wahrheit das Ergebnis vieler Einflüsse von außen war. Viele Menschen haben zu meinem Weg beigetragen. Menschen, die mich inspiriert haben. Die Eindruck auf mich gemacht haben. Die mich ermutigt und unterstützt haben. Insofern ist ein Leben nie eine Einzelleistung, sondern immer eine Interaktion mit dem Umfeld und den Menschen, denen man begegnet.

Sie schreiben, dass Sie nie "nur Erbe" sein wollten. Erinnern Sie sich an den Moment, als Ihnen das bewusst geworden ist?
Ich habe noch die Lehrer-Generation erlebt, die keine pädagogische Ausbildung hatte, sondern nur ihr Fach beherrscht hat. Damals habe ich bei Mitschülern, die teilweise auch aus wohlhabendem Haus waren, erlebt, dass sie unter dem Erwartungsdruck von Lehrern und Familie eingebrochen sind. Das hat mir klar gemacht, dass ich keine Lust hatte, auch so einzubrechen. Es war nur ein Gefühl damals, aber das hat mich geführt. Damals hatte ich keinen Schimmer, dass ich später Kunst studieren oder eine Band gründen würde. Aber dass es so weit kommen konnte, basiert auf dieser tiefen Erkenntnis von damals. Ich konnte diesem Gefühl vertrauen und war bereit, herauszufinden, wer ich bin.

»Ich habe meinen Weg gefunden, deswegen bin ich mit meinen Eltern im Reinen«

Sie hatten schon als Kind nie Scheu, anzuecken. Woher kam Ihr Selbstbewusstsein?
Im Nachhinein finde ich bemerkenswert, dass ich Kopf einer Kinderbande war, denn damals fand ich das gar nichts Besonderes. Ich war wohl schon als Kind anders. Dazu gehört die Anekdote vom Krikel-Krakel-Baum, den ich in der Schule gemalt habe. Ich war baff, als die Lehrerin genau mein Blatt hochhielt, das so anders gemalt war als die anderen. So etwas habe sie von uns erwartet, erklärte sie. In der Nachbetrachtung ist mir klar, dass an diesem Tag etwas passiert ist, das meinen Weg zum Künstler-Sein geebnet hat.

Inwieweit war die wirtschaftliche Sicherheit wichtig für dieses Selbstbewusstsein?
Die habe ich gar nicht wahrgenommen. Ich war schon 30 Jahre alt, als ich mich entschieden habe, über mein Vermögen zu verfügen. Davor hatte ich mit meiner Volljährigkeit die Verwaltung meines Anteils meinem Vater übertragen. Er war der Bestimmer, und es war in meinen Augen immer sein Geld. Das hat er erwirtschaftet. Ich war stolz auf meine Ausbildung zum Restaurator, denn die hätte mich wirtschaftlich absichern können. Ich habe dann den riskanteren Weg gewählt und Kunst studiert. Damals hatte ich keine Ahnung, ob ich das Vermögen meines Vaters je annehmen werde. Getan habe ich es viel später, weil ich Radio machen wollte.

Es gab auch die Zeit, als Sie den Radiosender nach Kritik vom Vater beinahe verkaufen mussten. Nur die erfolgreiche Mediaanalyse hat sie davor bewahrt.
Ich kann meinem Vater nicht verdenken, dass er das kritisch gesehen hat. Er hat mich gleichzeitig sehr liebevoll begleitet und mir gute Ratschläge gegeben. Eines Tages kam dieser Anruf. Er sagte: "Mein lieber Junge, ich glaube, du verstehst von deinem Geschäft mehr als ich." Das von einem Jahrhundertunternehmer zu hören, hat mich sehr stolz gemacht. Und ich habe mich gefragt, ob mein Bruder Michael das auch je gehört hat. Man versucht, sich natürlich von seinen Eltern zu emanzipieren, und dieser Versuch hat meinen Lebensweg geprägt. Es gibt Menschen, die bis zum Lebensende im Konflikt mit den Eltern stehen. Ich habe meinen Weg gefunden, und deswegen bin ich mit ihnen im Reinen.

»Es war in meinen Augen immer das Geld meines Vaters. Ich habe es erst mit 30 angenommen. Und nur, weil ich Radio machen wollte«

Wie erinnern Sie sich heute an Ihren Vater?
Ich habe ihn als extrem modern erlebt, vor allem, wenn man bedenkt, dass er 1909 geboren wurde und was er alles erlebt hat. Er war als Hitler-Gegner in Haft, kriegsverwundet und hat dreimal sein Geschäft neu aufgebaut. Rock 'n'Roll ist nichts dagegen, was er in seiner ersten Lebenshälfte erlebt hat. Der Versandhandel wurde aus der Not geboren. Dann hatte er Blut geleckt, weil er wusste, dass er erfolgreich werden kann.

Welche Projekte liegen Ihnen aktuell am Herzen?
Ich habe gerade auf Helgoland als Vorstand der Deutschen Meeresstiftung den Extremschwimmer André Wiersig begleitet. Er ist die Nordsee vom Festland nach Helgoland durchschwommen. Das ist eine wichtige Sache, weil sie Emotionen erzeugt. Wir wissen seit Langem von der Ausbeutung der Meere, und es ändert nichts. Aber Emotionen können etwas bewegen! Wirtschaftlich gesehen ist das CBD-Geschäft mein jüngstes Unternehmen (Otto ist Investor des führenden CBD-Händlers "Cannacare", Anm.). Cannabisprodukte wurden lange zu Unrecht stigmatisiert. Ihre nützlichen Inhalte zugänglich zu machen, war mir immer ein Anliegen. Nun ist ein gutes Geschäft daraus geworden. Völlig verrückt, oder?

Sie konnten mit Ihrem Vermögen vieles auf den Weg bringen. Was haben Sie Ihren vier Kindern betreffend Vermögen und Verantwortung mitgegeben?
Freigeist sein. Eine Meinung haben. Den Mund aufmachen, wenn einem etwas nicht passt. Sensibel und empathisch sein und die Umwelt wahrnehmen. Das habe ich ihnen vorgelebt, und ich habe gemerkt, dass sie das angenommen haben.

Sie schreiben im Buch auch davon, dass Sie erstmals als Single durchs Leben gehen. Wie ist diese Erfahrung?
Ich bin gerne Single und freue mich, noch einmal eine neue Lebensform entdecken zu können. Zum ersten Mal bin ich richtig unabhängig. Ich kann mich fragen, was ich will, statt was meine Partnerin will. Das ist neu. Mich fragte jemand, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen will. Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Jetzt habe ich die Freiheit, das zu tun.

Erkennen Sie es so etwas wie ein Erfolgsgeheimnis auf Ihrem Lebensweg?
Ich habe viel Glück in meinem Leben gehabt. Aber Glück muss man auch zulassen können. Diese Talent habe ich immer gehabt. Ich bin offen, ich erkenne Chancen, und ich bin es mir wert, sie zu nutzen.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News-Ausgabe Nr. 35/21

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