Karl Markovics: "Im Moment zu leben, ist das Wichtigste"

Als Schauspieler und Regisseur blickt Karl Markovics tief in die Abgründe der österreichischen Seele. Am 2. Mai zeigt ihn der ORF in der Verfilmung von André Hellers autobiografischem Roman "Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein" als despotischen Poeten-Vater. Ein Gespräch über Corona, Schuld und den Tod.

von Neues Filmprojekt - Karl Markovics: "Im Moment zu leben, ist das Wichtigste" © Bild: TV Media/Rudi Froese

Herr Markovics, wie geht es Ihnen in dieser Zeit der Krise?
Ich lebe in einer unglaublich glücklichen Situation, wenn es nicht diese Pandemie gäbe, die so viele Menschen extrem betrifft, existenziell, gesundheitlich, psychisch. Denn für mich wäre das Leben gerade heuer nicht besonders anders verlaufen. Nur einige meiner Lesungen sind abgesagt worden. Ich lebe sozial sowieso zurückgezogen, und das schon immer. Beruflich habe ich mir dieses Jahr zum Schreiben freigenommen, weil ich an einem größeren Projekt arbeite. Aber diese Art, zu leben, hat Vor- und Nachteile, weil man achtgeben muss, nicht von sich auf andere zu schließen und zu sagen, so schlimm ist es nicht. Denn natürlich ist es schlimm. Ich bekomme das sehr wohl mit.

Woran arbeiten Sie?
An einer Miniserie. Da es ein aufwendiges Projekt ist, sind wir noch in unterschiedlichen Verhandlungen, auch was die Ausstrahlung betrifft, ob öffentlich-rechtlich oder privat. Deswegen will ich noch keine konkreten Sendernamen nennen. Es gibt noch keinen offiziellen Auftrag und noch keinen Geldgeber. Aber ich arbeite an dieser Serie, und sie ist schon ziemlich weit gediehen. Die erste Staffel ist so gut wie fertig. Das hat den Vorteil, wenn wir einen Auftraggeber haben, können wir sehr bald mit der Produktion starten.

Worum geht es in der Serie?
Genau verrate ich es nicht. Nur so viel: Sie spielt im Weltraum, in einer sehr nahen Zukunft, heute in zwei Jahren. Und sie ist komisch.

© TV Media/Rudi Froese

Wie kann man an etwas Komisches denken, wenn man ständig von schrecklichen Nachrichten umgeben ist? Oder blenden Sie die aus?
Im Gegenteil. Meine Arbeit ist keine Flucht, sondern eine Art von Gegen-Nahrung. Das ist wie Globuli, die man nimmt, wenn man sich stärken will. Die Kraft des Glaubens, des positiven Denkens, des sich woandershin Denkens, das geschieht auch in meiner Serie. Und mit dem Wort "komisch" meine ich nicht "lustig". Komisch heißt auch seltsam. Es geht auch in meiner Serie nicht immer nur himmelblau zu, schon gar nicht, weil sie im Weltall spielt. Ich lebe in einer sehr privilegierten Situation, weil ich das Ventil meiner Arbeit habe.

Die neuesten Informationen zur Coronakrise finden Sie hier.

Werden Sie Corona darin vorkommen lassen?
Nein. Corona wird in dieser Geschichte keine Rolle spielen.

In der Verfilmung von André Hellers Roman "Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein" behauptet Ihre Figur, Roman Silberstein, ein despotischer Familienvater, er sei durch den Krieg ein schlechter Mensch geworden. Kann uns auch die Corona-Krise durch Isolation oder Arbeitslosigkeit zu bösen Menschen werden lassen?
Ich glaube nicht, dass diese Krise auf lange Sicht viel verändern wird. Wenn wir uns andere große Katastrophen in der Menschheitsgeschichte ansehen und in Dimensionen von Jahrzehnten und Jahrhunderten denken, werden wir sehen, dass Katastrophen weder im Guten noch im Schlechten wirklich nachhaltige Konsequenzen gehabt haben. Eine Krise hat genauso gute wie negative Aspekte. Aber ich fürchte, wir werden weder besonders daraus lernen noch traumatisiert sein.

© ORF/Dor Film/Anjeza Cikopano Karl Markovics als Roman Silberstein in Rupert Hennings Verfilmung von "Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein"

Haben Sie mit André Heller über seinen Vater gesprochen, den Sie darstellen?
Nein, das habe ich bewusst vermieden.

Was empfinden Sie, wenn Sie Ihre Filme und sich selbst als Schauspieler sehen?
Ich setze mich nicht vor den Fernseher und versammle meine Familie um mich, damit sie mich auch noch im Fernseher sieht. Ich sehe mir Filme, in denen ich mitspiele, eher ungern an. Bei Filmpremieren ist das ohnedies unvermeidlich. Aber es kann sein, dass ich spätnachts an einem früheren Film, in dem ich mitspiele, hängenbleibe. Das passiert hin und wieder, wenn ich nach einer anstrengenden Arbeit durch die Programme zappe. Das hat aber eher meditativen Charakter.

Wo bleiben Sie hängen?
Das kann eine alte Folge von "Kommissar Rex" sein, ganz unterschiedliche Dinge.

»Wir werden weder besonders aus dieser Krise lernen noch davon traumatisiert sein«

Weshalb nannten Sie die Rolle des Roman Silberstein ein Geschenk?
Rollen wie diese geben einem in der Arbeit sehr viel zurück. Idealerweise können Rollen Geschenke sein. Das gelingt mir immer besser, weil ich immer wählerischer werde und mir sage, damit beschenke ich mich jetzt.

Anlässlich Ihres Films "Superwelt" sagten Sie, eine Welt mit Gott wäre ihnen lieber. Wie ist das jetzt? Fragen Sie sich, wo Gott ist?
Ich glaube, dass Menschen gerade in solchen Situationen, in denen sie nur auf ihre eigene Existenz zurückgeworfen sind, durch unsere Sterblichkeit eine gewisse Hilflosigkeit und Ratlosigkeit erleben. Die wenigsten können sich in eine rationale Wissenschaft oder in eine Parallelwelt flüchten. Daher ist es logisch, wenn einem das Gegenüber, also der Mitmensch, auch keinen Rat geben kann, weil er genauso ängstlich, so sterblich ist, sich eine Überfigur zu schaffen. Eine Göttlichkeit, einen Sinn, ein Wesen, das es einfach gibt und an das man glauben kann. Ich glaube, es ist sogar nebensächlich, dass es so viel an Schrecklichkeiten zulässt. Wenn man wirklich daran glaubt, muss man sich von den Gedanken lösen, warum Gott etwas zulässt oder nicht. Denn ein Gott, wenn er die Bezeichnung verdient, muss über der Moral, über der Ethik stehen. Und dann gibt es auch keine Schuldfrage mehr.

© ORF/Dor Film/Anjeza Cikopano Nikolaas von Schrader, Karl Markovics, Sabine Timoteo, Valentin Hagg

In der katholischen Kirche spielt die Schuldfrage aber eine große Rolle.
Schrecklich. Ich bin Protestant, bei uns gibt es keine Beichte im Beichtstuhl, keine auferlegten Gebetspflichten, sondern die Generalbeichte am Ende der Messe, die Absolution von den Sünden, wenn man wirklich bereut. Ich bin dadurch unverkrampfter aufgewachsen als die Gläubigen in der katholischen Kirche. Vielleicht habe ich mir deshalb diesen christlichen Traditions-Gott bewahrt. Wenn Sie mich aber fragen, ob ich an Gott glaube, kann ich Ihnen keine Antwort geben. Aber zumindest wurde mir nicht von einer Kirche ausgetrieben. Ich mag diese Art von protestantischer Glaubenstradition. Manchmal geht es da sehr nüchtern zu, was viele bekritteln, aber es gibt keine Drohungen.

Gibt es aber nicht auch Schuld, wenn es eine Absolution gibt?
Die Schuld gehört dazu, aber es wird nie von der ewigen Verdammnis und dem Fegefeuer gepredigt. Das wird tunlichst vermieden. Für die Protestanten ist es viel wichtiger, hier auf der Erde Gutes zu tun, brav und ordentlich zu sein. Das Andere ist Gottes Angelegenheit.

»In Krisenzeiten muss Kultur als Lebensmittel verstanden werden. Freischaffende Künstler sind Nahversorger«

Seit dem Ausbruch von Corona spricht fast niemand mehr über rechtsextreme Parteien. Beunruhigt Sie das?
Vielleicht bin ich, was das betrifft, etwas naiv. Mich hat schon vor Corona beunruhigt, in welche Zeit wir hineinschlittern, in der national-konservativen und erzrechten Politiker Oberwasser bekommen und eine große Unterstützung von der Bevölkerung. Wir erleben jetzt durch Corona eine Ausnahmesituation. Wir werden frühestens in einem Jahr sehen, wie weit sich diese auswirkt. Ich glaube nicht, dass die jetzt noch mehr Zulauf bekommen oder dass es noch schlimmer wird, als es schon gewesen ist. Aber wir haben gerade gesehen, wie miserabel rechte und konservative Politiker mit dieser Krise umgehen. Egal, wo. Orbán, Trump, Erdoğan, Bolsonaro in Brasilien, alle haben von Anfang an versagt. Das ist meine einzige Hoffnung, dass sich diese nicht mit ihrem Umgang mit der Krise schmücken können. Sie können nicht mehr sagen, je mehr Macht wir bekommen, umso einfacher können wir die richtigen Entscheidungen treffen. Dieses Argument funktioniert da überhaupt nicht.

Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek ist ein Beispiel dafür, dass auch nicht konservative Politiker an der Krisenbewältigung scheitern. Machen Sie sich keine Sorgen um die Kultur?
Ich stimme jetzt nicht in eine Art von Politiker-Bashing ein. Aber nicht, weil es keinen Grund dazu gäbe, sondern weil ich bis zu einem gewissen Teil nachvollziehen kann, dass die Realität Politiker vor sich hertreibt. Das Management in dieser Corona-Krise verlangt den Politikern sehr viel ab. Das darf keine Ausrede dafür sein, dass vieles vergessen wird. Aber ich werte das alles unter dem Maßstab der augenblicklichen Situation. Dass das für Künstler, die jetzt um ihre Einnahmen kommen, um ihre Existenz bangen müssen, ein schwacher Trost ist, dass ist sie auf klare Aussagen und Unterstützung warten, ist mir bewusst. Ich hätte aber jetzt auch keinen guten Rat, außer, dass man die Versuche, die zuerst für die Wirtschaft da waren, langsam auf Kunstschaffende und auch auf die freiberuflichen Künstler ausdehnt. Irgendwann wird das Budget nicht imstande sein, das zu tragen, aber das darf im Moment noch kein Thema sein.

© TV Media/Rudi Froese Beim Dreh seines Films "Nobadi"

Sie unterschrieben einen offenen Brief von Künstlern mit Forderungen an die Kulturpolitik. Darin werden kostenloser Rechtsbeistand, Übernahme von Ausfallshaftungen, Angaben zur Wiederöffnung von Theatern gefordert. Könnten diese Forderungen nicht ganz einfach umgesetzt werden?
Es zeigt sich in der Kultur das, was auch allgemein unangenehm auffällt: Bei den Schwächsten wird erst auf Zuruf "nachgebessert". Gerade in Krisenzeiten dürfen Kunst und Kultur nicht als Luxusgut, sondern müssen als Lebensmittel verstanden werden. Freischaffende Künstler sind Nahversorger. Besonders wichtig ist es, jene zu unterstützen, die am wenigsten haben und am unsichersten dastehen. Wenn ein österreichisches Wirtschaftsunternehmen Kulturförderung für ein Pseudomuseum in Anspruch nimmt und dieses Geld dann den eigentlichen Kunstschaffenden fehlt, ist das in meinen Augen obszön.

In Ihrem Film "Nobadi" erzählen Sie von einem alten Nazi und einem jungen Flüchtling. Den spielt der gebürtige Afghane Borhan Hassan Zadeh. Was ist jetzt mit Künstlern, die nicht in Österreich geboren sind?
Ich bin mit ihm ständig in Kontakt. Ihm geht es relativ gut. Durch sein permanentes Aufenthaltsrecht ist er relativ gut abgesichert. In der Community afghanischer Asylwerber ist die Solidarität ist sehr groß. Aber wir hören kaum noch etwas, wie es mit der Integrationsarbeit aussieht. Deutschkurse waren schon vor Corona gekürzt worden. Jetzt sind sie überhaupt nicht mehr möglich. Welche Pläne gibt es für die Zeit nach Corona? Macht sich überhaupt niemand mehr Gedanken darüber? Oder hofft man, dass man dann sagen kann, "jetzt haben wir einen guten Grund, sie abzuschieben, weil sie immer noch nicht Deutsch können". Darüber mache ich mir Sorgen und frage mich, wie das weitergehen soll. Viele Kinder verlernen das bereits erlernte Deutsch. Kinder lernen rasch wieder.

Was ist mit Mädchen aus muslimischen Familien, die durch die Ausgangssperre der patriarchalischen Erziehung noch mehr ausgesetzt sind?
Das ist ein Problem. Die wichtigste Botschaft ist, dass man niemanden im Stich lassen darf, vor allem junge Menschen nicht. Der Erwerb der gemeinsam gültigen Sprache muss das größte Anliegen einer Gesellschaft sein, also Deutsch lernen. Man muss versuchen, an alle Gruppen heranzukommen. Auch, wenn sie sich dagegen sperren. Man sollte mit der muslimischen Community zu klären versuchen, wie man streng konservative islamische Familien dazu bringt, dass die Kinder Deutsch sprechen, ohne dass die Familie ihre Kultur aufgibt. Geschieht das in den Familien nicht, bringen sie ihre Kinder um alle Möglichkeiten. Aber das gilt auch für unsere eigenen Kinder. Dieses Bildungssystem. Die lächerliche Rückkehr zum längst überkommenen Notensystem in den Volksschulen war aber vor Corona auch ein Problem.

© Frédéric Batier/X Filme Creative Pool GmbH/ARD Degeto Film GmbH/Sky Deutschland/WDR/Beta Film GmbH Als Aufdeckerjournalist Samuel Katelbach in "Babylon Berlin" mit Volker Bruch als Gereon Rath

Was sollte, was kann die EU jetzt tun?
Es kommt sehr darauf an, ab wann die EU etwas zu sagen hat und wirklich ernst genommen wird und ob wir uns als Teil dieser europäischen Union ernst nehmen. Ich halte es für besonders dilettantisch, wie zu Beginn der Krise von der EU damit umgegangen wurde. Natürlich ist das auch dem Wechsel in der Präsidentschaft geschuldet. Aber die EU hätte ein viel stärkeres Signal der Gemeinsamkeit und der gemeinsamen Handlungsfähigkeit geben müssen. Das ging verloren. Da wird sich die Frage stellen, wie sehr es gelingen wird, das wieder zu installieren. Die große Gefahr ist, dass man tatsächlich zur Wirtschaftsgemeinschaft aus der Gründungszeit zurückkehrt. Die Stimmen dafür häufen sich im rechten Lager. Das darf auf keinen Fall passieren. Man wird idealerweise vielleicht einen vernünftigen Mittelweg finden, zwischen dem, was viele instinktiv empfinden, nämlich, dass ihnen manches in der EU zu sehr von Brüssel gesteuert wird.

In welchen Bereichen ist denn die EU überhaupt noch wichtig?
Für die Situation in Polen, in Ungarn, wo sich eine schrittweisen Demontage von demokratischen, pluralistischen und parlamentarischen Mechanismen zeigt, in demokratiepolitischen, sicherheitspolitischen Angelegenheiten ist die EU unglaublich wichtig. Man muss alles daran setzen, dass die EU nicht eine Art von "machen wir's der Wirtschaft leicht"-Politik macht. Wenn jeder sein nationales Süppchen kocht, wäre das für die jüngere Generation, für eine Bildungspolitik, für eine liberale Entwicklung verheerend.

Ein zentrales Thema Ihrer Filme ist der Tod. Haben Sie Angst, sich mit dem Coronavirus anzustecken?
Ehrlich gesagt, habe ich keine Angst, mich anzustecken, aber ich versuche, mir bewusst zu machen, dass es diese Gefahr gibt, dass dieses Virus auch tödlich verlaufen kann. Dass sie etwas Konkretes ist, auch wenn sie nicht sichtbar ist. Ich bin kein Diabetiker, ich rauche seit sechs Jahren nicht mehr, zähle mit 58 Jahren aber langsam zur Risikogruppe. Und die Bedeutung des Lebens ist für mich eine andere geworden, sie ist größer. Ich liebe das Leben um einiges mehr, seit ich mich mit dem Tod beschäftigt habe. Ich finde das Leben so unglaublich faszinierend, so unglaublich schön. Es ist so reich, wenn man das Glück hat, in einem Land wie Österreich zu leben, und das Glück hat, diese Möglichkeiten zu haben. Ich habe das Gefühl, dass sich sehr viele Menschen dessen nicht bewusst sind, obwohl es ihnen gar nicht so schlecht ginge. Das Schlimmste, was wir tun können, ist, unser eigenes Leben geringer zu schätzen, als es ist. Weil wir anderen etwas neiden, weil wir das Gefühl haben, nicht zu unserem Recht zu kommen. Dieses Im-Moment-Leben, dieses "carpe diem", so abgegriffen das auch ist, ist eines der wichtigsten Dinge. Wenn uns das gelingt, wenn auch nur für eine Stunde am Tag, leben wir doppelt so lang, wie wir ohne diese Bewusstheit leben würden. Denn ein bewusst erlebter Moment ist zehnmal reicher als ein unbewusster. Das heißt, wir können aktiv zur Bedeutung unseres Lebens beitragen, ohne dass wir etwas schaffen müssen.

Karl Markovics wurde 1963 in Wien geboren. Seine ersten Auftritte als Schauspieler hatte er in Erwin Piplits' Serapionstheater. Die Rolle des Bezirksinspektors Stockinger der Krimi-Serie "Kommissar Rex" verschaffte ihm den Durchbruch. Als Hauptdarsteller Salomon Sorowitsch in Stephan Ruzowitzkys Oscar-prämiiertem Film, "Die Fälscher" wurde er international bekannt. Seit 2011 kann er auch als Drehbuchautor und Regisseur Erfolge verbuchen. 2019 erschien sein "Nobadi". Karl Markovics ist verheiratet und Vater zweier Adoptivkinder.

Das Interview erschien ursprünglich im News 18/2020.