Traumland mit Suchtfaktor

Wer atemberaubende Landschaften, Traumstrände und Kulinarik vom Feinsten liebt, muss rund um Kapstadt und entlang der Garden Route nicht lange suchen. Das erste Kennenlernen macht Lust auf mehr.

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Reisen - Traumland mit Suchtfaktor

Die Straße vom Flughafen in eine der schönsten Städte der Welt führt zunächst direkt in ihre schmutzigste Gegend. "Da ist eine Ratte", flüstert der neunjährige Sohn auf der Rückbank, um den Rest der Fahrt ins Hotel bedrückt schweigend seine Nase am Autofenster plattzudrücken. Menschen spazieren am Fahrbahnrand entlang. Junge Männer, Kinder, Mütter, die ihre Babys auf den Rücken gebunden haben und irgendwann zwischen den schier endlosen Blechhütten verschwinden. Willkommen in Kapstadt. Willkommen im ältesten Township der Stadt, in Langa. Wer in der Millionenstadt ankommt, muss zunächst hier durch, auch wenn große Leuchtanzeigen über der Autobahn vor der Gefahrenzone warnen und daran erinnern, bloß nicht anzuhalten, falls ein Unfall passiert.

Bei Tageslicht betrachtet verliert das Zuhause von rund 60.000 Menschen seinen Schrecken, nicht aber seine Bedrücktheit. Wandile ist in Langa aufgewachsen, lebt heute außerhalb der nicht mehr vorhandenen Tore und kommt trotzdem beinahe jeden Tag hierher zurück, um Touristen sein einstiges Zuhause zu zeigen. Das Gefühl, ein "Elendstourist" zu sein, nimmt er schnell. Immer wieder ermutigt Wandile seine Gäste, mehr als nur einen halben Fuß in die Wohnungen der Bewohner zu setzen: in dunkle Wellblechhütten, in Wohncontainer mit aneinandergereihten winzigen Apartments und einer Dusche für 20 Bewohner.

© Kathrin Gulnerits Die 77 Meter lange Brücke ist ein Highlight im Tsitsikamma- Nationalpark an der Garden Route

In das zweistöckige Haus, wo gerade eine TV-Sendung über den Schnitzelwirt Figlmüller in Wien läuft, in den kleinen Shop und das "Pub" mit dem selbstgebrauten "Bier". Vorbei an Schulen und Kindergärten, einem Friseur und einer Autowäscherei. Vorbei an offenen Feuerstellen, wo abgetrennte Ziegenköpfe zwischen Bergen von Müll, Plastik und Papierfetzen gebraten werden. Nur in "Beverly Hills" dürfen die Touristen lediglich einen neugierigen Blick über den Gartenzaun werfen. "Die haben es geschafft", sagt Wandile fast ehrfürchtig. In den Garagen parken Autos, der Rasen ist gestutzt, das Gartentor verriegelt. "Einer hat sogar einen Pool."

Bilderbuchstrände

Wer 15 Kilometer weiter in Richtung Zentrum fährt, bekommt das Kapstadt zu sehen, das die Hochglanzprospekte der Reisekataloge zeigen: das gigantische Plateau des Tafelberges mit seinen nicht enden wollenden Besucherschlangen unten bei der Talstation -drei Stunden Wartezeit sind hier keine Seltenheit, die glitzernde V& A Waterfront mit ihren Shops und Restaurants und dem zu einem Luxushotel und Museum umgebauten "Silo". Es lohnt sich ein Abstecher in den Botanischen Garten von Kirstenbosch, in das aufstrebende Woodstock-Viertel und den Stadtteil Bo-Kaap mit seinen bunten Häusern und den milde lächelnden Bewohnern, wenn mal wieder ein paar Touristen für ein Foto im pink angestrichenen Vorgarten posieren.

Auch Strände gibt es in und um Kapstadt einige - (fast) alle verdienen das Prädikat "traumhaft". Geboten wird für jeden Geschmack etwas: "Sehen und gesehen werden" in Camps Bay, Familienidylle an einem der vier Clifton Beaches, Einsamkeit am schneeweißen Noordhoek-Strand. Auf Tuchfühlung mit Pinguinen geht es am Boulders Beach zwischen Fish Hoek und Simon's Town, ein bekanntes Postkartenmotiv sind die bunten Badehütten an der False Bay am Strand von Muizenberg. Der schneeweiße Bloubergstrand wiederum ist das Eldorado für Windsurfer und bietet zudem eine besonders schöne Panoramaaussicht auf den Tafelberg.

© Kathrin Gulnerits Spektakulär und neu: Das Luxushotel Silo und das Museum Zeitz Mocaa

Wer Zeit und Lust hat, kann locker zwei Wochen in Kapstadt und Umgebung verbringen - und hat trotzdem längst nicht alles gesehen. Ein Mietauto ist Pflicht, das Parken günstig. Wer sein Auto etwa in der Parkgarage an der Waterfront abstellt, zahlt 1,50 Euro - für sieben Stunden. Die To-do-Liste für Südafrika-Neulinge ist in der Regel lang: Ganz oben steht (und völlig zu Recht) ein Abstecher in die Weinregion rund um Constantia, Stellenbosch und Franschhoek und natürlich - zumindest ein Stück weit -die bekannte Garden Route an der Südküste entlang der Nationalstraße N2.

Ein Klo im Nirgendwo

Offizieller Beginn ist eigentlich in Mossel Bay. Schön ist es auch schon vorher. Die Landschaft wechselt im Minutentakt. Nahezu jeder Abstecher ist lohnenswert, etwa jener zum De-Hoop-Naturreservat etwa 250 Kilometer östlich von Kapstadt. Einziger Haken: Wer das Unesco-Weltnaturerbe besuchen will, muss erst eine knapp 30 Kilometer lange Schotterpiste passieren. Der Lohn: kaum Touristen, ein weißes Dünenmeer, das den Atem raubt, Zebras, Strauße, Antilopen und Schildkröten -und mit ein bisschen Glück eine Horde von Pavianen, die mit der untergehenden Sonne gemächlich den Rückzug in die Berge antreten. Kleines, aber wichtiges Detail am Rande: Wie überall auf der Rundreise gibt es auch hier im Nirgendwo ein sauberes Klo und einen Food-Truck.

© Kathrin Gulnerits Ungeschminkt: eine Führung durch Langa, Kapstadts ältestes Township

Traumstrände warten entlang der Route in Wilderness, Sedgefield (Myoli Beach) und am Keurboomstrand in Plettenberg Bay. Sie sind endlos, weiß, oft menschenleer und immer sauber. Den Badespaß trüben hier weniger die Haie, sondern mehr die starken Unterströmungen. Baden ist meist nur an ausgewiesenen Abschnitten erlaubt. Wer weiter in Richtung Tsitsikamma-Nationalpark fährt, kommt direkt an der Bloukrans Bridge vorbei, die mit einer Höhe von 216 Metern als höchste kommerziell betriebene Bungee-Jumping-Brücke der Welt gilt. Ein Sprung kostet etwa 60 Euro. Der Andrang ist groß. Wer hier nur zuschaut, holt sich später zumindest einen kleinen Adrenalinschub bei der Überquerung der 77 Meter langen Hängebrücke über die Mündung des Storms River im Nationalpark. Hinter der Brücke lohnt sich die halbstündige Wanderung zum View Point. Über teilweise fast senkrechte Treppen geht es den Berg hinauf.

© Kathrin Gulnerits Wunderschönes Tal, ausgezeichnete Weine, exzellentes Essen: Constantia

Spätestens an diesem Punkt der Garden Route sollte man sich entscheiden: Weiterfahren bis zum Endpunkt Port Elizabeth und vorher noch den Elefanten im Nationalpark einen Besuch abstatten oder umkehren und bei George über die "Stadt der Strauße", Oudtshoorn, und die Kleine Karoo zurückfahren? Schließlich hatte der Südafrika-erfahrene Kollege gewarnt: "Nehmt euch bloß nicht zu viel auf einmal vor!" Wir entscheiden uns für die Strauße und die Traumstraße Route 62: Über atemberaubende Gebirgspässe, einsame Landschaften der Halbwüste, vorbei an verschlafenen Dörfern und endlos grünen Tälern mit Obst-und Weinplantagen nähern wir uns wieder Kapstadt - und sind uns längst sicher: Wir kommen wieder.

Dieser Artikel ist der Printausgabe von News Nr. 14/2018 erschienen.