Gestohlene Kindheit

Mehr als acht Jahre gefangen - Der Fall Natascha Kampusch in 109 Minuten

von Natascha Kampusch: Der Film "3096 Tage" startet in den Kinos. © Bild: 2013 Constantin Film Verleih GmbH/Jürgen Olczyk

Natascha Kampusch polarisiert. Für ihre Medienauftritte und Interviews erhält sie nicht nur Zuspruch, sondern auch Kritik. Ihr Martyrium verarbeitete die heute 25-Jährige in der Autobiografie "3096 Tage", die 2010 veröffentlicht wurde. 2013 folgt nun der Film, basierend auf dem unvollendeten Drehbuch von Bernd Eichinger.

"3096 Tage" der Gefangenschaft werden in 109 Minuten Filmlänge erzählt: Die Eltern sind geschieden, ständig herrscht Streit zwischen Mutter und Vater. Das bekommt auch Natascha Kampusch zu spüren (als Kind gespielt von Amelia Pidgeon; später von Antonia Campbell-Hughes verkörpert). Sie macht sich am 2. März 1998 allein auf den Schulweg, wütend und traurig über eine Ohrfeige ihrer Mutter. Dann die grausame Wende: Wolfgang Priklopil (gespielt von Thure Lindhardt) sieht das Mädchen und zerrt es vom Gehsteig in seinen weißen Lieferwagen. Er schlägt sie bewusstlos. Natascha Kampusch erwacht in der Dunkelheit, sie erwacht in ihrem Verlies. Für über acht Jahre wird der Kellerverschlag zu ihrem Zuhause.

Zerrissene Seele

Deutlich zeichnet der Film die innere Zerrissenheit des Opfers: Natascha Kampusch ist auf Priklopil angewiesen, auch wenn sie es hasst, auch wenn sie innerlich stark bleibt. Körperlich ist er ihr überlegen. Gibt es anfangs noch Gutenachtküsse und Märchengeschichten, so folgen bald körperliche Gewalt, Nahrungsentzug und Demütigungen. Und der Entführer verlangt vor allem eines: absoluten Gehorsam. Immer wieder redet er auf Natascha ein. Sie muss gehorchen, sie muss brav sein. Er bläut Natascha ein: Für ihre Eltern ist sie tot, ihre Eltern wollen sie nicht mehr. Dabei erfährt man nicht nur mehr über das Opfer, sondern auch über den Entführer. Über die enge Beziehung zu seiner Mutter, seinen Kontroll- und Sauberkeitswahn und sein gestörtes Verhältnis zu Frauen.

Je länger die Gefangenschaft dauert, umso deutlicher ist der Zwiespalt des Opfers zwischen notwendiger Unterwerfung und dem Wunsch nach einer Flucht zu spüren. Das gipfelt mitunter in skurrilen Filmszenen: Zu Weihnachten bekommt die bereits zu einem Teenager herangewachsene Natascha einen Walkman von ihrem Entführer geschenkt. "Wow, ein Walkman. Jetzt kann ich auch im Dunkeln Musik hören", sagt Natascha daraufhin zu Priklopil.

Auch mit einem Tabu im Fall Kampusch wird im Film gebrochen: Es werden Sex-Szenen zwischen dem Entführer und dem Opfer gezeigt. Es sind passive Szenen, die sich weniger um den Sex drehen, als um die Machtbesessenheit des Täters. Dennoch gelingt es Natascha immer wieder diese Strukturen zu durchbrechen und ihren Willen durchzusetzen.

Frei und doch gefangen

So darf sie nachts das erste Mal wieder ins Freie und in den Garten hinaus. Später nimmt sie Priklopil sogar in den Baumarkt mit und geht mit ihr Skifahren. In diesen Situationen will Natascha zwar fliehen, schafft es am Ende aber doch nicht. Dabei scheitert sie teilweise an sich selbst, teilweise an der Situation. Die Freiheit ist für sie greifbar und doch so fern. Immer wieder droht Priklopil damit, sie und andere Personen zu töten. Fluchtversuche werden mit brutalen Schlägen bestraft. Erst nach ihrem 18. Geburtstag gelingt ihr schließlich die Flucht zurück in ihre alte Welt.

Respektvolle Inszenierung

Regisseurin Sherry Horemann ist es gelungen, ein ernstes Thema und einen prominenten Fall sensibel zu inszenieren. Das ist ihr nicht zuletzt aufgrund der schauspielerischen Leistung von Antonia Campbell-Hughes und Thure Lindhardt geglückt, die als Charaktere echt und authentisch wirken. Man gewinnt einen Eindruck davon was Beklemmung, Dunkelheit, Gewalt und Ausgeliefertsein bedeutet. Man gewinnt einen kleinen Einblick in das tragische Schicksal von Natascha Kampusch. Auch wenn brisante Fragen des Falles, wie die Mehrtätertheorie oder der Selbstmord des Entführers, nicht beantwortet werden. Das stört aber wenig, denn schließlich "ist es ein Film und keine Dokumentation", wie Horemann bei der Premiere sagt. Das Schicksal von Natascha Kampusch stehe in diesem Fall nur für eines von vielen Entführungsdramen.

Emotionale Filmpremiere:

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