Kampf um die Unabhängigkeit der Justiz

Auseinandersetzungen um Ermittlungsverfahren wie BVT, Casinos Austria oder Eurofighter haben die heimische Justiz verstärkt in der Fokus von Politik und Öffentlichkeit gerückt. Jetzt stellt sich die Frage: Wie finanziell angeschlagen und schlagkräftig ist sie wirklich -und wie unabhängig können Österreichs Staatsanwälte tatsächlich ihrer Arbeit nachgehen? Und ist das Image der Justiz in Gefahr? Eine Suche nach den Ursachen mit zum Teil überraschenden Antworten

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Politik - Kampf um die Unabhängigkeit der Justiz

Bundeskanzler Sebastian Kurz hat mit seiner Kritik an zu langen Ermittlungsverfahren in der heimischen Justiz und möglichen Leaks - dem Bekanntwerden von Verfahrensdetails wegen undichter Stellen -insbesondere bei der Wirtschafts-und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) die Diskussion Anfang Februar ins Rollen gebracht. Seitdem gehen die Wogen in und außerhalb der Justiz rund um Causae wie Casinos Austria, BVT oder Eurofighter hoch: Während die einen Einmischungsversuche der Politik - insbesondere der ÖVP -in die unabhängige Tätigkeit von Staatsanwälten sowie ein finanzielles Aushungern des Justizapparats orten, sehen die anderen das bewusste Verschleppen von Verfahren bzw. gezielte Erhebungen gegen missliebige Personen durch parteipolitisch -etwa von der SPÖ - unterwanderte Ermittlernetzwerke.

Sichtweisen, die aber so oder so politische Einflussnahme auf die Justiz unterstellen und drohen, deren Image auf lange Sicht zu schädigen, wie zuletzt Übergangskanzlerin Brigitte Bierlein und Ex-Bundespräsident Heinz Fischer fürchteten. "Selbstverständlich" sei "die Justiz nicht sakrosankt" und dürfe auch kritisiert werden, solange sie nicht als Institution infrage gestellt werde, so die ehemalige Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs in Richtung Kurz. Der wiederum von Fischer auch deshalb kritisiert wurde, weil er sich "nicht in einer Diskussion im Parlament vor den Augen der Öffentlichkeit, damit sich die Kritisierten und Betroffenen sofort verteidigen können", geäußert habe, "sondern in einem medialen Hintergrundgespräch, das die beabsichtigte Wirkung erzielt, ohne dass die Quelle sichtbar ist". Die entscheidende Frage sei, "wer wen wann aus welchen Motiven und mit welcher Wortwahl kritisiert", betont Fischer.

Noch deutlicher äußert sich der Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages, Rupert Wolff. Die öffentliche Diskussion über die Justiz sei "brandgefährlich", weil sie das Vertrauen in den Rechtsstaat gefährde, sagte er kürzlich vor 200 Gästen aus 40 Ländern, darunter viele Rechtsanwaltskammer-Präsidenten und EU-Justizkommissar Didier Reynders. "Der Rechtsstaat gerät in Gefahr, wenn öffentliche Kritik an der Justiz als politische Waffe eingesetzt wird." Gegenüber News bekräftigt er seine Kritik: "Der Grund für Unzulänglichkeiten in der Justiz, die es zweifellos gibt, ist nicht eine vermutete politische Schlagseite der Gerichte, sondern deren jahrelange systematische Mangelausstattung." Es mangle an Geld, Personal, Technik, Infrastruktur - de facto an allem.

Eine Aussage, die auch Justizministerin Alma Zadić (Grüne) erst dieser Tage bestätigte. Die Justiz sei chronisch unterfinanziert und es habe auch Personalabbau gegeben, was letztlich zu massiven Problemen wie etwa der teilweise langen Verfahrensdauer geführt habe.

Dabei sind die finanziellen Voraussetzungen im Vergleich zu anderen Ressorts der Republik gar nicht schlecht: Bei einem Justizgesamtbudget von rund 1,6 Milliarden Euro (inklusive Strafvollzug und Steuerungsbereich) beträgt der Zuschussbedarf nur rund 300 Millionen Euro. Die reine Rechtsprechung (Richter und Staatsanwälte) erwirtschaftet aufgrund der Gerichtsgebühren sogar einen Überschuss von rund 230 Millionen Euro.

Dass dieser ins staatliche Gesamtbudget wandert, regt Neos-Vizechef Nikolaus Scherak besonders auf: "Die Justiz ist das einzige Ressort, das sich gewissermaßen selbst finanziert, und dann muss das Ministerium seine Rücklagen auflösen, um den laufenden Betrieb aufrechterhalten zu können." Das sei nicht länger tragbar.

Unter der tristen finanziellen und personellen Situation leiden Österreichs Justizbehörden jedenfalls schon seit Langem: Zuletzt haben die Staatsanwaltschaften im September 2019 mit einem Katalog von "Empfehlungen an eine neue Bundesregierung" auf ihre missliche Lage aufmerksam gemacht. Sukkus: Es bedürfe "dringender Maßnahmen zur Gewährleistung der erforderlichen Rahmenbedingungen".

465.000 Verfahren pro Jahr

Immerhin werden hierzulande jährlich rund 465.000 Ermittlungsverfahren geführt; davon rund 70.000 gegen bekannte Täter. "Das Problem sind die umfangreichen, komplizierten Verfahren - oft aus dem Wirtschaftsbereich -, die das Bild in der Öffentlichkeit prägen", erklärt dazu der Vizepräsident der österreichischen Staatsanwältevereinigung (StAV), Bernd Ziska, im Gespräch mit News. "Im Schnitt dauert ein Verfahren gegen bekannte Täter nicht einmal ein halbes Jahr, womit Österreich im internationalen Vergleich im Spitzenfeld rangiert." Und das, obwohl die Zahl der Staatsanwälte in Österreich im Ländervergleich mit 4,1 pro 100.000 Einwohner ausgesprochen gering ist: Der Durchschnitt liegt bei 11,7. Dass manche Ermittlungsverfahren lange -oder wie die Causa Buwog rund um Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser oder Eurofighter gar zehn Jahre -dauern, hat vielfältige Gründe: Diese reichen von der Komplexität der Causae über internationale Verflechtungen und langwierige Rechtshilfeersuchen, Sachverständigenoder Dolmetschermangel, die parallele Bearbeitung von mehreren Großverfahren, Berichtspflichten bis zu begrenzten Ressourcen bei polizeilichen Ermittlungen. Auch die Digitalisierung trägt ihren Teil bei: So musste sich die WKStA beim Fall rund um die Salzburger Landesfinanzen neben 50 Kartons physischer Unterlagen mit 750.000 elektronischen Dateien, Zigtausenden E-Mails und 500 oftmals rekonstruierten Derivatgeschäften sowie Schattenportfolios mit rund 250 Derivaten bei 27 Banken herumschlagen.

Die Staatsanwälte würden zudem laufend mehr Aufgaben erhalten, was auch mit Gesetzesänderungen, verbesserten Opfer-bzw. Beschuldigtenrechten, Verständigungspflichten und neuen Kriminalitätsfeldern zusammenhänge. "Großverfahren werden in der Personalanforderung nicht ausreichend berücksichtigt, weshalb es zu Rückständen und längerer Verfahrensdauer kommt", sagt Ziska. Dieser Arbeitsanfall könne teilweise nur durch unbezahlte Überstunden bewältigt werden, so der Standesvertreter. "Häufige Abgänge bei den Staatsanwaltschaften aufgrund der starken Belastung führen auch zu Verlust von Know-how." Und wenn die Justiz als Arbeitgeber immer unattraktiver werde, sinke letztlich auch die Qualität.

Insgesamt rund 400 Staatsanwälte gibt es aktuell in Österreich inklusive Oberstaatsanwaltschaft und WKStA, wovon rund 350 operativ tätig sind. Dazu kommen noch rund 150 Bezirksstaatsanwälte für niederschwellige Verfahren. Die Fluktuation ist hoch und beträgt rund ein Drittel pro Jahr. Das hat mit den geschilderten Umständen zu tun, aber auch damit, dass seit der Novellierung der Strafprozessordnung im Jahr 2008 viele Anwälte aus der Privatwirtschaft engagiert wurden, die sich dann nach den ersten Erfahrungen wieder anderweitig orientiert hätten. Zudem würden viele Staatsanwälte auch in andere Justizbereiche wechseln und auch Schwangerschaften müssten kompensiert werden.

Loch-auf-Loch-zu-Politik

Umstände, die über die Jahre zu einer personellen "Loch-auf-Loch-zu-Politik" geführt hätten: So seien etwa für die Bekämpfung von Hass im Netz bereits 2017 vom damaligen Justizminister Wolfgang Brandstetter fünf Planstellen zugesagt worden, die man aber nie bekommen habe. Dass sich derzeit vier Staatsanwälte des Themas annehmen, sei nur dadurch möglich, weil sie aus anderen Bereichen abgezogen worden seien -und jetzt dort fehlen. Dabei seien Verfahren wegen Verhetzung seit 2013 von 235 auf 1.068 im Jahr 2018 gestiegen. Ähnliches gelte für Terrorismusverfahren, die zwischen 2013 und 2017 um das Siebenfache zugelegt hätten, sowie Fälle von Cybercrime und Sozialbetrug. Aus Sicht der Staatsanwälte wäre es sinnvoll, große Wirtschafts-und Korruptionsverfahren in Teams zu bearbeiten, Spezialisierungen zu ermöglichen und dadurch "eine Beschleunigung der Verfahren, mehr Kontinuität und letztlich einen größeren Aufklärungserfolg zu erreichen". So könnten Fälle wie jener beim Eurofighter vermieden werden, bei dem ein Staatsanwalt das komplexe und heikle Verfahren über sieben Jahre alleine betreuen musste.

Es gebe eine Reihe "unbedingter Notwendigkeiten", um die Justiz wieder in einen funktionierenden Normalbetrieb zu versetzen: Dazu gehören u. a. die Aussetzung des Einsparungspfads bei Beamten und Vertragsbediensteten und die Aufstockung der Planstellen im erforderlichen Maß. Geschehe dies nicht, bestehe die Gefahr, dass der Geschäftsbetrieb der Justiz in der bisherigen Form nicht aufrechterhalten werden könne, so Ziska.

Wenn die Regierung die Polizei um 4.300 Personen aufstocke, müsse entsprechend auch in der Justiz nachgerüstet werden. Sonst bestehe die Gefahr, dass die Justiz zum sicherheitspolitischen Flaschenhals werde, sagt Ziska: "Das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung sinkt, wenn eine ordentliche und zügige Abwicklung der Strafverfahren nicht mehr gewährleistet werden kann." Außerdem werde die "Prävention als oberstes Ziel des Strafrechts" verfehlt, wenn Täter das Gefühl haben, die Behörden wären nicht mehr in der Lage, ihren gesetzlichen Aufgaben vollständig nachzukommen.

Umstrittenes Weisungsrecht

Zumindest 50 zusätzliche Staatsanwälte seien notwendig -und am Geld sollte es eigentlich nicht scheitern. Ein Staatsanwalt kostet rund 105.000 Euro im Jahr, 50 zusätzliche Staatsanwälte würden das Budget also mit rund 5,25 Millionen Euro belasten -im Vergleich zu zahlreichen anderen Staatsausgaben, ein eher geringer Betrag.

Ein besonders umstrittener Punkt in Sachen Unabhängigkeit ist zusätzlich zur Berichtspflicht bei bestimmten Verfahren das Weisungsrecht, dem die Staatsanwälte unterliegen. Das heißt, entsprechend dem hierarchischen System sind die Staatsanwälte der Oberstaatsanwaltschaft und in weiterer Folge dem Justizministerium untergeordnet. Damit kann über die Vorgangsweise in einem bestimmten Verfahren entschieden werden bzw. in letzter Konsequenz der Minister eine konkrete Sachbehandlung einer Causa anordnen. Ein Beispiel dazu, das für besonderen Wirbel sorgte, ist die berühmt-berüchtigte Dienstbesprechung, bei der Sektionschef Christian Pilnacek zum Eurofighter-Verfahren gesagt haben soll: "Daschlogts es." Womit, je nach Sichtweise, dessen vorzeitige Einstellung bzw. rasche Erledigung gemeint gewesen sein könnte.

Eine Reform der Weisungsspitze ist nicht nur ein langjähriges Standesanliegen der Staatsanwälte: Auch Rechtsanwälte-Präsident Wolff ortet "mögliche Einflussmöglichkeiten" und plädiert für eine "sachliche Diskussion" darüber. Es gebe "Für und Wider". Ein Dorn im Auge ist ihm aber vor allem die "sehr aufwendige und zeitintensive" Berichtspflicht, die "modernisiert und vereinfacht" werden sollte. Diese Meinung vertritt auch Neos-Vizechef Scherak, der anstelle der derzeitigen Weisungsspitze durch den Minister für einen zuständigen "Bundesstaatsanwalt, der vom Parlament bestellt wird" eintritt. Eine Forderung, die ebenfalls von der SPÖ erhoben wird. Dass Justizministerin Zadić, entgegen der früheren Position der Grünen, für eine Beibehaltung der derzeitigen Weisungsspitze ist, hält Scherak im Übrigen für "sehr enttäuschend".

Die Betroffenen selbst stehen einem vom Parlament bestellten Bundes-bzw. Generalanwalt indes eher skeptisch gegenüber: Dadurch sei wieder parteipolitische Einflussnahme möglich. Die Weisungsspitze solle "zur Gänze einer Kontrolle durch die Gerichte unterworfen" bzw. "durch den Bundespräsidenten bestellt" werden, so die Standesvertretung. "Der Anschein, dass es parteipolitische Einflussnahme auf staatsanwaltschaftliches Handeln gibt, muss ausgeschlossen werden."

Streit um undichte Stellen

Und last but not least verwehren sich die Staatsanwälte auch gegen den Vorwurf, das aus ihren Reihen Informationen zu Ermittlungsverfahren nach außen dringen könnten. Es sei auch aus ihrer Sicht nicht wünschenswert, wenn Details bekannt würden, bevor entschieden wird, ob es zu einer Anklage kommt oder nicht. "Das erhöht nicht nur den Druck auf die Staatsanwaltschaft, sondern ist auch für die Betroffenen sehr unangenehmen, weil es zu einer Vorverurteilung mit schwerwiegenden Folgen kommen kann", so Ziska. Doch während Staatsanwälte in solchen Fällen mit dem Vorwurf des Verrats von Amtsgeheimnissen oder des Amtsmissbrauchs konfrontieren wären, könnten Beschuldigte oder deren Anwälte Ermittlungsdetails im Interesse ihrer Verteidigung nutzen. Sie hätten Akteneinsicht und könnten die Informationen zur Stützung ihres Prozessstandpunktes verwerten.

Mögliche Zugeständnisse

Um die aufgeheizte Diskussion etwas abzukühlen, hatte Kurz Mitte Februar zu einem runden Tisch mit führenden Justizvertretern, angeführt von Ministerin Zadić, geladen. Fazit: Es soll mehr Budget geben. Wie viel, ist allerdings noch offen: Ex-Minister Clemens Jabloner sprach von einem Bedarf in Höhe von zumindest 90 Millionen Euro, laut Staatsanwältevertreter Ziska sollten es eher 150 Millionen sein, "nur zum Überleben, damit der Patient nicht stirbt". Und die Neos halten sogar 300 Millionen Euro für notwendig.

Somit bleibt es spannend bis zum 18. März: Dann wird Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) seine Budgetrede halten - und dann wird klar sein, ob und wie viel Geld die Justiz künftig mehr erhalten wird. Und damit auch, ob die Ankündigung von Bundeskanzler Kurz, er wolle die Justiz stärken, hält, was sie versprochen hat.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr.9/20

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