Nie wieder - schon wieder

Der unermüdliche Kampf gegen das Böse

von Impfgegner © Bild: imago images/NurPhoto

"Und, was sagst zu der Schweinerei mit dem Kandidaten in Kärnten, der an den Feiern am Ulrichsberg teilgenommen hat und dann der Chef des Verfassungsschutzes werden sollte?" Stefan sah mich mit strengem Blick an, und für eine kurzen Moment fühlte ich mich ermahnt wie in der vierten Klasse Gymnasium, als mich der Herr Professor beim Abschreiben während der Mathematikschularbeit ertappte. "Was meinst du, was soll ich sagen?" Ich antwortete langsam, fast stotternd. "Hat dich das nicht verärgert?", fragte er aufgeregt. "Warum? Ich hab mich ja nicht um den Job beworben, den er mir weggenommen hätte", sagte ich. Wir gingen durch den Stadtpark. Es war warm für Februar, und während wir sprachen, beobachtete ich eine ältere Frau mit einem weiten, dunklen Mantel und einer alten Pelzhaube auf einer Parkbank, die aus ihrer Handtasche immer wieder Brotstücke nahm und die Enten fütterte. Die Enten kamen zögernd bis zur Bank, nahmen die Brotstücke und liefen wieder zurück zum Wasser.

Stefan arbeitet für eine Tageszeitung. Ein-oder zweimal pro Monat treffen wir uns, und er erklärt mir die innenpolitischen Ereignisse, betont immer wieder, dass ich einfach zu lange im Ausland gewesen sei, um die alte Heimat auch zu verstehen.


"Du mit deiner Vergangenheit kannst dich doch nicht einfach lustig machen!", sagte er.
"Was willst du von mir, wie sollte ich reagieren?", fragte ich.
"Ist dir der Antisemitismus in dem Land völlig egal?", fragte er.
"Ich verstehe deine Frage nicht, ist der Ulrichsberg eine antisemitische Veranstaltung?"
"Dort treffe sich lauter Nazis!", fuhr er mich an.
"Ja, ich weiß, aber was hat das mit meinem Leben als Jude zu tun?", fragte ich.

Der Präsident

"Es hat sogar der Präsident der Jüdischen Gemeinde protestiert!", sagte Stefan. "Der hat eine offizielle Funktion", entgegnete ich. "Aber was hat sich geändert, stehen jetzt weniger Polizisten vor der Synagoge und der jüdischen Schule?"

"Was hat das eine mit dem anderen zu tun?", fragte Stefan.
"Eben nichts, es ändert das Leben der Juden nicht, wenn ein Rechtsextremer seinen Job verliert, es wird als Erfolg gefeiert wird, aber Erfolg für wen?" Jetzt wurde ich lauter.
Stefan schwieg einen Moment, als würde er nachdenken, und sagte: "Es ist zumindest ein Schritt in die richtige Richtung!" Wir überquerten den Wienfluss in die andere Hälfte des Stadtparks.
"Kennst du die Stadt Bengaluru?", fragte ich ihn. "Nein", sagte er zögernd.
"Bengaluru ist die Hauptstadt des Bundesstaates Karnataka im Südwesten von Indien", sagte ich.
"Und?", fragte er. "Dort leben etwa 15 Millionen Einwohner", sagte ich.
"Und?", fragte er wieder. "Genau so viele Juden gibt es auf der Welt, von Südafrika bis Norwegen, von Japan bis Israel und von Argentinien bis Kanada", sagte ich. Er reagierte nicht.

"In den letzten Woche hat eine Frau in London Steine auf eine Synagoge geworfen, in Brüssel riefen Fußballfans im Station 'Jews burn fast', in Montreal fand man Hakenkreuze am Jüdischen Friedhof, in Paris sind zwei orthodoxe Juden auf der Straße verprügelt worden, und die Impfgegner rennen mit gelben Stern herum, wir kommen nicht mehr nach mit dem Aufregen!" Stefan schwieg weiter. Wir hatten die andere Seite des Stadtparks erreicht. Auf dem vergitterten Fußballplatz spielten Jugendliche und schrien aufgeregt in einer Sprache, die ich nicht verstand.

Flüchtlinge

"Ich glaub, das ist Arabisch", sagte Stefan. "Sind wahrscheinlich Flüchtlinge." Wir sahen eine Weile zu, bis Stefan sagte: "Schau sie dir an, spielen einfach Fußball, genau wie unsere Kinder, was soll an denen so gefährlich sein? Alles nur Hetze und Vorurteile!" Wir beobachteten sie weiter, bis ich sagte: "Also, wenn mein Sohn jetzt reingeht, erkennbar als Jude, er würde eine Kippa tragen und fragen, ob er mitspielen könnte, was wird passieren?" Stefan antwortete nicht. Außerhalb des Gitters standen mehrere junge Männer und riefen den Spielern immer wieder etwas zu. "Fragen wir doch die Männer!", sagte ich zu Stefan. "Spinnst du?", fuhr er mich an. "Warum nicht?", sagte ich. Ich ging auf die Männer zu, doch Stefan ergriff meinen Arm und zog mich zurück. Ich riss mich los und sagte: "Hast du Angst, Angst um mich? Hier mitten in Wien? Dabei waren die alle nicht am Ulrichsberg!"

"Du verdrehst alles, was hat der Ulrichsberg mit den Jugendlichen zu tun?" Er hielt immer noch meinen Arm.
"Eben nichts, verdammt noch mal, warum sollte ich begeistert sein, wenn ein Redner vom Ulrichsberg abgelöst wird und gleichzeitig muss ich den realen Alltag einfach hinnehmen!"

"Jetzt fang doch nicht an, zu schreien", fuhr mich Stefan an. "Die schauen schon her, gehen wir lieber, sonst machst du hier noch eine Szene!" Einer der jungen Männer kam näher und fragte in holprigem Deutsch mit einem starken Akzent, ob wir ein Problem hätten. Stefan antwortete: "Kein Problem, kein Problem, wir gehen schon."

"Kann ich Sie etwas fragen?", sagte ich zu dem jungen Mann. Doch bevor er noch antworten konnte, zog Stefan mich weg und wir gingen weiter. "Wozu diese Provokation?", fragte Stefan. Ich antwortete nicht.

"Die können doch nichts dafür, das ist ihre Erziehung!", sagte Stefan. "Was redest du, du hast doch keine Ahnung, wie sie reagiert hätten, alles in deinem Kopf ist Klischee und Vorurteil, vom Ulrichsberg bis zu den Flüchtlingen!", sagte ich.

"Ich versuche nur, realistisch zu sein, immerhin hat der Druck durch die Medien erreicht " Ich unterbrach ihn: "Ihr setzt uns unter Druck, nicht die anderen!"

"Verstehe ich nicht", sagte Stefan. "Ihr drängt uns damit ständig in die Rolle der verfolgten Minderheit und benutzt uns für eure Drecksarbeit, zur Selbstreinigung sozusagen, wie bei den Schwarzen in den USA, es beeinflusst alles, sogar die Kunst, vor allem die Literatur." Ich setzte mich auf eine Bank, und wollte nicht mehr weitergehen. Stefan stand vor mir. "Das ist doch Blödsinn", sagte er verärgert.

Literatur

"Fast die gesamte Literatur schwarzer Autoren in den USA beschäftigt sich mit Diskrimierung und Benachteiligung, das gleiche Problem existiert hier mit jüdischen Schriftstellern, sie kommen aus dem Eck der Verfolgung nicht heraus, jedes Buch handelt von Opfern oder Tätern." Ich sprach leise, mehr für mich selbst als zu Stefan, der immer noch vor mir stand. "Ich versteh nicht, was du meinst", sagte Stefan.

"Ihr lasst uns nicht zum Atmen kommen, schnürt uns die Kehle ein, erstickt damit auch die Fantasie und Kreativität, was bleibt, ist ein Jammern und Anklagen, genau das, was von uns erwartet wird, und wir liefern es, fallen darauf herein, die Verlage freuen sich über die ach so kritischen Manuskripte, und die Rezensionen sind euphorisch, und die einst so wichtige jüdische Erzählkunst einfach verschwunden." Stefan scharrte mit den Schuhen im Kies vor der Bank, sah zu Boden und sagte: "Ich will ja nur helfen, einfach unterstützend sein."

"Helfen? Wenn du mich an die erinnerst, die mich hassen?", fragte ich ihn. "Rede über was du willst, aber nicht über Neonazis und Antisemiten, du bringst das immer so aufgeregt, als ob du mir etwas beweisen wolltest, fast schon euphorisch und schaust mich erwartungsvoll an." "Worüber soll ich denn reden mit dir?", fragte er. "Na, vielleicht, wo es das beste Schnitzel gibt und die besten Faschingskrapfen!" Stefan lachte und setzte sich neben mich. "Ich bin nämlich ein scheiß normaler Wiener, egal, aus welcher Familie ich komme!" Stefan nickte und sagte: "Das stimmt, das kannst du nicht leugnen."

"Und wann schreibst den neuen Roman, in dem es weder um Opfer noch um Täter geht?", fragte er mich. Ich antwortete nicht, dachte an all meine Pläne, die ich nie verwirklicht hatte. An meine gescheiterten Versuche, in der Vergessenheit zu leben, die Opferrolle zu verweigern und jedem Mitleid und Mitgefühl auszuweichen. Vielleicht hat meine Generation, die Kinder der Überlebenden, eine Funktion als Brücke zu den Enkeln, aus der Vergangenheit in eine Zukunft, in der Geschichte dokumentiert und abgelegt ist, ohne sich jederzeit in den Alltag zu drängen.