Der Herr leite sie auf rechten Pfaden

10.000 Kroaten pilgerten nach Bleiburg in Kärnten, um eine finstere Messe zu feiern.

Jedes Jahr im Mai kommen in der Kärntner Ortschaft Bleiburg viele Tausend Kroaten zusammen. Offiziell, um eine katholische Messe zu feiern. Kritiker bemängeln das Treffen als internationalen Anziehungspunkt für Rechte und Revisionisten.

von Kärnten - Der Herr leite sie auf rechten Pfaden © Bild: Heinz Stephan Tesarek

Es ist Samstagfrüh, ein wunderschöner Maitag, die Sonne ist warm, doch die Gärten in Bleiburg sind leer und viele Rollläden hinuntergezogen. Eine gespenstische Stille senkt sich über die 4.000-Seelen-Ortschaft in Kärnten. Im noch viel kleineren Ortsteil Unterloibach kurz vor der slowenischen Grenze verlässt niemand der Einwohner sein Haus. Trotzdem sind die schmalen Straßen überfüllt, auf nur wenigen Metern Breite und rissigem Teer wälzen sich 150 schwere Autobusse durch die Unterkärntner Landschaft. 10.000 Menschen reisen an und verwandeln Bleiburg für einen Tag in Kroatien.

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Seit 1951 findet jedes Jahr im Mai auf dem Loibacher Feld eine Gedenkfeier statt. Offiziell wird hier ein etwa vierstündiger katholischer Gottesdienst abgehalten. Die Polizei nennt das Event witzelnd "Kroatischen Muttertag“. In Österreich wirbt kein einziges Plakat für Bleiburg, in Kroatien hingegen wird seit Wochen getrommelt. Organisator ist die katholische Kirche Kroatiens und ein Verein namens "Bleiburger Ehrenzug“, finanzielle Unterstützung kommt direkt von der kroatischen Regierung. Kritiker sprechen von einer Tarnveranstaltung für Revisionisten. Diese habe sich mittlerweile zum "größten faschistischen Treffen in Österreich“ entwickelt, wie der Grünen-Nationalratsabgeordnete Albert Steinhauser sagt, oder "zum größten in Europa“, wie es das Dokumentationszentrum des österreichischen Widerstandes nennt. Vor zwei Jahren kamen knapp 30.000 Menschen. Die Titulierung als katholische Messfeier ist ein Kniff. Sie hebelt das Kärntner Veranstaltungs- und auch das Versammlungsgesetz aus. Bleiburg ist zu einem Mythos geworden, von dem hierzulande noch immer nur wenige ahnen.

Mythos Bleiburg

Rückblende. Im Mai 1945, kurz nach Kriegsende, zieht ein Treck aus 130.000 Zivilisten und Soldaten der faschistischen Ustascha-Einheiten zusammen mit der Waffen-SS und der Wehrmacht aus Kroatien an die österreichische Grenze. Sie wollen sich den Briten ergeben. Doch die liefern sie an Titos jugoslawische Volksbefreiungsarmee aus. Noch vor Ort werden Soldaten erschossen, wie viele, darüber streitet sich die Forschung bis heute. Der Rest wird auf einen "Todesmarsch“ geschickt - zurück ins Landesinnere gen Süden. Dort sterben mehr als 100.000. Doch das Geschichtsnarrativ der hier Anwesenden geht anders. Der Tatort der Massenliquidierungen sei das Loibacher Feld. Darum sind sie heute hier.

Beim Treffen in Bleiburg wird die Erinnerung an den Unabhängigen Staat Kroatien hochgehalten. Der sogenannte NDH-Staat unter Führung Ante Paveliæs galt als Vasallenstaat des Deutschen Reiches, die Ustascha als Kollaborateure und Handlanger der Waffen-SS. Das Ustascha-Regime betrieb ein eigenes Konzentrationslager in Jasenovac, das einzige europäische Vernichtungslager, in welchem nicht die Deutschen selbst walteten. Über 80.000 Juden, Roma und Sinti, Serben und Dissidenten wurden dort grausam ermordet.

Und der "Mythos Bleiburg“? Der entsteht erst so richtig in den 1990er-Jahren nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens. Das ist auch der Zeitpunkt, als sich die Symbolik, der man hier in Bleiburg so offen huldigt, mit der neueren Geschichte vermischt. Glorifizierungen verschiedener Kriegsverbrecher sowie Logos militärischer Verbände aus dem Balkankrieg - wie beispielsweise der HOS, einer rechten Paramiliz - und Aufschriften rechtsextremer, neofaschistischer Parlamentsparteien wie der HSP, eine weiße Flagge mit Wolfsgesicht, werden hier stolz durch die Luft geschwenkt. Die Sonne in Bleiburg ist grell, doch die Stimmung unter freiem Himmel düster.

© Heinz Stephan Tesarek 10.000 Kroaten, Dutzende Bischöfe und hochrangige Regierungsmitglieder nehmen an der vierstündigen Messe teil. Sie wird auf Kroatisch abgehalten

Kahlköpfe und Nonnen

Am Friedhofstor in Unterloibach prangt ein laminierter Zettel: Die Polizei weist darauf hin, dass sie den Ablauf des Gottesdienstes mitfilmen wird. Sie schickt dafür ein eigenes Dokumentationsteam. Niemand schenkt dem Papier Beachtung. Manch einer nimmt noch vor dem Gang auf das Gräberfeld einen Schluck Bier. Die Menschen staksen flüsternd zwischen Grabsteinen und Blumenkränzen herum.

Dann macht sich die Prozession bedächtig auf den Weg zum Loibacher Feld. Der Blick schweift über unzählige Military-Jacken, glatt rasierte Köpfe und kroatische Flaggen. Doch auch Nonnen oder Familien reihen sich in den Zug ein. Angeführt wird er vom Erzbischof der Diözese Ðakovo-Osijek, dahinter folgen etliche Priester. Und Politiker. Denn auch hochrangige Mitglieder der Regierung wie zum Beispiel der Parlamentspräsident, der Gesundheitsminister oder der Veteranenminister sind vor Ort. Sie fahren in verdunkelten Limousinen und Diplomatenautos vor. Dieser offizielle ausländische Staatsbesuch, von dem Restösterreich wenig mitbekommt, wird vom Sondereinsatzkommando Cobra eskortiert.

Auf der Bühne am Loibacher Feld indes treffen Fernsehteams gerade noch die letzten Vorbereitungen. Der Gottesdienst wird live vom kroatischen Staatsfernsehen übertragen. Wie bei großen TV-Shows fahren Kameras auf Seilbahnen herum.

Als sich die Masse auf der Wiese vor der Bühne einfindet, entfaltet sich erst das Ausmaß an Menschen und Transparenten. Wer genau hinsieht, identifiziert etliche Flaggen als Ustascha-Wappen. Sie unterscheiden sich von der kroatischen Landesfahne nur durch ein Detail im rot-weißen Schachbrettmuster. Während das kroatische mit einem roten Kästchen beginnt, steht beim Ustascha-Wappen das weiße vorne. Dieses Wappen trugen Soldaten im Zweiten Weltkrieg neben NS-Symbolen am Ärmel. Selbiges Banner wird auch im offiziellen Logo des Veranstaltervereins "Bleiburger Ehrenzug“ verwendet. Ustascha-Symbole sind im heutigen Kroatien verboten. Ein solches Treffen wie in Bleiburg wäre dort undenkbar. Der kroatische Erzbischof dankt zu Beginn der Messe seinem Kärntner Kollegen für die Einladung und die Erlaubnis.

© Heinz Stephan Tesarek Draußen Friedensgruß, in den Zelten Hitlergruß

Während abwechselnd orgelbegleitete "Hallelujas“ und murmelnde Gebete über das Loibacher Feld mäandern, herrscht im hinteren Teil des Areals Gewusel. Auf einem Feldweg bildet sich eine marktähnliche Einkaufsstraße. Links und rechts des Weges verkaufen vor allem Frauen Andenken und Souvenirs: Magnete mit Jesusbildern und der Aufschrift "Bleiburg 2017“, bemalte Holzbretter mit Ustascha-Wappen, Rosenkränze, Lebensbiografien. Blättert man in den Büchern herum, entdeckt man viele Fotos von Massengräbern, Krieg und Knochen. Bezahlt wird mit kroatischen Kuna.

Zwischen diesen Ständen schwitzen Einheimische beim Bratwurstgrillen und beim Bierausschank. Es riecht nach Fett, viele schreien durcheinander. Von allen Seiten quetschen sich die fast durchwegs männlichen Gottesdienstteilnehmer - und in diesem Moment Abtrünnigen - um die Ausschank. Während die Masse am Feld monoton das "Ave Maria“ singt, wird hier Bier um Bier und Wurst um Wurst mit Senf auf Papptellern über die Theke geschoben.

Die Weltlichen mit ihren dampfenden Würsten, die einen Sitzplatz suchen, schieben einen fast mit hinein in die weiße Zeltstadt. Hier, wo es sich durch die räumliche Begrenzung beinahe ein bisschen höhlenartig anfühlt, außerhalb des Blickes der anderen, geschützt vor der Weite der Kärntner Landschaft und der brennenden Sonne, fühlen sich einige sicherer als draußen. Es wird lustig zugeprostet, so mancher stimmt ein Lied an - und immer mal wieder hebt jemand die Hand zum Gruß. Zum Hitlergruß. 14 österreichische Polizeibeamte stehen am Zelteingang und blicken starr hinein. Keine Regung.

© Heinz Stephan Tesarek Am Wegesrand kann man Krimskrams und Bleiburg-Souvenirs erstehen. Bezahlt wird mit kroatischen Kuna

Plötzlich betritt ein Mann das Zelt, Mitglied eines Motorklubs aus Trilj. Über seinem schwarzen Kapuzenpulli trägt er eine Lederkutte, benäht mit verschiedenen Emblemen, Sonnenbrille und ein Barett auf dem Kopf. Mit röhrender Stimme skandiert er: "Za dom!“ Und sofort, wie auf Befehl, antwortet das Zelt einstimmig: "Spremni!“ Es ist ein faschistischer Gruß, ein vergleichbares Pendant zum hiesigen "Heil Hitler“, übersetzt bedeutet es etwa: "Fürs Vaterland bereit.“ Aber auch auf dem Feld beim Gottesdienst wird Alkohol getrunken. Teils verstohlen, teils unverhohlen ziehen einzelne kleine Schnapsfläschchen oder Flachmänner aus dem Innenfutter ihrer Jacken.

Ganz untätig ist die Polizei nicht. Von 25 durchgeführten Identitätsfeststellungen betreffen einige die Personalien anwesender Journalisten. Auch die der News-Reporter. Auf dem Weg von der Toilette zurück wird der Reporterin gezielt der Weg versperrt, die Beamten verlangen barsch Ausweisdokumente und kopieren alle Daten. Trotz dreimaligen Nachfragens, was der Anlass ist, erhalten wir keine Antwort. Später versucht ein Teilnehmer, unseren Fotografen von seiner Arbeit abzuhalten und greift ihm in die Kamera. Die direkt daneben postierten Polizisten perlustrieren allerdings lediglich ihn, nicht den jungen Mann. Dieser darf weiterziehen. Auf Nachfrage gibt die Pressestelle der Kärntner Polizei einige Tage später an, dies hätte tatsächlich nicht passieren dürfen, wir sollen ein Beschwerdemail schicken. Journalisten des Onlinemagazins Vice erhalten, noch bevor sie überhaupt das Feld betreten, von den kroatischen Securitys Hausverbot.

Fragwürdiger Polizeieinsatz

Auch Martina Renner, deutsche Linke-Politikerin und Mitglied des Deutschen Bundestags, gerät am Loibacher Feld in den Fokus der Polizei: "Ich wurde plötzlich in der Masse von fünf Beamten umzingelt, die sind gezielt auf mich zugetreten, es muss einen Hinweis gegeben haben.“ Auch ihr wird auf Nachfrage eine Antwort verweigert, die Beamten wollen stattdessen ihre Privatadresse, die nicht im Dienstausweis des Bundestags steht. Als zunehmend Umstehende auf die Kontrolle aufmerksam werden, ruft einer den Polizisten zu: "Und, Staatsfeinde gefunden?“ Sie fühlt sich eingeschüchtert und verlässt das Gelände. Renner wird eine Überprüfung am Landesverwaltungsgericht Klagenfurt einreichen: "Es entstand der seltsame Eindruck, dass hier Journalisten und Beobachter von der Polizei an ihrer Arbeit gehindert wurden.“

Die Messe ist vorbei. Vor dem Gedenkstein tummeln sich Jugendliche und machen Abschiedsselfies. Einer trägt ein Shirt mit dem Wort "Willkommen“ und einem Foto eines Konzentrationslagers. "Mein Vater hat immer gesagt: Bis ich sterbe, muss ich einmal hier gewesen sein.“

© Heinz Stephan Tesarek Am Ende wollen alle ein Erinnerungsfoto vor dem Gedenkstein am Loibacher Feld.

Am Ende des Tages sind drei Verdachtsfälle von Wiederbetätigung registriert: Zwei Anzeigen wegen Hitlergrüßen und eine wegen tätowierter Hakenkreuze. Die gesetzliche Handhabe der faschistischen Ustascha-Symbolik ist weiterhin umstritten. Der Verfassungsschutz und die Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt sehen hier keinerlei Verstöße. Für den Nationalratsabgeordneten Albert Steinhauser bietet sich die Rechtslage gänzlich anders dar. Er spricht von einem "Kontrollversagen“. Es sei "unklar, ob Unwissenheit oder Absicht hinter der Nichtanwendung des Abzeichengesetzes“ stehe. Und erklärt: "Das Gesetz gegen NS-Symbole ist eindeutig und klar, und daher ist auch nicht die Frage, ob das Ustascha-Emblem unter das Abzeichengesetz fällt. Die Frage ist, ob unsere Bundesgesetze gegen faschistische Symbole auch in Bleiburg Geltung haben.“

Offenbar nicht. Weder Ustascha-Symbole noch Uniformen werden an diesem schönen Maitag eingezogen. Nur die Sonne verschwindet irgendwann. Und die 150 Busse. Heim, ins Vaterland.