Jugend hinter Gittern

Zwischen Zellenalltag, Freund- und Feindschaft - NEWS.AT zu Gast im Jugendgefängnis

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Auf den ersten Blick wirkt die Fassade der Justizanstalt bescheiden, doch hinter den Mauern verbirgt sich ein Areal von insgesamt 80.000 Quadratmetern, inklusive Freizeitpark. "Hier können sich die Insassen unter Aufsicht frei bewegen", sagt der stellvertretende Anstaltsleiter, Oberstleutnant Thomas Binder. Ein Beachvolleyballplatz, ein Griller und Fußballtore stehen den jugendlichen Häftlingen zur Verfügung. Einmal am Tag für zwei Stunden dürfen sie Frischluft schnappen. "Als einzige österreichische Justizanstalt haben wir hier ein Hallenbad", teilt Binder mit.

Also ein Luxusleben hinter Gittern? Keineswegs, hält der stellvertretende Anstaltsleiter sofort dagegen. "Die Strafe ist der Freiheitsentzug", erklärt Binder. Daneben werde versucht, den Häftlingen das Leben ähnlich zu gestalten wie in Freiheit. Auch wenn manche Menschen glauben, dass Häftlinge nur Wasser und Brot bekommen sollten, so der Oberstleutnant.

Freundschaften und Feindschaften

Zu Mittag verteilen die Küchenhelfer, selbst junge Insassen, stattdessen gutbürgerliche Kost. Einen Topfenstrudel mit Fruchtsoße gibt es dieses Mal zur Nachspeise. Im Speisesaal herrscht gute Stimmung. Gelächter und Stimmengewirr erfüllen den kleinen Saal. Neugierige Blicke fallen in Richtung Kamera: "Wo wird denn das gezeigt? Bin ich eh nicht drauf?" Alles wirkt gesittet, kein Streit, keine offen zur Schau gestellte Feindseligkeit. Probleme tauchen dennoch immer wieder auf. Drogen, Gewalt und Feindschaften gehören zum Alltag im Häf'n dazu. 2013 musste bisher 199 Mal über diverse Vorfälle Meldung gemacht werden: Von Arbeitsverweigerung und ungebührlichem Benehmen über illegale Handys bis hin zu Drogendelikten und Körperverletzung reichen die Verstöße. Vor solchen Problemen sei keine Justizanstalt gefeit, erklärt Binder.

Besonders traurig: Anfang Juli hat ein 18-jähriger Häftling in Gerasdorf Suizid verübt. "Der Tod eines Menschen ist natürlich immer eine schreckliche Sache", sagt Binder. "Den Insassen ist unmittelbar die Möglichkeit eingeräumt worden, statt in Einzelhafträumen gemeinsam untergebracht zu werden." Damit sie das Erlebte verarbeiten können. Ein psychologischer, ein psychiatrischer und ein sozialpädagogischer Dienst sowie ein Arzt kümmern sich ständig um die Insassen - an umfassender Betreuung fehlt es nicht. Dennoch passierte die Tragödie. "Das Fachteam war sich damals einig, dass aktuell keine Suizidgefahr besteht", sagt der Oberstleutnant. Eine hundertprozentige Sicherheit gebe es aber nie. Man könne in der Situation nur den Einzelfall einschätzen.

Tabuthema: Sexueller Missbrauch

Auch sexuelle Übergriffe passieren, Gerasdorf bildet hier keine Ausnahme. Seit 2007 hat es drei gemeldete und geahndete Übergriffe gegeben, der letzte passierte 2013. "Das sind klar drei Übergriffe zu viel", sagt Binder. In solchen Fällen folgen Anzeigen, die Leitung verständigt die Jugendwohlfahrt und ergreift interne Konsequenzen, wie eine sofortige Verlegung in eine andere Justizanstalt.

In jüngster Zeit sind gleich mehrere Missbrauchsfälle in österreichischen Justizanstalten ans Licht gekommen. Doch wie kann es dazu kommen? Personalmangel? Ein fehlerhaftes Kontrollsystem? Gerasdorf hat einen Vorteil: Die Jugendlichen sind vorwiegend in Einzelhafträumen untergebracht, auch zum eigenen Schutz. Die Gänge der Justizanstalt sind belebt. Immer wieder schlendern Häftlinge vorbei. Jemand dreht sich eine Zigarette im Stiegenhaus. Es ist circa 14.00 Uhr, die Zellentüren stehen offen. Jeder könnte seinem Nachbarn einen Besuch abstatten. "Während der Zeit des Einschlusses, im Regelfall von 18.00 Uhr bis 7.00 Uhr, kann nichts passieren", sagt der stellvertretende Anstaltsleiter. Dazwischen genießen die Insassen jedoch Freiräume: Arbeitspausen, Aufenthalte im Freien, unbeobachtete Momente eben, die sich der Kontrolle der Justizwachebeamten entziehen. "Es gibt keinen Ort auf der Welt, der absolut sicher ist. Wir können nur versuchen diese Vorfälle zu minimieren", erklärt Binder. Es könne in jeder Justizanstalt passieren, eine hundertprozentige Überwachung sei personell nicht möglich und würde gegen Menschenrechte verstoßen.

Zellenalltag

Gerasdorf beherbergt nicht nur jugendliche Kleinkriminelle; verurteilte Räuber, Mörder und Sexualstraftäter sitzen hier ebenfalls ihre Strafe ab. Der Weg durch die hellen, steril wirkenden Räume und Zellentrakte verursacht trotzdem kein mulmiges Gefühl im Magen. Die Insassen, denen man begegnet sind höflich, eher relaxt als angespannt. Ihre Straftaten sieht man ihnen nicht an. "Wo kommt ihr denn her?", fragt ein junger Insasse neugierig.

Im Trakt A, hier sitzen die Langstraftäter ein, darf eine Zelle besichtigt werden. Den Privatbereich so einfach herzeigen, das will aber nicht jeder. "Lieber nicht mein Zimmer", bittet ein Insasse nach Anfrage. Ein Zellennachbar lässt uns dann freundlicherweise einen Blick in seinen Raum werfen: Ein Anstalts-Fernseher, selbst bezahlt, flimmert auf, kleine Pflanzen schmücken die Regalen, Bilder und Poster verschönern die kahlen Wänden. Ein Bett, ein Schrank und eine kleine Garderobe bilden die einzige Ausstattung. Als Badezimmer dient ein winziger Raum mit Waschbecken und Toilette. Die Waschräume mit Gemeinschaftsduschen und Waschmaschinen befinden sich am Gang jedes Zellentraktes.

Vom Häftling zum Tischler

Gerade für junge Straftäter soll der Knastalltag jedoch nicht zur schlechten Gewohnheit werden. In 12 Lehrbetrieben der Justizanstalt können die Jugendlichen daher insgesamt 15 Berufe erlernen: Vom Koch, über den Frisör- oder Malerberuf bis hin zum Tischler oder Bäcker dürfen die Inhaftierten frei wählen. Die qualifizierten Justizwachebeamten und Meister fungieren dabei auch gleichzeitig als Ausbilder. Wer den Abschluss im Gefängnis macht, muss später in der Außenwelt aber nicht mit Benachteiligungen oder Vorurteilen rechnen. "Am Lehrabschlusszeugnis ist nicht ersichtlich, dass der Bewerber seine Lehre in der Justizanstalt absolviert hat", versichert Binder.

Am gefragtesten ist derzeit die Tischlerei. Und was verdient ein Tischlerlehrling im Häf'n? "120 bis 130 Euro im Monat mit Prämien, wenn wir gut arbeiten", antwortet ein Häftling bereitwillig. Davon abgezogen sind bereits die Haftkosten, die 75 Prozent des Lohnes auffressen. Von dem verbleibenden Betrag wird noch ein Arbeitslosenversicherungsbeitrag bezahlt, für die Zeit nach der Haft. Und ein Teil der rund 120 Euro wandern noch als Rücklage in einen Pott, der bei der Haftentlassung als Startgeld - mindestens 450 Euro - ausbezahlt wird. Im Endeffekt bleibt ein monatliches Hausgeld von rund 50 Euro über, mit dem die Jugendlichen im hauseigenen, preisgebundenen "Supermarkt" einkaufen können. Zigaretten, Süßigkeiten, spezielle Deos oder Duschgels sind beliebte Luxusartikel für die Insassen.

Fast alle Jugendlichen nutzen das Ausbildungsangebot - als willkommene Ablenkung vom Knastalltag und als Beschäftigungstherapie. Im besten Fall verlässt jeder Häftling die Justizanstalt am Ende mit einer fertigen Ausbildung und einem kleinen Startkapital. Ihre Zukunft haben die jungen Ex-Häftlinge dann selbst in der Hand.

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