Wie sehr der Journalismus unter Einfluss steht

Die Unabhängigkeit von Medien ist ein hohes Gut. Doch die Grenzen weichen auf. Eine Recherche zeigt, dass Pharmaindustrie, Digitalkonzerne und Klimaaktivist:innen Journalist:innen ausbilden. Was heißt das für die Glaubwürdigkeit?

von Extinction Rebellion © Bild: imago images/Jochen Tack

Ende Jänner 2022 tippt der Philosoph und Blogger Ortwin Rosner seinen Ärger in die Tastatur. So entsteht ein "Offener Brief an die Medien", der Folge einer persönlichen Auseinandersetzung mit einer österreichischen Redaktion ist. Das Substrat des Textes lautet: "Wir haben es derzeit mit einem grandiosen Verfall des Journalismus in Österreich zu tun, mit einer Anbiederung des Journalismus an die Macht, in einem Ausmaß, wie es das vielleicht vorher noch nie in der Zweiten Republik gegeben hat. In dieser drastischen Form ganz sicher noch nicht. Und das ist ungeheuer gefährlich."

Rosner beschreibt in seiner im Internet abrufbaren Streitschrift, wie er die Rolle der Medien in der Covid-Pandemie sieht. Vielleicht übertreibt er ein wenig. Womöglich irrt er in einigen Punkten. Aber in einer ganz bestimmten Sache beschreibt er den Zeitgeist punktgenau: Selten zuvor stand der Journalismus so unter der kritischen Beobachtung des Publikums wie jetzt. Und das hat nicht nur mit dem Coronavirus und seinen Folgen zu tun.

Pharma, Klima, Google

Es geht -zum Beispiel -um das im Herbst 2021 aufgeflogene Wechselspiel zwischen Regierung und Medien, um mutmaßliche Inseratenkorruption, um beeinflusste Berichterstattung zum Schaden des Publikums, das immer unsicherer in seiner Beurteilung wird, was man nun überhaupt noch glauben kann und was nicht. Die Vertrauenskrise, in der sich die "public watchdogs" und die vierte Gewalt im Staat befinden, beginnt jedoch schon früher. Manchmal lange bevor Journalisten überhaupt anfangen, Beiträge zu veröffentlichen: in der Ausbildung.

Was bei Teilen des Publikums oft nicht mehr als ein vages Gefühl im Bauch ist, lässt sich objektiv nachzeichnen: An vielen Ecken und Enden nehmen Interessengruppen Einfluss. Der Internetriese Google zum Beispiel fördert die Digitalisierung klassischer Medien und die Ausbildung von Journalisten weltweit mit Hunderten Millionen Euro -auch Österreich ist Zielland. Und hier, zwischen Neusiedler See und Bodensee, sind in der Ausbildung noch weitere Kräfte aktiv.

Interessengruppen überall

Zwei mit öffentlichem Geld geförderte Institute für Aus-und Weiterbildung von Journalisten bieten Lehrgänge an, die von Interessenvertretungen nicht nur kofinanziert werden, sondern die dort gleich selbst als Lehrende auftreten. Dabei handelt es sich um das Forum Journalismus und Medien (fjum) und das Kuratorium für Journalistenausbildung (KfJ).

Bei beiden halten Klimaaktivistinnen der "Fridays for Future"- und der "Extinction Rebellion"-Bewegung Kurse zum Thema "Klimajournalismus". Mit einschlägigen Lehrmaterialien. Das KfJ hat weiters einen "Zertifikatskurs Gesundheitsjournalismus" im Programm. Dieser wird nicht nur weitgehend von der Interessenvertretung der pharmazeutischen Industrie bezahlt. Die Interessenvertreter treten auch als Lehrende auf. Es stellt sich die Frage: Wie nahe sollen sich Lobbyisten und Journalisten bei der Ausbildung kommen?

Zertifikatskurs für Gesundheitsjournalismus
© Kuratorium für Journalistenausbildung WERBESUJET FÜR PHARMA-KURS. Die Interessenvertretung der Industrie zahlt am Kuratorium für Journalistenausbildung Kursgebühren und trägt vor

Nikolaus Koller hat mit diesem Thema Erfahrung. Seit einigen Jahren schon ist er in der Ausbildung von Medienschaffenden tätig. Einst als Vorstand des Instituts für Journalismus und Medienmanagement der Fachhochschule Wien der Wirtschaftskammer. Oder als Lehrender an Fachhochschulen in Eisenstadt, St. Pölten und Graz. Heute ist Koller Geschäftsführer des KfJ, das Standorte in Salzburg und Wien unterhält und auch Kurse via Internet anbietet. Und als Leiter ebendieser Einrichtung haben er und sein Team auch einen "Zertifikatskurs Gesundheitsjournalismus" im Programm. Das ist nur zeitgemäß. Spätestens seit Beginn der Covid-Pandemie erlebt das Thema Gesundheit enorme Aufmerksamkeit. Bis in alle Schichten der Gesellschaft. Journalisten, die wissen, wie sie in der Branche recherchieren, welche Quellen zur Verfügung stehen, was es zu beachten gilt und -zum Beispiel - welchen Einfluss die pharmazeutische Industrie auf den Sektor hat, sind gefragt. Und brauchen Ausbildung.

Wenn 25 Euro zu viel sind

Am KfJ bezahlt diese Ausbildung jedoch fast vollständig ebendiese Industrie. Genau genommen deren Interessenvertretungen namens FOPI (Forum der forschenden pharmazeutischen Industrie) und Pharmig. Vertreter der beiden Lobbying-Organisationen machen sogar einen Teil der Ausbildung als unmittelbar Vortragende. So wird es möglich, dass der gesamte Kurs von vier Tagen die anwesenden Journalisten gerade 69 Euro kostet. Einzelne Tage sind für 25 Euro zu haben.

"Doch selbst das war einigen Teilnehmern zu viel. Wir registrierten Beschwerden über die Beitragshöhe." Koller nennt damit - wie er glaubt - die Wurzel des Übels. "Die Zahlungsbereitschaft am Markt ist außerordentlich gering." Weder Journalisten noch die Medienhäuser, für die sie arbeiten, seien bereit, angemessene Summen in Ausbildung zu investieren. Deshalb trägt sie nun die Pharmabranche.

Eine Entwicklung, die Koller bereits vor einigen Jahren als Institutsvorstand an der FH Wien dazu brachte, sich einen Kurs für Investigativjournalismus vom Tabakriesen JTI (Japan Tobacco International) mitbezahlen zu lassen. Auch damals war es das gleiche Schema: Die geringe Zahlungsbreitschaft von Journalisten und Medien wurde durch das Sponsoring eines Partners aus der Industrie ausgeglichen.

»Wir wussten, dass ein Sponsoring kritisch sein könnte«

Über die Entstehungsgeschichte des Kurses gibt es unterschiedliche Versionen. Im Gespräch mit News beanspruchen sowohl der Leiter der Kommunikationsabteilung der Pharmig, Peter Richter, als auch Koller den Ursprungsgedanken für sich. Laut Koller kam ihm die Idee im Gespräch mit einem Freund. Richter hingegen sagt, ihm sei aufgefallen, dass in vielen Redaktionen heute kaum mehr Spezialisten zum Thema Gesundheit säßen. Und dass man das doch ändern könne.

"Wir wussten, dass ein Sponsoring kritisch sein könnte", so Richter heute. Genau deshalb habe man die Idee auch intensiv mit dem Kuratorium für Journalistenausbildung diskutiert. Dabei sei man zu dem Ergebnis gekommen, dass zusätzlich zu den Vortragenden von Pharmig und FOPI Experten von Arbeiterkammer, Gesundheit Österreich GmbH oder der Medizinischen Universität Wien hinzuzuziehen wären. Weitere Voraussetzung: Transparentmachung des Sponsorings und Begleitung des gesamten Kurses durch einen "kritischen Journalisten", wie Koller sagt. Zudem habe er, also das KfJ, die Hoheit über die vermittelten Inhalte.

Distanz zur "guten Sache"?

Zumindest die bisherigen Kursteilnehmer hätten sich deshalb auch nicht daran gestoßen, wer ihnen den Großteil des Kurses bezahlt. Unter ihnen befanden sich neben freien Autoren und Studenten auch Journalistinnen und Journalisten von APA, "Oberösterreichischen Nachrichten","Niederösterreichischen Nachrichten" sowie medizinischen Fachmedien.

Dennoch bleibt die Frage: Fördern solche Konstellationen das Vertrauen des Publikums in die Inhalte der so ausgebildeten Journalisten? Und schaffen es die Geschulten, auch in Zukunft die Distanz zu jenen zu halten, die sie einst in freundlicher Atmosphäre im Seminarraum kennenlernten?

Hanns Joachim Friedrichs, 1995 verstorbene Journalistenlegende der ARD, sagte einst einen berühmten Satz: "Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache." In der Ausbildung von Journalisten scheint dieses Mantra nicht mehr zu gelten. Zu diesem Eindruck kann man kommen, wenn man einen Blick in das Kursangebot des zweiten größeren Instituts für Journalistenausbildung wirft. Seit 2011 ist auf dem Sektor das Wiener fjum tätig, das Forum Journalismus und Medien. Im Leitbild steht: "Wir unterstützen unabhängigen Qualitätsjournalismus ( ) durch Workshops, Lehrgänge, Coaching, Kontaktvermittlung und Events." Im Angebot des fjum stehen auch Kurse und Workshops für eine "gute Sache" nämlich: "Klimajournalismus". Als Vortragende hat das fjum drei Frauen gewonnen.

Nicht im Veranstaltungsverzeichnis steht, dass zwei von ihnen als Aktivistinnen tätig sind: bei "Fridays for Future" und der durch Aktionismus aufgefallenen Gruppe "Extinction Rebellion". Deren Mitgründer Roger Hallam gewährte 2019 in einem Interview mit dem "Spiegel" Einblicke in die Gründungsidee der Organisation. Auf die Frage, warum die Organisation bei Aktionen regelmäßig das Gesetz breche, antwortete er: "Weil dieses Thema größer ist als die Demokratie. Wenn eine Gesellschaft so unmoralisch handelt, wird Demokratie irrelevant. Dann kann es nur noch direkte Aktionen geben, um das zu stoppen."

"Angstmache behutsam einsetzen"

Die vortragenden Aktivistinnen, Clara Porák und Veronika Winter, betonen News gegenüber, dass sie ihre Schulungen für Journalisten von ihrem privaten Engagement trennen. Ziel ihrer Kurse sei es, Zuhörer mit Faktenwissen auszustatten, "das es ihnen ermöglicht, politisch motivierte und einseitige Narrative zur Klimakrise zu entlarven".

Veronika Winter
© Screenshot/Youtube/Greenpeace VERONIKA WINTER ist Präsidentin von "Fridays for Future". An fjum und KfJ bildet sie mit einer anderen Aktivistin Journalisten aus. Rollen, die sie "bewusst trenne".

Zumindest in ihren Lehrunterlagen scheint das nicht immer zu gelingen. Durchgängig verwenden sie den emotional aufgeladenen Begriff "Klimakrise" statt das neutrale Wort "Klimawandel". Weiters stellen Porák und Winter ihren Hörern den dänischen Professor für Politikwissenschaft Bjørn Lomborg als "Klimaleugner" vor. Tatsächlich ist Lomborg nicht unumstritten, hat in der nicht selten selbst aktivistisch auftretenden Klimaforschungscommunity viele Feinde. In seinen weltweit (und auch in Österreich) verbreiteten Essays "leugnet" er jedoch nicht den Klimawandel, sondern kritisiert insbesondere die Panikmache durch Aktivisten und Politiker.

Bjorn Lomborg
© imago/ZUMA Press BJØRN LOMBORG. Der dänische Politikwissenschaftler ist eine Reizfigur für Klimaaktivisten, weil er ihnen Panikmache vorwirft. Ist er deshalb "Klimaleugner"?

Porák und Winter tun aber noch mehr. Sie zeigen den Lehrgangsteilnehmern Präsentationsfolien, auf denen steht: "Angstmachende Informationen behutsam verwenden." Was das bedeuten soll?

Das Gegenteil, schreiben sie in einer Stellungnahme. "Wir weisen darauf hin, dass die Kommunikation wissenschaftlicher Fakten um die Klimakrise angstmachend sein kann."

Clara Porák ist bemüht, offen mit der Kritik an ihrer Doppelrolle umzugehen. Sie verstehe das Dilemma, sagt sie. Und sie sagt auch: "Jeder hat einen Ort, von dem man herkommt. Ich auch. Ich denke, man macht es sich zu leicht, wenn man sagt, Journalisten mit persönlicher Haltung könnten nicht objektiv sein."

Wir bemühten uns um Kontaktaufnahme zur Geschäftsleitung des fjum, wollten erfahren, wie die Kurse zustande kamen. Und wie das Engagement von Aktivistinnen mit dem eigenen Leitbild ("unterstützen von unabhängigem Qualitätsjournalismus") zusammenpasst. Ohne Erfolg.

Wie das KfJ erhält das fjum jährlich etwa 220.000 Euro aus der Presseförderung des Bundes für Journalistenausbildung. Gegründet wurde es mit Unterstützung der Stadt Wien. Die Kurse für "Klimajournalismus" werden zudem mit Mitteln aus dem Programm "Klimaaktiv" des Klimaschutz-Ministeriums gefördert. Ressortchefin dort ist Leonore Gewessler, ebenfalls eine ehemalige Aktivistin: Sie war Geschäftsführerin von Global 2000.

Googles Millionen

Andere Einflusslinien auf die Ausbildung von Journalisten sind weltweit zu betrachten. Dabei spielen nicht nur Klimaaktivisten und die Pharmaindustrie eine Rolle. Das ganz große Geld liegt im Jahr 2022 bei den Hightech-Giganten, die immer mehr Werbegeld, das einst bei klassischen Medien landete, auf sich vereinen.

Auch deshalb finanziert Google seit einigen Jahren die Ausbildung von Journalisten und die digitale Transformation der Verlagsbranche: Das Sponsoring soll unter anderem die Auseinandersetzung mit Europas Verlagen befrieden. Auch der News-Redaktion wurden dabei 2022 bisher fünf Plätze in Seminaren finanziert. Insgesamt überwies der Internetriese seit 2013 und je nach Betrachtungsweise zwischen 250 und 400 Millionen Euro an Europas Verlage und Journalisten.

Manche sehen das nicht nur positiv. Die von der deutschen Otto-Brenner-Stiftung finanzierte Studie "Medienmäzen Google" weist unter anderem darauf hin, dass es durch die Querfinanzierung und Beeinflussung von Ausbildung zu einer Art Selbstzensur kommen könnte. Ein bisschen wie in Österreich.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Print-Ausgabe von News (07/2022) erschienen.