Journalismus – Politik – Kommentar

Eine verwirrende Dreierbeziehung

von Peter Sichrovsky © Bild: News/Ricardo Herrgott

Was uns, dem Publikum, als Information geboten wird, ist vordergründig meist ein Dialog mit Frage und Antwort zwischen Journalismus und Politik, dem eine Analyse oder ein Kommentar folgt. Auf den ersten Blick nehmen daran drei unabhängige Personen teil. Während es zwischen Fragen und Antwort noch eine Beziehung gibt, wird der Kommentar aus einer scheinbar unabhängigen Position geboten, meist ohne Unterbrechung durch Konfrontation oder störende Fragen.

Gemäß den Grundlagen der Gruppendynamik beeinflusst die Dreieck-Situation das Beziehungsnetz. Es bildet sich die kleinstmögliche Gruppe. Eine Gruppe verändert das System der Kommunikation und der Konkurrenz. Es geht nicht mehr um konkurrierende, einzelne Personen, es geht um konkurrierende Beziehungen. Während der Dialog zwischen zwei Personen, die Journalismus und Politik vertreten, die Dynamik einer Zweierbeziehung zeigt, stört die dritte Person dieses Verhältnis. Gesellt sich eine dritte Person dazu, unterbricht diese Erweiterung die reine Personenkonkurrenz. Es geht um drei Beziehungen, um die Beziehung Journalismus zu Politik, Politik zu Kommentar und Kommentar zu Journalismus. Die Konkurrenz zwischen zwei Personen wird abgelöst durch die Konkurrenz dreier Beziehungen und nicht zwischen drei einzelnen Personen.

Familie

Man kann sich das besser in einer Familie vorstellen. Diese beginnt meist mit zwei Partnern, zwei Frauen, zwei Männern oder Mann und Frau. Beide haben eine Beziehung zueinander, und Entscheidungen werden zwischen ihnen gefällt. Klopft Nachwuchs an die Tür, oder die Schwiegermutter ersucht um Einlass, wird daraus eine Dreierbeziehung. Nun wird nicht mehr alles zwischen zwei Partnern entschieden, es geht um Bedürfnisse des/der Dritten im Bunde. Es entsteht aus der Konkurrenz zwischen zwei Personen nicht eine zwischen drei, sondern eine Konkurrenz dreier Beziehungen. Beziehung von Partner A zu einem Kind steht in Konkurrenz zur Beziehung zwischen Partner B und dem Nachwuchs oder der Schwiegermutter, und beide Beziehungen stehen in Konkurrenz zu der Beziehung der beiden Partner untereinander. Je größer die Familie, desto mehr Beziehungen stehen in Konkurrenz zu einander. In der TV-Serie „Ein echter Wiener geht nicht unter“ sagt Mundl zu seiner Frau: „Wenn es gegen mich geht, seid ihr euch immer einig“ – er spricht die Beziehung zwischen Tochter und Mutter an, die in Konkurrenz steht zu seiner zur Tochter und der zu seiner Frau.

Beziehungen

Die klassische Interview- und Kommentar-Inszenierung ist nicht viel anders. Nicht die Interviewten wählen den Kommentator aus, sondern die Redaktion, oder der Journalist hat Einfluss darauf. Bevor noch das Interview, der Bericht, also der Kontakt zwischen Journalist und Politiker beginnt, besteht bereits ein Verhältnis zwischen Journalist und Kommentator. Diese Beziehung wird in das Dreieck mit eingebracht. Die Interviewten sehen sich einem Naheverhältnis gegenüber, das sie ausschließt. Sie haben weder zum Journalisten noch zum Kommentator einen vergleichbaren Kontakt. Da der Journalist oder sein Umfeld den Kommentator auswählt, ist die Grundlage ein gewisses inhaltliches und ideologisches Verständnis. Ein Kommentator wird die Situationen ähnlich bewerten wie der Journalist. Gegen diese Verbindung haben Politiker keine Chance. Sie könnten sich eventuell noch im Gespräch mit den Journalisten behaupten, der Achse Journalist zu Kommentator sind sie hoffnungslos unterlegen. Die Nachrichtenshow läuft so ab: Sie beginnt mit dem Interview, einem Bericht, einer Reportage. Der Kommentar folgt im Auftrag der Redaktion. Für wen eigentlich? Alle Beteiligten suchen den Kontakt zum Publikum. Damit erweitert sich die Dreiecksbeziehung und holt ein neues Mitglied in die Runde. Das ergibt ein scheinbares Viereck, es ist aber keines. Wenn auch um die Gunst des Publikums gekämpft wird, ist dieses selbst nur passives Mitglied in der Gruppe.

Publikum

Während der Interviews sprechen Journalisten mit einem Gast, oder ein Bericht wird gezeigt. Kommentator und Zuseher beobachten und bewerten es auf der Grundlage ihrer Überzeugung und Vorurteile. Meist verändern sich diese kaum, und werden in dem anschließenden Kommentar bestätigt und verstärkt – das betrifft sowohl Zustimmung als auch Ablehnung. Der Kommentar bietet eine Zusammenfassung, mit Bewertung und Deutung nach persönlichem Verständnis, das weitgehend dem der Institution entspricht, die die Person engagierte. Das Publikum bekommt eine verständnisvolle Kurzfassung – wie der Autor/die Autorin es inhaltlich kommunizieren möchte – in Abstimmung mit den Auftraggebern. Drei Beziehungsebenen im Dreieck Journalismus- Politik-Kommentar konkurrieren theoretisch untereinander – allerdings nur theoretisch, der Ablauf ist geplant und lässt keine Überraschungen zu.

Die Vertreter aus Journalismus, Politik und Kommentieren bieten sich dem Publikum an und suchen dessen Anerkennung wie in der Show „Deutschland sucht den Superstar“. Das innere Beziehungsnetz der Gruppe unterstützt oder behindert dieses Ziel. Die Chancen sind ungleich verteilt. Im Gegensatz zur Kontroverse zwischen Journalismus und Politik vereinfacht der Kommentar das Geschehen, zerkleinert und zerkocht es, so dass es dem Publikum leicht verdaulich wie ein Brei mit dem Löffel ohne Messer und Gabel serviert werden kann. Das Publikum erlebt diese Deutung als angenehm und beruhigend. Sie erreicht die Zuseher meist als leicht konsumierbarer Monolog in vereinfachter Sprache ohne Unterbrechung und Rechtfertigung.

Meinungen

Dem Publikum wird die als Wahrheit geschminkte Meinung in Form einer interpretativen Zusammenfassung angeboten. Dass es eben nur Meinung ist, wird gerne ignoriert oder übersehen. Die Kommentare, durch angeblich unabhängige Fachleute präsentiert, mit der Perfektion konzentrierter, überzeugender Auslegungen, repräsentieren das eigene Verständnis, eingebettet in einem System logischer Schlussfolgerungen, die bei den Zusehern das Aha-Erlebnis auslösen und die Erkenntnis: „Jetzt hab ich es verstanden“, oder „endlich einer, der es richtig erklärt“.

Im Zustand der Zufriedenheit verdrängt das Publikum das manipulierende Konzept. Die Koordination zwischen kritischem Journalismus und analysierendem Kommentar ist die Grundlage der Manipulation und jeder anderen Beziehung in diesem System überlegen. Sie hat einen zeitlichen und ideologischen Vorsprung. Vom Politiker werden während des Interviews entsprechende Antworten erwartet. Kommen sie nur unzureichend, so bietet sich der Kommentator als Helfer an und formuliert, was der Journalist während des Gesprächs nicht erreichen konnte. Der Kommentar liefert mit seiner Analyse auch die fehlenden Antworten aus der Politik, und korrigiert die angeblich unverständlichen, falschen und ausweichenden.

Wahrhaftigkeit

Wenn jedoch Kommentare die Reaktionen und Antworten der Politiker zusammenfassen und vereinfacht erklären und das Publikum mit dem Bewusstsein reagiert, die Politiker jetzt verstanden zu haben, macht es den Fehler, Politiker und Kommentator als austauschbare Personen zu sehen, die Meinung und Verfremdung des Kommentators als die Wahrhaftigkeit der Interviews zu verstehen, nur weil es kurz und verständlich präsentiert wird. Was übrigbleibt, ist eine irreführende Sinngebung durch Kommentare, da die Betroffenen keine Möglichkeit haben, dies zu bestätigen oder zu korrigieren. Interviewte müssen damit leben, durch Kommentare gegenüber den Zusehern mit deren Verständnis ihrer Aussagen erklärt zu werden. Wir als Publikum werden abgefüttert mit einer gut verdaulichen Zusammenfassung, zusammengestoppelt mit der vereinfachten Sinndeutung der Kommentare, dem Bodensatz der Meinungsvielfalt, und erleben damit die Interviewten als ersetzbar, im Grunde genommen unnötig, zeitverschwendend und nervend. Es könnte Kommentare mit ihren Deutungen auch ohne die Interviewten angeboten werden, auch ohne die Fragen der Journalisten – nicht wenige Zuseher wären dankbar dafür.