Großbritannien
liebäugelt mit No-Deal

Großbritanniens neuer Premier nennt EU-Austrittsabkommen "inakzeptabel"

Am Tag nach seinem Amtsantritt ist Großbritanniens neuer Premierminister Boris Johnson klar auf Konfrontationskurs zu Brüssel gegangen. Vor dem Unterhaus in London erklärte er am Donnerstag die Vorbereitungen für einen ungeregelten Brexit zur "höchsten Priorität". Die Bestimmungen des Brexit-Abkommens mit der EU bezeichnete Johnson als "inakzeptabel".

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Immer wieder wurde Johnson von Zwischenrufern unterbrochen. Doch der neue Premierminister und Brexit-Hardliner zeigte sich in seiner ersten Rede vor dem Unterhaus als Regierungschef kämpferisch.

"Ich würde es bevorzugen, wenn wir die EU mit einem Abkommen verließen - ich würde es stark bevorzugen", sagte er. Eine Neuverhandlung des Austrittsvertrags sei "selbst zu diesem späten Zeitpunkt" noch möglich, und er werde "mit Hochdruck daran arbeiten", ein neues Abkommen zu erreichen. Das von seiner Vorgängerin Theresa May verhandelte Abkommen sei jedoch "für das Abgeordnetenhaus und das Land inakzeptabel", sagte Johnson.

Der Tory-Chef drohte damit, im Falle eines ungeregelten Brexits die Austrittsrechnung von 39 Milliarden Pfund (knapp 44 Milliarden Euro) nicht zu begleichen und das Geld stattdessen in die Vorbereitungen eines vertragslosen Austritts zu stecken.

Brüssel solle seine Absage überdenken

Großbritannien werde keinen Kommissar für die neu zu besetzende EU-Kommission nominieren, bekräftige Johnson außerdem. Brüssel rief er auf, die Absage an eine Neuverhandlung des Abkommens zu überdenken.

Die EU hat eine Neuverhandlung des Austrittsabkommens mit Großbritannien kategorisch abgelehnt. EU-Sprecherin Mina Andreeva sagte am Donnerstag in Brüssel, die Haltung der EU sei unverändert. "Das Abkommen, das wir erzielt haben, ist das bestmögliche", sagte sie.

Den mehr als drei Millionen EU-Bürgern im Land garantierte Johnson unterdessen ein Bleiberecht für die Zeit nach dem Brexit. Damit wiederholte der neue Regierungschef am Donnerstag in seiner ersten Parlamentsrede als Premier ein Versprechen, das er bereits vor der Amtsübernahme gegeben hatte. Er danke den 3,2 Millionen Staatsbürgern anderer EU-Länder, die in Großbritannien wohnten und arbeiteten, für ihren Beitrag zur britischen Gesellschaft und auch für ihre Geduld. Er könne den Betroffenen versichern, dass sie unter seiner Regierung absolute Gewissheit auf das Recht zum Bleiben hätten.

Schottland erwägt Referendum

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon drohte indes Johnson, sie werde mit den Vorbereitungen für ein Unabhängigkeitsreferendum fortfahren. Denn seine Brexit-Pläne gefährdeten die schottische Wirtschaft, schrieb die Erste Ministerin in einem Brief an den Regierungschef in London. "Es ist jetzt - mehr denn je - zwingend notwendig, dass wir in Schottland eine Alternative haben."

Auch Johnsons Kabinett traf am Donnerstag erstmals zusammen. In einem radikalen Schnitt hatte er am Vorabend mehr als die Hälfte der Ministerämter neu besetzt. Schlüsselposten vergab er an Brexit-Hardliner wie den früheren Brexit-Minister Dominic Raab, der Jeremy Hunt im Amt des Außenministers nachfolgt. Hunt war in der Urabstimmung um den Parteivorsitz der konservativen Tories als Johnsons Herausforderer angetreten.

Auch der umstrittene Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg und die frühere Innenministerin Priti Patel sind Teil von Johnsons Team. Britische Medien warfen Johnson vor, mit dem radikalen politischen Umbau Rache an seinen Kritikern zu üben.

Kabinettsgemetzel

Das "Times"-Magazin bezeichnete die Neubesetzungen als "Gemetzel im Kabinett". Die der oppositionellen Labour-Partei nahestehende Zeitung "Daily Mirror" bezeichnete das neue Kabinett als die "am weitesten rechts stehende Regierung seit den 80er Jahren", als Margaret Thatcher Premierministerin war.

Die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament will einen ungeregelten Brexit verhindern. Beobachter halten deshalb vorgezogene Neuwahlen für nicht unwahrscheinlich. Oppositionsführer Jeremy Corbyn hatte Johnson bereits kurz nach dessen Wahl zum Tory-Chef am Mittwoch zu Neuwahlen aufgefordert. Johnson hat jedoch angedeutet, dass er Wahlen erst nach dem vollzogenen Brexit ausrufen will.

In der Urabstimmung von weniger als 160.000 Repräsentanten der konservativen Tories hatte Johnson knapp 66 Prozent der Stimmen erhalten. Eine YouGov-Umfrage vom Mittwoch sieht die Zustimmung zu Johnson landesweit jedoch nur bei 31 Prozent.

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