Johannes Wesemann: "Der Klimaschutz braucht Politiker mit Eiern"

Unternehmensberater Johannes Wesemann hat genug von Sonntagsreden zum Klimaschutz: Er zeigte Brasiliens Präsidenten Jair Bolsonaro wegen der Regenwaldzerstörung beim Internationalen Strafgerichtshof an. Warum das für ihn dennoch mehr als Aktionismus ist, erzählt er im Interview.

von Johannes Wesemann: "Der Klimaschutz braucht Politiker mit Eiern"
© Bild: Ricardo Herrgott/News
Geboren in Wien, zog es ihn nach der Schule beruflich nach Hongkong und Singapur. Im Anschluss an Wehrdienst und Studium an der Wirtschaftsuniversität konzentrierte er sich auf Unternehmensberatung und die Entwicklung von Digitalisierungsstrategien. Unter anderem brachte Wesemann den Fahrdienstleister Uber nach Österreich. Die NGO AllRise dient als Vehikel für die Klima-Klage gegen Jair Bolsonaro.

Typische Klimaaktivisten sehen anders aus. Der aus Wien stammende Unternehmer Johannes Wesemann kommt mit seinem rot-weißen Lambretta-Roller zum Interview. Warum auch nicht? Muss Umweltbewusstsein automatisch auch Selbstkasteiung sein? Was wirklich zähle, sagt er, seien Taten. Und Wesemann tut tatsächlich. Mitte Oktober zeigte er Brasiliens Präsidenten Jair Bolsonaro beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag an. Gemeinsam mit Klimatologen und Anwälten will Wesemann so Südamerikas Regenwald und das Weltklima retten.

Warum ausgerechnet Jair Bolsonaro?
Dafür gibt es einen unmittelbaren Auslöser. Und zwar als 2019 in Brasilien große Flächen des Regenwaldes in Brand standen. Das hat mich persönlich stark irritiert. Weniger auf Grund der Funktion des Regenwaldes als Lunge für das Weltklima, sondern weil dort skrupellos und illegal Bäume gefällt, Flächen gerodet wurden - für kommerzielle Interessen. Ich wollte danach einfach nicht zur Tagesordnung übergehen, die Angelegenheit am Tennisplatz oder bei einem Glas Champagner vergessen.

»Ich sagte zu ihm: "Du, Wolfram, ich will Präsident Bolsonaro klagen. Finde einen Weg."«

Was also dann?
Ich ging zu meinem Anwalt. Wolfram Proksch ist nicht nur ein lustiger Kerl, sondern ein sehr guter Jurist. Er unterstützte seinerzeit schon Max Schrems gegen Facebook. Und ich sagte zu ihm: "Du, Wolfram, ich will Präsident Bolsonaro klagen. Finde einen Weg." Eigentlich habe ich mich dabei benommen wie ein kindlicher Rotzlöffel. Aber diesen Zugang, glaube ich, braucht es auch.

So einfach geht das?
Ja. Nach dieser ersten, frechen Idee sind wir aber ganz schnell ernst geworden. Wir haben verstanden, dass es eigentlich gar nicht um Bolsonaro geht. Es geht darum, dass die Gesetze, die uns lenken, nicht dafür geschaffen wurden, einer Klimakrise zu begegnen. Wir testen nun bestehendes Recht, ob es für diese Zeit überhaupt tauglich ist.

Klimakrise ist ein starker Begriff. Jedes Unwetter wird inzwischen der Erderwärmung zugeschrieben, um Einschränkungen zu fordern. Ist es das richtige Wort?
Ich finde schon. Jeder versteht, was damit gemeint ist. Das große Problem unserer aktuellen Klimasituation ist, dass wir noch keine Sprache gefunden haben, dieses Problem zu erklären. Wenn ich von 1,5 Grad Erderwärmung spreche, dann kann sich niemand vorstellen, was das wirklich bedeutet. Das Wort Klimakrise schafft Aufmerksamkeit beim Publikum.

Die Bolsonaro-Klage ist also nur Aktionismus?
Ich würde es nicht Aktionismus nennen. Ich bin ja gelernter Unternehmer, will Produkte, Dienstleistungen oder Ideen verkaufen. Damit das funktioniert, brauche ich die Aufmerksamkeit meines Gegenübers und dafür eine Geschichte, die diese Aufmerksamkeit erregt. Wir leben nun einmal -auch wegen der sozialen Medien - im Wettbewerb der Geschichten. Um das Problem Klimawandel anzusprechen und zu lösen, braucht es die Aufmerksamkeit des Publikums.

Also doch Aktionismus?
Nein. Ich finde den Zugang sogar pragmatisch. Wenn ich glaube, dass ich einen Beitrag zur Lösung der Klimakrise leisten kann, indem ich den Präsidenten Brasiliens beim Internationalen Strafgerichtshof anzeige, dann muss ich das so machen, dass Sie mir als Journalist zuhören. Und im besten Fall auch viele Ihrer Kollegen. Wenn ich das alles nur lieb und freundlich mache, verliere ich diese Aufmerksamkeit. Darum geht's.

»Ich nehme Bolsonaro und seine Äußerungen und Taten vor allem als böse wahr. Richtig böse.«

Möchten Sie Jair Bolsonaro einmal persönlich treffen? Nach der Abwahl Donald Trumps spielt er für die Medien mit homophoben, rassistischen und wissenschaftskritischen Äußerungen die Rolle des "Bad Boys" der Weltpolitik. Womöglich steht dahinter - wertfrei gedacht -auch ein interessanter Politiker.
Na ja, ob Bolsonaro interessant ist, weiß ich nicht. Ich nehme ihn und seine Äußerungen und Taten vor allem als böse wahr. Richtig böse. Bolsonaro ist Zyniker und hat aktuell auch 600.000 Covid-Tote mitzuverantworten. Ich glaube, einem wie ihm ist das wirklich egal. Trump und Bolsonaro -die zwei wären echt gute Buddys.

Bolsonaro anzuzeigen, ist aber auch ein wenig erwartbar. Überrascht hätte mich, wenn Sie Angela Merkel angezeigt hätten. Das Land, das sie noch lenkt, Deutschland, emittiert 50 Prozent mehr CO2 in die Atmosphäre als Brasilien. Bei nur einem Drittel der Einwohner.
Ich tu mir schwer, über Merkel so zu denken. Hätte es sie nicht gegeben, wäre Europa am Ende. Da spielen noch viele weitere Aspekte mit. Wenn ich beispielsweise das Thema Umwelt anschneide, dann fällt mir eher der australische Premierminister Scott Morrison ein. Der sagt ganz klar: So lange Australien Kohle verkaufen kann, werde man sie auch fördern. Und man muss schon sagen: Ja, klar, auch in Deutschland ist viel Negatives passiert. Aber es gibt dort auch starke Bemühungen wie etwa die Abschaltung der Kohlekraftwerke. Bei Jair Bolsonaro sehe ich diese Bemühungen nicht. Daher würde ich Merkel und Bolsonaro nicht miteinander vergleichen.

Im Kern Ihrer Anzeige beim Internationalen Strafgerichtshof geht es darum, dass Sie und Ihr Team Bolsonaro "Beihilfe zur vorsätzlichen Tötung" vorwerfen. Wie kommen Sie darauf?
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag verfolgt im Grunde vier Typen von Verbrechen: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression. Umweltverbrechen, man spricht inzwischen von Ökozid, gehören nicht dazu. Unsere Strategie verfolgt das Ziel, Bolsonaros Wirken in Richtung Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu argumentieren. Nun ist es juristisch fast unmöglich, zu beweisen, dass die Zerstörung des Regenwaldes in Brasilien kausal für Todesfälle verantwortlich ist, die auf die Erderwärmung zurückgehen. Deshalb gehen wir einen anderen Weg. Wir sagen: Es gibt zahlreiche dokumentierte Fälle von Tötungen von Umweltschützern, die sich in Brasilien gegen die Zerstörung des Regenwaldes gestellt haben. Diese Morde werden jedoch nicht verfolgt. Und deshalb, glauben wir, können wir den Strafgerichtshof anrufen.

Sie haben Ihre Anzeige Mitte Oktober eingebracht. Hat sich Jair Bolsonaro schon bei Ihnen gemeldet?
Nein. Aber es gab eine indirekte Replik. Ein Journalist aus Deutschland sprach ihn auf unser Vorgehen an. In seiner Antwort ließ sich Bolsonaro pauschal über "verbrecherische NGOs" aus.

Und der Strafgerichtshof?
Der hat den Eingang bestätigt. Die Prüfung wird dauern.

Wie lange?
Der nächste Schritt ist die Entscheidung darüber, ob die Anzeige überhaupt zulässig ist. Ist sie das, würde das Gericht eine Voruntersuchung durchführen. 2019 wurde von einer Indigenen-Organisation aus Brasilien ein Fall eingereicht, wo es um den Schutz ihres Lebensraums ging. Die bekamen 2020 eine Rückmeldung, dass die Voruntersuchung nun starten werde. Daher glauben wir, dass wir bis Ende des ersten Halbjahres 2022 eine Stellungnahme bekommen könnten.

© Ricardo Herrgott/News

Zur Finanzierung des Projekt haben Sie die NGO AllRise gegründet. AllRise sammelt aktiv Spenden. Was kostet die Auseinandersetzung mit Jair Bolsonaro?
Die ganze Angelegenheit kostet ein paar Hunderttausend Euro. Der Großteil davon ist inzwischen finanziert.

Das ist viel Geld. Die Sache mit Freiwilligen durchzuführen, war keine Option?
Ich halte in diesem Zusammenhang nichts von der Probono-Idee. Wenn man so ein Projekt beginnt, dann braucht man anfangs wohl einen jugendlichen Zugang. Aber am Ende des Tages muss man die Leute, die es dafür benötigt, auch fair bezahlen. Und weil wir gute Leute brauchen, muss es so viel sein, dass diese Leute langfristig an Bord bleiben. Wer nur auf Freiwillige hofft, bekommt leider nur die D-Liga. Das ist auch eine Kritik an dieser Industrie aus NGOs und Freiwilligen-Organisationen. Ich gebe zu, dass ich dabei etwas pauschalisiere, aber: Um Mitstreiter zu gewinnen, beschränkt man sich dort zu sehr darauf, an das Gute im Menschen zu appellieren. Sehen Sie sich doch die Bewegung "Fridays for Future" einmal an. Gute Dinge kostenlos und freiwillig auf die Beine zu stellen, funktioniert auf Dauer nicht und macht die Menschen müde. Die Anzahl jener, die die Welt zum Guten verändern wollen, vervielfacht sich aber, wenn man ihnen auch eine berufliche Perspektive bietet. Das ist die eine große Schwäche in diesem Biotop, die wir bei All-Rise anders gedacht haben. Wir wollen weg vom Silo-Denken, hin zu einer kollaborativen Struktur. Bei AllRise arbeiten Anwälte, Klimatologen, Kommunikationsprofis und Unternehmer zusammen.

»Ich habe viel riskiert«

Haben Sie selbst auch etwas für dieses Projekt riskiert?
Ich habe viel riskiert, kann das künftig so, wie ich es bisher gemacht habe, nicht mehr machen. Ich habe mit dem Projekt keinen Cent verdient und gleichzeitig mein Berufsleben 14 Monate unterbrochen. Dabei stieß ich an Grenzen. Das bereue ich aber nicht. Denn: Wenn wir das hinbekommen, dann können die Auswirkungen so großartig sein, dass es das wert war. Wenn man einen Mann wie Jair Bolsonaro anspricht, dann muss man auch seine Sprache sprechen. Aus rein aktionistischen Gründen sich mit so einem anzulegen, ohne überhaupt zu wissen, was der Gegner für Möglichkeiten hat, das funktioniert nicht.

AllRise ist nicht zimperlich. Einer Ihrer Partner ist die Deutsche Umwelthilfe (DUH). CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet verglich deren Tätigkeit einmal mit einem "klassischen Abmahnverein". Klagen ist also deren Geschäftsmodell. Das finden nicht alle sympathisch.
Ob sympathisch oder nicht: Die DUH ist sehr effektiv. Und hat für ihre Aktivitäten einen sehr spitzen Zugang gefunden. Den braucht es bei diesem Thema. Ich bin der Meinung, dass wir mit lauwarmem Gewäsch in der Klimadiskussion nicht mehr weiterkommen.

Welcher Typ Klimaschützer sind Sie denn nun? Der, der auf Verbote setzt, oder einer jener, die sagen, dass die Technologie helfen wird?
Wir werden beides brauchen: Technologie und Verbote. Aber auch Anreize. Vor allem aber wird es Politiker mit Eiern brauchen. Diese sehe ich aber nicht. Schon gar nicht auf der Klimakonferenz in Glasgow.

»Die Kllimakonferenz ist ein PR-Event ohne Wirkung. Es geht nur noch um Versprechen ohne Konsequenzen. «

Waren Sie dort?
Ja. Wir haben dort ein Abbild von Jair Bolsonaro hinter Gittern auf Mauern projiziert. Trotzdem: Diese Konferenz ist im Lauf der Jahre unnötig geworden. Die erste Konferenz 1995 in Berlin war noch ein epochales Ereignis. Heute ist das ein PR-Event ohne Wirkung. Es geht nur noch um Versprechen ohne Konsequenzen. Was wir bräuchten, sind Verträge mit Pönalen. Der Mensch funktioniert einfach so. Das beste Beispiel war das Wochenende, an dem klar wurde, dass man nur noch geimpft oder genesen ins Wirtshaus kommt. Plötzlich gehen die Leute zur Covid-Impfung. Weil ihnen sonst das Schnitzel abhanden kommt.

Was könnte an die Stelle der Weltklimakonferenz treten?
Um solche Formate zu entwickeln, dafür bin ich wohl nicht der Richtige. Aber: Europäische Gipfel, bei denen Verträge abgeschlossen werden, könnten ein Vorbild sein. Dabei treffen sich Unterhändler schon Monate vorher, um Positionen und Papiere zu verhandeln. Beim Gipfel wird nur noch ein bindendes Papier unterschrieben.

Sie selbst drehen gerade am ganz großen, internationalen Rad. Wie beurteilen Sie die österreichische Klimapolitik?
Vorweg: Ich bin Unternehmer, kein Klimaexperte. Aber ich habe natürlich eine Meinung. Die CO2-Bepreisung von 30 Euro pro Tonne ist zu wenig. Aber dass wir überhaupt so etwas haben, ist ein Verdienst der Grünen. Das muss man ihnen hoch anrechnen, das war ein wichtiger Schritt. Auch die Auswirkung des Klimatickets ist wohl schwer zu beurteilen. Aber dass wir so etwas haben, ist großartig.

Sie haben einst den Fahrdienstleister Uber nach Österreich gebracht. Und damit auch mehr Autos auf die Straßen. Bringt Ihnen das von strengen Klimaschützern nun Kritik ein?
Meine Uber-Vergangenheit wird mir andauernd vorgehalten. Aber nicht wegen der Ökobilanz. Vielmehr deshalb, weil die Arbeitsbedingungen für die Uber-Fahrer so schlecht seien und ich deshalb keine moralische Legitimation hätte, eine Anzeige gegen Jair Bolsonaro einzubringen. Da werden merkwürdige Argumente konstruiert.

Aber ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen Klimaschutz und Fahrtendienst ist wohl nicht zu leugnen.
Wie Sie vielleicht festgestellt haben, komme ich nicht aus der Ökobewegung. Und Uber sehe ich heute mit anderen Augen. Solche Großkonzerne funktionieren, weil es woanders Verlierer gibt. Bei Uber sind das die Fahrer. Warum ich Uber interessant fand, war, weil ich mit dem österreichischen Taxigewerbe einen wunderbaren Gegner hatte. Eine von der Innung geführte Industrie, die einen Weg ging, der nur ihr selbst diente und nicht den Konsumenten zugute kam.