"Die Arbeitgeber werden ordentlich tanzen müssen"

Die Chefs in Tourismusbetrieben müssen raus aus der mentalen Hängematte, sagt AMS-Chef Johannes Kopf. Der Arbeitskräftemangel liege nicht an der "sozialen Hängematte" wie oft behauptet: Die Arbeitgeber waren verwöhnt und müssen nun lernen, sich um Mitarbeiter zu bemühen.

von Johannes Kopf © Bild: Ricardo Herrgott/News

Österreich ist bei der Arbeitslosigkeit unter dem Vorkrisen-Niveau 2019, viele Betriebe suchen händeringend nach Arbeitskräften. Goldene Zeiten auf dem Arbeitsmarkt?
Da muss ich differenzieren: Als AMS-Chef habe ich gerne wenig Arbeitssuchende. Ich erwarte einen massiven Rückgang der Arbeitslosigkeit. Auch bei der Langzeitarbeitslosigkeit könnten wir durch die Aktion "Sprungbrett" und die gute Konjunktur Zahlen wie vor der Krise erreichen. Trotzdem hat es mich bei "Goldene Zeiten" ein bisschen gerissen. Ich sehe auch die andere Seite des Arbeitsmarktes und rechne damit, dass es in manchen Bereichen einen echten Arbeitskräftemangel geben wird. Das ist auch eine echte Herausforderung, weil wir die Aufgabe haben, die Wirtschaft mit Arbeitskräften zu versorgen.

Gute Zeiten also eher nur aus Sicht der Jobsuchenden?
Auch aus Sicht der Beschäftigten. Bei diesem Wachstum gehe ich davon aus, dass die Arbeitgeber ordentlich tanzen werden müssen, um gute Leute zu haben. Soll heißen, dass die Löhne steigen werden und dass es Abwerbungen gibt zwischen den Branchen und innerhalb der Branchen. Wir haben derzeit rund 110.000 offene Stellen, 90 Prozent mehr als 2020 und 50 Prozent mehr als 2019. Bei unserer alljährlichen Unternehmenstour ging es heuer nicht darum, Jobs zu akquirieren, sondern wir haben den Arbeitgebern klar gemacht, es kommen andere Zeiten, und ihr müsst euch dafür aufstellen. Da geht es um Arbeitgeberattraktivität.

» Sie mussten sich nicht viel Mühe geben als Arbeitgeber«

Ist das in den Köpfen der Unternehmer angekommen? Der Präsident der Hoteliervereinigung Walter Veit sprach in einem Interview zuletzt noch von der "sozialen Hängematte" als Grund dafür, dass in der Branche Arbeitskräfte fehlen.
Ich habe mit ihm vor Kurzem gesprochen und mich ein bisschen dafür entschuldigt, das Aussagen von mir für Irritation in seiner Branche sorgen werden. Ich habe ihm gesagt: "Ihre Branche ist in den letzten zehn Jahren mit einem schier unbeschränkten Angebot an Arbeitskräften ungeheuer verwöhnt worden. Zehntausende gut motivierte, tüchtige, gut ausgebildete Leute aus den EU-Ländern sind nach Österreich gekommen. Das bedeutet, dass Sie sich nicht viel Mühe geben mussten als Arbeitgeber."

Und damit hat man diese jungen Leute vergrault?
Diese Branche hat zwei Jahre lang unsichere Zeiten erlebt und damit auch deren Beschäftigte. Zusagen haben wegen Lockdowns nicht gehalten, die Saison war kürzer, für zwei Monate zieht man nicht in ein anderes Land oder Bundesland, es gab Kurzarbeit mit weniger Geld, weniger Trinkgelder. Aber ich will nicht pauschalieren. Es gibt tolle Arbeitgeber, die nach vorne denken und wo die Leute jahrelang bleiben.

In der Krise wurden auch viele Leute arbeitslos.
Genau. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit im März 2020 war ja wahnsinnig hoch. Die Auflösungen waren zumeist einvernehmlich, weil man dem Arbeitgeber auch helfen wollte. Aber all das führt dazu, dass die Leute sich umorientieren. Manche Touristiker sprachen von einem "Massenexodus". Ich habe mir die Zahlen angeschaut. Das stimmt nicht. Ja, 40 Prozent jener Menschen, die 2019 im Tourismus gearbeitet haben, waren 2021 nicht mehr da. Aber wir haben das mit früher verglichen: 2017 auf 2019, 2015 auf 2017: Es waren immer 40 Prozent.

Das heißt, es gibt ständige Rochaden?
Nach zwei Jahren arbeiten vier von zehn Menschen nicht mehr im Tourismus. Das ist offenbar normal, aber weniger neue Leute wollen jetzt in diese Branche.

»Was bekommt das Personal zu essen? Das ist total emotional«

Das heißt: Tourismus ist die Branche, die am stärksten umdenken muss?
Ja, aber wir sagen als AMS nicht nur "Bessert euch", sondern "Wir helfen euch". Wir haben seit 15 Jahren die sogenannte Impulsberatung. Dabei gehen wir mit Unternehmensberatern in Betriebe -700 bisher allein im Tourismus - und bearbeiten Themen, die auch uns wichtig sind: Vereinbarkeit, Einkommensberichte, Qualifikationsplanung. Wie operiere ich in der Krise, muss ich wirklich gleich kündigen, oder nütze ich Kurzarbeit, Bildungskarenz, Arbeitszeitmodelle? Jetzt vor allem, wie finde und halte ich Personal? Das sind oft simple Dinge. Ein Vier-Sterne-Betrieb hat Kinderbetreuung, auch am Wochenende und am Abend. Wir haben sie auf die Idee bringen müssen, das auch den Mitarbeiterkindern anzubieten. Plötzlich bewerben sich mehr Frauen. Oder die Frage "Was bekommt das Personal zu essen, wie ist die Unterbringung?" Das ist total emotional. Was biete ich außer dem 13. und 14. Gehalt? Es ist ja nicht so, dass die alle nichts bieten. Aber damit hat sich Branche bisher zu wenig beschäftigt.

Und das löst alle Probleme bei der Arbeitskräftesuche?
Auch wir als Gäste werden uns umgewöhnen müssen. Als ich ein Kind war, hat man auf der Skihütte in den Semesterferien vor 11.30 oder nach 13.30 Uhr essen können. Dazwischen war sie voll und man hat eine halbe Stunde gewartet. Jetzt ist es so, dass man auf einer fünfmal so großen Terrasse jederzeit einen Platz bekommt. Die brauchen daher fünfmal so viel Personal. Wenn es das nicht mehr gibt, wird auch der Gast umdenken müssen. Oder das Schnitzel kostet halt doppelt so viel.

Gibt es Branchen, die bereits besser um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werben?
Größere Betriebe können das besser, weil die HR-Departments und Personalentwicklung haben. Leute, die das gelernt und Zeit dafür haben. In kleinen Tourismusbetrieben arbeitet ja in der Saison jeder, inklusive Chef und Chefin. Da kann sich kaum jemand darüber Gedanken machen. Eine Branche, die deutlich weiter ist, ist die Industrie, weil es dort schon viel länger einen Fachkräftemangel gibt.

Wird dieser Trend am Tourismus-Arbeitsmarkt länger anhalten?
Es wird wieder besser werden. Jeder zweite Arbeitnehmer im Tourismus kommt aus dem Ausland. Der österreichische Arbeitsplatz ist im europäischen Vergleich noch immer attraktiv. Es gibt 13. und 14. Gehalt, höhere Löhne und in der Regel Gratisunterkunft. Unser Tourismus ist also im Vergleich zu anderen Ländern attraktiv, aber im Vergleich zu anderen Branchen weniger. Auch wegen der oft nicht ganzjährigen Beschäftigung und Arbeitszeiten, die sich mit Kindern schwer vereinbaren lassen. Darum ist es eine junge Branche mit hohem Personaldurchsatz.

Wie suchen Sie Ihr Personal?
© AMS/News QUELLE: AMS

In den nächsten Jahren kommen die Baby-Boomer ins Pensionsalter. Spürt man das schon am Arbeitsmarkt?
An sich haben wir jetzt schon mehr 65-Jährige als 15-Jährige. Es müssten also schon seit Jahren weniger Arbeitskräfte werden. Werden es aber nicht, weil wir laufend später in Pension gehen, dieser Effekt ist stärker als der demografische. Das gesamte Angebot an Arbeitskräften wächst, wir reden von einer halben Million Menschen in den letzten zehn Jahren, bei insgesamt 3,9 Millionen Beschäftigten. Das sind neben den inländischen Kräften Menschen aus der EU, darunter viele Deutsche, deren Zahl sich seit 2007 verdoppelt hat, und Menschen aus Drittstaaten - früher durch Familienzusammenführung aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien, heute Geflüchtete. Die Leute, die gekommen sind, sind gut und jung. Sonst wäre unsere demografische Lücke katastrophal. Ist sie aber nicht - wegen dieser Entwicklung.

Wir brauchen diese Zuwanderung.
Ganz genau. Durch sie geht es unserem Wirtschaftsstandort besser als anderen im europäischen Vergleich. In Estland passiert das Gegenteil, da fehlt nach zehn Jahren ein Viertel der Jungen unter 25. Auch im Krisenjahr 2020 ist das Arbeitskräfteanbot bei uns um 45.000 Menschen gestiegen, 2021 nur um 10.000 -und zwar deshalb, weil der Anteil der Österreicher um 25.000 gesunken ist, während 35.000 aus dem Ausland kamen. Hier sieht man die Demografie und die Baby-Boomer. Aber ich sage voraus, dass sich das ab 2024 ändern wird, weil ab da das Frauenpensionsalter angeglichen wird. Damit sind 20.000 Frauen jährlich zusätzlich am Arbeitsmarkt.

Arbeitskräftepotentials nach Nationalitäten
© AMS/News QUELLE: AMS

Woher Arbeitskräfte kommen: Der Anstieg 2011 ist darauf zurückzuführen, dass Menschen aus den zehn EU-Betrittsländern 2004 ab 1. Mai in Österreich arbeiten durften. 2014 gab es den gleichen Effekt durch die Beitrittsländer von 2007. Seit 2020 dürfen Arbeitskräfte aus Kroatien (Beitritt 2013) arbeiten. "Sonstige Ausländer:innen" umfasst z. B. Asylberechtigte. Bei den Arbeitskräften aus Österreich sieht man 2014 die Abschaffung der "Hacklerregelung".

Und wir sind die Jobaussichten dieser älteren Arbeitnehmerinnen?
Wenn das Frauenpensionsalter steigt, sind mehr Menschen am Arbeitsmarkt. Unsere Untersuchungen zeigen, dass der überwiegende Teil beschäftigt sein wird, denn es entsteht auch mehr Beschäftigung, wenn mehr Leute am Arbeitsmarkt sind. Ein Beispiel: Wenn Sie einen neuen Kasten wollen, der Tischlerbetrieb hat Kapazitäten, erledigt den Auftrag und Sie sind mit der Arbeit zufrieden, dann werden Sie sich vielleicht auch noch ein Regal machen lassen. So entsteht zusätzliche Wertschöpfung. Wenn man keine Zeit hat, kaufen Sie den Kasten bei Ikea, der wird im Ausland produziert, und es entsteht keine zusätzliche Beschäftigung. Wenn die Menschen später in Pension gehen, gibt es auch mehr Jobs. Außerdem: Wenn Frauen ein halbes Jahr später in Pension gehen, werden sie ja deswegen nicht gekündigt. Früher dachten wir, wir brauchen deswegen ein Jugendpaket beim AMS. Aber es werden ja nicht Alte durch ganz Junge ersetzt. Eher müssen "Mittelalte" länger auf einen Job warten.

Die 110.000 Jobs, die Sie dieser Tage vermitteln können, sind ja nicht querbeet verstreut. Wo sieht es gut für Arbeitssuchende aus, welche Branchen bleiben schwierig?
Mittelfristig werden jene Branchen stark wachsen, denen es in den letzten beiden Jahren schlecht gegangen ist: Tourismus und Gastronomie, weil wir wieder reisen und ausgehen wollen. Die exportorientierte Industrie, denn da liegen viele Aufträge, die durch Lieferkapazitäten und Chipmangel einen Rückstau haben. Die Baubranche läuft immer noch sehr gut. In der Pandemie ist so viel renoviert worden, dass noch Aufträge offen sind. Vieles wurde auch wegen der zurzeit hohen Rohstoffpreise nach hinten geschoben. Da erwarten wir viel Beschäftigung, wenn sie Arbeitskräfte finden. Wo es weniger wird: Banken und Versicherungen. Da wird so viel online gemacht, dass immer mehr Filialen schließen. Und: Verkehr und Logistik. Es gibt den Trend, dass sich die Leute darauf besinnen, dass nicht alles jederzeit aus aller Welt geliefert werden muss, man achtet auf Regionalität. Das merkt man hier schon.

Welche Menschen mit welcher Ausbildung werden es auch in "goldenen Zeiten" schwer haben?
Zum einen gibt es ein regionales Problem. In Oberösterreich kann ein arbeitsloser Maurer zwischen drei offenen Stellen wählen, in Wien kommt auf drei arbeitslose Maurer eine. Zudem gibt es ein qualifikatorisches Problem. Trotz unserer erfolgreichen Aktion "Sprungbrett" gibt es immer noch viele Betriebe, die Leute, die zwei Jahre lang arbeitslos sind, nicht nehmen. Wir haben aber einen Anteil von etwa 30 Prozent, die schon länger als ein Jahr arbeitslos sind. Viele Arbeitgeber diskriminieren bei der Personalsuchen unbewusst. Sie sprechen Frauen nicht richtig an oder denken gar nicht an Ältere. Da frage ich dann: "Haben Sie schon einmal überlegt, dass diesen Job auch jemand über 50 machen kann?"

Manche vergleichen die heutigen Arbeitslosenzahlen mit jenen früherer Jahrzehnte, wo es viel weniger gab. Ist das zulässig?
Absolute Arbeitslosenzahlen zu vergleichen, ist nicht sinnvoll, weil wir ja rund eine Million mehr Beschäftigte haben als 1980. Daher macht der Vergleich der Arbeitslosenquoten mehr Sinn. Dazu kommt: Wir werden nie wieder eine Arbeitslosigkeit wie in den 1970er-Jahren sehen. Früher haben Menschen in einer Firma gelernt und sind dort in Pension gegangen. Heute dauert das durchschnittliche Dienstverhältnis in Österreich zwei Jahre. Beim größten Teil der Arbeitslosen handelt es sich um eine kurze, friktionelle Arbeitslosigkeit. Die ist ja nichts Schlimmes.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der aktuellen Printausgabe von News (06/2022) erschienen.