Was passiert, wenn Kurz
nicht Erster wird?

Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner erzählt, was sie an Sebastian Kurz besonders schätzt, was sie aus der Vergangenheit gelernt hat und wie sie sich die Zukunft "ihres" Bundeslandes vorstellt

von Johanna Mikl-Leitner - Was passiert, wenn Kurz
nicht Erster wird? © Bild: News/Ricardo Herrgott

Sie sind schon lange bei der ÖVP, waren Innenministerin. Nützt oder schadet Ihnen diese langjährige Erfahrung in Ihrer derzeitigen Funktion als Landeshauptfrau?
Die Erfahrung nützt mir natürlich, vor allem das intensive Netzwerk, das ich mir in den letzten Jahren auf nationaler und auf internationaler Ebene geschaffen habe. Dieses Netzwerk ist mir jetzt hilfreich für meine Arbeit für Niederösterreich.

Dennoch ist "Berufspolitiker" fast ein Schimpfwort geworden. Die neue ÖVP setzt ganz auf Quereinsteiger. Was können die besser als Sie?
Da muss man schon sehen, dass Sebastian Kurz von Anfang an gesagt hat, dass er gern eine gute Mischung hätte zwischen Neuen und Erfahrenen. Und durch die Aufstellung auf der Bundesliste und auf der Länderliste haben wir diesen guten Mix, und das macht es aus. Das ist ein Zeichen, dass wir uns öffnen, bereit sind für Neues und vor allem auch, dass Traditionelles, Bewährtes genauso gut und wichtig ist.

Sie sind sehr eng mit Kurz. Hat es Sie nicht trotzdem irritiert, dass die ÖVP in den Werbesujets gar nicht mehr vorkommt?
Es geht bei Wahlen immer mehr um Persönlichkeiten. Und ich habe von Anfang an gesagt, dass ich Kurz voll unterstütze. Er hat auch volle Handlungsfreiheit, was das Themensetting, die Personalvorschläge auf der Bundesliste angeht. Wir machen das in den Ländern ja seit jeher nicht anders. Es gilt daher: gleiche Rechte, gleiche Chancen und damit auch die gleiche Verantwortung für die Bundesebene wie für die Länderorganisationen.

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Verstehen Sie, dass langjährige Parteigänger sagen: Auf meine Expertise wird nicht mehr so viel Wert gelegt? Da kommen viele von außen, die es angeblich besser können.
Ich glaube, beides ist wichtig, Neues und Erfahrung. In den Ländern gibt es ja auch mit den Landeshauptleuten sehr viel Erfahrung, die auch weiterhin für die bundespolitische Ebene genutzt werden kann.

Rechnen Sie damit, dass nach der Wahl von den diversen Bünden Forderungen gestellt werden? Sie kommen ja selbst aus dem Arbeitnehmerbereich.
Nein. Ich sehe übrigens die Organisation der Partei mit ihren diversen Teilbereichen als ganz großen Vorteil, weil es keine andere Partei gibt, die - wie wir -alle Interessengruppen unserer Gesellschaft abbildet und sich dadurch auch inhaltlich mit allen unterschiedlichen Anliegen auseinandersetzt. Für mich ist es mehr ein Vor-als ein Nachteil.

Was halten Sie davon, Bezirkshauptmannschaften zusammenzulegen?
Da halte ich viel vom niederösterreichischen Weg. Einzelne Bezirkshauptmannschaften zu Kompetenzzentren zu entwickeln, aber keine Zusammenlegung. Die Bezirkshauptmannschaften sollen in den Regionen die erste Servicestelle für Gemeinden und Bürger sein.

Ihr neuer Liste-Kurz-Kollege Josef Moser hat in seiner Zeit als Rechnungshofpräsident vorgeschlagen, diese Bezirkshauptmannschaften zusammenzulegen: Sehen Sie da einen Widerspruch?
Überhaupt nicht. Ich schätze Moser sehr und habe die Empfehlungen des Rechnungshofes immer als wertvollen Beitrag gesehen. Wobei viele davon umsetzbar sind und manche in der Praxis nicht. In diesem Fall geht es ja um Verwaltungsvereinfachungen, und mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen in den BHs erreichen wir genau das. Ich gehe in Niederösterreich bewusst den Weg der Dezentralisierung - das stärkt den ländlichen Raum.

»In den Ländern gibt es mit den Landeshauptleuten viel Erfahrung, die im Bund genutzt werden kann«

Andererseits gerät der Föderalismus immer wieder in Verruf, wenn man etwa an Doppelgleisigkeiten denkt. Haben Sie konkrete Beispiele, wo was besser funktioniert?
Gegen die Doppelgleisigkeiten bei Förderungen ist die Transparenzdatenbank das richtige Mittel, und Niederösterreich wird sich daran in Zukunft auch beteiligen und transparent einmelden, das ist mir ein persönliches Anliegen. Und es braucht bei den Zuständigkeiten klarere Zuordnungen. Da gibt es sicher Aufgaben, die auf Bundesebene besser angesiedelt sind und andere auf Landesebene. Das Thema Denkmalschutz oder die Detailausgestaltung der Raumordnung und der Bauordnung ist sicher besser in den Händen der Länder. Der Bereich der Sicherheit, das kann ich als ehemalige Innenministerin ganz klar sagen, muss schon zentral gesteuert werden. Man braucht sich nur andere Länder ansehen, wo das nicht so geregelt ist, etwa in Belgien oder in England, dass das Probleme mit sich bringt.

Man hat den Eindruck, dass sich die ÖVP-Landeshauptleute vor der Wahl zurückhalten. Wird sich das nach der Wahl wieder ändern?
Wir wollen alle, dass Sebastian Kurz der neue Bundeskanzler wird und erfolgreich für das Land arbeiten kann. Daher steht die Zusammenarbeit und das Miteinander im Mittelpunkt, und so soll es auch bleiben. Ich bin fest davon überzeugt, dass das gelingt.

Wie groß war Ihr Einfluss auf Kurz, wie groß ist Ihr Einfluss auf ihn?
Es ist kein Geheimnis, dass wir uns immer gut verstanden und aufs Engste zusammengearbeitet haben, und die Zusammenarbeit funktioniert nach wie vor auf Zuruf.

Wo hat Kurz von Ihnen gelernt? Konkret in Integrations-und Flüchtlingsfragen?
Ich glaube, dass er von mir und ich auch von ihm einiges gelernt habe. Was ich an Sebastian besonders schätze: Dass er immer wieder Expertinnen und Experten oder Erfahreneren zuhört und daraus auch seine Schlüsse zieht.

Hat er das Zuhören von Ihnen gelernt?
Das ist eine Tugend, die er selbst in die Politik mitgebracht hat: Zuhören und nicht beratungsresistent zu sein.

Als Innenministerin ist Ihnen eine historische Rolle zugekommen. Inwiefern hat Sie diese Phase geprägt?
Meinem Grundsatz treu zu bleiben, zu seiner Meinung und seiner Haltung zu stehen, auch wenn es viel Gegenwind gibt -das wurde durch diese Erfahrungen sicher noch gestärkt.

Haben Sie damals Fehler gemacht?
Keiner ist frei von Fehlern. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass die Grundentscheidungen die richtigen waren. Das lässt sich daran erkennen, dass die Maßnahmen, die wir gesetzt haben, die Konzepte, die wir vorangetrieben haben, heute auf europäischer Ebene mehrheitsfähig sind und im Mittelpunkt der Debatte und Diskussion stehen.

Die Lage auf der Balkanroute hat sich sehr verbessert, einige Leute kommen aber immer noch durch. Ist die Politik bis zu einem gewissen Grad machtlos?
Im Gegenteil. Wir haben durch den Grenzzaun Druck erzeugen können, um die Balkanroute zu schließen. Und damit den Zustrom massiv gebremst. Jetzt geht es um die Kontrolle der europäischen Außengrenze und natürlich auch um Hilfe vor Ort, in erster Linie in Afrika.

Sie halten es für möglich, dass man die Außengrenzen wirklich schließt?
Das hat uns damals auch jeder gesagt, dass es nicht möglich ist, die Balkanroute zu schließen. Entscheidend ist, ganz klare Signale zu setzen und dass die gesamte Bundesregierung an einem Strang zieht, sodass die anderen Länder wissen, der Republik Österreich ist es ernst. So auch bitte mit der Mittelmeerroute.

Wird Erdoğan die Grenzen aufmachen, sobald er das Geld aus Europa bekommen hat?
Es geht jetzt darum, Erdoğan die Grenzen aufzuzeigen. Und wenn man sich die wirtschaftliche Entwicklung der Türkei anschaut, dann sollte er wissen, dass die Türkei Europa braucht.

Eine Folge der Zuwanderung ist, dass die Anzahl der Mindestsicherungsbezieher sehr stark angestiegen ist, in NÖ um 61 Prozent seit 2012. Sie haben bereits Maßnahmen gesetzt, etwa eine Deckelung eingeführt, braucht es weitere Verschärfungen, um eine Kostenexplosion zu verhindern?
Derzeit sehe ich keinerlei Veranlassung. Das Entscheidende ist, dass wir eine Migration ins Sozialsystem verhindern. Daher ist unser Deckel bei der Mindestsicherung genau richtig. Da braucht es einfach eine neue Gerechtigkeit. Darunter verstehen wir, dass wir arbeitende Menschen entlasten. Schwachen Hilfe und Unterstützung geben und jene sanktionieren, die das System ausnützen. Was wünschenswert wäre: eine vernünftige Mindestsicherungsregelung einheitlich für alle Bundesländer.

»In der Kleinstkinderbetreuung werden wir sicher noch nachschärfen«

Beobachten Sie die Entwicklung in Wien mit Sorge?
Ich kann nur sagen, dass wir eine starke Migration von Wien nach Niederösterreich verspüren. Österreicherinnen und Österreicher, die nach Niederösterreich kommen, weil dort junge Familien Lebensqualität, gut organisierte Kindergärten, Schulen, Ausbildungsplätze vorfinden.

Aber die Kindergärten sperren schon um zwei am Nachmittag zu.
Nein, wir haben das - noch in meiner Zeit als Soziallandesrätin -in Niederösterreich so geregelt, dass der Kindergarten ab drei Kindern so lange offen sein muss, wie die Eltern das brauchen. Wenn Sie eine Gemeinde haben, wo es da Probleme gibt, dann kommen Sie bitte mit dem Fall zu mir.

Manchmal ist die Bereitschaft der Gemeinden begrenzt.
Das kommt auch auf den Bürgermeister oder die Bürgermeisterin an. Aber eines ist klar, Familienpolitik ist heute für jede Gemeinde eine ganz entscheidende Standortfrage. Jede Gemeinde, die sich entwickeln will und will, dass sich junge Familien dort ansiedeln, braucht ordentliche Kinderbetreuung von der Kleinstkinderbetreuung bis zur schulischen Nachmittagsbetreuung. Und vor allem in der Kleinstkinderbetreuung werden wir sicher auch noch nachschärfen.

Bei Ihnen stehen auch bald Wahlen an. Werden Sie als Liste Johanna Mikl-Leitner antreten?
(Lacht.) Wir werden als Volkspartei NÖ antreten. Es heißt ja auch "Volkspartei -Liste Sebastian Kurz".

Obwohl das auf den Wahlplakaten nicht draufsteht.
Die Persönlichkeiten werden immer wichtiger, und dementsprechend versucht man, die Persönlichkeiten in den Vordergrund zu stellen. Das ist eine Entwicklung der letzten Jahre, das ist nichts Neues.

Werden Sie auch mit Quereinsteigern arbeiten?
Darüber können wir reden, wenn wir uns mit der Wahlkampfvorbereitung beschäftigen, jetzt beschäftigen wir uns einmal intensiv mit der Arbeit für Niederösterreich.

Sie können als Landeshauptfrau viel mehr Sympathiepunkte sammeln als früher. Genießen Sie das auch?
Es gibt sicher mehr sogenannte Wohlfühltermine, ich stehe nicht an, das zu sagen. Man steht in der Rolle in sehr engem Kontakt mit der Bevölkerung, und das ist das Schöne, wenn man direkt über die Wünsche, Sorgen und Probleme reden und sofort helfen kann. Das macht es natürlich schon schön.

Was passiert, wenn Kurz am 15. Oktober nicht Erster wird?
Davon gehe ich nicht aus. Jetzt geht's darum, volle Kraft voraus zu gehen, um die Wahl zu schlagen.

Nach der ersten Legislaturperiode, was möchten Sie rückblickend von sich sagen können, welchen Stempel möchten Sie NÖ aufdrücken?
Niederösterreich vom größten zum schnellsten Bundesland gemacht zu haben -um damit die Wirtschaft zu stärken und Arbeitsplätze zu schaffen. Und dass es wieder gelungen ist, Niederösterreich noch ein Stück mehr international zu positionieren, vor allem in der digitalen Welt. Der Ausbau von Breitband ist heute mindestens so wichtig wie der Straßenbau. Es sind neue Zeiten und neue Herausforderungen.

Hören Sie oft, dass die Leute sagen, unter dem Erwin haben wir das so gemacht ?
Nein, aber was ich wirklich sagen kann, dass es landauf, landab eine sehr große Wertschätzung für Erwin Pröll und seine Lebensleistung für unser Land gibt. Und dass andererseits mir Anerkennung und Zustimmung zu meiner Arbeit als Landeshauptfrau entgegengebracht wird. Beides freut mich natürlich.

Zur Person

Johanna Mikl-Leitner
1964 in Hollabrunn geboren, studierte die junge Niederösterreicherin Wirtschaftspädagogik an der WU. Sie war Trainee bei der Industriellenvereinigung und stieg 1995 in die Marketingabteilung der ÖVP Niederösterreich ein. Seitdem ging es nur nach oben. Zuerst Landesrätin für Soziales, dann Innenministerin in der Regierung Werner Faymann und seit 19. April 2017 Landeshauptfrau von Niederösterreich.