Was wirklich hinter
Anorexie & Co. steckt

RTL wollte mit Experiment Essstörung imitieren. Doch was steckt wirklich dahinter?

Er ist für seine extremen Experimente bekannt. Nun hat sich Jenke von Wilmsdorff in einer Essstörung versucht. Vier Wochen lang hat er gehungert. Auf diese Weise wollte der RTL-Reporter eine Anorexie imitieren. Er hat das Projekt durchgezogen. Doch was heißt es wirklich, an einer Essstörung zu leiden? Und nicht nur so zu tun als ob. News.at fragte nach.

von Jenke © Bild: RTL/Jürgen Schulzki

Jenke von Wilmsdorff wollte herausfinden, wie es ist, an einer Essstörung zu leiden. Er entschloss sich, vier Wochen lang zu hungern und nur flüssige Nahrung zu sich zu nehmen. Ein auf Essstörungen spezialisierter Psychologe begleitete den Eigenversuch. Ebenso wie ein praktischer Arzt. Anfangs fiel es Jenke noch schwer durchzuhalten. Doch dann fand er laut "RTL" Gefallen daran, Hunger zu empfinden und immer dünner zu werden. Nun sei er "in der Anorexie angekommen", verlautbarte der Psychologe.

RTL-Reporter Jenke von Wilmsdorff
© RTL/Jürgen Schulzki

Nach 28 Tagen war das Experiment zu Ende. Das wurde gefeiert. Mit einer Currywurst und Pommes. Anorektiker auf Zeit? Geht das? Wohl eher kaum, steckt hinter einer echten Essstörung doch viel mehr als eine im Vorfeld geplante, zeitlich begrenzte Umstellung der Essgewohnheiten. Wenn diese auch, wohl zwecks guter Einschaltquoten, sehr extrem ausfällt. Was aber bedeutet es wirklich, an einer Essstörung zu leiden? Und warum nimmt die Zahl der betroffenen Frauen wie Männer zu? Wir befragten den Experten.

Mehrere Faktoren spielen zusammen

"Wenn jemand damit beginnt abzunehmen, spielen mehrere Faktoren zusammen", erklärt der Psychotherapeut Dr. Stefan Bienenstein. Meist reagiert das Umfeld auf den erfolgreichen Gewichtsverlust mit Glückwünschen. Ein Erwachsener kann damit in der Regel umgehen. Ein Jugendlicher unter Umständen nicht. "Wenn alle klatschen, warum sollte er dann damit aufhören?" Der Jugendliche erntet Beifall und Anerkennung. Und will mehr davon. "Die Sache beginnt sich zu verselbständigen."

»Wenn alle klatschen, warum sollte man dann aufhören?«

"Die Angst, schiach zu sein"

Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Äußeren kann, ähnlich wie bei der Mager- oder der Ess-Brechsucht, auch eine Dysmorphophobie auslösen. "Dysmorphophobie", so Dr. Bienenstein, "ist die kleine Schwester der Essstörungen. Dabei handelt es sich um die Angst, schiach zu sein." Diese Angst wird genährt durch die Bilder ausgehungerter Models und magerer Stars, die heutzutage das Schönheitsbild prägen. "Die ganze Modelschiene ist die reinste Magersuchtsproduktionsmaschinerie."

Junge Frau, die an Anorexie leidet
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Während bei der Magersucht die Nahrungsaufnahme vermindert oder gar verweigert wird, assoziiert man mit Bulimie das selbst herbeigeführte Erbrechen des zuvor Gegessenen. Auf den Heißhunger folgt die Essattacke, auf sie wiederum das Erbrechen. Was viele nicht wissen: Nicht jeder Bulimiker erbricht. Viele setzen andere, ebenso drastische Maßnahmen um abzunehmen. Die Einnahme von Abführmittel, so Dr. Bienenstein, oder ein dreistündiges Bad in der brennheißen Wanne sind nur einige davon.

»Dysmorphophobie ist die kleine Schwester der Essstörungen.«

Höhenflug der Gefühle

"Fasten löst eine Vielzahl von positiven Emotionen aus. Man fühlt sich erhaben. Man kontrolliert sich und seinen Körper. Seine Körperbedürfnisse total kontrollieren zu können ist für viele ein tolles Gefühl." Das Thema Kontrolle kommt bei Magersüchtigen und Bulimikern unterschiedlich zum Tragen. Während des Essanfalls verliert der Bulimiker die Kontrolle über sein Verhalten. Diesen Verlust kompensiert er mit dem Erbrechen. Magersüchtige hingegen halten beharrlich an der Kontrolle über ihr Essverhalten fest.

Völlige Isolation

Ist das Essverhalten erst mal pathologisch, ist es schwer, den Teufelskreis zu durchbrechen. Der Betroffene zieht sich zurück, isoliert sich. Spricht man ihn auf seine Krankheit an, riskiert man, dass er sich noch weiter zurückzieht. Doch tatenlos zusehen? Der Experte vertritt die Meinung, dass hier Zivilcourage angebracht ist. "Als guter Freund sagen, ich mach' mir Sorgen, ich möchte, dass Du professionelle Hilfe aufsuchst" - diese Herangehensweise bietet sich an, schöpft man Verdacht, dass eine Essstörung vorliegt.

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