Jedermann-Premiere bei
den Salzburger Festspielen

Dass die Aufführung das vom Publikum geforderte und akklamierte Ereignis wird, ist dem großartigen Tobias Moretti gutzuschreiben

Den wenigen Neuinszenierungen, die dem Salzburger „Jedermann“ in bald 100 Jahren Aufführungsgeschichte zuteil wurden, gingen stets lange und bange Debatten über Zeitpunkt und Beschaffenheit voran. Denn trotz literarisch bescheidener Qualität ist „Jedermann“ die Salzburger Königs-Causa: Das Läuterungs- und Erbauungsspektakel auf dem Domplatz nährt die Festspiele dank stürmischem Zulauf.

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Heuer wurde der neuen Intendanz die Entscheidung nervenintensiv abgenommen: Drei Monate vor der Premiere überwarf man sich mit dem Team der vier Jahre lang gezeigten Inszenierung. Der Regisseur Michael Sturminger erstellte in Rekordgeschwindigkeit das Gegenkonzept zum zuletzt waltenden Fantasy-Märchen in Breitwandästhetik: Das Stück vom Sterben des reichen Mannes sollte versachlicht und ins fresskapitalistische Heute verlegt werden.

Nun führt aber Hofmannsthals zuspätbarockes Versdrama längst ein Eigeneben, das vorwiegend aus Mythos und Publikumserwartung besteht. Befreit man es aus dem mythologisch-katholisch-folkloristischen Umfeld, offenbart es seine bescheidene Substanz. Daran krankte – witterungsbedingt im Großen Festspielhaus – auch die Premiere am Freitag. Jedermann ist jetzt ein überdrehender, Trompete spielender Milliardär, ein gewissen- und gedankenloser Player in der unmenschlich gewordenen Wirtschaftswelt. Auch an den bemüht naiven Knittelversen des Originals wurde gearbeitet – der reiche Mann will jetzt den Dom kaufen und zu einem „Lusthaus“ ausbauen lassen, bis ihm der Tod diese Pläne durchkreuzt. Die ihn umgebenden Figuren, bei Hofmannsthal allesamt von allegorisch-pädagogischer Beschaffenheit, sind jetzt großteils konkrete, aber auch arg eindimensionalen Zeitgenossen. Darunter leiden die durchwegs exzellenten Schauspieler, am wenigsten Peter Lohmeyer als Tod, Edith Clever als Mutter, Mavie Hörbiger als Gute Werke und Stefanie Reinsperger, der in der Nicht-Rolle der Buhlschaft ein paar intime Momente und eine lapidare, bewegende Abschiedsszene gelingen.

Dass die Aufführung am Ende doch noch das vom Publikum geforderte und akklamierte Ereignis wird, ist dem großartigen Titeldarsteller Tobias Moretti gutzuschreiben: Er vollzieht eine atemberaubende Wandlung, eine schreckenvolle Reise an die letzten Wahrheiten. Dass „Jedermann“ jetzt wieder in der schauspielerischen Höchstliga ressortiert, ist das Verdienst dieser Neuinszenierung.