Was würde der junge Jamie Oliver jetzt tun?

Der britische Starkoch Jamie Oliver hat die letzten zwei Jahre nicht nur für die Entwicklung neuer Projekte genutzt, sondern auch, um sein Leben zu überdenken und zu verändern. Inspiration holt er sich dabei gerne bei einer ganz besonderen Person: seinem jüngeren Ich.

von Jamie Oliver © Bild: imago/PanoramiC
Der britische Starkoch Jamie Oliver wurde 1997 bei einer Doku über das legendäre River Café entdeckt, in dem er als Koch arbeitete. Oliver lebt mit seiner Frau und drei seiner fünf Kinder in Essex. Er hat bisher 25 Kochbücher veröffentlicht und zahlreiche Fernsehserien produziert. Bekannt ist er auch für sein soziales Engagement. Mit seiner Organisation hat er sich unter anderem das Ziel gesetzt, die Zahl der übergewichtigen Kinder in Großbritannien bis 2030 zu halbieren.

Die letzten zwei Jahre haben in unser aller Leben viel verändert. Wie hat sich dies bei Ihnen gezeigt?
Ich bin da keine Ausnahme. Ich habe mein Leben überdacht, mir angesehen, wie und womit ich meine Zeit verbringe, und einiges umgestellt. Seit dem Beginn meiner Karriere habe ich beruflich so vieles ausprobiert und angepackt. Gerade in den letzten zehn Jahren wurde mein Gehirn dabei immer fokussierter darauf, möglichst effizient zu sein, und es gab immer weniger Spielraum, dass auch mal etwas schiefgehen kann. In den letzten zwei Jahren hatte ich dann öfter die Möglichkeit, mir die Art, wie ich lebe, genauer anzusehen und Dinge in Frage zu stellen. Ich gehe jetzt manches in einigen Bereichen anders an.

Jamie Oliver
© imago images/PA Images Jamie Oliver 2020 auf der Bühne für das "WE Day UK"-Charity-Event in London.

Wie kann man sich diese Veränderungen vorstellen?
Ich versuche, meine Chancen zu verbessern, gut und gesund alt zu werden. Ich achte mehr auf mich, bewege mich, kümmere mich darum, dass ich besser schlafe. Schlaf ist so ungemein wichtig und wird meist so sehr unterschätzt! Zudem schaffe ich mir ganz regelmäßig Freiräume, in denen ich nur für mich bin. Dann probiere ich ganz neue Dinge aus, die mich auf eine ungewohnte Art fordern, mir aber auch Spaß machen.

Für die Fernsehserie zu meinem aktuellen Buch, "Together", habe ich zum Beispiel die Musik geschrieben. Es ist nichts Opulentes geworden, sondern eher simpel. Ich bin also nicht unter die Liedermacher gegangen, es sind eher einfache Klänge, die für mich Sinn ergeben. Es hat so viel Spaß gemacht, daran zu arbeiten und diese Melodien wachsen zu sehen. Wir sind dann damit in die Abbey Road Studios gegangen, und ein Orchester hat die Musik eingespielt. Dieser kreative Prozess war toll. Außerdem habe ich zum Beispiel auch am Schreiben selbst gearbeitet und damit einem der Dämonen meiner Kindheit den Kampf angesagt. Das mag jetzt komisch klingen, weil ich doch seit Jahrzehnten Kochbücher veröffentliche, aber das Schreiben an sich war für mich schon in der Schule eine Quälerei. Ich habe deshalb die Texte für meine Bücher immer am Diktaphon gestaltet und formuliert, meine Mitarbeiter haben sie dann zu Papier gebracht. Es fühlt sich gut an, Dinge neu anzugehen, sich auszuprobieren und dabei andere Teile des Gehirns zu verwenden und in Schwung zu bringen.

Wirkt sich das auch auf Ihre Arbeit aus? Ist der aktuelle Jamie ein anderer als jener am Beginn seiner Karriere?
Müsste ich den jungen Jamie mit knappen Worten beschreiben, dann würde ich sagen: naiv, hart arbeitend und voller Freude. Neugierig auf Essen und Kochen, auf das Leben, darauf, alleine zu wohnen. Und heute, was beschreibt mich jetzt? Unendlich dankbar, immer noch voller Freude und Neugier, aber definitiv weniger naiv.

»Heute ist mir bewusst, dass vieles davon nur durch meine Naivität und völlige Unbefangenheit möglich war«

Welche Rolle hat Naivität bei Ihrem Erfolg gespielt?
Wenn ich zurückblicke und mir die Momente meiner Karriere anschaue, auf die ich ganz besonders stolz bin und die zu meinen absolut liebsten Erinnerungen gehören, dann erschrecke ich zum Teil. Weil mir heute bewusst ist, dass vieles davon nur durch meine Naivität und völlige Unbefangenheit möglich war. Und die richtige Dosis Dummheit. Ich war jung, naiv und gerade dumm genug.

Wie meinen Sie das?
Als ich als "Naked Chef" startete oder als ich mein Restaurant "Fifteen" eröffnete, war ich mein eigener Boss. Ich war niemandem Rechenschaft schuldig, und ich machte einfach, was und wie ich es für richtig hielt. In dieser Zeit habe ich Dinge getan, die gar nicht funktionieren konnten. Aber aus irgendeinem Grund funktionierten sie eben doch. Wenn du älter wirst, möchtest du hingegen Risiken minimieren, du gehst an Neues maßvoller, erwachsener und verantwortungsbewusster heran.

Vermissen Sie den Jamie von früher auf eine gewisse Art?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich den jungen oder den jetzigen Jamie besser finde. Ich würde nicht einmal sagen, dass es irgendwo in der Mitte ist. Aber ich bin mir dessen bewusst, wie ich anfangs an Dinge herangegangen bin, und mein Ego kämpft immer wieder damit. In vielen Situationen denke ich mir deshalb: "Was würde der junge Jamie jetzt tun?" Es gibt so viel, was wir von den Jungen lernen können. Ich sehe das immer wieder. Nehmen wir zum Beispiel Menschen, die in die Politik gehen. Sie sind oft so liebevoll und leidenschaftlich und brennen für ihre Themen. Und nach fünf Jahren? Da sind sie zerstört, werden von großen Firmen geschmiert, oder irgendetwas ist massiv schiefgelaufen. Etwas passiert mit ihnen. Mein Jahresvorsatz ist deshalb, dass ich in der Arbeit mehr junge Menschen um mich herum haben möchte.

Jugendliche sind in Ihrer Arbeit ja schon seit jeher ein wiederkehrendes Thema, vom Schaffen von Karrierechancen für sozial schwächere Teenager bis zum Kampf für besseres Schulessen in Großbritannien.
Unsere Jugendlichen sind die Zukunft, und ich bin überzeugt davon: Alle unsere Länder wären glücklichere und gesündere Orte, wenn wir unsere Kinder in Bezug auf Essen und Ernährung von Anfang an richtig schulen würden. Das fängt damit an, dass wir ihnen in der Schule besseres Essen zur Verfügung stellen. Wenn ich einen Zauberstab hätte, dann würde ich dafür sorgen, dass mit 16 Jahren jedes Kind zehn Rezepte kochen kann, um für sich selbst zu sorgen. Und dass jedes Kind weiß, wo sein Essen herkommt und wie die Dinge, die es zu sich nimmt, seinen Körper beeinflussen. Außerdem würde ich mit meinem Zauberstab dafür sorgen, dass Kinder beim Verlassen der Schule wüssten, wie man mit Geld haushält, egal, ob sie reich oder arm sind. Eigentlich müsste das doch auch ohne Zauberstab möglich sein. Wenn wir das erreichen könnten, wäre das unglaublich. Es würde alles verändern.

Stichwort Kinder: Am Cover Ihres aktuellen Buchs, "Together", sieht man Ihre Familie, zwei wichtige Personen fehlen aber ...
Ja, meine zwei ältesten Töchter sind nicht dabei. Daisy und Poppy sind auf der Uni und leben nicht mehr fix bei uns. Die beiden sind nur ein Jahr auseinander, sie haben also fast zeitgleich das Haus verlassen. Eine riesige Umstellung für uns Eltern! Ich habe sie ehrlicherweise gar nicht gefragt, ob sie dabei sein wollen, weil ich mir sehr sicher war, dass ich mir sowieso einen Korb einfangen würde. Vom Buchcover des Daddys runtergrinsen? Das ist nicht gerade das, worauf Teenager scharf sind.

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Sie sind seit bald einem Vierteljahrhundert dauerpräsent in der medialen Kochwelt. Haben Sie schon einmal überlegt, eine Pause einzulegen? Oder vielleicht sogar ganz aufzuhören?
Selbst wenn ich es wollte, glaube ich nicht, dass ich es könnte. Ich muss ein wenig ausholen, um das zu erklären: Vor 25 Jahren war ich dieser sehr naive Junge, der in der Schule fürchterlich gescheitert ist. Aus ihm wurde die zweiterfolgreichste Person im britischen Verlagswesen. Ich bin, wie ich schon vorher gesagt habe, nicht mehr der Gleiche wie damals. Aber ich weiß, dass ich mich nicht einfach so selbst reich gemacht habe. Es sind die Menschen, die Jahr für Jahr entscheiden, meine Bücher zu kaufen. Und ich habe das noch nie als selbstverständlich gesehen. Mir ist schon sehr früh klar geworden, dass mein Erfolg mit Erwartungen und Verantwortung verbunden ist und dass mein wahrer Chef die Öffentlichkeit ist. Manche Leute mögen mich, manche mögen mich nicht. Aber die meisten vertrauen mir. Warum? Weil ich in 25 Jahren immer konstant war und das mache, was ich sage.

Sie haben in unserem letzten Gespräch vor einem Jahr gesagt, dass Sie Ihre Arbeit als Service für die Öffentlichkeit sehen.
So ist es auch. Und mit Öffentlichkeit meine ich nicht nur die britische. Ich merke auch international den Anspruch, dass ich bestimmte Themen aufgreife und Missstände anspreche. Ich tue das nicht für mich, sondern für die Menschen, die mir vertrauen. Die Dinge, die ich in den letzten Jahrzehnten angepackt habe, kann ich mir eigentlich nicht alleine auf die Fahnen schreiben, weil die Ideen dazu immer im Außen entstanden sind. Ich reagiere im Prinzip auf das, was gerade für die Öffentlichkeit wichtig ist.

Auch meine Bücher funktionieren so. Was brauchen die Menschen jetzt? Als unsere Analysen gezeigt haben, dass immer weniger Zeit fürs Kochen aufgewendet wird, habe ich Bücher mit schnellen, aber hochwertigen Rezepten gemacht. Zu Zeiten der massiven Wirtschaftskrise waren es wiederum Gerichte, die besonders günstig, aber trotzdem nahrhaft sind. Und mit "Together" ist es dieses Mal ein Buch geworden, dass das Zusammensein, das wir in den Lockdowns so vermisst haben, feiert, dabei aber den Stress für den Gastgeber reduziert. Das Buch hilft einem dabei, zu zeigen, dass man seine Gäste liebt, schätzt und ihnen etwas Gutes tun möchte.

»Ich würde gerne in der Küche stehend beim Kochen sterben«

Im Grunde sagen Sie, dass Sie arbeiten werden, solange Sie das Gefühl haben, dass die Öffentlichkeit Sie braucht.
Ich glaube an das, was ich sage. Ich denke nicht, dass man auf eine andere Art über 20 Jahre lang eine erfolgreiche TV-Karriere haben kann. Das Fernsehen ist die wohl oberflächlichste Branche auf diesem Planeten. Es verschluckt dich, und irgendwann spuckt es dich aus. Und das Verlagswesen ist eigentlich gar nicht mal so anders. Wenn ich nichts tun und in einer Hängematte auf einer Insel liegen wollte ich weiß nicht. Ich begreife die Öffentlichkeit einfach als eine starke Kraft, die mich antreibt. Und ich hoffe, dass das so bleibt, bis ich alt bin. Ich wäre ein glücklicher Mann, wenn ich in der Küche stehend beim Kochen sterben würde. Oder beim Gärtnern in meinem Gemüsefeld. Ich würde fantastischen Kompost abgeben!