Türkis-Blau nicht "fleißiger"
als andere Regierungen

120 Regierungsvorlagen ins Parlament geschickt - deutlich weniger als zerstrittene Regierung Gusenbauer

Die türkis-blaue Koalition hat in ihrem ersten Jahr einige große Reformen auf den Weg gebracht - etwa die Fusion der Gebietskrankenkassen und den Zwölf-Stunden-Arbeitstag. In Summe hat die Regierung Kurz ein Jahr nach Angelobung aber nicht mehr beschlossen als andere Regierungen auch. Neu ist vor allem die straffe Öffentlichkeitsarbeit und der unbedingte Wille, öffentlichen Streit zu vermeiden.

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1 Jahr ÖVP-FPÖ - Türkis-Blau nicht "fleißiger"
als andere Regierungen

Laut Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) hat die aktuelle Regierung seit ihrem Antritt 120 Gesetze ins Parlament geschickt. Zwar fehlen hier zwei besonders umstrittene Vorhaben, denn die Aufhebung des Rauchverbots in der Gastronomie und die Arbeitszeitflexibilisierung ("12-Stunden-Tag") wurden als "Initiativantrag" direkt im Parlament eingebracht. Einen Vergleich mit früheren Regierungen lassen die Zahlen aber dennoch zu.

So hat die Große Koalition unter SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer - angelobt nach sieben Jahren Schwarz-Blau/Orange am 11. Jänner 2007 - in ihrem ersten Jahr 161 Regierungsvorlagen ins Parlament gesandt. Das war deutlich mehr als alle anderen Regierungen seither - und das, obwohl Gusenbauers Regierung als heillos zerstritten galt und noch vor ihrem zweiten Jahrestag in Neuwahlen schlitterte. Unter Nachfolger Werner Faymann (SPÖ) schickte der Ministerrat im ersten Jahr 146 Gesetze ins Hohe Haus, weniger waren es bei Faymanns zweiter Kanzlerschaft (116). Und im ersten Jahr nach dem Wechsel zu Christian Kern (SPÖ) waren es 142 Regierungsvorlagen.

Teures Wahlversprechen umgesetzt

Was alle Regierungen der letzten Jahre eint: Unter den ersten Beschlüssen nach einem Wahljahr ist verlässlich ein Doppelbudget - so auch diesmal. Bei ihrer Regierungsbilanz am Dienstag durften Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) ihr erstes Budget allerdings besonders stolz in die Auslage stellen. Denn mit dem Ende der Bankenkrise und dem Rückenwind der Hochkonjunktur können sie für 2019 ein Nulldefizit anpeilen. Gemessen wird die Regierung aber wohl daran, ob sie den ausgeglichenen Haushalt mittelfristig halten kann. Mit dem Familienbonus hat die Koalition bereits ein teures Wahlversprechen umgesetzt und weitere Steuersenkungen sollen folgen.

Zwei große Reformen

Auf den Weg gebracht hat die Regierung im ersten Jahr zwei große Reformen: die von Wirtschaft und Industrie geforderte Arbeitszeitflexibilisierung ("12-Stunden-Tag") und die 2019 anlaufende Fusion der Gebietskrankenkassen. Beides in Anlehnung an das Motto "speed kills" der ersten schwarz-blauen Koalition: Die Flexibilisierung boxten ÖVP und FPÖ im Eiltempo ohne Begutachtung durchs Parlament, wie zuvor schon die Aufhebung des Rauchverbots in der Gastronomie. Und zur Beschleunigung der Sozialversicherungsreform wollte man die Sozialministerin ermächtigen, Gesetze noch vor Inkrafttreten umzusetzen - was nach Protesten nun großteils wieder zurückgenommen wird.

Und immer wieder die Ausländer-Karte

Weiterhin durchgezogen wird das von Anfang an verfolgte türkis-blaue Marketing-Konzept: Während in früheren Regierungen jedes Ministerium selbst für die Vermarktung "seiner" Themen zuständig war, laufen die Fäden nun im Kanzleramt zusammen, dessen "Message Control" eine einheitliche Regierungslinie sichern soll. Wobei kaum eine Woche vergeht, in der die Regierung nicht in der einen oder anderen Form die Ausländer-Karte spielt - vom als "Ausländer-Sparpaket" vermarkteten Budget über die Indexierung der Familienbeihilfe und das Kopftuchverbot in Kindergarten und Volksschule bis hin zur Mindestsicherung, deren Kürzung auch mit einem hohen Ausländeranteil begründet wurde.

Kaum öffentlicher Streit

Stärkstes Atout der Koalition ist nach Meinung vieler Beobachter auch nach einem Jahr im Amt der unbedingte Wille, öffentlichen Streit zu vermeiden und Kompromisse gemeinsam durchzutragen. So durften die Freiheitlichen zuletzt Österreichs Ausstieg aus dem (in rechtsradikalen Kreisen massiv angefeindeten) UN-Migrationspakt durchsetzen, die ÖVP dafür die Beibehaltung eines abgeschwächten Vermögenszugriffs bei "Aufstockern" in der Mindestsicherung.

Durchaus Misstrauen hinter den Kulissen

Dass man sich hinter den Kulissen durchaus mit Misstrauen begegnet, zeigte zuletzt Straches "SMS-Affäre": Der FPÖ-Chef warnte Parteifreunde im November recht unverblümt vor einem Versuch des schwarzen Finanzministeriums, bei der Reform der Nationalbank "unsere Macht dort zu schwächen". Öffentlich werden solche Konflikte - anders als unter Rot-Schwarz - jedoch kaum. Und Kurz brachte sein häufiges Schweigen zu den Ausritten des Koalitionspartners zwar den Titel "Schweigekanzler 2.0" ein. Angesichts hervorragender persönlicher Umfragewerte und einer stabilen Mehrheit der Koalition wird er dessen Kür zum "Wort des Jahres" aber wohl verschmerzen.

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