Isolierte Familie: "Darüber
steht immer eine Idee"

In Fällen wie jenem der isolierten Familie auf einem Bauernhof in den Niederlanden gebe es immer ein abgeschottetes System und eine ganz klare Machtverteilung zwischen Opfern - etwa Kinder, Behinderte oder Kranke - und einem dominanten, manipulativen, aggressiven Täter, schildert Gerichtspsychiater Reinhard Haller im Gespräch mit der APA. Dazu komme "immer eine Idee, die über dem Ganzen steht".

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Kriminalitöt - Isolierte Familie: "Darüber
steht immer eine Idee"

Das könne eine kriminologische Idee sein, wie etwa bei sexuellem Missbrauch oder beim Bedürfnis, Macht auszuüben, oder aber eine fanatische Idee wie etwa bei Sektierern, die an Weltuntergangsszenarien glauben. "Davon gibt es mehr als wir vermuten", so Haller, der betont, nur Hypothesen und keine Ferndiagnose zu liefern.

Die dritte Variante sei, dass jemand krankhafte Wahnideen etwa im religiösen Bereich habe und dieses Wahnsystem auf alle anderen übertrage. "Dann ist nicht einmal eine äußere Gefangennahme erforderlich. Dann wird einfach dadurch, dass sich die Opfer dieser Idee anschließen, die Macht ausgeübt und ein solches System aufrechterhalten." Voraussetzung für ein solches Szenario wäre mangelndes Ich-Bewusstsein, Selbstvertrauen und Durchsetzungsfähigkeit der Opfer, die sich dann einer Führergestalt unterwerfen. Hier würde dieselbe Psychologie dahinterstecken wie bei der Unterwerfung unter einen Sektenführer.

Führungslose Familie

Im Falle der isolierten Familie in den Niederlanden hat Haller die Vermutung, dass diese durch den Tod der Mutter und die Bettlägerigkeit des Vaters führungslos gewesen sei. "Die haben keine Bezugspersonen gehabt und diese Rolle dürfte der Induktor übernommen haben. Das Problem dürfte sein, dass beide Eltern weggefallen sind."

Die Folge jahrelanger Isolation ist laut Haller in jedem Fall eine Wesensänderung. "Je radikaler die Abschirmung ist und je länger sie dauert, umso schwerwiegender sind die Folgen." Im Fall in den Niederlanden komme dazu, dass die Opfer zum Teil ihre Pubertät und damit eine besonders kritische Phase ihres Lebens in Abgeschiedenheit verbracht haben dürften. Und: "Wenn jemand - was hier anzunehmen ist - schon vorher traumatisiert, neurotisch, depressiv, ängstlich oder Ähnliches ist, sind die Folgen schwerer und die Therapie ist nicht einfach, bis die Menschen wieder Urvertrauen gewinnen und resozialisiert werden können."