Was die Isolation mit unserem Sexleben macht

Liebesleben in Zeiten von Quarantäne und sozialen Ängsten: Haben Paare in der Pandemie mehr oder weniger Sinn für Sex und Sinnlichkeit? Naheliegend wäre, dass räumliche Nähe auch zu mehr Lust und Begierde führt. Oder auch ganz im Gegenteil zu einer Sexflaute.

von Liebes Leben - Was die Isolation mit unserem Sexleben macht © Bild: Nathan Murrell

Zuerst die gute Nachricht: Vor allem junge Paare, die noch kinderlos sind und zusammenleben, haben seit der Pandemie nicht bloß mehr Zeit gewonnen, sondern auch mehr Lust auf Sex und die Gelegenheit dazu. Anders in kinderreichen Familien, wo das Aufeinanderkleben vor allem während der Lockdowns zu zölibatären Liebesflauten führte. Folgerichtig erlischt die Lust, wenn man in einer häuslichen Zwangsgemeinschaft steckt und sich in der Partnerschaft nicht mehr auf gesunden Abstand begeben kann. Eine dauerhafte Genervtheit ist einer der Kollateralschäden der Covid-19-Krise, die uns – wie der Schwarzwaldphilosoph Martin Heidegger sagen würde – radikal auf uns selbst zurückwarf. So weit, so gut.

Einer Studie des US-amerikanischen Paartherapeuten John Gottman zufolge ist toxisch, wenn sich folgende Kommunikationsmuster in Paarbeziehungen zeigen, die er in Anlehnung an eine Bibelstelle als „apokalyptische Reiter“ bezeichnet: Der erste Reiter, der den Weltuntergang einer Beziehung verheißt, ist Gottman zufolge die unreflektierte Kritik mit generalisierenden Äußerungen der Art von „Du machst immer …“ oder: „Nie kannst du …“ Weitere Beziehungskiller sind Rechtfertigungen, rollende Augen, verzogene Mundwinkel, Schweigen als Aufziehen von Mauern sowie rücksichtsloses Blamieren des Partners oder der Partnerin in Gesellschaft (direkt oder in den sozialen Medien gegenüber Familie und Freunden). Zerschmetternd für das Liebesleben ist allemal, wenn die apokalyptischen Reiter einhergaloppieren wie Cowboys mit dem Aussehen der Zombies in Michael Jacksons Musikvideo zu „Thriller“.

Konstruktiv kann eine Krise dann, und nur dann für das Liebesleben genutzt werden, wenn Sie folgende ungeschriebenen Gesetze des zwischenmenschlichen Umgangs beherzigen: Zuallererst machen Sie sich und der geliebten Person keinen Druck, indem Sie durch mehr gemeinsame Zeit und räumliche Nähe in logischer Konsequenz auch mehr emotionale Nähe erwarten. Gefühle lassen sich nicht erzwingen! Wichtig: Führen Sie eine gesunde Grenze ein. Soll heißen: eigene Aktivitäten fortsetzen und nicht in einem zwanghaften Wir-Bewusstseins versinken. Den Mut haben, weiterhin Sie selbst zu sein und in der Partnerschaft ohne schlechtes Gewissen Nein zu sagen. Denn auch Konflikte, die von konstruktiven Kontroversen bis hin zu psychischer und physischer Gewalt reichen können, haben seit der Pandemie zugenommen.

Aufgestaute Emotionen wie Wut, Angst, Frustration und Traurigkeit werden ungefiltert nach außen auf Mitmenschen übertragen. Ängste vor der nuklearen Bedrohung und Unzufriedenheit mit sich selbst werden unbewusst verschoben, um in zwischenmenschlicher Reibereien innere Anspannung, Aggressionen und Stress abzubauen. In der Psychologie spricht man von der Sündenbockfunktion oder der Funktion des Blitzableiters. Der Grund für die Veränderungen im Liebesleben liegt im Paradigmenwechsel des Zusammenseins. Es wirkt sich drastisch auf das Liebesleben aus, wenn alltägliche Routinen, die eine entlastende Ventilfunktion hatten, in globalen Krisen wie Pandemie oder kollektiver Angst vor dem Weltuntergang wegfallen. Spürbar war das vor allem während der Lockdowns, wenn keiner aus der Partnerschaft austreten und einen Tapetenwechsel – eine Aktivität allein – erleben konnte.

Am allerwichtigsten ist, ein ehrliches Nein in der Partnerschaft nicht gleich als Zurückweisung und Liebesentzug zu deuten. Jeden Tag nichtsdestotrotz und jetzt erst recht bestmöglich wertschätzend, empathisch, kreativ und positiv zu gestalten. Und zum globalen Frieden so schon im Kleinen beizutragen.