Witwen von Ischgl: "Sorgfalt außer Acht gelassen"

Ihre Männer verstarben nach dem Skiurlaub an Corona. Nun lässt die Republik die Witwen von Ischgl wissen: Eigentlich seien ihre Partner an ihrem Tod selber schuld.

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Witwe von Ischgl © Bild: Ricardo Herrgott/News

Mit letzter Kraft und 39,8 Grad Fieber schleppte sich Hannes Schopf noch selbst zum Rettungswagen, der ihn am 26. März 2020 spätabends in die Klinik bringen sollte. "Zusammengesunken, vor Kälte zitternd, mit verzweifeltem Blick saß er da, das ist mein letztes Bild von ihm", sagt seine Witwe Sieglinde. Am 10. April, dem Karfreitag, verstarb der gläubige Katholik mit 72 Jahren. "Und ich hatte keine Möglichkeit mehr, mich von ihm zu verabschieden, das war nach der Obduktion nicht mehr möglich." Denn Hannes Kopf war an Covid-19 verstorben. Nach seinem Urlaub in Ischgl.

© Ricardo Herrgott/News UNVERSTÄNDNIS. Sieglinde Schopf mit den Beileidsbekundungen. Unten: die Klagsbeantwortung der Republik: "Er hat sich bewusst entschieden "

Sein Tod stehe in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Verhalten der Behörden und deren Ausreisemanagement aus der Corona-Brutstätte, davon ist die Witwe überzeugt. Das macht sie zu einer der Hauptklägerinnen im Ischgl-Prozess (Story ab Seite 34). Doch die Republik behauptet nun in ihrer Klagsbeantwortung sinngemäß: Hannes Schopf habe Pech gehabt, sei aber im Grunde selber schuld.

Vernunft und Verwegenheit

Aber zunächst noch einmal zurück ins Vorjahr, zum 7. März, dem Tag, an dem Schopf anreiste -und herzlich willkommen geheißen wurde. Was der renommierte Journalist im Ruhestand zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, noch nicht einmal ahnte: dass just an diesem Tag hinter der pittoresken Alpinkulisse ein Wettstreit zwischen medizinischer Vernunft und touristischer Verwegenheit zu toben begann.

Es war der Tag, an dem der Barman der berühmt-berüchtigten Bar Kitzloch erfuhr, dass er positiv getestet worden war. Bereits drei Tage zuvor hatte Island wegen zahlreicher Covid-erkrankter Ischgl-Heimkehrer bei der europäischen Gesundheitsbehörde Alarm geschlagen. Zwei Tage zuvor hatte das Gesundheitsministerium in Wien die Tiroler Behörden in Kenntnis gesetzt. Sei's drum, die Tourismusmaschinerie im Paznauntal lief, abgesehen von ein paar kleinen Einschränkungen, noch bis zum 13. März auf Normalbetrieb.

Eng wie in der U-Bahn

Mit Gewissheit kann zwar keiner sagen, wie und wo Hannes Schopf sich genau ansteckte, denn Contact Tracing war in diesen Tagen noch völlig unbekannt. Doch die Vermutung liegt nahe, dass es im Zuge der überstürzten Massenflucht aus der Wintersportregion, unmittelbar nach der Quarantäneankündigung durch den Bundeskanzler, passiert sein dürfte. Eng an eng wie in einer U-Bahn zur Stoßzeit saßen und standen Schopf und seine Begleiter im Shuttlebus, der sie zum Bahnhof nach Landeck bringen sollte. Drei Stunden, das hat Hannes Schopf seiner Frau erzählt, habe man für die Fahrt benötigt, und Tröpfcheninfektion, das ist mittlerweile sattsam bekannt, gilt als eine der häufigsten Ansteckungsursachen, und maskiert war damals jenseits von Wuhan noch keiner.

"Wir wünschen Ihnen viel Kraft, Ihr Schicksal zu meistern", heißt es in einem ununterschriebenen Kondolenzbriefchen des Tourismusverbands Ischgl. Da konnte Sieglinde Schopf nicht anders und schrieb in ihrer Verzweiflung zurück: "Wenn Sie die Warnungen und Gefahren ernst genommen hätten, hätten die Touristen am 7.3.2020 gar nicht mehr anreisen dürfen." Und: "Lieber nahm man die Verbreitung des Coronavirus und den Tod von Menschen in Kauf, als auf Einnahmen zu verzichten."

»Geld kann mir meinen Mann nicht zurückbringen«

Und auch wenn Schopf die Republik nun auf Schadenersatz klagt, gehe es der pensionierten Lehrerin, 74, keinesfalls um Geld: "Denn Geld kann mir meinen Mann nicht zurückbringen." Vielmehr sei da, neben der Trauer, eine Wut, die beinahe täglich zunehme: "Bisher hat es keine der zuständigen Behörden der Mühe wert gefunden, sich bei mir zu entschuldigen."

Die Leidensgefährtin

© Ricardo Herrgott/News Dörte Sittig
© Privat VERZWEIFELT. Auch Dörte Sittigs Partner Rudi kam infiziert aus Ischgl zurück, auch er verstarb kurz nach seiner Rückkehr in einem Kölner Krankenhaus an Corona

Ähnliches wie Schopf macht Dörte Sittig, 56, durch, die bei Köln lebt. Ihr Partner Rudi war, wie Hannes Schopf, am 7. März angereist. Auch er kam infiziert zurück, er verstarb sechs Tage nach Schopf 52-jährig im Uniklinikum Köln an Corona. Nun ist auch Sittig unter den Klägerinnen: "Ischgl hat mir mein Leben, meinen Schatz genommen", sagt sie. Eine Entschuldigung, das sei, was sie sich vorrangig wünsche. "Jahre hindurch hat man unser Geld genommen. Jetzt findet man es nicht einmal der Mühe wert, zu fragen, wie es mir geht."

Aber Schuld oder Entschuldigung? Davon will das offizielle Österreich nichts wissen, im Gegenteil. In der Antwort der Finanzprokuratur auf Schopfs Klage heißt es wörtlich: "Konkret wird überprüft, ob der Geschädigte schuldhaft Handlungen unterlassen hat, die von einem verständigen Durchschnittsmenschen gesetzt worden und geeignet wären, den Schaden abzuwehren oder zu verringern." Und: "Maßgeblich ist, ob der Geschädigte jene Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die ein verständiger Teilnehmer in seiner Lage angewandt hätte, um eine Schädigung nach Möglichkeit abzuwenden." Ja mehr noch: "Dem Verstorbenen musste ( ) die Gefährlichkeit des Covid-19-Virus für ältere Personen bekannt gewesen sein, dennoch hat er sich bewusst dazu entschieden, die Reise am 7.3.2020 anzutreten und sich der Gefahr einer Ansteckung ( ) auszusetzen."

Die Behörde beschloss erst gezählte sechs Tage nach dem 7.3., auf die Bedrohungslage zu reagieren. War denn auch das eine "bewusste Entscheidung"?

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (36/2021) erschienen.