"Ich versuche,
nicht zu verbrennen"

Fürs Kino leidet Isabelle Huppert beängstigend echt. Nun ist sie für den Oscar in Paul Verhoevens Thriller "Elle" nominiert und erklärt, weshalb sie auch mit 63 Jahren keine Zeit hat, sich vor dem Alter zu ängstigen

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nicht zu verbrennen"

Madame Huppert, in Paul Verhoevens "Elle" spielen sie Michèle, eine Frau, die mehrmals vergewaltigt wird und Gefallen daran findet. Das erinnert an Erika Kohut aus Michael Hanekes Jelinek-Verfilmung "Die Klavierspielerin", die nach zwischenmenschlicher Brutalität verlangt. Die französische Tageszeitung "Le Monde" nannte Sie dafür eine "Akrobatin des Leidens". Gefällt Ihnen das?
Ich habe kein Monopol aufs Leiden. Ein Schauspieler leidet nie auf dieselbe Art wie ein Zuschauer. Wenn ich auf der Leinwand eine leidende Frau spiele, ist das nichts anderes, als wenn eine Pianistin ihre Tonleitern spielt. Aber das Kino ist ein Phänomen: Dort dominieren starke Gefühle, daher verwechselt man auch stets den Schauspieler mit der Figur, die er darstellt. Und das gefällt mir überhaupt nicht.

Die Darstellung der Michèle brachte Ihnen eine Nominierung für den Oscar. Gleich, ob Sie im Film oder im Theater spielen, werden Sie hymnisch gelobt. Ist der Erfolg eine Last?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe manchmal den Eindruck, dass es das alles gar nicht gibt.

Berührt Sie gar nicht, was man über Sie schreibt?
Ich weiß nicht, was das mit mir macht, denn ich weiß nicht, was ich davon glauben soll. Es ist wichtig, dass man an sich selber glaubt. Ich bin zufrieden, wenn der Film funktioniert. Man darf den Bezug zur Realität nicht verlieren.

Plagen Sie niemals Selbstzweifel?
Im Allgemeinen schon. Aber niemals beim Film. Denn ich liebe es, Filme zu machen. Da habe ich keine Angst, Figuren zu erschaffen, die ganz anders sind als ich. Theater finde ich viel beunruhigender. Aber ich bin gern mit sehr starken Persönlichkeiten konfrontiert. Mich interessiert die Arbeit mit Regisseuren am Theater.

© Sony Pictures Nominiert für den Oscar. Isabelle Huppert in Paul Verhoevens Verfilmung von Philippe Djians Roman "Elle"

Aber die wirklich starken werden immer weniger. Luc Bondy, Patrice Chéreau, Peter Zadek, mit denen Sie gearbeitet haben, sind tot. Fehlen diese Kaliber dem Theater nicht?
Natürlich ist das schlimm, dass es sie nicht mehr gibt, aber es werden andere kommen. Zadek war für mich sehr wichtig. Ich liebte seine Intelligenz, manchmal konnte er richtig bösartig sein, dann wieder sehr komisch. Und er hatte eine ausgeprägte Ästhetik des Hässlichen. In Deutschland schätze ich Frank Castorf sehr. Mit ihm möchte ich etwas machen.

Auch der ist nicht mehr der Jüngste. Gibt es jemanden in der jüngeren Generation, der Sie interessiert?
Aber natürlich, Krzysztof Warlikowski.

Er inszenierte Racines "Phèdre" mit Texten von Sarah Kane und Wajdi Mouawad. Das dreistündige Spektakel war eine echte Gewalttour. Gibt es etwas, das Sie nicht spielen würden?
Das kann man so nicht sagen. Es kommt immer auf die Arbeit mit dem Regisseur an und in welchem Zusammenhang etwas steht. Beim Film gibt es oft so etwas wie die Angst vor dem Unbekannten.

Wie unterscheidet sich die Film- von der Bühnenschauspielerin Huppert?
Theater berührt mich mehr als Zuschauerin. Als Schauspielerin spielt man seine Rolle, und dann ist es vorbei. Aber als Zuschauerin liebe ich das Theater so sehr. Es vermittelt mir ein gewaltiges Gefühl von Leben und Tod. Es gibt Dinge, die kann ich nicht an mir vorbeiziehen lassen. Es gibt Momente, die schreiben sich ins Gedächtnis ein.

Sie zählen zu den wichtigsten Schauspielerinnen Michael Hanekes. Wie empfinden Sie die Arbeit mit ihm?
Das ist von Film zu Film verschieden. Jeder seiner Filme ist anders. "Amour" zum Beispiel war ganz anders als "Happy End", der Film, den wir jetzt gedreht haben. In diesem Film ist die Besetzung größer. Aber auch das war sehr aufregend für mich, denn er ist ein sehr großer Regisseur. Man hat bei ihm den Eindruck, dass man direkt im Zentrum der Produktion steht. Er hinterfragt immer alles und arbeitet mit höchster Präzision. Und er schließt die Schauspieler in seine Arbeit als Filmemacher ein. Das macht nicht jeder.

"Happy End" kommt dieses Jahr ins Kino und erzählt von der Tragödie der Flüchtlinge in Calais. Wie war es, dort zu drehen?
Meine Szenen spielten nicht dort, davon kann ich Ihnen gar nichts erzählen. Nur so viel, der Film erzählt von einer Familie.

Regisseur Patrice Chéreau nannte Sie einmal einen Phönix, der durchs Feuer geht, weil er weiß, dass er nicht verbrennt. Sehen Sie sich auch so?
Ich versuche es zumindest. Es zahlt sich ja nicht aus, sich zu verbrennen.

Man hat den Eindruck, dass Sie jede Ihrer Figuren wie eine Architektin mit höchster Präzision fertigen. Ist Ihnen Genauigkeit wichtiger als echte Emotion?
Präzision ist sehr wichtig, aber nicht alles. Sie hilft, gewisse Stimmungen auszudrücken. Ich nähere mich jeder Rolle trocken, möglicherweise ist das auch eine gewisse Praxis. Aber das versorgt mich mit der nötigen Distanz, Gefühle zu kontrollieren. Denn in dem Moment, in dem man Leiden spielt, kommen diese Emotionen von selbst. Aber es kommt darauf an, sie im richtigen Moment zu zeigen. Es ist wie im Leben: Wenn man etwas gesagt hat, dann ist es gesagt. Man kann es nicht mehr zurücknehmen. Aber auch umgekehrt: Wenn man etwas sagen hätte sollen, es aber nicht getan hat, ist der Moment vorbei. Beim Schauspiel geht es um den Moment und um Genauigkeit und Authentizität. Und das interessiert mich.

Weshalb sprechen Sie nie über Ihr Privatleben? Ist das eine Art von Selbstschutz?
Ich spreche nicht viel darüber, was ich privat mache. Ich spiele leidenschaftlich gern und habe keine große Lust, mich über andere Dinge zu äußern als über meine Arbeit. Trotzdem bin ich nicht unnahbarer als andere. Aber es stimmt, ich trenne mein Leben als Schauspielerin von meinem privaten Leben. Aber so bin ich eben.

Im letzten Jahr haben Sie sechs Filme gedreht und in diversen Städten Europas Theater gespielt. Sind Sie niemals erschöpft?
Das ist mir noch nie passiert.

Haben Sie nicht manchmal Angst vor dem Älterwerden?
Wie jeder andere auch, aber im Moment noch nicht. Dafür habe ich noch Zeit.

Isabelle Huppert

wurde 1953 in Paris als Tochter eines Ingenieurs und einer Englischlehrerin geboren. Drei Jahrzehnte war sie eine der zentralen Darstellerinnen Claude Chabrols. Mit Michael Haneke drehte sie mehrere Filme, darunter "Die Klavierspielerin" (2001). Paul Verhoevens "Elle" brachte ihr die Nominierung für den Oscar. Huppert ist mit dem Filmproduzenten Ronald Chammah verheiratet. Das Paar hat drei Kinder.

Hier finden Sie die Oscar-Nominierungen im Überblick

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