Islamisten nehmen
Mossul und Tikrit ein

Regierung verliert zunehmend die Kontrolle über Norden und Osten des Landes

von
Irak - Islamisten nehmen
Mossul und Tikrit ein

Zuvor hatten sich die Aufständischen nach Angaben der Provinzregierung schwere Gefechte mit den Sicherheitskräften geliefert. Einem ranghohen Polizeibeamten zufolge griffen Kämpfer der sunnitischen Jihadistengruppe Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIL) die Stadt aus nahezu allen Richtungen gleichzeitig an.

Tikrit liegt 160 Kilometer nördlich von Bagdad und ist die Geburtsstadt des früheren irakischen Machthabers Saddam Hussein, der nach der US-Militärinvasion gestürzt und hingerichtet wurde. So wie Tikrit befindet sich inzwischen auch Mossul in den Händen von Islamisten. Die nordirakische Millionenstadt war am Dienstag von ISIL-Kämpfern eingenommen worden.

Konsulat der Türkei gestürmt - 48 Geiseln

In Mossul stürmten die Jihadisten nach türkischen Regierungsangaben am Mittwoch das Konsulat der Türkei und nahmen 48 Menschen als Geiseln. Unter ihnen befindet sich der türkische Konsul. Auch Kinder sollen in der Gewalt der Terroristen sein. Die Geiseln wurden aus dem Konsulatsgebäude in einen Stützpunkt der Jihadisten gebracht. Nach Angaben der türkischen Behörden sind alle unversehrt.

Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu brach wegen der Geiselnahme seine USA-Reise ab, wie das türkische Staatsfernsehen TRT berichtete. Er sei auf dem Weg zurück in die Türkei.

Die Zahl der entführten türkischen Lkw-Fahrer in Mossul erhöhte sich indessen auf über 30. Die Fahrer waren am Dienstag von ISIL-Kämpfern verschleppt worden. Sie waren auf dem Weg von der südtürkischen Stadt Iskenderum in den Nordirak, um Diesel-Kraftstoff zu liefern.

Schwerste innenpolitische Krise seit Ende 2011

Mit ihrem Vormarsch Richtung Bagdad stürzte die Terrorgruppe ISIL den Irak in die schwerste innenpolitische Krise seit dem Abzug der US-Truppen Ende 2011. Allein aus der nordirakischen Millionenmetropole Mossul flohen rund 500 000 Menschen vor den Extremisten. Sie hätten ihre Wohnhäuser aus Angst vor gewalttätigen Übergriffen verlassen, berichtete die Internationale Organisation für Migration (IOM) am Mittwoch in Genf. Durch Kämpfe habe es unter der Zivilbevölkerung "eine hohe Zahl von Opfern" gegeben. Das Vorgehen der Islamisten löste international Entsetzen und Besorgnis aus.

Auf ihrem Vormarsch nach Bagdad brachten die ISIL-Kämpfer bis Mittwoch große Teile der Regionen Ninive, Anbar und Salaheddin nordöstlich von Bagdad unter ihre Kontrolle, berichtete der Nachrichtensender Al-Jazeera. Als strategisch wichtigen Ort eroberten die Extremisten unter anderem Baiji rund 200 Kilometer nördlich von Bagdad, wie Medien berichteten. Dort wollten sie die Ölraffinerie und das Elektrizitätswerk unter ihre Kontrolle bringen, das auch die Hauptstadt mit Strom versorgt.

Die Aufständischen "sind über Nacht aufmarschiert und haben das Gerichtsgebäude sowie eine Polizeiwache im Stadtzentrum in Brand gesteckt", berichtete ein Sicherheitsmann in Baiji dem unabhängigen Nachrichtenportal "Al-Sumaria News". Das offizielle irakische Staatsfernsehen meldete dagegen, die Stadt unter Kontrolle zu haben. Gesicherte Angaben gab es zunächst nicht.

ISIL-Propaganda per Internet

Der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki nannte Berichte über Eroberungen durch die ISIL "Verschwörungen und Falschmeldungen". Die Armee habe die Region stabilisiert. In einem im Internet kursierenden Propagandamagazin verbreitete die ISIL hingegen Bilder von exekutierten irakischen Soldaten. "Al-Malikis tyrannische Stärke ist unserer Frömmigkeit nicht gewachsen", steht in dem Magazin.

Der einflussreiche Schiitenprediger Muktada al-Sadr rief seine Anhänger dazu auf, "Friedensbrigaden" im Land zu bilden, um Schreine, Moscheen und Kirchen in Abstimmung mit der irakischen Regierung gegen die ISIL-Kämpfer zu verteidigen. Die irakische Führung selbst erklärte, ihre Militärkräfte mit denen der kurdischen Regionalregierung im Nordirak verbinden zu wollen.

ISIL (arabisch: Al-Dawlat al-Islamiya fil-Iraq wa al-Sham/Abk.: Daaish) gehört zu den radikalsten islamistischen Gruppen im Nahen Osten. Der von der ISIL verwendete Begriff Levante ("Sonnenaufgang"/arabisch: Al-Sham) bezieht sich auf das Hinterland der östlichen Mittelmeerküste. Die Gruppe kontrolliert auch Teile des benachbarten Bürgerkriegslands Syrien, und dort insbesondere die östliche Provinz Deir al-Zor.

Mindestens 37 Tote bei Anschlägen auf Schiiten

Bei Bombenanschlägen auf Schiiten sind im Irak mindestens 37 Menschen getötet worden. Der schwerste Anschlag ereignete sich im Nordosten der Hauptstadt Bagdad, als ein Selbstmordattentäter bei einer Versammlung schiitischer Stammesführer 15 Menschen mit in den Tod riss und 34 weitere verletzte, wie die Polizei mitteilte.

Bei der Explosion einer Autobombe im Norden von Bagdad wurden zudem 13 Menschen getötet und 24 weitere verletzt. Weitere Bombenanschläge wurden aus den südlichen Provinzen Basra und Kerbala gemeldet. Die Gewalttaten ereigneten sich inmitten einer Blitzoffensive der sunnitischen Jihadistengruppe Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIL).

Kommentare