Klimaschutz: Österreich
ist Schlusslicht in der EU

Der weltweite Temperaturanstieg hat über den Landflächen bereits 1,53 Grad Celsius erreicht. Das geht aus einem am Donnerstag in Genf veröffentlichten Sonderbericht des Weltklimarats IPCC hervor. Besorgnis erregend ist auch die Tatsache, dass in puncto Klimaschutzmaßnahmen Österreich das Schlusslicht in der EU darstellt.

von Klima-Sonderbericht - Klimaschutz: Österreich
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SPÖ-EU-Abgeordneter Günther Sidl forderte konsequente Maßnahmen, um dem Klimawandel entgegenzutreten: "Österreich ist trauriges Schlusslicht in der EU, wenn es um Klimaschutzmaßnahmen geht. Wir müssen in allen Bereichen grundlegend umdenken. Der Schutz unseres Klimas ist eine sektoren- und generationsübergreifende Herausforderung." Die österreichische Position beim Klimaschutz im EU-Vergleich sei ein "Armutszeugnis", das mit der türkis-blauen Regierung zu tun hätte.

»Österreich ist trauriges Schlusslicht in der EU, wenn es um Klimaschutzmaßnahmen geht«

Für Leonore Gewessler von den Grünen sollte die Politik schnellstens handeln: "Jetzt ist die österreichische Agrarpolitik am Zug. Erstens gehören Agrarförderungen auf den Prüfstand. Sie sollen zukünftig die kleinbäuerliche nachhaltige Landwirtschaft fördern und die Klimaschutzleistungen der Landwirtschaft belohnen. Tierhaltung soll an die eigenen Produktionsmöglichkeiten von Futtermittel angepasst werden. Damit verringert sich die Abhängigkeit von Soja-Importen, die in Südamerika für Regenwaldabholzung sorgen und damit die Klimakrise weiter anheizen." Auch der Verschwendung von Lebensmitteln solle Einhalt geboten werden.

Taten statt Worte gefordert

Wie aus dem aktuellen Sonderbericht des Weltklimarats IPCC hervorgeht, hat der weltweite Temperaturanstieg über den Landflächen der Erde bereits 1,53 Grad erreicht. Unter Berücksichtigung der sich langsamer erwärmenden Meeresflächen liege das globale Temperaturplus gegenüber der vorindustriellen Zeit bei knapp 0,87 Grad.

Verglichen wurden die Zeiträume 1850 bis 1900 und 2006 bis 2015. Der Weltklimarat hatte 2018 vor den Auswirkungen gewarnt, falls die globale Temperatur insgesamt über 1,5 Grad steigen sollte. In den kommenden Jahrzehnten werde die Zahl, Dauer und Intensität von Hitzewellen sowie Dürren nicht zuletzt rund um das Mittelmeer zunehmen, warnen die 107 Forscher aus 53 Ländern. In vielen Regionen werden zudem häufiger extreme Regenfälle vorkommen.

Wälder und Moore müssen geschützt werden

Der Weltklimarat empfiehlt in seinem Bericht dringend, im Kampf gegen eine weitere Erwärmung der Erde die Wälder und nicht zuletzt die Moore besser zu schützen. Zugleich sieht der IPCC Gefahren für die sichere Versorgung mit Lebensmitteln. "Die Stabilität des Nahrungsmittel-Angebots wird voraussichtlich sinken, da das Ausmaß und die Häufigkeit von Extremwetter-Ereignissen, welche die Lebensmittelproduktion beeinträchtigen, steigen wird." Es gehe auch darum, die gesamte Kette der Erzeugung und des Konsums von Nahrungsmitteln zu überdenken. Eine ausgewogene Ernährung, die verstärkt auf Gemüse und Getreide setze, könne dazu beitragen, die Kohlendioxid-Emissionen wesentlich zu senken.

Einsparungen bei Treibhausgasen möglich

Die Land- und Forstwirtschaft steuert laut IPCC rund 23 Prozent der vom Menschen verursachten Treibhausgase bei. "Hier liegt sehr viel Potenzial", sagte die deutsche Co-Autorin des Berichts, Almut Arneth aus Karlsruhe. Generell mache der Bericht deutlich, dass die Ressource Land begrenzt sei. "Wir können nicht weitermachen wie bisher." Sehr skeptisch sei sie, dass die im Bericht auch thematisierten Aufforstungen bis hin zu Bioenergie-Plantagen ein guter Weg seien. Laut IPCC leben rund 500 Millionen Menschen in Gebieten, die von Versteppung bedroht sind. Diese Regionen seien umso anfälliger für Wetterextreme wie Dürren, Hitzewellen und Staubstürme.

»Wir können nicht weitermachen wie bisher«

Der Bericht steht im Zeichen des Pariser Klimaabkommens. Darin wurde 2015 das Ziel festgelegt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad, wenn möglich sogar auf 1,5 Grad, im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Dazu müssten die Staaten den Netto-Ausstoß ihrer Treibhausgase stark reduzieren. Um das zu schaffen, wollen einige Experten große Flächen für Wälder nutzen, welche die Treibhausgase aus der Atmosphäre binden können. In Verbindung mit dem Ziel der Lebensmittelsicherheit für die gesamte Bevölkerung drohen so Landkonflikte - zusätzlich zu den Entwicklungen, die der Klimawandel bereits jetzt ausgelöst hat.

Juli 2019 heißester Monat seit 1880

Die Forscher hatten zunächst eine große wissenschaftliche Analyse erarbeitet, deren Zusammenfassung in Genf seit vergangenem Freitag intensiv beraten wurde. Die vor allem politischen Delegierten einigten sich dabei auf den nun veröffentlichten Bericht, der somit auch von den IPCC-Mitgliedsländern anerkannt ist. Die Dringlichkeit des Thema verdeutlichte zu Wochenbeginn nicht zuletzt die Mitteilung des Klimawandelsdienstes Copernicus, dass der Juli 2019 global gesehen der heißeste Monat seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1880 war.

Kritische Reaktionen

Der IPCC-Sonderbericht hat heftige Reaktionen bei österreichischen und internationalen Umweltschutzorganisationen hervorgerufen. WWF, Greenpeace, Global 2000, Vier Pfoten und Politiker forderten unter anderem einen Stopp des Raubbaus an der Natur, eine CO2-neutrale Agrarwirtschaft bis hin zu einer Reduktion des Fleischkonsums.

»Wir brauchen eine radikale Trendwende in der Landnutzung und eine naturverträgliche Klimaschutz-Offensive«

"Wir brauchen eine radikale Trendwende in der Landnutzung und eine naturverträgliche Klimaschutz-Offensive. Derzeit führt der menschliche Raubbau an der Natur zu unfruchtbaren Böden, Artensterben und sinkender Ernährungssicherheit", wurde WWF-Klimasprecherin Lisa Plattner in einer Aussendung zitiert. Der Mensch nutze bereits rund 72 Prozent der globalen eisfreien Fläche und verursache dabei 23 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen durch Entwaldung, landwirtschaftliche Nutzung und Tierhaltung. "Die Abholzung von Wäldern, die Umwandlung von Mooren und anderen Ökosystemen setzt Kohlenstoff frei, zerstört die biologische Vielfalt und trägt zu unfruchtbaren Böden bei", erklärte WWF-Wald-Expertin Karin Enzenhofer. "Gerade in Österreich ist der Wald der größte CO2-Speicher. Den gilt es, möglichst naturnah zu bewahren und zu bewirtschaften. Nur mehr knapp drei Prozent unserer Wälder sind natürlich, obwohl wir eine Gesamt-Waldfläche von 47 Prozent haben. Die Zukunft liegt vor allen in naturnahen Mischwäldern: sie fördern einen gesunden Boden und bieten Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten."

Auch "Krise der Nahrungsmittelproduktion"

"Der IPCC-Bericht zeigt glasklar: Die Klimakrise ist auch eine Krise der Nahrungsmittelproduktion. Die Art und Weise, wie wir Nahrung produzieren, zerstört unsere Umwelt und lässt das Klima kollabieren. Wir essen die Erde buchstäblich krank - vor allem der enorme Fleischkonsum und der damit einhergehende Futtermittelbedarf in Westeuropa und Nordamerika führt zur massiven Abholzung von Wäldern", erklärte Jens Karg, Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace in Österreich: "Immer größere Flächen unseres Planeten werden nicht dafür verwendet, gesunde und umweltfreundliche Lebensmittel für uns Menschen zu produzieren, sondern um Tierfutter für stetig weiter wachsende Fleischfabriken bereitzustellen."

Knapp über ein Viertel der globalen Landfläche unseres Planeten werde laut IPCC-Bericht als Weideland oder für den Anbau von Tierfutter genutzt. Auch für die Fleischproduktion in Österreich würden pro Jahr über 500.000 Tonnen Soja aus Übersee importiert, für die oft wichtige Wälder abgeholzt werden. Sowohl die Produktion als auch der Konsum von Fleisch sind demnach zentrale Faktoren der Klimaerhitzung.

Agrarwende "überfällig"

"Zum Schutze unseres Klimas muss die Politik endlich die überfällige Agrarwende vollziehen sowie Wälder weltweit vor Abholzung schützen und nachhaltig nutzen", betonte Johannes Wahlmüller, Klimasprecher von Global 2000. "Statt weiter die energie- und rohstoffintensiven industriellen Modelle der Agrarindustrie am Leben zu erhalten, sind die Staaten aufgerufen, lokale, angepasste Lösungen zu finden. Nachhaltige Landnutzung und eine die natürlichen Ressourcen schonende Landwirtschaft sind unverzichtbar für effektiven Klimaschutz. Wir sind mitten in einer globalen Klimakrise und steuern auf eine Klimakatastrophe hin."

Auch Tierschützer schalteten sich am Donnerstag in die Debatte ein. "Wir brauchen eine Landwirtschaft, die möglichst klimaneutral produziert, und das bedeutet gleichzeitig eine Qualitätsinitiative: weg von der intensiven Tierhaltung und Bewirtschaftung der Böden hin zu einer tiergerechten Haltung, zu emissionsarmen Produktionsprozessen, biologischer Landwirtschaft und konkreten bodenwirtschaftlichen Maßnahmen wie Wiederaufforstung", erklärte Vier Pfoten-Präsident Heli Dungler.

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