Rosamund Pike: "Ich kann wirklich in alle Richtungen explodieren!"

Die britische Schauspielerin Rosamund Pike spielt in ihrem neuen Film "Marie Curie - Elemente des Lebens" die Frau, die für immer die Welt veränderte

von Interview - Rosamund Pike: "Ich kann wirklich in alle Richtungen explodieren!" © Bild: Adrian DENNIS / AFP

Schön, Sie wiederzusehen", begrüßt mich Rosamund Pike in einer Luxussuite des Pariser Hotels Bristol zum Interview. Und fährt mit strahlendem Lächeln fort: "Stilles Wasser oder Sprudel?" Gertenschlank ist sie, dezent geschminkt, trägt eine cremefarbene Seidenbluse, weiße Hosen und schwarze Riemchen- Pumps. Ihr einziges Schmuck stück: am rechten Mittelfinger ein wuchtiger Goldring mit ihren Initialen "RP". Im Gespräch wechselt sie öfter die Position, sitzt auch im Schneidersitz auf dem Ledersofa. Manchmal sucht sie länger nach der passenden Antwort - dann dreht sie an diesem Goldring, als wollte sie ihn festschrauben. Schwärmt sie von ihrem neuen Film "Marie Curie -Elemente des Lebens" (ab 16. Juli im Kino), leuchten ihre blauen Augen vor Begeisterung. Rosamund Pike, 41, verkörpert die visionäre Wissenschaftlerin, die Anfang des 20. Jahrhunderts die Radioaktivität entdeckte, mit bewundernswerter Leidenschaft.

News: Mrs. Pike, wie spielt man eine Legende?
Rosamund Pike:
Gar nicht. Man kann nie die Legende spielen. Oder die Ikone. Das Vermächtnis von Marie Curie ist auch viel zu groß dafür. Was man allerdings darstellen kann, ist die Frau dahinter. Und zwar so, wie sie damals, zu ihrer Zeit, war. Und nicht etwa so, wie wir sie heute, aus unserer historischen Perspektive heraus, sehen. Mir war vor allem wichtig, ihre Menschlichkeit zu zeigen. Und ihre Hoffnungen und Ängste, ihre Leidenschaft und Liebe.

Sie scheinen ein Faible dafür zu haben, starke Frauen in einer männerdominierten Umgebung zu spielen. Suchen Sie sich diese Rollen ganz bewusst aus?
Nein, denn ehrlich gesagt kommen diese Rollen eher zu mir. Ich glaube fest daran, dass es einen Grund gibt, warum mir gewisse Rollen zu einem bestimmten Zeitpunkt in meinem Leben angeboten wurden. Nämlich damit ich daran wachsen kann. Was mich interessiert, ist Mut. Ich fühle mich zu Frauen hingezogen, die mutig sind und über sich hinauswachsen. Das trifft auf Marie Curie zu und auch auf Marie Colvin, die Kriegsreporterin, die ich in "A Private War" spielte. Ich habe diese beiden sehr starken und furchtlosen Marien hintereinander gespielt. Das hat mich sehr verändert.

Inwiefern?
Es hat mich angstfreier gemacht. Wenn man eine Person spielt, die einmal gelebt hat, dann ist das wie eine Meditation. Solange die Dreharbeiten dauern, wird mein ganzes Leben völlig von deren Gedanken, deren Gefühlen durchdrungen. Das ist ein extremer Vorgang, fast schon eine Obsession. Darauf lasse ich mich aber sehr gerne ein. Allerdings besteht dabei auch die Gefahr, dass ich mich völlig darin auflöse und verschwinde. Zum Glück hilft mir da aber meine Familie, sodass ich mich nicht verliere und mich wieder erden kann.

Welche Eigenschaften von Marie Curie haben Sie in Ihrem eigenen Charakter wiedergefunden?
Mich treibt eine ähnliche Lust aufs Leben an. Und ich habe eine ähnliche Arbeitsethik. Ich liebe es, hart und konzentriert zu arbeiten. In sinnvolle Aufgaben investiere ich gerne viel Zeit. Marie Curie war, wie gesagt, sehr leidenschaftlich. Nicht nur in ihrer Arbeit, sondern auch in ihren Liebesbeziehungen. Und vor allem in ihrer großen Liebe zu ihrem Mann. Ihre Ehe mit Pierre Curie ist eine der wunderschönsten Liebesbeziehungen, die ich kenne. Da haben sich zwei Seelenverwandte gefunden, sich wahnsinnig geliebt, sich bei ihrer Arbeit gegenseitig unterstützt und gemeinsam etwas Großes kreiert. Wie wunderbar! Diese Leidenschaft brennt auch in mir.

»Ich fühle mich zu Frauen hingezogen, die mutig sind und über sich hinauswachsen«

Marie Curie musste sich ihren Platz in der Männerwelt hart erkämpfen. Sie auch?
Ich habe schon immer in dem Bewusstsein gelebt, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Zumindest habe ich dieses Recht jederzeit für mich in Anspruch genommen. Diese Einstellung hat sicher mit meiner Erziehung zu tun. Meine Eltern waren beide Opernsänger und haben sich immer als gleichwertig empfunden. Nie hat einer den anderen übervorteilt. Das haben sie mir vorgelebt. Das war für mich also absolut normal. Meine Eltern haben mich auch immer sehr unterstützt. Meine Mutter sagte oft zu mir: "Du kannst alles erreichen, wenn du es nur wirklich willst." Ich hatte schon in jungen Jahren genügend Selbstbewusstsein, um mich mit Schwierigkeiten in meinem Leben aktiv auseinanderzusetzen. Und wenn ich dabei Fehler machte, war das für meine Eltern kein Beinbruch. Im Gegenteil: Sie haben mich immer ermutigt, weiterzumachen. Nie hatte ich Angst, meine Meinung zu sagen. Wenn nötig, auch sehr deutlich.

Hat Ihnen diese offene Art nie geschadet?
Daraus entstanden mitunter starke Konflikte. Und manchmal habe ich mich damit in ziemlich große Schwierigkeiten gebracht - aber letztlich hat man mich für meine Ehrlichkeit immer respektiert.

Sie hatten nie Angst, eine Filmrolle zu verlieren? Oder sogar Freunde oder Lover?
Nein, obwohl mir das alles natürlich passiert ist. Auf lange Sicht betrachtet habe ich die Erfahrung gemacht, dass man dadurch aber nicht wirklich etwas verliert, das einem wichtig ist. Und was wäre die Alternative? Mit einer Lüge leben? Mir ist Integrität sehr wichtig. Menschen, die sich ihre Integrität bewahrt haben, finde ich ungeheuer attraktiv.

Was meinen Sie: Ist eine Frau, die schön und intelligent ist, die ultimative Bedrohung für einen Mann?
(Lacht.) Das kann gut sein. Und wenn sie dann noch Witz hat, ist alles zu spät Davon lassen sich Männer oft einschüchtern. Ein guter Sinn für Humor verleiht einer Frau Macht. Zumindest habe ich diese Erfahrung gemacht. Aber ist es nicht bezeichnend, dass in den meisten Hollywoodfilmen Frauen nur dann witzig sein dürfen, wenn sie nicht besonders schön sind?(Lehnt sich weit auf dem Sofa zurück und platziert einen Fuß auf den Glastisch vor uns.) In puncto Rollenverhalten möchte ich aber auch noch etwas anderes loswerden: Wenn eine Frau ein starkes Durchsetzungsvermögen hat und sich nicht unterbuttern lässt, wenn sie unverblümt ihre Meinung sagt und ihre Machtposition klug einsetzt -dann wird sie sehr schnell als "bitch" abqualifiziert. Wenn ein Mann sich so verhält, dann ist er intelligent, selbstbewusst, kompetent, zielstrebig, meinungsfreudig -eine echte Führungspersönlichkeit eben. Dieses verzerrte Bild sagt doch mehr über Männer aus als über Frauen, finden Sie nicht?

»In den meisten Hollywoodfilmen dürfen Frauen nur witzig sein, wenn sie nicht besonders schön sind«

Absolut. Hat sich an diesem Rollenbild in letzter Zeit etwas geändert? Gerade auch durch den Metoo-Diskurs?
Ich finde schon, dass sich Frauen nicht mehr so isoliert von anderen Frauen fühlen, sondern jetzt eher ein Gefühl für Gemeinschaft und Solidarität untereinander haben. Denn eigentlich waren Frauen doch immer Rivalinnen. Wir kämpften um Männer, Filmrollen, Anerkennung, kurz: um unseren Platz in der Welt! Durch diese Diskussionen sind Frauen seit einiger Zeit viel offener geworden. Auch diese "Stutenbissigkeit" habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Ich bin mir allerdings bewusst, dass ich -als privilegierte weiße Frau -in keiner Weise der Maßstab dafür bin, wie Frauen generell auf diesem Planeten behandelt werden. Wäre ich nicht weiß, hätte ich nicht eine so gute Bildung erhalten, wäre ich in einem anderen Land aufgewachsen -da sähe die Sache sicher ganz anders aus.

Waren Sie jemals das Opfer sexueller Übergriffe?
Nein, zum Glück nicht. Mir war immer sehr bewusst, wie ich mit meinem Körper umgehen sollte. Ich habe mich nie ausnützen lassen - weder von Männern noch von Frauen. Ich bin auch sehr gerne Team-Player. Ich drehe gerade eine TV-Serie in der Tschechischen Republik. Da lege ich großen Wert darauf, dass ich auch für andere Frauen am Set offen und erreichbar bin. Denn als junge Schauspielerin habe ich mir immer gewünscht, dass mich vielleicht eine ältere Kollegin mal in den Arm nimmt und tröstet oder mir einen Rat gibt. Das ist leider nie passiert. Ich mache das aber gerne. Vor allem bei meinen jüngeren Kolleginnen.

Ihre Karriere begann vor fast 20 Jahren als Bond-Girl an der Seite von Pierce Brosnan in dem Film "Stirb an einem anderen Tag". Viele Schauspielerinnen blieben an einem solchen Image kleben - Sie haben sich recht schnell davon freigespielt.
Und ich bin sehr froh, dass mir das gelungen ist. Obwohl ich damals noch sehr unsicher und unerfahren war. Hinzu kam, dass ich im Grunde meines Herzens eine sehr ängstliche Frau bin -übrigens auch heute noch. In mir tobt ständig ein Kampf: Angst gegen Wagemut. Als ich mit der Schauspielerei anfing, wurde mir aber schlagartig klar, dass ich mich meinen Ängsten stellen musste, wenn ich nicht unter die Räder kommen wollte.

Nach dem Motto "Hast du Angst vor Haien, spring ins Wasser und schwimm mit ihnen?"
Ganz genau. Meinen Ängsten ins Gesicht zu sehen, mit dem Vertrauen, dabei doch einen Fuß vor den anderen setzen zu können - daran bin ich gewachsen. Das versuche ich auch meinen beiden Kindern beizubringen (seit 2009 ist sie mit dem 16 Jahre älteren Geschäftsmann Robie Uniacke zusammen; mit ihm hat sie zwei Söhne, Solo, 7, und Atom, 5). Wenn einem etwas leichtfällt, kann man es zwar gut, man wächst aber nicht daran. Man wächst daran, sich Hindernissen zu stellen und sie zu überwinden. Ich lobe meine Söhne immer dann, wenn sie sich bei einer Sache besonders anstrengen. Nicht so sehr dafür, was letztlich als Resultat dabei herauskommt.

"Privat bin ich viel extremer, als die Leute denken", sagten Sie mal. Wie meinten Sie das?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich habe letzte Nacht kaum geschlafen. Früher hätte ich mir große Sorgen gemacht, ob ich einen so langen Interviewtag überhaupt überstehen würde. Jetzt sorge ich mich nicht mehr. Was habe ich gemacht? Stundenlang laut Tanzmusik gehört und so getan, als ob ich einfach durchmache. (Beugt sich weit vor und blitzt mich mit ihren großen blauen Augen an.) Lassen Sie sich nicht von mir täuschen. Im Gespräch mit Ihnen bin ich freundlich und offenherzig. Ich lache sehr gern. Aber ich kann auch anders. Gott sei Dank haben das einige Regisseure kapiert -spätestens seit meiner Rolle als mörderische Psychopathin in "Gone Girl -Das perfekte Opfer" - und trauen mir mittlerweile tiefere und komplexere Rollen zu als früher. Dafür bin ich sehr dankbar, denn ich habe doch ein ganzes Orchester in mir: Mal spiele ich die Violine, mal die Flöte, mal haue ich auf die Pauke. Glauben Sie mir: Ich kann wirklich in alle Richtungen explodieren!

Marie Curie faszinierte die Schönheit des Unbekannten. Und was fasziniert Sie?
Mich fasziniert Liebe. Leidenschaft. Leidenschaftliche Menschen sind meist auch sehr romantisch. Ich bin das auch. Und das schätze ich auch sehr an meinem Partner. Außerdem faszinieren mich Innovationen. Ich bin immer total begeistert, wenn Menschen neue Ideen verwirklichen. Zum Beispiel als Elon Musk diesen Roadster von einer Raketen-Startrampe in den Weltraum geschossen hat. Natürlich war das total verrückt und hemmungslos, aber was für ein grandioses Bild!

Sprechen Sie eigentlich fließend Deutsch, wie es das Internet behauptet?
Nein, ich wünschte, es wäre so. Obwohl ich als Kind mit meinen Eltern oft Deutschland bereist habe. Damals sprach ich Deutsch. Heute leider nicht mehr.

Verraten Sie uns noch Ihr Lebensmotto?
(Denkt lange nach.) Sag die Wahrheit!

Zur Person

Rosamund Pike Geboren am 27. Januar 1979 in London, studierte sie englische Literatur und wurde in einer Studentenaufführung entdeckt. Mit dem "Bond"-Film "Stirb an einem anderen Tag" (2002) wurde sie berühmt. Seither arbeitete sie mit Anthony Hopkins, Dustin Hoffman und Rowan Atkinson und ist auch auf der Bühne präsent. Sie ist verheiratet und hat zwei Söhne

Dieses Interview erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 20/30

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