Richard Straub: "Wenn ein Manager schlecht agiert, bekommt er rasch die Rechnung präsentiert"

Das in Wien stattfindende Drucker Forum widmet sich den Zukunftsherausforderungen von Management und Leadership. Sein Gründer, Richard Straub, erklärt, warum Politiker oft schlechte Manager sind. Und: warum humanistische Bildung in Spitzenjobs so wichtig ist

von Interview - Richard Straub: "Wenn ein Manager schlecht agiert, bekommt er rasch die Rechnung präsentiert" © Bild: News/Roland Ferrigato
Richard Straub Der gebürtige Wiener hat Jus studiert und war 32 Jahre lange bei IBM tätig. Er ist Gründer des Global Peter Drucker Forums, das heuer zum 13. Mal stattfindet: am 10. und 17. November digital sowie am 18. und 19. November "in person" in Wien. Über "The Human Imperative. Digital Humanism as a Framework For Progress" sprechen u. a. Julian Nida-Rümelin, Peter G. Kirchschläger, Don Tapscott und Helga Nowotny. Info: www.druckerforum.org

News: Wenn das 20. Jahrhundert das Jahrhundert des Management genannt wird, sollte das 21. Jahrhundert im Zeichen des Leadership stehen." Diesen Satz haben Sie vor zwei Jahren veröffentlicht. Seither hat sich die Welt durch Corona verändert, es gibt einen enormen Vertrauensverlust für Führungspersonen in Politik und Wirtschaft. Reden wir über "Leadership in der Krise".
Richard Straub:
Viele glauben, bei Management geht es nur um die Umsetzung von Plänen. Aber man muss das breiter denken: Leadership ist entscheidend, weil es die Richtung vorgibt. Von Peter Drucker, einem amerikanischer Managementtheoretiker mit österreichischen Wurzeln, in dessen Namen wir das Drucker Forum in Wien veranstalten, gibt es ein berühmtes Zitat: "Management is doing things right. Leadership is doing the right things." Das Schlimmste in dieser Beziehung ist es, wenn man die Dinge gut macht, die man eigentlich gar nicht machen sollte. Weil man eine Richtungsentscheidung falsch getroffen hat, die aber dann gut managt. Heutzutage kann man das oft beobachten: große Entscheidungen, die man dann vermeint, mit Hilfe von Big Data, modernen Informationstechnologien und KI umsetzen zu müssen -aber es war schon die Richtung der Erstüberlegung falsch.

Das trifft auf die Wirtschaft ebenso zu wie auf die Politik.
Genau das ist der Punkt. Management ist eine gesellschaftliche Aufgabe, denn alle Institutionen und Organisationen müssen ihre Leistung für die Gesellschaft erbringen. Dafür bedarf es einer Technik und gewisser Fähigkeiten, eben Management. Das gilt für einen Fußballklub genauso wie für Unternehmen oder den Staat.

Man wirft dem Staat und der Politik oft vor, schlechte Manager zu sein. Ist das so?
Ich würde sagen, dass beim Staat ein bestimmtes Korrektiv fehlt. Im Businessmanagement ist man dem Markt und dem Wettbewerb ausgesetzt. Wenn da ein Manager schlecht agiert, bekommt er rasch die Rechnung präsentiert -es sei denn, er hat ein Monopol. Beim Staat ist das nicht so. Ein Beispiel, wo die Politik eine Entscheidung, ohne die Hausaufgaben gemacht zu haben, getroffen hat, ist die Energiewende in Deutschland. Das war gegen alle Managementgrundsätze. Da hätte man fragen müssen, was die Kosten sind, was der künftige Bedarf in unseren Stromnetzen ist, welche Folgen es für die Konsumenten haben wird, welche Alternativen es gibt, welche Effekte wir damit auslösen können. Und man muss eine solche Entscheidung laufend verfolgen und adaptieren. Das ist Management. In der Politik gibt es die Tendenz, zu sagen: "Wir legen das jetzt fest, und das bleibt so." Das ist der allergrößte Mangel und die Gefahr des politischen Managements. In der Wirtschaft haben wir gelernt, dass man das in einer komplexen Situation nicht machen kann und darf. Es kann sein, dass man sich ein Ziel setzt, aber nach sechs Monaten kommt man drauf, dass es so nicht geht. Man muss anpassen und lernen. Darum gibt es in der Wirtschaft etwa das Prototyping -etwas versuchen, aber ohne volles Risiko.

»Ein Politiker, der sein Image aufpoliert, kann die wahren Probleme übertünchen«

In einer Regierung ist es meist ein Kraftakt, zu einer Entscheidung zu kommen, und dann will sie keiner aufschnüren.
Aber die Folgen einer solchen Entscheidung werden dann immer gravierender. Nehmen Sie die Klimapolitik: Man trifft Festlegungen auf Jahrzehnte, die dann nicht mehr hinterfragt werden dürfen, und man tut so, als wären die Maßnahmen wissenschaftlich begründet. Man kann zwar wissenschaftlich begründen, wie sich das Klima verändert, aber was man dann tut, ist gar nichts Wissenschaftliches. Das tut man in der Praxis, in einem sehr komplexen Umfeld und, wenn man sich dort festlegt, ohne Lerneffekte einzubauen, dann gibt es "Unintended Consequences", also unbeabsichtigte Folgen wie etwa die Erhöhung der Energiekosten, wie wir sie in Deutschland seit Jahren sehen, und die Instabilität des Stromnetzes, die bis zur Gefahr eines Blackouts mit dramatischen Folgen gehen kann.

Das gilt auch, wenn Politiker auf Straßenbauprojekten beharren, die vor 30 Jahren geplant wurden?
In der Wirtschaft würde man evaluieren. Bis jetzt ist man in der Politik irgendwie durchgekommen, auch wenn man die Probleme schon sehen konnte. Aber jetzt sind wir in einer Zeit, in der sehr viel zusammenkommt. Der "Perfect Storm". Wenn man jetzt große Fehler macht, können die Folgen sehr gravierend sein. Wir sind heute in einer der kritischsten Situationen der Nachkriegszeit. Alle glauben, es geht wieder gut, die Wirtschaft läuft ja wieder. Aber im Hintergrund braut sich einiges zusammen.

Sie sagen, in der Wirtschaft bekomme man schneller die Rechnung präsentiert. Der Politik wirft man vor, nur auf Wahltage zu schielen und nicht nachhaltig zu agieren.
Eine Herausforderung in der Demokratie ist, dass das Korrektiv eben nicht die Realität ist. Es sei denn, die Probleme, die die Politik verursacht hat, sind bereits so groß, dass sie nicht mehr versteckt werden können. In Wirklichkeit geht es in der Politik aber viel öfter um die Darstellung von vermeintlichen Realitäten mit den Mitteln der Kommunikation, was dann zu Wahlergebnissen führt. Dabei kann die Persönlichkeit eines Politikers viel überdecken. Ein Politiker, der sein Image aufpoliert, kann die wahren Probleme übertünchen. Damit schafft er aber langfristige Probleme.

Wären wir besser durch die Coronakrise gekommen, wenn unsere Politiker bessere Manager wären?
Ich glaube schon. Management zwingt uns dazu, darüber nachzudenken, welche Fragen man bei einem Problem überhaupt stellen muss und dass man nicht gleich mit vorgefertigten Antworten kommen darf. Drucker hat gesagt: "Es geht nicht um die Antworten, es geht um die richtigen Fragen." Bei Problemen wie Corona muss man verstehen: Was kann ich von der Wissenschaft erwarten, und bei welchen Problemstellungen kann sie mir nicht helfen, weil es eine gesellschaftlich komplexe Situation ist? Die Wahrheit ist: Komplexität kann man nicht mit den traditionellen Werkzeugen managen. Wir kommen noch aus einer Zeit, als die Dinge klarer waren. Im Industriezeitalter konnte man Produktionsvorgänge managen, man hat die Märkte besser verstanden, in Unternehmen hatte man eine klare Hierarchien, wo der Chef - vermeintlich - wusste, wo es lang geht, und die Anweisungen gab. Heute leben wir in einer Welt, in der die Unübersichtlichkeit immens gestiegen ist und man nicht in der alten Weise managen kann. Man bekommt keine klaren Antworten mehr, man muss neue Wege dafür finden.

Wie können die aussehen?
In Wirklichkeit müssen wir zugeben, dass man nicht alles managen kann. Das Management von komplexen Situationen funktioniert nicht so, dass man sagt: "Ich habe mir ein Ziel gesetzt, das erreiche ich jetzt." Man kann sich bestenfalls die Richtung vornehmen. Bei den Entwicklungszielen der UNO etwa sagt man etwa: "Wir bekämpfen die Armut oder den Hunger." Allerdings können Entwicklungsprogramme, die top-down angelegt sind, nicht funktionieren. Wenn es uns nicht gelingt, sie an der Basis, also von unten nach oben, zu orchestrieren, geht es nicht. Ähnlich ist es beim Kampf gegen den Klimawandel.

Die Politik will oft einfache Antworten. Muss sie damit an komplexen Aufgaben nicht zwangsläufig scheitern? Wir sehen ja auch, dass sich die Wirtschaft rasch erholt hat, während die Politik in der Coronakrise unter Vertrauensverlust leidet.
In der Politik gelten andere Spielregeln als im Markt. Natürlich geht es auch hier um Wettbewerb, nur bringt uns dieser hier zunehmend in Schwierigkeiten. Der Markt ist durch positive Innovationen getrieben, die sich durchsetzen, weil sie vom Kunden angenommen werden. Doch in der Politik gibt es statt echten Innovationen zuerst einmal nur Schlagworte und schöne Sprüche. "Grünes Wachstum" zum Beispiel. Das klingt gut, und jeder wünscht es sich. Aber ein solches Schlagwort an sich ist ja noch keine Innovation. Innovationen sind nicht planbar, man kann nur die besten Rahmenbedingen dafür schaffen. Aber dann muss man die Dinge laufen lassen, und keiner kann vorhersagen, was passieren wird. Grünes Wachstum kann aus Ecken kommen, die man derzeit nicht erahnt. Das ist das Wesentliche beim Management komplexer Situationen. Und was die Wirtschaft betrifft: Ihr geht es zwar besser, aber da sind auch gewisse Aufholeffekte dabei. Unter der Oberfläche sind die Zulieferketten zerrüttet, die Energiesituation instabil, Fabriken sperren zu, die Rohstoffpreissituation ist schwierig, und es gibt starke inflationäre Tendenzen.

»Ohne Kontext und historischen Zusammenhang kann man Dinge nicht beurteilen«

Die Politik bejubelt allerdings den Aufschwung.
Die Politik wäre aufgefordert, sich an die grundlegenden Dinge heranzutrauen. Wir haben Länder, deren Schuldenstand sich in kurzer Zeit radikal erhöht hat. Momentan profitieren sie von den Nullzinsen. Aber kann man darauf für die nächsten Generationen aufbauen? Man kann nicht damit rechnen, dass es sich ein Finanzsystem ewig leisten kann, das Geld ohne Preis herzugeben. Diese grundlegenden Probleme anzugehen, das wäre Leadership.

Drucker spricht von einer "unternehmerischen Gesellschaft" und meint damit deren Bereitschaft, sich ständig neu zu erfinden. Brauchen wir eine "unternehmerische Demokratie"?
Das wäre die Innovation der Demokratie. Jedes System muss sich überlegen, wie es die nächsten Jahre weiter existieren kann und welche Entwicklung es dafür braucht. Die Demokratie ist an diesem Punkt. Ein Prozess der Selbsterneuerung darf aber nicht nur von engen politischen Interessen und einigen Aktivisten getrieben werden, es braucht die richtige Mischung mit Beteiligung der Bevölkerung.

Wenn man bedenkt, wie demokratische Prozesse, etwa Wahlen, heute in den sozialen Medien beeinflusst werden können, muss man sich aber fragen, ob so die Arbeit der Demokratie an sich selbst nicht auch manipuliert werden könnte.
Es gibt ja in manchen Institutionen die Tendenz, zu sagen, wir sind in einer Krise, drücken wir doch die Reset-Taste. Wir haben die Technologien, etwa die sozialen Medien und künstliche Intelligenz, mit denen wir auch eine gesellschaftliche Erneuerung schaffen. Wir sehen das beim Drucker Forum anders, nämlich von der menschlichen Seite. Wir diskutieren über den humanen Imperativ und digitalen Humanismus. Man kann die Welt nicht mit digitalen Technologien umfassend abbilden, und schon gar nicht den Menschen.

Man darf nicht zu viel Verantwortung an künstliche Intelligenz übertragen?
Undenkbar. Es sind zu viele ethische Fragen damit verbunden. Es gibt ja die Tendenz, zu sagen: "Wenn der Algorithmus mir das Ergebnis liefert, dann muss es ja stimmen." Dabei vergisst man aber, dass der Algorithmus von einem Menschen geschaffen wurde. Wir werden solche Fragen mit großem Ernst beim Drucker Forum im November diskutieren.

Mit allen Irrtümern und Fehlannahmen. Es gibt ja die Beispiele, etwa in den USA, dass KI Rückfallquoten von Straftätern "errechnet" und dabei People of Color schlechter bewertet wurden. Oder dass bei der Suche nach IT-Personal Bewerberinnen aussortiert wurden.
Das Problem ist, dass die Leute, die das programmieren, glauben, sie verbessern das ein bisschen, und dann funktioniert es. Das geht nicht. Es gibt nicht die Lösung, die das so kann, dass es für Menschen adäquat ist. Dort haben wir eine Rolle zu spielen. Man kann komplexe Einschätzungsvorgänge nicht über einen Kamm scheren. In Europa gibt es eine humanistische Tradition, die in Amerika oder Asien nicht in dem Ausmaß vorhanden ist. Wir haben hier die Denker, die zeigen, dass Transhumanismus Antihumanismus ist.

Wie wichtig ist klassische humanistische Bildung, um mit den digitalen Tools überhaupt verantwortungsvoll umgehen zu können?
Das ist überhaupt die essenzielle Frage. Peter Drucker hat Management nicht als Technik definiert, sondern als "Liberal Art" im Sinne einer breiten Bildung, zu der Geisteswissenschaften, Soziologie und Psychologie gehören. Ohne Kontext und historischen Zusammenhang kann man Dinge nicht beurteilen. Wenn man sich in Philosophie nicht auskennt, kann man nicht über wichtige Fragen nachdenken, sondern endet in oberflächlichen Statements. Wie soll man über Ethik diskutieren, wenn man nicht weiß, was das heißt? Die Anforderungen an Manager und Führungspersonen der Zukunft sind diesbezüglich sehr hoch. Der Horizont derer, die Entscheidungen treffen, ist leider oft viel zu eng. Der neue Manager ist der humanistische, dass er nebenbei auch die Technik oder die digitale Welt verstehen muss, ist ohnehin klar.

Eine ethische Frage: Wie viele Menschen in einem Betrieb ersetze ich durch Technik?
Das ist ein Musterbeispiel. Solche Entscheidungen beruhen oft auf Studien und Daten, die falsch sind, weil sie nur einen Bruchteil der Realität aufnehmen. Der Wirtschaftswissenschaftler Clayton Christensen erzählte dazu gerne einen Witz: "Wenn ich in den Himmel komme und mich umschaue, sehe ich dort alles, nur keine Daten. Und Petrus sagt auf die Frage, wo die denn sind: ,Daten lügen immer. Die sind in der Hölle.' Darum sage ich immer, wenn mich jemand fragt, wo die Daten für mein Argument sind:,Go to hell!'" Er hat klar erkannt: Daten sind nur ein Bruchteil der Realität.

Aber man kann sich bei unangenehmen Entscheidungen, die ethisch fragwürdig sind, hinter ihnen verstecken.
Das sind genau die Grenzen von KI und Algorithmen. In der Ethik gibt es das Aufrechnungsverbot. Man kann nicht jemanden umbringen, weil man vermeint, jemand anderen damit zu retten.

Ein Algorithmus würde das ausrechnen.
Das passiert ja auch, etwa beim autonomen Fahren. Er rechnet, weil er keine andere Möglichkeit kennt, in der Extremsituation, ob man über den Jungen oder den Alten fährt.

Wie viel von diesen Überlegungen kommen im Alltag bei Managern an?
Das ist eine berechtigte Frage und schwierig, denn Unternehmen stehen unter dem Druck des Marktes. Wie agiert ein Manager, wenn sein Unternehmen unter Existenzdruck steht? Da zeigt sich der wahre Charakter des Unternehmers. Natürlich muss ein Unternehmen seine Leistung erbringen. Aber wie es die erbringt, da gibt es sehr viele Wahlmöglichkeiten.

Winston Churchill wird das Zitat zugeschrieben: "Never let a good crisis go to waste", also: "Lass eine ernste Krise nicht ungenutzt verstreichen", weil die Menschen in einer solchen eher bereit sind, Veränderungen anzunehmen. Merken Sie schon etwas?
Auch die Coronakrise war ein Beschleuniger. Denken Sie nur an die Organisation von Arbeit.

Was sollte Ihrer Meinung nach am Ende einer solchen Krise stehen?
Wieder ein Grundsatz von Peter Drucker: Dass wir die Gesellschaft leistungsfähiger machen, aber gleichzeitig menschlicher. Das ist die Herausforderung. Das ist die europäische Tradition. Damit geben wir ein starkes Signal an die Welt. Die in Wien so stark verankerte Bewegung des digitalen Humanismus kann uns dabei helfen.

Das Interview erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 42/21

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