Reinhold Mitterlehner: "Gespannt, ob Vilimsky Regierungssprecher wird"

Der ehemalige Vizekanzler Reinhold Mitterlehner hat mit seinem Buch "Haltung" hohe politische Wellen geschlagen. Im Interview mit News.at ergänzt der ÖVP-Politiker seine Anschauungen, warnt vor kritischen Entwicklungen in der österreichischen Politik und erläutert sein gegenwärtiges Verhältnis zu Partei.

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Interview - Reinhold Mitterlehner: "Gespannt, ob Vilimsky Regierungssprecher wird"

News.at: Haben Sie mit diesen Reaktionen zum Buch gerechnet?
Reinhold Mitterlehner: Es waren zugegeben aufregende Tage, das Buch hat polarisiert. Es gab viele Politiker aus der ÖVP, die sich klar geäußert haben und auf der anderen Seite genauso klar haben viele andere im Bereich Social Media geäußert. Ich finde es bemerkenswert, dass eine Diskussion in Gang gesetzt worden ist, was in Zeiten wie diesen gar nicht so oft der Fall ist.

Zwei ehemalige ÖVP-Obmänner kritisieren Ihr Buch und stellen sich auf die Seite von Kurz. Und auch sonst scheint es niemanden mehr in der ÖVP zu geben, der sich explizit positiv zu Ihrem Buch geäußert hätte. Wie erklären Sie sich das?
Es ist ja logisch, dass niemand eine inhaltliche Diskussion seitens der Parteiführung haben möchte, was ich durchaus verstehe. Auf der anderen Seite finde ich es bemerkenswert, dass dennoch Äußerungen entstehen konnten, die sozusagen eine Fernbekundung über meine Motive abgeben. Es sei dahingestellt, wem das jetzt nützt oder nicht.

»Bin gespannt, ob Vilimsky Regierungssprecher wird«

Werten Sie es als Teilerfolg, dass sich Kanzler Kurz am vergangenen Sonntag zu Ihrem Buch gerechtfertigt hat?
Es bringt auf jeden Fall etwas für die Wucht, die das Buch auslöst, wenn es beim Publikum sehr gut ankommt. Dazu haben die Stellungnahmen der Partei wesentlich beigetragen. Das ist die eine Seite. Wie man jetzt zur Vergangenheit Stellung nimmt, ist gar nicht so sehr der entscheidende Punkt. Was mich in erster Linie gefreut hat, war das Zustandekommen einer politischen Diskussion in Österreich.

Diese Diskussion ist auch durchaus angebracht, denn was ich im Buch beschrieben habe, hat sich in der Realität mittlerweile ja längst überholt. Wenn ich die Äußerungen diverser Politiker wieder lesen muss, dann waren diese Hinweise berechtigt, dass sich Österreich von einer früher offenen, pluralistischen zu einer ausgrenzenden Gesellschaft entwickelt. EU-Spitzenkandidat Vilimsky sagt, was ich vernommen habe, Multikulturalität wolle man – und zwar in der Regierung – nicht. Bin ja gespannt, wie die Reaktionen noch ausfallen und ob er neuer Regierungssprecher wird. Allein unter diesem Gesichtspunkt war mein Diskussionsbeitrag mehr als angebracht.

© Udo Titz Reinhold Mitterlehner

Über Social Media haben wir als Reaktion auf Ihr Buch zahlreiche Kommentare erhalten, dass „Verlierer“ still bleiben und die „Gewinner“ reden lassen sollten. Was erwidern Sie dieser Haltung?
Das ist eine überzeichnete Darstellung, aber ich kann nur jeden respektieren, der diese Meinung hat. Es gibt auch genügend andere, die sagen, Gesellschaft oder Demokratie lebt von der Pluralität. Die Frage ist, ob eine Meinung, die geäußert wird, sich irgendwo auch an Werthaltungen orientiert und richtig oder falsch ist.

Ich möchte jetzt auch weder rückwärtsgewandt eine Wahl wiederholen, noch vorwärtsgewandt in eine Wahl gehen. Ich habe mich als politischer Bürger mit einer bestimmten Verantwortung eingebracht, die ich für die weitere Entwicklung von Österreich schon auch sehe.

»Ich bin weder Heiliger noch der einzige, der die Wahrheit gepachtet hat«

Bleiben wir beim Thema „Haltung“ – Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Partei und Spitzenfunktionäre alle über die Machtübernahme von Kurz Bescheid gewusst, aber tatenlos zugesehen haben, ohne sich auf eine Seite zu schlagen. Hat in der ÖVP niemand mehr Haltung außer Ihnen? Oder wie darf man das verstehen?
Ich bin weder Heiliger noch der einzige, der die Wahrheit gepachtet hat. Es ist nur darum gegangen – und das war auch die Ableitung für den Titel – dass ich nicht derjenige sein wollte, der in der Partei die Koalition mutwillig bricht, um taktisch andere zum Erfolg zu bringen. Um Neuwahlen und dann eventuell die Chance zu haben, den Kanzler zu stellen. Mein Zugang war, dass ich verpflichtet bin, Politik für das Land zu machen. Und wenn diese Politik in der Umsetzung mit dem Koalitionspartner scheitert, dann kann ich in Neuwahlen gehen. Das war der entscheidende Grund, warum ich meinen Schritt Richtung Rücktritt gemacht habe - und warum ich jetzt das Buch geschrieben habe.

Sie werfen jetzt Ihren Parteikollegen aber nicht mangelnde Haltung vor?
Ich werfe niemandem etwas vor. Mein Anliegen ist es, das Narrativ nicht stehenzulassen, das entstanden ist, die frühere Regierung hätte nur gestritten und nichts weitergebracht. Dieses Machtgefüge und diese Entwicklungen wollte ich auch für den Leser einmal darstellen, damit er einen Eindruck hat, wie Politik wirklich funktioniert.

Die Würfel sind gefallen, ich akzeptiere auch, dass das so ist und will das Rad auch gar nicht zurückdrehen. Ich möchte aber auch nicht, dass man eine andere Erzählung in der Öffentlichkeit darstellt, als tatsächlich passiert ist.


Sie dokumentieren in Ihrem Buch eine beeindruckende Parteikarriere. Aber gibt es auch einen großen Fehler, den Sie sich im Nachhinein betrachtet attestieren würden?
Selbstverständlich, das Leben ist eine Reihe von Fehlern, man sollte sie halt nicht zweimal machen. Es ist in dem Buch ja auch sehr offen dargestellt, dass es uns nicht gelungen ist, rund um das Thema Steuerreform den Erfolg beider Regierungsparteien zu verkaufen. Da hat einer gegen den anderen verkauft. Es ist genauso klar angesprochen, dass die Kandidatenaufstellung der Bundespräsidentenwahl alles andere als gut gelaufen ist. Und sicherlich hat die Regierung wie auch andere Länder einige Fehler zum Thema Flüchtlinge begangen, weil eine nicht vorhersehbare Dynamik dahinter steckte. Sollte jemand den Eindruck gewinnen, ich würde mich heroisieren wollen, dann hat er das Buch nicht gelesen.

»Wie man es umgesetzt hat, das habe ich nicht als positiv empfunden«

Und würden Sie es im Nachhinein betrachtet nicht als Fehler sehen, Sebastian Kurz als Präsidenten der Politischen Akademie bestellt zu haben?
Das sehe ich absolut nicht als Fehler, das war auch kein entscheidender Faktor. Ich habe auch prinzipiell nichts dagegen einzuwenden gehabt, wie sich die Entwicklung ergeben hat. Dass eben Sebastian Kurz nach mir die Partei übernehmen wird. Nur: Wie man das vorbereitet und umgesetzt hat, und welche Rolle mir man dabei zugemessen hat, das habe ich nicht als positiv empfunden.

Die Machtübernahme in der ÖVP ist Ihren Angaben zufolge von langer Hand geplant gewesen. Ärgert es Sie nicht, dass Sie Kurz in gewisser Weise auf den Leim gegangen sind?
Schauen Sie, in einer Firma haben Sie ganz klare Möglichkeiten zu reagieren, wenn jemand etwas entwickelt, das nicht im Sinne des Eigentümers ist. Dann zieht diese Person entsprechende Konsequenzen. In der Politik können Sie das nicht machen, weil es ein komplexeres System ist. Sie können schon etwas anprangern oder auch durchziehen, nur haben Sie dann halt eine demotivierte Partei, die die nächste Wahl sehr wahrscheinlich nicht gewinnen wird.
Daher habe ich diese Auseinandersetzung im Interesse der Einheit der Partei in keinem Fall in die Öffentlichkeit getragen. Mir daher jetzt zu unterstellen, ich würde keine Parteiräson haben, das ist absoluter Unsinn. Das hätte ich sogar alles machen und kein Mensch hätte etwas dagegen sagen können, weil ich damals gewählter Parteiobmann war. Das habe im Sinne der Einheit nicht getan, die Partei hat die Wahlen auch gewonnen. Aber selbst der Gewinn einer Wahl rechtfertigt es nicht, alles erzählen und umfunktionieren zu können, wie man es gerne hätte.

Welches Verhältnis pflegen Sie noch zur ÖVP?
Zu diversen Kollegen pflege ich ein ganz normales Verhältnis. Diejenigen, die sich jetzt teilweise zu Wort gemeldet und mich kommentiert haben, haben mich zwei Jahre lang weder gesehen noch gehört oder angerufen. Da wird mir jetzt niemand vorwerfen können, dass ich den engen Kontakt verliere. Das ist umgekehrt kein Vorwurf: Es mag ja sein, dass das auch an mir gelegen haben könnte. Das Ganze ist ja nie einseitig, sondern immer doppelseitig zu verstehen.

»Als würde man nicht die Notwendigkeit sehen, ein gesundes Mittelmaß zu finden«

Wieviel alte ÖVP ist seit der Ära Kurz noch übrig geblieben?
Das ist Vieles im Wandel. Zum einen ändern sich Mitgliedschaften einer Partei ändern im Zeitalter der Digitalisierung, die Mitgliedschaft mit Karte verliert an Bedeutung. Zum anderen hat sich nicht nur eine Partei geändert, sondern mit ihr auch die Gesellschaft. Das ist in ganz Europa so, dass wir den Zug Richtung rechts haben. Damit meine ich, dass man zunehmende Fremdenfeindlichkeit bemerkt. Das ist das Thema, mit dem man Wahlen entwickelt und zum Teil bedauerlicherweise auch gewinnt. Diese Gruppen haben kaum eine Interessensvertretung und da ist es relativ leicht Angst zu schüren, die man scheinbar löst. In Wirklichkeit löst man aber gar nichts.

Die ÖVP hat sich weiterentwickelt, hat einen großartigen Wahlerfolg gehabt. Aber Faktum ist – und das soll jetzt keine Boshaftigkeit sein - viel rund um das Thema Flüchtlinge und einen entsprechend restriktiven Umgang mit diesen Gruppen entwickelt. Angefangen von der Ablehnung des UNO-Migrationspaktes bis hin zu einem Thema, wo man ein Europa, das schützt, verspricht. Als ob jetzt ein Großangriff von jemandem bevorstehen würde und man nicht die Notwendigkeit sieht, irgendwo ein gesundes Mittelmaß zu finden.

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Sie sind offensichtlich kein Freund der gegenwärtigen Bundesregierung. Die Österreicher und Österreicherinnen laut Umfragen tendenziell allerdings schon. Ist das ausschließlich auf das von Ihnen bezeichnete „Ergebnismarketing“ zu beziehen? Wie erklären Sie sich das?
Faktum ist, dass die Umfragen derzeit offensichtlich positiv sind. Jetzt können aber Umfragen nicht der ausschließliche Maßstab für die Qualität einer Politik sein. Ich habe es als Politiker eher umgekehrt gesehen: Ich muss das Richtige tun und schauen, dass das populär wird. Momentan ist das Flüchtlingsthema ganz sicher ein Hintergrund, warum die Regierung so gut liegt. Ich bin gespannt, ob sich das auf Dauer so aufrechterhalten lässt, wenn die Leute bemerken, dass die Flüchtlingszahlen ja dramatisch zurückgegangen sind und mittlerweile weder Dringlichkeit noch Emotionalität bei diesem Thema angebracht ist.
Herr Strache hat einen Tag nach Ihrem Rücktritt getwittert, dass Kanzler Kurz Sie gemobbt hat und vor dessen menschlichen Qualitäten gewarnt. Wie passt es Ihrer Ansicht nach zusammen, dass die beiden jetzt in einer Koalition sitzen? Was sagt das Ihrer Ansicht nach über Ihren Nachfolger als Vizekanzler aus?
Die Funktion verändert natürlich den Standpunkt. Damals war Strache Oppositionsvertreter und jetzt ist er Regierungsvertreter. Das werfe ich ihm nicht vor, das ist logisch nachvollziehbar. Ich würde auch sagen, dass ich zu bestimmten Themen vor einiger Zeit graduell etwas anderes gesagt habe als jetzt, weil sich möglicherweise die Perspektive oder die Umstände geändert haben.

»Mehr als nur ein paar Irregeleitete an Bord«

Wie lange werden das Duett Strache und Kurz noch ziehen? Glauben Sie, dass die Bundesregierung die volle Legislaturperiode durchhalten wird?
Das kann und will ich gar nicht beurteilen. Ich sehe aber regelmäßig Auseinandersetzungen mit Meldungen und mit Äußerungen, die nicht zu einem modernen und offenen Staatsgefüge passen. Es ist doch eigenartig, wenn ich mich als Partei mit solchen Themen wie den Identitären, Rattengedichten oder Plakaten mit „Tradition vor Migration“ auseinandersetzen muss. Dann habe ich doch für alle erkennbar mehr als nur ein paar Irregeleitete an Bord.

Das war auch ein Anliegen mit dem Buch, ob wir da eben nicht ein anderes Problem haben. Nämlich ein inhaltliches, in welche Richtung man mit dem Land Österreich geht.

Hat Sie die längere Pause vom politischen Alltag ruhiger gemacht? Sie wirken so gesetzt und gelassen.
Natürlich, weil ich mehr Gelegenheit habe, die Dinge auf mich wirken zu lassen. Ich hab schon den Eindruck, dass viele durch die Inflation der Wortmeldungen abstumpfen und gar nichts mehr sagen. Sieht man das Ganze mit mehr Distanz, merkt man dann doch die eine oder andere Weichenstellung und Veränderung deutlicher.

Was würden Sie jemandem raten zu wählen, der in der Prä-Kurz-Ära ÖVP gewählt hat?
Das muss jeder für sich entscheiden. Aber man soll sich einfach ein paar Wertmaßstäbe hernehmen und es daran ausrichten und nicht jetzt nur nach Gefühl urteilen. Ich bin weder der Ratgeber oder der Meinungsentwickler für andere Parteien. Mir ist die inhaltliche Auseinandersetzung – damals wie jetzt - immer am wichtigsten gewesen.

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Kommentare

kippi

Herr Mitterlehner! Finden Sie sich bitte damit ab, dass Sie einfach nicht fähig waren diese Position auszuüben und schreiben Sie ein neues Buch; Was habe ich falsch gemacht?

Letzten Freitag bekam ich $ 28755, weil ich arbeitslos bin. Ich möchte unsere Studie behalten. Ich habe letzte Woche hart gearbeitet und $ 19500 verdient Studieren Sie diese Website, um zusätzliche Fakten zu erhalten ..
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