"Wir haben keine Zeit, zu streiten"

Seit etwas mehr als 100 Tagen regiert Rot-Pink in Wien. News bat Bürgermeister Michael Ludwig und Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr zu einem Interview- "Spaziergang" durch die 23 Wiener Gemeindebezirke.

von Interview - "Wir haben keine Zeit, zu streiten" © Bild: Ricardo Herrgott/News

Nach seinem Wahlsieg letzten Oktober hat Wiens Bürgermeister Michael Ludwig die Grünen als Koalitionspartner ausrangiert und statt ihnen die Neos und Christoph Wiederkehr als Vizebürgermeister an seine Seite geholt. Seit 100 Tagen regiert Rot-Pink, doch was soll sich ändern? Beim Interview-Streifzug durch die 23 Wiener Bezirke geht es um Corona-Folgen, Streitfälle und Lesetipps.

1. Bezirk

Vor einem Jahr haben sich hier Touristen gedrängt. Nun herrscht gähnende Leere. Wie lange hält Wien das aus?

Ludwig: Die Auswirkungen der Pandemie treffen Wien besonders hart, weil wir einen starken Kongresstourismus haben. Wir setzen jetzt schon Schritte für die Zeit nach der Krise: Zum einen haben wir den Bau eines internationalen Busterminals beschlossen, weil diese Form des Tourismus als erste wieder in die Gänge kommen wird. Zudem planen wir den Bau einer neuen Veranstaltungshalle, die große Sport- und Kulturereignisse ermöglichen wird. Und wir machen mit dem Wien-Tourismus jetzt schon auf den internationalen Märkten, speziell in den USA und Südostasien, auf uns aufmerksam, weil wir hoffen, dass die Menschen nach Wien kommen, sobald größere Tourismusströme wieder möglich sind. Wir wollen die Sehnsucht nach Wien wieder wecken.

Wiederkehr: Die Krise wird noch länger Auswirkungen haben. Im Kongresstourismus bereiten wir uns auf ein Szenario vor, das kleine Veranstaltungen mit digitaler Beteiligung beinhaltet. Wir investieren, um genau diese hybriden Varianten zu ermöglichen.

2. Bezirk

Der Praterstern wird umgestaltet. Die Pläne von Rot-Pink sehen mehr Bäume vor, aber gleich viele Fahrspuren. Greenwashing?

Wiederkehr: Es kommen mehr Grünflächen auf den Praterstern, als ursprünglich angedacht waren. Wir sehen hier mehr Grün und mehr Nachhaltigkeit, mehr Abkühlung, Wasserspiele und mehr Lebensqualität. Ich freue mich sehr auf die Umgestaltung.

Ludwig: Wir haben im Koalitionsübereinkommen umfassende Maßnahmen in puncto Klimaschutz vereinbart. Der neue Praterstern ist unter anderem ein Mosaikstein davon.

3. Bezirk

"Catchen am Heumarkt": Ist Ihre Koalition so friedlich, wie Sie glaubhaft machen wollen? Geht es intern zur Sache?

Ludwig: Es gibt unterschiedliche Positionen. Wir sind ja immer noch zwei unterschiedliche Parteien. Aber wir verständigen uns auf gemeinsame Ziele. In der Corona-Krise interessieren sich die Menschen nicht für parteipolitisches Hickhack, sondern für Lösungen für die Zukunft. Wir wollen die Stadtentwicklung, Maßnahmen gegen den Klimawandel und für ein besseres Bildungswesen vorantreiben. Auf der anderen Seite setzen wir in der Corona-Krise Maßnahmen für die Gesundheit, für den Wirtschaftsstandort und für den Arbeitsmarkt.

© Ricardo Herrgott/News Ludwig: "Die Betreuung des Karlsplatzes ist ein Erfolgsmodell.

4. Bezirk

Der Karlsplatz war ein Drogen-Hotspot. Den hat man in den Griff bekommen. Aber im Regierungsprogramm findet sich wenig zum Thema Suchtkrankheit. Die Betroffenen werden in der Pandemie aus dem öffentlichen Blickfeld gedrängt. Aus den Augen, aus dem Sinn?

Ludwig: Die Betreuung des Karlsplatzes ist ein Erfolgsmodell. Wir haben Maßnahmen gesetzt, um die Szene zu begleiten und die Betroffenen von den Kriminellen, die sie mit Drogen versorgen, zu trennen. Wir haben dieses Thema nach wie vor im Auge. Wir sehen auch eine Verlagerung der unterschiedlichen Drogen, die im Umlauf sind, besonders bei jungen Menschen. Und wir setzen dagegen Maßnahmen.

Wiederkehr: Wir setzen stark bei der Prävention an. Es soll gar nicht so weit kommen, dass Menschen abhängig werden und im öffentlichen Raum als Obdachlose landen. Wir setzen uns auch stark mit den psychosozialen Folgen der Pandemie auseinander. Da ist auch die Gefahr der Drogenabhängigkeit größer. Wir haben ein Rettungsnetz für die psychosoziale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen gespannt, bauen die mobile Kinderpsychiatrie aus, damit wir gar nicht so weit kommen, dass Jugendliche drogenabhängig werden.

5. Bezirk

Hier ist die Heimat des Bruno-Kreisky-Archivs. Den Liberalen gefragt: Was finden Sie an Kreiskys Politik gut?

Wiederkehr: Seinen starken Schwerpunkt auf Bildung, Aufstiegsmöglichkeiten und Chancengerechtigkeit, unabhängig davon, in welche Familie man hineingeboren wird. Das eint die sozialdemokratische Idee und die liberale. In dieser Tradition bauen wir in Wien auf das Bildungssystem, das hier geschaffen worden ist, weitere Zukunftsakzente auf.

Es gibt bei Kreisky auch einiges, was für einen Liberalen gar nicht geht: verstaatlichte Betriebe etwa.

Wiederkehr: Selbstverständlich. Aber wie der Herr Bürgermeister gesagt hat: Wir sind unterschiedliche Parteien, und es gibt bei mehreren Themen Diskussionspotenzial. Wir haben aber keine Zeit, zu streiten. Dafür ist die Lage zu ernst.

Ludwig: Ich bin ja Vorsitzender des Kreisky-Archivs. Mich beeindruckt, dass er unter dem Motto "Aufstieg, Leistung, Sicherheit" seine erste Wahl geschlagen hat. Mit großem Erfolg. Er hatte als Politiker einen sozialdemokratischen Standpunkt, aber den Anspruch, über Parteigrenzen zu wirken.

6. Bezirk

Hier ist der Johanna-Dohnal- Platz. Was würde sie zu Ihrer Frauenpolitik sagen?

Ludwig: Ich denke, sie wäre sehr zufrieden, dass die SPÖ in der Stadtregierung eine Parität zwischen Frauen und Männern hat. Zudem ist es mir gelungen, viele Spitzenfunktionen in der Verwaltung mit Frauen zu besetzen. Ich habe die erste Präsidialchefin gehabt. Ich denke, sie würde sagen: "Es geht zu langsam." Aber sie würde anerkennen, dass wir bei der Gleichstellung deutlich vorankommen.

Wiederkehr: Es ist für die Politik immer noch etwas für die Gleichstellung zu tun, solange die Gesellschaft noch unterschiedlich aufgestellt ist und die Chancen zwischen den Geschlechtern nicht gleich verteilt sind. Ich bemühe mich auch sehr darum. Wir haben im Gemeinderatsklub 50 zu 50 geschafft, ohne Frauenquote. Darauf bin ich stolz. Ich habe den Film über Johanna Dohnal gesehen, er war sehr beeindruckend. Was sie für die Frauenpolitik geschafft hat, ist bemerkenswert und wirkt bis heute.

Trotzdem erinnert uns der Equal Pay Day daran, dass Männer besser verdienen.

Ludwig: Da muss man genauer hinschauen. Ein Grund liegt in der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Für Frauen ist das sehr oft ein Hindernis, Karriere zu machen. Da sind wir in Wien Vorreiter durch den kostenfreien Kindergarten mit den längsten Öffnungszeiten und wenigsten Schließtagen in Österreich und nun auch die kostenfreie Ganztagsschule. Überall, wo im internationalen Vergleich Frauen stärker in Führungspositionen sind, ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wichtig.

Wiederkehr: Ich sehe durch die Pandemie und weil die Schulen lange geschlossen waren, eine unterschiedliche Belastung von Frauen und Männern. Die Belastung für Mütter zwischen Homeschooling und Homeoffice war sehr groß. Deswegen haben wir uns sehr dafür ausgesprochen, dass Schule wieder in Präsenzform stattfinden kann.

Wann bekommt Wien seine erste Bürgermeisterin?

Ludwig: Es wird sicher jederzeit möglich sein. Wir haben erfreulicherweise in der SPÖ viele gut qualifizierte Männer, aber auch viele sehr gut qualifizierte Frauen. Die Frage wird sein, welche Person zum jeweiligen Zeitpunkt die Geeignete ist.

7. Bezirk

Hier ist die Wiener Hauptbibliothek. Welches Buch empfehlen Sie einander?

Wiederkehr: Ich habe in den letzten Wochen die Biografie von Barack Obama gelesen. Die kann ich dir empfehlen, falls du sie noch nicht gelesen hast. Ludwig: Ich habe sie noch nicht gelesen. Aber ich habe sie dir geschenkt. Und ich habe von dir ein sehr gutes Buch über die erste sozialliberale Koalition 1969 in Deutschland bekommen. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Mir imponiert, dass diese Koalition zehn Jahre vorher im Bundesland Nordrhein-Westfalen ausprobiert worden ist und sich die CDU/CSU damals nicht vorstellen konnte, dass sie auf Bundesebene funktionieren könnte. Ich habe ja schon auf unserer ersten gemeinsamen Pressekonferenz gesagt: Vielleicht öffnen wir Türen für andere Gebietskörperschaften in Österreich.

8. Bezirk

Angeblich die Heimat der "Hofratswitwen". Wählen die eher SPÖ oder Neos?

Ludwig: Ich bin in diesem Bezirk in die Schule gegangen, in der Albertgasse und dann am Hamerlingplatz. Ich sehe, dass es in allen Bezirken Wiens im Laufe der Zeit unterschiedliche Entwicklungen gibt. Es ändern sich die soziale Zusammensetzung und auch die Generationen. Im achten Bezirk geht es derzeit eher zwischen ÖVP und Grünen um den Posten der Bezirksvorsteherin, aber Neos und SPÖ spielen auch eine Rolle.

9. Bezirk

Der Bezirk der MedUni. Es steht eine Pensionierungswelle bei Ärztinnen und Ärzten bevor, junge Mediziner wollen weniger in Kassenordinationen arbeiten, sondern in Privatpraxen. Wie verhindern Sie die Zweiklassenmedizin?

Ludwig: Es gibt bei Kassenordinationen in Wien -und noch stärker in manchen Bundesländern -einen starken Bedarf. Wir arbeiten mit der Ärztekammer und den Sozialversicherungen daran, attraktive Lösungen für Ärztinnen und Ärzte zu finden, aber das liegt nicht alleine bei der Stadt. Wir bemerken, dass junge Ärzte gerne Teams bilden, also Gemeinschaftspraxen organisieren. Daher gibt es in Wien eine Offensive für Primärversorgungszentren. Wir wollen diese an 36 Standorten umsetzen. Zudem wollen wir Schwerpunkte setzen: etwa in der Kinder-und Jugendmedizin oder in der Diabetesprävention.

Wiederkehr: Wir sehen vor allem im Bereich der Kinderärzte, dass wir zu wenig Kassenstellen in Wien haben, und sogar die können oft nicht nachbesetzt werden. Das ist ein Thema, mit dem sich die Bundespolitik auseinandersetzen muss. Was wir in der Stadt machen können, ist, ein Kindergesundheitszentrum als Primärversorgungseinheit einzurichten. Neben der Frage der Kassenstellen ist auch ein großes Thema, wie wir genug qualifiziertes Personal im Gesundheitssystem bekommen -auch Pflegekräfte. Hier investieren wir als Stadt durch ein Ausbildungsgeld, mit dem wir mehr Personen in diese wichtigen Berufe holen wollen.

10. Bezirk

Favoriten wird als "Problembezirk" tituliert. Wann waren Sie zuletzt dort -mit welchen Erkenntnissen?

Wiederkehr: Ich war schon oft dort. Meine Erkenntnis ist: Es ist ein vielfältiger Bezirk mit über 200.000 Menschen, die Großartiges machen. Natürlich gibt es auch Herausforderungen, wie etwa die inakzeptablen Ausschreitungen in der Silvesternacht. Das gehört polizeilich geahndet, und es wäre wichtig, dass in diesem Bezirk die Planstellen für die Polizei erhöht werden. Linz hat etwa gleich viele Einwohner wie Favoriten, aber doppelt so viele Polizistinnen und Polizisten. Das ist eine Schieflage. Aber es geht nicht nur um Polizei. Wir setzen bei der aufsuchenden Jugendarbeit an. In Favoriten werden auch am Abend Sozialarbeiter unterwegs sein, um mit den Jugendlichen zu reden, damit das nicht immer die Polizei machen muss. Die Präsentation dieses Projekts war der letzte Grund, warum ich in Favoriten war.

Ludwig: Favoriten ist ein sehr durchmischter Bezirk. Wir haben hier in den letzten Jahren viele Maßnahmen gesetzt. Das neue Sonnwendviertel und der Hauptbahnhof sind eines der größten innerstädtischen Entwicklungsgebiete und eine Erfolgsgeschichte. Die Ereignisse in Favoriten sind natürlich zu verurteilen und zu ahnden. Aber es waren nur zu einem Bruchteil Menschen aus dem Bezirk beteiligt.

11. Bezirk

In Simmering ist die Zentralwerkstätte der Wiener Linien. Wien hat ein 365-Euro-Ticket, wie es das 1-2-3-Ticket für jedes Bundesland sein soll. Im Regierungsprogramm warnen Sie vor Nachteilen, die Wien erleiden könnte. Warum?

Ludwig: Öffentlicher Verkehr braucht beides: günstige Tickets und ein attraktives Angebot. Dafür sorgen wir weiterhin, etwa durch den Bau der neuen U5. Wir sehen, dass sich die Aufteilung des Gesamtverkehrsaufkommens - also Autos, Öffis, Rad und Fußgänger - sehr zugunsten des öffentlichen Verkehrs verschoben hat. Das ist gut, weil das der wirksamste Schutz gegen den Klimawandel ist. Wir wollen aber für unsere Fortschritte nicht bestraft werden, indem wir finanzielle Nachteile beim 1-2-3-Ticket erfahren. Ich lege größten Wert darauf, dass wir nicht schlechter behandelt werden und dass die Investitionen, die wir in Wien getätigt haben, uns nicht zum Nachteil angerechnet werden.

Wiederkehr: Der Ausbau des öffentlichen Verkehrs ist sehr wichtig für die Stadt und daher im Koalitionsabkommen stark verhandelt worden. Es geht nicht nur um den Ausbau der U-Bahn, sondern auch um zusätzliche Straßenbahnverbindungen in den Außenbezirken, auch über die Stadtgrenze hinaus. Das halte ich für wesentlich, weil viele Pendler nach Wien kommen, daher müssen wir mit Niederösterreich schauen, wie wir die Menschen vom Auto in die Öffis bringen. In der Pandemie sind zudem viele Menschen aufs Rad umgestiegen. Daher investieren wir auch mehr als bisher in den Ausbau von Radwegen.

© Ricardo Herrgott/News Ludwig und Wiederkehr schweigen zu Sebastian Kurz

12. Bezirk

Hier wohnt Sebastian Kurz. Wieso ist er erfolgreicher als die politische Konkurrenz?

Ludwig und Wiederkehr: ...

Sollen wir schreiben: Beide schweigen?

Wiederkehr: Ich hab gedacht, er ist Waldviertler. Je nach Wahlkampf ist das unterschiedlich.

Ludwig: Meinungsumfragen sind immer nur Momentaufnahmen. Und prinzipiell interessiere ich mich für jene, die Wien betreffen. Da bin ich nicht unzufrieden.

13. Bezirk

Sitz des ORF-Zentrums: Wie unpolitisch darf, soll, muss der ORF sein. Darf man über die Privatisierung eines Kanals nachdenken?

Ludwig: Nachdenken kann man über alles. Ich persönlich wäre gegen eine Privatisierung von Teilen des ORF, denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat eine wichtige Aufgabe. Alleine das ORF-Archiv ist wichtig für die historische Betrachtung unseres Landes und auch für das kollektive Gedächtnis. Richtig ist, dass sich die Politik beim ORF nicht einmischen soll. Das gilt übrigens auch für die Justiz. Ich halte in beiden Fällen Zurufe aus der Politik für unnötig. So wie ich die kritischen Redakteure im ORF erlebe, hat man von Seiten der Politik auch keine besondere Nachsicht zu erwarten. Ich finde es auch richtig, dass es kritische Berichterstattung gibt.

Wiederkehr: Die Unabhängigkeit der Medien ist essenziell für eine funktionierende Demokratie und damit auch ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der einen besonderen Fokus auf objektive Information setzen muss. Diese Unabhängigkeit soll gestärkt und damit der parteipolitische Einfluss auf den ORF reduziert werden. Das ist neben der Finanzierung des ORF sicherlich die wesentliche Zukunftsfrage.

14. Bezirk

Die Neos wünschen sich eine Seilbahn, die von Hütteldorf wegfährt. Wann gibt es die?

Wiederkehr: Es gibt jetzt die Möglichkeit, das Otto-Wagner-Areal in die Zukunft zu führen. Es ist großartig, dass die CEU (Central European University, Anm.) dorthin kommen wird. Wir setzen uns jetzt damit auseinander, was das und der Zuzug von Studierenden für die Stadtplanung bedeutet und wie der öffentliche Verkehr verbessert werden kann. Dafür gibt es unterschiedliche Varianten. Eine davon ist eine Seilbahn. Das ist eine sehr innovative, mutige Idee, die aber erst auf ihre Machbarkeit geprüft wird. Das ist mein Verständnis von Politik: Man darf mutige Ideen haben, muss aber immer realistisch bleiben.

Ludwig: Mir war wichtig, dass wir die CEU nach Wien bekommen, weil sie aus politischen Gründen Budapest verlassen musste und damit antisemitische Untertöne verbunden waren. Sie ist eine wertvolle Ergänzung für den Universitätsstandort Wien. Wir haben neun Universitäten, fünf Privatuniversitäten, fünf Fachhochschulen, fast 200.000 Studierende und sind der wichtigste Universitätsstandort im deutschsprachigen Raum. Zur Einbindung der CEU haben wir uns verständigt, einmal die Variante einer Seilbahn zu prüfen. Aber wir überlegen auch andere Maßnahmen.

15. Bezirk

Hier steht die Wiener Stadthalle, zusätzlich gibt es bald eine weitere Veranstaltungshalle. Wie viel Brot und Spiele braucht der Wiener?

Ludwig: Die Stadthalle hat ihren 60er gefeiert. Viele von uns haben hier schöne Erlebnisse gehabt - von "Holiday On Ice" über Popkonzerte bis zu Sportevents. Wir wollen diesen Standort weiterentwickeln und einen Schwerpunkt für den Breitensport setzen. Die zusätzliche Halle in St. Marx wird für internationale Sport-und Kulturevents geeignet sein, die andere Anforderungen haben als vor wenigen Jahren. Solche großen Events nach der Corona-Kkrise nach Wien zu bekommen, wird auch die Hotellerie und Gastronomie beleben.

Wiederkehr: Große Veranstaltungen gehören zu Wien dazu, daher finde ich es gut, dass es eine neue Halle geben wird. Die Stadthalle ist zurzeit Teststraße. Ich wohne in der Nähe und gehe dort testen, wenn ich zum Friseur muss. Ich weiß daher, die Renovierungsbedürftigkeit der Stadthalle ist groß.

© Ricardo Herrgott/News Wiederkehr z um Yppenplatz und Brunnenmarkt: "Ein internationales Vorzeigebeispiel"

16. Bezirk

Der Yppenplatz und der Brunnenmarkt sind attraktive Wohngebiete geworden. Viele Menschen, die hierher ziehen, wollen ihre Kinder nicht in die öffentlichen Schulen schicken, Stichwort: Ausländeranteil. Ist das geglückte Stadtplanung?

Wiederkehr: Die Durchmischung in diesem Gebiet hat sich wesentlich verbessert, das ist ein internationales Vorzeigebeispiel, wie aus einem unbelebten Grätzl ein Ort der Begegnung werden kann. Aber selbstverständlich müssen wir uns darum bemühen, die öffentlichen Schulen noch besser zu machen, damit auch jeder das Gefühl hat, sein Kind in die Schule ums Eck schicken zu können. Das ist natürlich eine weitgehende Vision.

Ludwig: Diese Entwicklung ist ja nicht vom Himmel gefallen. Wir haben als Stadt viele Jahre lang gezielt interveniert. Ich war als Wohnbaustadtrat dafür verantwortlich, dass wir viele Blocksanierungsgebiete rund um den Brunnenmarkt und den Yppenplatz hatten. Wir haben sehr viel Geld ausgegeben und bei manchen Objekten, etwa privaten Gründerzeithäusern, die Sanierung mit bis zu zwei Dritteln finanziell unterstützt. Mir war klar, dass wir intervenieren müssen, um die soziale Durchmischung zu heben. Ich bin sicher, dass sich das nicht nur im Erscheinungsbild dieses Bezirksteils niederschlägt, sondern auch schrittweise im Bildungssystem.

17. Bezirk

Die Heimat der Manner-Fabrik. Ein Traditionsbetrieb, um den man sich in der Krise wenig Sorgen machen muss. Genascht wird immer.

Ludwig: Wir haben uns aber davor Sorgen gemacht. Denn der Betrieb musste umstrukturieren, und wir haben gezielt eine Adaptierung des gründerzeitlichen Hauses genützt, um den Standort zu sichern. Die Alternative wäre eine Abwanderung des Betriebes gewesen. Nachdem die Manner-Schnitten zu Wien gehören, haben wir uns sehr bemüht.

Um manche Betriebe muss man sich in der Corona-Krise Sorgen machen. Es gibt Kritik, dass die Hilfe durch den "Stolz auf Wien"-Fonds bisweilen zu langsam ist. Für das Café Ritter in Ottakring kam sie zu spät. Es musste in Konkurs gehen.

Ludwig: Mit dem "Stolz auf Wien"-Fonds unterstützen wir Betriebe, die durch die Corona-Krise in Schwierigkeiten gekommen sind, aber prinzipiell die Möglichkeit haben, weiter zu agieren. Die Beteiligung soll eine sehr schnelle Hilfe sein, ist aber nach Möglichkeit zeitlich befristet und auf maximal 20 Prozent beschränkt. Wir wollen damit nicht Betriebe kommunalisieren, sondern helfen. Wir verwenden öffentliche Mittel, es ist uns aber auch gelungen, Private einzubinden, die ein starkes Interesse daran haben, dass sie ihr Kapital nicht abschreiben müssen. Beim Café Ritter bedaure ich das besonders, weil die neue Besitzerin viel Eigenkapital und Engagement eingebracht hat. Wir versuchen weiter, zu helfen und dieses wichtige Café zu sichern.

18. Bezirk

Für die Steinhofgründe mit den Otto-Wagner-Bauten gab es einen Antrag auf den Status eines Weltkulturerbes. Wie viel Glassturz verträgt eine Großstadt?

Ludwig: Wir sind mit dem Denkmalamt in enger Verbindung, dass wir große Teile der Stadt nicht nur erhalten, sondern auch mit großem finanziellem Aufwand sanieren. Dass wir zu den Metropolen mit dem höchsten Anteil an Gründerzeithäusern gehören, hängt damit zusammen, dass wir vor mehr als vier Jahrzehnten mit einer sanften Stadterneuerung begonnen haben. Es geht dabei nicht so sehr darum, dass man irgendeinen Schutzstatus vertraglich festschreibt, sondern etwas tut, um wertvolle architektonische Leistungen wie die Otto-Wagner-Kirche zu erhalten.

Wiederkehr: Es geht in der Stadtplanung darum, Bestehendes zu erhalten, aber auch in die Zukunft zu führen, und, wie beim Otto-Wagner-Areal, stadtplanerische Innovationen zuzulassen. Das Unesco-Weltkulturerbe hat Wien viel gebracht. Darum ist es mir auch ein Anliegen, dass dieses Weltkulturerbe erhalten bleibt.

19. Bezirk

Der Karl-Marx-Hof ist eine Ikone des sozialen Wohnbaus. Infolge der Corona-Krise droht in ganz Österreich eine Delogierungswelle. Welche Unterstützung gibt es für jene, die ihre Miete nicht bezahlen können?

Ludwig: Bei Wiener Wohnen haben wir zu Beginn der Krise einen Delogierungsstopp verhängt. Das betrifft 220.000 Gemeindewohnungen. Zusätzlich gibt es über 200.000 geförderte Miet-und Genossenschaftswohnungen, wo wir vor allem mit den gemeinnützigen Trägern in Kontakt sind, um ähnliche Maßnahmen zu setzen. Ich habe noch als Wohnbaustadtrat eine Delogierungsprävention eingerichtet. Denn eine Delogierung ist nicht nur ein massiver Eingriff ins Leben der Betroffenen, sondern stellt eine finanzielle Belastung dar. Auch für die Stadt, denn man muss sich ja weiter um diese Personen kümmern. Man wird sicher noch mehr machen müssen, weil sich die Situation für viele Menschen verschärft.

20. Bezirk

Hier ist die Zentrale des AMS. In Wien waren Ende Februar rund 180.000 Menschen arbeitslos oder in Schulung. Die Armutsgefahr reicht bis in den Mittelstand. Was macht das mit der Gesellschaft?

Ludwig: Ich habe mir vorgenommen, um jeden Arbeitsplatz zu kämpfen. Wir haben vor Kurzem ein viertes Corona-Hilfspaket verabschiedet, das einen besonderen Fokus auf Einpersonenunternehmen (EPU) legt, die in eine schwierige Lage gekommen sind. Wir haben den Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds waff für EPU geöffnet. Zudem nehmen wir uns in Wien um bestimmte Zielgruppen besonders an: etwa um die ganz Jungen, für die wir die Lehrstellen der Stadt aufgestockt haben und uns gemeinsam mit den Sozialpartnern um jene kümmern, deren Lehrbetrieb geschlossen hat und die ihre Lehre fertig machen sollen. Eine weitere Gruppe, die mir am Herzen liegt, sind die über 50-Jährigen, für die wir die Aktion 50plus fortsetzen. Und wir setzen mit einem Ausbildungsgeld von 400 Euro im Monat in Bereichen, wo Mitarbeiter benötigt werden, einen zusätzlichen Arbeitsmarktimpuls.

Wiederkehr: Neben dem schon besprochenen Pflegebereich geht es dabei auch um die Elementarpädagogik, wo wir mehr Personal brauchen. Es ist Ausbildungsgeld für 630 Pädagoginnen und Pädagogen in Kindergärten bereitgestellt, das den Umstieg in diesen Beruf erleichtern soll. Wir schauen, dass wir ergänzende Maßnahmen zu jenen des Bundes setzen.

21. Bezirk

Herr Bürgermeister, Ihre Hausmacht sind die Flächenbezirke. Diese waren besonders kritisch gegenüber Rot-Grün. Ist das der Grund, warum wir in dieser Konstellation hier sitzen?

Ludwig: Wir haben zehn Jahre lang eine sehr erfolgreiche Koalition mit den Grünen gehabt. Es ging bei den Koalitionsverhandlungen nicht um eine Entscheidung gegen eine Partei, sondern um eine bewusste Entscheidung für einen neuen Weg. Ich habe großes Interesse, mit den Grünen auch in Zukunft zusammenzuarbeiten.

Wiederkehr: In den Verhandlungen war ein Thema, wie wir diese Flächenbezirke unterstützen. Das große Wachstum passiert dort. Stadtplanung braucht einen besonderen Fokus darauf, dass auch der öffentliche Verkehr mitwächst.

Gibt es Grenzen des Wachstums für Wien?

Ludwig: Wichtig ist, dass die soziale Durchmischung und Freiräume erhalten bleiben. Ich bin stolz darauf, dass wir nicht nur Wohnungen geschaffen haben, sondern auch den Anteil an Grünflächen von rund 50 auf 53 Prozent ausgebaut haben. Wir müssen aber auch genauer hinschauen, ob ein Neubauprojekt zu sehr in die bestehende Struktur eingreift.

Wiederkehr: Ich sehe es als gutes Zeichen, wenn die Stadt wächst. Das Gegenteil wäre dramatisch. Es ist wichtig für den Stadtort, wenn gut qualifizierte Menschen nach Wien ziehen wollen.

22. Bezirk

Beim Lobautunnel sind noch Behördenverfahren offen. Was, wenn eine Entscheidung gegen den Tunnel fällt? Die grüne Verkehrsministerin wird sich kaum für den Tunnel starkmachen.

Ludwig: Dann donnert der internationale Durchzugsverkehr weiter durch die Stadt. Ich habe größtes Verständnis dafür, wenn jede mittelgroße Stadt eine Umfahrung möchte. Das hätten wir in der Großstadt Wien auch gerne. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es politische Interventionen gibt, das Projekt zu stoppen. Es sind Jahre damit verbracht worden, alle Alternativen abzuwägen. Es hat bisher keinen besseren Vorschlag gegeben.

Wiederkehr: Der Lobautunnel ist seit Jahren auf Schiene und auch nicht mehr im Einflussbereich der Stadt. Mir ist aber wichtig, dass es Begleitmaßnahmen gibt. Der Ausbau des öffentlichen Verkehrs in der Donaustadt ist wichtig, weil allein durch den Bau von zusätzlichen Autobahnen werden wir den Umstieg nicht schaffen.

23. Bezirk

Hier wohnen Doris Bures und Matthias Strolz. Sollen die beiden bei der nächsten Bundespräsidentschaftswahl antreten?

Ludwig: Aus Respekt vor dem Amt und vor Alexander Van der Bellen halte ich solche Spekulationen für nicht angebracht. Sollte er sich entscheiden, zu kandidieren, hat er meine Unterstützung. Wenn er das nicht tun möchte, wird es ohnehin eine neue Diskussion geben.

Wiederkehr: Strolz hat sich entschieden, sich aus der Politik zurückzuziehen, er genießt sein Leben und seine neuen Aufgaben. Ich halte Van der Bellen für einen besonnenen Bundespräsidenten, der in innenpolitisch turbulenten Zeiten eine stabilisierende Funktion hat.

Das heißt, wenn er antritt, sollen Ihre Parteien keine Kandidaten aufstellen?

Ludwig: Richtig.

Wiederkehr: Das sehe ich auch so.

ZU DEN PERSONEN

Michael Ludwig, 59
Der Wiener hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert und in der Erwachsenenbildung gearbeitet. Seine politische Laufbahn startete er 1994 als Bezirksrat in seinem Heimatbezirk Floridsdorf. Ab 1996 war er Abgeordneter im Bundesrat, 1999 wechselte er in den Wiener Landtag. 2007 holte ihn Michael Häupl als Wohnbaustadtrat in die Regierung. 2018 setzte er sich in der Abstimmung um Häupls Nachfolge durch und ist seither Bürgermeister.

Christoph Wiederkehr, 30
Der gebürtige Salzburger kam 2009 zum Jus-und Politikwissenschaftsstudium nach Wien. Seine politische Laufbahn begann er bei den liberalen Studierenden Junos, deren Vorsitzender er ab 2013 war. 2015 kam Wiederkehr nach dem ersten Antreten der Neos bei einer Wien-Wahl in den Gemeinderat, 2018 folgte er Beate Meinl-Reisinger an der Klub-und Landesparteispitze nach, als diese in die Bundespolitik wechselte. Seit 2020 ist er Vizebürgermeister.