Kickl: "Manchmal muss man auch neue Wege gehen"

Der FPÖ-Obmann über seine Rolle als Straßenkämpfer - und seinen Führunganspruch bei den Freiheitlichen

Der polarisierende FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl spricht über seine neue Rolle als Straßenkämpfer - und meldet ganz nebenbei seinen Führungsanspruch bei den Freiheitlichen an.

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Interview - Kickl: "Manchmal muss man auch neue Wege gehen"

Herr Kickl, egal ob in TV-Diskussionen oder in Parlamentsdebatten - man hat den Eindruck, Ihr Grundzustand ist die Wut. Muss man sich schön langsam Sorgen um Ihren Blutdruck machen?
Der Eindruck täuscht, ich bin nur entschlossen, und dieser Entschlossenheit verleihe ich eben bei meinen Auftritten Ausdruck. Mit Wut hat das nichts zu tun, denn wäre ich wütend, so würde das meinem politischen Gegner eine Macht über mich verleihen, die ich ihm nicht zugestehe.

Das heißt, Cholerik ist für Sie nur eine politische Strategie, um sich im öffentlichen Bewusstsein zu verankern?
Ich würde auch nicht von Cholerik sprechen, sondern von einem direkten Zugang zu den Dingen, einer Unmittelbarkeit der Kommunikation. Ich bin ja nicht in die Politik gegangen, um Schauspieler zu werden. Aber zur Oppositionspolitik gehört eine gewisse Angriffigkeit, wir sind ja nicht der Streichelzoo der Regierung.

Sympathie ist für Sie gar kein Kriterium? Der Normalo würden Ihnen wohl nicht seine Kinder anvertrauen, damit Sie abends auf sie aufpassen.
Sind Sie sich da so sicher? Ist Sympathie wirklich immer ein Wahlmotiv? Auch wenn dieser Vergleich jetzt vielleicht ein wenig überzogen ist: Es ist nicht immer der Chihuahua, dem man seine Kinder anvertraut, sondern eher ein Hund, der anschlägt, wenn sich Gefahr nähert.

Sie formulierten in Zusammenhang mit den Corona- Demos, dass es wichtig sei, "sich mit der Szene zu vernetzen und die engen Mauern des Parlaments zu verlassen". Setzen Sie jetzt auf außerparlamentarische Opposition?
Da kommt ein Prinzip zum Zug, das ich verinnerlicht habe: Das Wahre ist das Ganze. Politik ist immer das Ganze, sie lässt sich nicht auf institutionalisierte Politik beschränken, die sich nur parlamentarischer Mittel bedient. Manchmal muss man auch neue Wege gehen, um Dinge voranzutreiben.

Aber halten Sie die Mobilisierung der Straße in hochsensiblen Zeiten wie diesen für ein probates politisches Mittel?
Wann soll man den sonst mobilisieren? Wenn es allen gut geht und keine Probleme da sind? Mobilisieren muss
man dann, wenn es Unbehagen gibt, wenn es darum geht, eine Gefahr abzuwehren.

Man kann aber schon unterstellen, dass Sie die offensichtliche Verzweiflung vieler Menschen politisch instrumentalisieren - ist das denn ein ehernes Oppositionsgesetz?
Wenn ich nicht von der Richtigkeit und den Inhalten dieser Protestmaßnahmen überzeugt wäre, würde ich mich nicht an ihnen beteiligen. Einem Politiker vorzuwerfen, dass er etwas instrumentalisiert, ist eine Nullaussage, die können Sie auf alles und jeden anwenden. Ich gehe hinaus zu den Leuten, um ihnen zu zeigen, dass sie auch im Parlament einen Ansprechpartner haben und nicht alleine sind.

Sie arbeiten antizyklisch, indem Sie auch im Lockdown draußen sind?
Man muss dann draußen sein, wenn es notwendig ist. Und man darf nicht den Eindruck erwecken, dass man als Politiker Angst vor dem Kontakt mit Leuten hätte.

»Haben Sie sich schon jemals testen lassen? Nein.«

Haben Sie sich schon jemals testen lassen?
Nein.

Woher wissen Sie dann, ob Sie gesund sind?
Ich fühle mich gut und habe keine Symptome. Ich messe ja auch nicht jeden Tag Fieber, sondern nur dann, wenn ich bemerke, dass etwas nicht stimmt.

Man hat den Eindruck, dass Sie im Dauerwahlkampf sind.
Da könnte ich schon noch ein paar Gänge nach oben schalten.

Aber Sie fischen im Sammelbecken der Verzweifelten.
Verzweifelt -das stört mich. Was bei diesen Menschen zum Ausdruck kommt, ist neben der Ablehnung der aktuellen Zustände in mindestens gleichem Ausmaß die Hoffnung, dass sich die Dinge verbessern. Das sind Hoffnungsbürger, warum macht man die so mies?

Worin besteht denn diese Hoffnung? Dass von der Straße aus gewisse Veränderungen eingeleitet werden?
Das haben wir, wenn auch nicht auf österreichischem Boden, ja in der jüngeren Geschichte schon erlebt: Die DDR-Führung zum Beispiel hat zunächst ja auch nicht verstanden, was sich auf den Straßen abspielte, als immer mehr Leute sagten: "Wir sind das Volk!" Aber der Lauf der Geschichte hat den Leuten auf der Straße recht gegeben.

Damals kippte ein ganzes Gesellschaftssystem. Glauben Sie ernsthaft, dass das hier auch passiert?
Ich bin optimistisch, dass sich der Widerstand früh genug artikuliert hat, um die Entstehung eines totalitären Systems zu verhindern.

Sie haben mir zur Begrüßung die Hand entgegengestreckt, und ich habe sie nicht ergriffen, weil man das momentan...
Wer ist man? Ich hätte Ihnen die Hand gegeben. Inzwischen lehrt uns ja die Erfahrung, dass eine Übertragung auf diese Art eher unwahrscheinlich ist.

Nochmals: Dieses Virus macht Ihnen also überhaupt keine Angst?
Nein, das Einzige, was mir Angst macht, ist, was manche unter dem Vorwand der Krankheitsbekämpfung aus unserer Gesellschaft machen. Da habe ich die Sorge, dass wir den Zustand, den wir vor Corona hatten, nicht mehr erreichen, sondern dass man ein mittlerweile eingefahrenes System der Kontrolle, das für alle Regierenden ja unheimlich spannend ist, beibehalten wird. Dass diese Modelle dann auch auf andere Problemlagen übergewälzt werden und gesagt wird: "Ihr seids ja alle viel, viel zu blöd für die Verantwortung, wir sagen euch, wie's geht."

Wo will man den Menschen denn ihre Eigenverantwortung abgewöhnen?
Lesen Sie doch nur, was Leute der Linken und der sogenannten Umweltbewegung wie Joschka Fischer so von sich geben. Grundtenor: In Sachen Klimawandel ist die generationsübergreifende Verantwortung noch größer als bei Corona, deswegen müssen wir die Menschen noch stärker von oben herab disziplinieren.

Und das erscheint Ihnen als eine Art "Ökoterror", um das jetzt in Kickl-Manier zuzuspitzen?
Ökototalitarismus ist der bessere Ausdruck. Das Totalitäre kommt grundsätzlich ja zunächst als "das Gute" daher, als das Heilsversprechen: Momentan ist es die Volksgesundheit und dann vielleicht die Rettung des Weltklimas. So bringen Herrschende relativ einfach Dinge durch, für die sie sich sonst in der Argumentation abrackern müssten und bei denen ihnen sonst eine Welle des Widerstands entgegenschlagen würde. Stattdessen wählen sie den einfachen Weg, ausgestattet mit einem Totschlagargument: "Ich will dir ja nur Gutes, aber du bist zu blöd, es zu verstehen. Also helfe ich mit Zwang nach." Und ich befürchte angesichts der Corona-Maßnahmen, dass sich hier eine Methodik der Unfreiheit verselbstständigt. Ich verstehe viele nicht, die sich bei Gedenktagen hinstellen und mahnen, dass sich Dinge der Vergangenheit niemals wiederholen dürfen -und dann sehenden Auges in eine totalitäre Entwicklung hineinrennen. Da feiern wir zum Beispiel einen Festakt "100 Jahre Bundesverfassung", aber warum betrachtet man die Wichtigkeit der Verfassung und der Freiheitsrechte immer nur im historischen Kontext? Rein vergangenheitsbezogen sind das tote, kraftlose Festveranstaltungen, ein nutzloses politisches Ritual. Dieselben, die die Verfassung hochleben lassen, machen im selben Atemzug lauter Dinge, die im Widerspruch zu genau dieser Verfassung stehen -da stimmt doch etwas nicht.

Die Bedrohungsszenarien in den Dreißigerjahren, wo eine Gesellschaft in den Totalitarismus samt autoritärer Führerfigur stolperte -die sind für Sie mit jenen von heute vergleichbar?
Was mich so ärgert, ist diese Selbstgefälligkeit, quasi in der Vergangenheit moralisch handeln zu wollen: Alle hätten damals alles anders gemacht, alle wären sofort im Widerstand gewesen und hätten erkannt, dass da das Böse daherkommt. Aber jetzt, wo Bedrohungen auf der Hand liegen, sehen sie alle gar nichts. Das ist mir viel zu billig.

Mit Verlaub, aber vergleichen Sie jetzt implizit den Bundeskanzler und seine Politik mit dem Aufstieg Hitlers?
Das ist eine unzulässige Kurzfassung dessen, was ich soeben gesagt habe. Es geht mir um Wachsamkeit gegenüber diesem Mechanismus der Macht, der Unfreiheit, der sich verselbstständigt, der Schritt für Schritt den demokratischen Diskurs durch Dogmen ersetzt.

Nehammer - wirkt dieses Wort auf Sie pulsbeschleunigend?
Gar nicht, wieso?

»Nehammer ist nicht mein Problem, eher ich seines.«

Immerhin hat Sie der Innenminister davon abgehalten, auf einer Großdemo gegen die Corona-Politik der Regierung aufzutreten, indem er sie verboten hat.
Wenn jemand glaubt, mir damit etwas zufleiß zu tun, ist er sowieso am falschen Dampfer. Ich bin ja in diesem Fall hauptsächlich ein Sprachrohr für ganz viele andere. Mich abzudrehen heißt, das nicht hören zu wollen, was ganz viele Menschen denken. Nehammer ist nicht mein Problem, eher ich seines.

Zu einem gewissen Grad müssten Sie ja eigentlich mit ihm zufrieden sein. Die Abschiebung der beiden Wiener Schülerinnen ist doch auch aus Ihrer Sicht lege artis gelaufen, oder?
Wenn das Ende der rechtlichen Fahnenstange erreicht ist, dann hat Abschiebung die Konsequenz zu sein. Was das betrifft, hätte ich es auch so gemacht. Aber was da inszeniert wurde, hat einen schalen Beigeschmack. Und: Auf der einen Seite werden zwei abgeschoben, und auf der anderen Seite verbucht Nehammer allein für das Jahr 2020 an die 20.000 neue Asylanträge -das ist eine katastrophale Bilanz eines Innenministers, der so viele Polizisten wie noch nie an der Grenze hat.

Sie waren selbst Innenminister, hatten also eines der wichtigsten Ministerien inne. Kanzler oder Bundespräsident können Sie nach menschlichem Ermessen nicht werden - richtig?
Wenn jemand vor fünf Jahren gesagt hätte, der Kickl wird Innenminister, hätten Sie wohl auch gesagt, dass das nach menschlichem Ermessen unmöglich ist.

Ja. Die eigentliche Frage ist aber: Welche politische Charge reizt Sie noch? Oder wollen Sie als FPÖ-Klubobmann in Pension gehen?
Vielleicht wechsle ich in meinen späten Jahren einmal die Seiten, werde einer der Ihren und fange an, Politiker zu befragen. Das wäre eine interessante Herausforderung. Und was etwaige Funktionen betrifft - das ist nicht der springende Punkt. Die Frage ist: Wie lange treibt mich in der Politik was an? Solange ein inneres Feuer brennt, ist die Politik das Richtige für mich. Und ich kann auch als Klubobmann einiges bewegen, mehr, als einer ÖVP im Machtrausch ganz offensichtlich lieb ist.

Sie stehen auf Hegel, stimmt das?
Das ist ein bisserl salopp formuliert. Aber ja, Hegel ist der Philosoph, bei dem ich im Verlauf meiner Studienjahre hängen geblieben bin, weil er für mich die schlüssigsten Antworten auf die wesentlichen Fragen liefert.

Wenn man die jüngere Geschichte Ihrer Partei als dialektischen Prozess betrachtet, dann wäre nach dem schlauen Haider und dem aggressiven Strache der schlaue, aggressive Kickl die logische Synthese für die Parteispitze. Ist es für Sie denn völlig undenkbar, das Ruder einmal zu übernehmen?
Kommen Sie mir jetzt nicht mit These, Antithese und Synthese als Ausdruck für Hegel'sche Dialektik daher! Das ist eine technische Interpretation, das hat mit lebendiger Dialektik, wie ich sie begreife, nichts zu tun. Aber zu Ihrer Frage: Aggressiv und schlau, ich würde sowohl Haider als auch Strache beides zugestehen. Jedem auf seine Art. Wenn Sie jetzt auch bei mir beides zu finden vermeinen, dann ist das nur ein Ausdruck derselben Kombination, die man als Politiker nicht nur in der Opposition braucht, um erfolgreich sein zu können.

»Ich wäre ein schlechter und unehrlicher Politiker, wenn ich nicht sagen würde: Natürlich ist das eine reizvolle Überlegung.«

Eben. Also geradeheraus gefragt: Würden Sie gerne Parteichef werden?
Ich wäre ein schlechter und unehrlicher Politiker, wenn ich nicht sagen würde: Natürlich ist das eine reizvolle Überlegung. Jeder Fußballer will im Nationalteam stehen, jeder Teamspieler will Kapitän sein, das ist doch ganz logisch.

Das heißt, Ihr politischer Plan sieht schon vor, dass Sie einmal der Kapitän auf dem blauen Schiff werden?
Das ist kein Plan, aber wenn sich die Situation ergibt und die Partei vor einer Situation steht, wo sich diese Frage stellt, dann würde ich nicht sagen: Ich mache das nicht. Sonst wäre es ja sinnlos, dass ich das Ganze über all die Jahre mit aufgebaut habe.

Die Zahlen und Umfragen würden das ja jetzt schon nahelegen.
Ich zweifle nicht an der Seriosität der Umfragen, aber: Seitdem es diese Neuaufstellung mit Norbert Hofer und mir gibt, versucht man von außen einen Führungs-und Richtungsstreit in die freiheitliche Partei hineinzutragen. Im Parlamentsplenum gibt es keinen ÖVP-Redner, der das nicht probiert. Vielleicht färbt das dann eben auch ein bisserl auf die Umfrageergebnisse ab. Wir sind zwar unterschiedliche Typen, aber wir vertreten dieselben Inhalte. Mein Stil ist halt die Offensive, ich lege mich an, wo es notwendig ist.

Ja, aber wie Sie soeben ausführten, würde es Sie schon reizen, auch einmal selbst der Chef zu sein?
Ja, ich bin ja auch Chef im Nationalratsklub. Für die Partei heißt das nicht, dass die Dinge, so, wie sie jetzt bestehen, gleich auf den Kopf gestellt werden müssen. Politik ist ein lebendiger Prozess. Wer hätte noch vor eineinhalb Jahren gedacht, dass so was wie Corona auf uns zukommt. Sie haben mich nach meiner prinzipiellen Bereitschaft gefragt, und danach, ob es mich interessiert. Und das habe ich mit Ja beantwortet. Wenn sich die Frage also stellt und die Partei von sich selber sagt, wir hätten das gerne, oder zum Beispiel, wenn Norbert Hofer einen neuen Weg einschlägt, was ja auch nicht ausgeschlossen ist, und möglicherweise einen zweiten Anlauf auf die Bundespräsidentschaft nimmt -dann sind die Dinge neu zu bewerten.

Wie lange geben Sie denn der aktuellen Regierung noch?
Ich fürchte, dass sie noch recht lange halten wird - einfach deswegen, weil die ÖVP taktisch dumm wäre, die Grünen vor die Türe zu setzen. So einen billigen Jakob gibt es kein zweites Mal. Neuwahlen würden ihr im allerbesten Falle das bringen, was sie jetzt ohnedies schon hat. Und wenn die Grünen ihrerseits rausgehen, dann sind sie nach den Neuwahlen wahrscheinlich wieder außerparlamentarisch. Die zwei mögen sich nicht, aber die machtpolitischen Interessen ketten sie aneinander -das ist so, auch wenn es mir nicht gefällt und Österreich nicht guttut.