Josef Zotter: "Man kann Politik
sehr gut in Schokolade übersetzen"

Josef Zotter ist Chocolatier und Biobauer. Für die Politik wäre er zu radikal, sagt er und findet eigene Wege. Das„Ibiza-Video“ hat er jetzt in Schokolade gegossen

von Interview - Josef Zotter: "Man kann Politik
sehr gut in Schokolade übersetzen" © Bild: Copyright 2019 Matt Observe - all rights reserved.

News: Herr Zotter, Ihre aktuelle Kreation - eine „Skandalschokolade zum Vernaschen“ – trägt den Namen „Bergl statt Ibiza ‚Ma is de schoaf!‘“. Vielen ist bei dem, was in dem „Ibiza-Video“ zu sehen und zu hören war, der Appetit vergangen. Ihnen nicht?
Josef Zotter: Da ist einigen der Appetit vergangen, mir auch. Allerdings kann man das Gesehene nicht einfach wegzaubern. Je mehr man darüber redet und je mehr Leuten bewusst wird, welche Auswirkungen so etwas hat, desto besser.

War das überraschend für Sie, was in dem Video gesagt wurde?
(lacht) Eigentlich nicht sehr, nein. Denn wie sagt man? Wie der Schelm denkt, so ist er.
Man muss aber auch sagen, es sind nicht alle so. Es gibt genug normale, liebe und fleißige Menschen in der Politik. So ist es ja nicht. Nur in dieser Gruppierung sind scheinbar einige, die sehr gut mit dem Feuer umgehen können und die Glut ständig am Glühen halten.
Und das lässt sich nur entschärfen, indem man so etwas verarbeitet. Das ist mein Zugang. Es ist wie in der Kunst – man bringt es aufs Plakat, aufs Tableau, man bringt es in die Medien. Dann wird darüber diskutiert und das wirkt wie ein Filtersystem.

Wann wussten Sie, dass Sie aus dem „Ibiza-Video“ eine Schokolade machen wollen?
Ich bin ein sehr politischer Mensch, aber ich mische mich nicht in die Politik ein…

…warum eigentlich nicht?
Ich bin ein Unternehmer. Zudem könnte ich das auch gar nicht; ich glaube, ich wäre zu radikal. Mein Zugang ist vielmehr, Politik in Geschmacksrichtungen zu übersetzen. So wie ich es beispielsweise mit der Trump-Schokolade gemacht habe. Da sind Peanuts und Brennnesselgelee verarbeitet. Oder die Schokolade „Rettet die ERD-Bären“, bei der es um den Klimawandel geht. Ich versuche bei ein paar Schokoladenprodukten Botschaften mitzutransportieren. Die Bergl statt Ibiza war einfach aufgelegt.

Kann man demnach sagen, dass Schokolade politisch ist?
Politisch ist sie auf jeden Fall und zwar in jeder Hinsicht. Kakao spielt hier nämlich eine tragende Rolle und Kakao ist hochpolitisch. Für viele ist Kakao ein Symbol für Ausbeutung. Wenn man sagt, Schokolade kann ganz schön bitter schmecken, kann man auch sagen, es kann auch ganz schön bitter sein, wenn es nicht fair gehandelt ist.

»Man kann Politik sehr gut in Schokolade übersetzen«

Sie wissen genau, aus welcher Region, von welchem Bauern ihre Bohnen kommen und garantieren, dass dieser zertifiziert fair gehandelte Kakao auch in der Schokolade drin ist.
Wir arbeiten mit 32 Kooperativen zusammen, die habe ich –bis auf eine – persönlich besucht. Denn Qualität beginnt beim Rohstoff und Anbau vor Ort.
Ich glaube ja, dass es Frieden auf diesem Planeten nur geben kann, wenn wir einen Ausgleich schaffen. Wenn der Arbeiter in der Goldmine gleich viel verdient, wie bei uns der IT-Techniker. Eine mega Version, aber das wäre das Ziel.

Zurück zur Innenpolitik. Wie fällt Ihr Fazit nach 17 Monaten Schwarz-Blau aus – konnten Sie als Unternehmer den Plänen etwas abgewinnen?
Unternehmer sind immer monetär getrieben. Diese Regierung hat für Unternehmer einiges umgesetzt. Ich bin aber weit davon entfernt, immer über die Politik zu schimpfen; egal welcher Couleur.
Ich wäre sowieso für eine Politik der freien Kräfte, wir sehen ja im Moment, dass es funktioniert. Plötzlich brechen Dinge durch, weil man Mehrheiten findet. Dass man das Rauchervolksbegehren ignoriert hat - mit fast einer Millionen Unterschriften – das war halt keine geile Politik.

Dem jetzigen System, dem „freien Spiel der Kräfte“, können Sie also etwas abgewinnen?
Absolut. Das ist zwar jetzt so passiert, aber vielleicht wäre das ja auch ein Konzept für die Zukunft: Drei Jahre regieren und ein Jahr freie Kräfte. Damit sich das System reinigt.

Im Mai löste sich die ÖVP-FPÖ-Koalition auf – da hätte sich eine Bruchschokolade angeboten – welche Schokoladensorte haben Sie im Kopf, wenn Sie an die Wahl im September denken?
Wenn man sich die Prognosen anschaut, wird es wahrscheinlich eine dunkle Schokolade werden. (lacht). Hoffentlich mit einer ordentlichen roten Füllung drin, aus Himbeeren vielleicht. Ein Kürbnisnougat müsste drin sein, für die Grünen. Vielleicht sogar ein bisschen eine dickere Schicht. Sie sehen, man kann Politik sehr gut in Schokolade übersetzen. Bei den Liberalen muss ich mir noch etwas überlegen. Die sind sehr engagiert – da wäre ein Gewürz passend. Die Hülle wird aber wahrscheinlich schwarz werden.

»Eine Sebastian Kurz Schokolade hätte etwas fischiges«

Wie würde eigentlich eine Sebastian Kurz Schokolade schmecken?
Das traue ich mich ja gar nicht sagen (lacht). Aber vielleicht ein bisschen fischähnlich. Das ist gar nicht abfällig gemeint. Es geht darum, dass Herr Kurz nicht leicht zu fassen ist.

Wie kommen Sie eigentlich immer wieder auf die neuen Rezepte? Woher nehmen Sie die Inspiration?
Wenn man ein bisschen Zeitung liest – Fernsehschauen tu ich ja nicht – und mit offenen Augen durchs Leben geht, dann hat man dauernd Inspirationen. Junge Menschen mit spannenden Ideen inspirieren mich natürlich auch.

Wie viele Ideen kommen Ihnen am Tag?
Das kann man so nicht sagen. Man ist einfach im Fluss. Beispielsweise bei der Ibiza-Schokolade - ich habe mich mit unserem Künstler, der die Verpackungen gestaltet, zusammengesetzt und überlegt, wie man das umsetzen kann. Wir haben den ganzen Tag nur noch gelacht.

Sind Sie ein Teamplayer?
Nein, nicht wirklich. Das ist jetzt die nicht so gute Botschaft. (lacht)
Harvard hat mal ein Case über uns gemacht, weil sie wissen wollten, wie der Zotter tickt, wie der den Markt sieht. Dann habe ich diese hardcore Wirtschaftsmenschen kennengelernt, die nur eine Richtung kennen: Wachstum, Wachstum, Wachstum. Die wollen immer wissen, wie der Markt funktioniert. Die glauben nämlich, man muss den Markt fragen, was er sich wünscht, betreiben Marktforschung, Umfragen, das Übliche. Ich behaupte aber das Gegenteil. Das tu ich prinzipiell gerne. Und bei uns ist es so: Frag niemals den Markt, was er sich wünscht, sondern mach immer nur das, was du für richtig hältst. Wenn du diese These umsetzt, kommen automatisch Innovationen, denn jeder von uns hat ein Talent – ich kann zum Glück Schokoladenrezepturen kreieren.

Sie kritisieren, dass es vielen Unternehmen an Kreativität, an Innovation mangelt…
Unser heutiges Wirtschaftssystem konzentriert sich immer mehr auf Einheit, auf Fliesbandproduktion; das Kreative geht immer mehr verloren. Denn das Kreative kann nur in der Tiefe entstehen. Kreative Ideen kommen immer von Einzelpersonen, deswegen bin ich auch kein Teamplayer. Ich kann es mir nicht vorstellen, eine Schokolade mit zehn Leuten zu entwickeln. Wie soll das gehen? Der eine sagt, mir ist es zu bitter, der andere, mir ist es zu süß – da passiert nichts Außergewöhnliches; man produziert Mittelmaß, weil man sich in der Mitte trifft. Das Geniale passiert einfach nicht.

© Copyright 2019 Matt Observe - all rights reserved. Josef Zotter produziert neben Schokolade auch Biofleisch und Wein - ein rastloser Allrounder

Stimmt es denn, dass die Sorten vorab nie getestet werden?
Die Rezepturen bestehen aus mehreren Schichten. Beispielsweise in der Ibiza-Schokolade: Der Hanfnougat, den gab es ja schon; aber die Kombination wird nicht getestet, das dürfen wir auch nicht. Natürlich birgt das auch ein Risiko, denn ab und an gibt es auch Flops, aber genau deshalb gibt es auch die genialen Ideen. Manchmal passiert ein Wunder und manchmal ist es ein Wunder, dass es das überhaupt gibt.

Im Video: Wie viel Schokolade muss ich essen, damit ich glücklich werde?

© Video: News

Apropos Innovation. Neben 200 Mitarbeitern haben Sie auch drei Roboter, die bei Zotter arbeiten. Wie machen sich die neuen Angestellten?
Als ich den Auftrag gegeben habe, dass wir die Schokoroboter konstruieren lassen, haben die Mitarbeiter gesagt „Jessas! ich hab‘s mir ja schon immer gedacht, dass der Chef spinnt, aber jetzt spinnt er wirklich und jetzt wird’s haarig, weil jetzt unsere Arbeitsplätze abhandenkommen.“
Es ist aber etwas sehr spannendes passiert. Es waren die jungen Mitarbeiter, die wissen wollte, wie man die Roboter bedient, wie man damit arbeitet. Die älteren Mitarbeiter waren erstmal zurückhaltend. Doch nach und nach haben sie sich den Maschinen angenähert und ich hatte das Gefühl, dass die Jüngeren das erlernte Wissen den Älteren weitergeben konnten. Eine super Situation.

Besteht denn noch immer die Sorge, dass der Roboter den Arbeitsplatz wegnehmen könnte?
Nein. Das haben wir ja auch widerlegt. Das wird nicht passieren. Der Roboter ist doch niemals kreativ. Künstliche Intelligenz hin oder her. Roboter bringen Erleichterungen und Präzession; es ist aber im Prinzip auch nichts anderes als die Dampfmaschine.
Nehmen Sie unsere handgeschöpfte Schokolade. Die braucht kein Roboter machen. Es braucht die Menschen – die handgeschöpfte Schokolade lebt davon, die lebt von den Ecken und den Kanten. Bei den Roboterpralinen geht es um diese extreme Präzision, die eine wahre Zumutung für die Mitarbeiter wäre. Da müsste man hinter jedem Mitarbeiter stehen und sagen: „Du musst die noch dünner und noch dünner machen!“ Der würde ja narrisch werden.

In Sachen Kakao greifen Sie auch auf Traditionelles zurück. 9 von 350 Tonnen ihres Bio-Kakaos kommen nicht mehr mit Containerschiffen, sondern mit dem Segelschiff. Haben Sie vor, den Anteil zu erhöhen?
9 Tonnen sind ein Anfang. Es hat alles einen Anfang. Die Biolandschaft hat auch angefangen mit ein paar Wahnsinnigen. Und heute haben wir 20% Biolandwirtschaft in Österreich.
Vielleicht schaffen wir bald 20 Tonnen – es hängt auch viel von der Logistik und der Lagerung ab. Im Moment ist es noch ineffizient, aber man muss sich Lösungen überlegen.

Der Schokolade wird nachgesagt, dass sie Glücksgefühle auslöst. Was macht einen Herrn Zotter glücklich, abseits von Schokolade?
Das mit dem Glück, das ist eine Mär, das wollt ich nur entschärfen. Glücklich wird nur der Schokoladenhersteller (lacht).
Nein, ernsthaft; wenn du Zucker isst, ist das schnell zugeführte Energie und du fühlst dich besser. Kakaobutter unterstützt die Bildung von Serotonin und du fühlst dich besser.

Den Josef Zotter macht glücklich, dass sein Unternehmen so genial funktioniert, wie es jetzt funktioniert. Ich mach das jetzt seit 30 Jahren, bin pleitegegangen, hab alles erlebt. Jetzt habe ich das Gefühl, dass das Unternehmen fertig ist und wir es nur mehr pflegen müssen. Vielleicht hat das auch mit dem Alter zu tun. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass jetzt irgendetwas noch fehlt.
Ich war nie getrieben von Ferienhäusern und Motorbooten – das war auch nie das Ziel. Ich könnte es mir jetzt zwar leisten, aber das brauche ich nicht.

Welchen Luxus gönnen Sie sich denn?
Auf der Speisekarte nicht rechts zu schauen, sondern nur links. Und ja, ich gebe es zu, ich gehe gerne in Luxusrestaurants; mir taugt das. Das beflügelt und fasziniert mich. Da schöpfe ich Inspiration. Und das hat nichts mit Kaviar oder Champagner zu tun. Es reicht, wenn jemand sein Handwerk zelebriert.
Die Zeit, in der ich auf der Speisekarte auf den Preis geschaut habe, die habe ich natürlich auch gekannt. Eine schwierige Zeit. Ich bin heute immer noch stolz auf unsere Familie, dass wir in dieser Zeit zusammengehalten haben. Damals haben wir überlegt, kaufen wir zwei Kilo Erdäpfel oder ein Kilo. Man musste Prioritäten setzen und das haben wir auch gemacht.

1996 sind sie pleitegegangen. Was haben Sie für Lehren aus dieser Erfahrung gezogen?
Ich habe eine Sache anders gemacht. In meinem ersten Unternehmerleben habe ich geglaubt, das Geld liegt auf der Straße. Ich war größenwahnsinnig. Das bin ich heute offensichtlich auch noch, aber damals habe ich mir gedacht – du gehst zur Bank, nimmst einen Kredit und zahlst den zurück. In meinem zweiten Unternehmerleben hat mir keine Bank mehr ein Geld gegeben, zum Glück. Denn da bin ich draufgekommen, was Wachstum wirklich ist. Das vorher war künstliches Wachstum und vor dem warne ich heute. Schulden sind ein Mist! Ich habe das Unternehmen ohne Schulden aufgebaut. Das geht, es dauert nur länger.

Ihr Gefühl ist, das Unternehmen sei fertig, man müsse es „nur mehr pflegen“. Wann übernimmt denn dann Ihre Tochter Julia das Unternehmen. Wäre jetzt kein guter Zeitpunkt?
Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich hätte mir nicht gedacht, dass eine Unternehmensübergabe so schwer ist.

Was macht es so schwer?
Es ist die Lebenserfahrung. Du weißt so viel und aufgrund dieses Wissens, machst du viele Fehler einfach nicht mehr; aber dadurch verlierst du auch die Kreativität.

Und diesen frischen Wind bringen die Kinder herein?
Es klingt jetzt vielleicht ein bisschen romantisch, aber wir haben ein sehr gutes Einvernehmen. Julia ist nun immer mehr in das Unternehmen involviert und wir, meine Frau und ich, leisten uns beispielsweise drei Wochen Urlaub – das hatten wir noch nie.
Wenn wir es intelligent schaffen, die Erfahrung mit dem Innovationsgeist, den die Kinder jetzt ins Unternehmen bringen, zu vereinen, kann das nicht so schlecht sein.
Was ich nicht möchte, dass ich im Unternehmen 100 werde. Ich möchte schon 100 werden, aber nicht hier den Hof kehren. Langsam rauswachsen, das wäre das Ziel.

Zur Person

Josef Zotter, 58, ist ausgebildeter Koch, Kellner, Konditor und Biobauer. 1987 eröffnete der Steirer in Graz mit seiner Frau Ulrike eine Konditoreikette und scheiterte. Das Unternehmen ging pleite. 1999 konzentrierten sich die beiden am elterlichen Hof in Bergl auf Schokolade, stellten auf fairen Handel und Bio um. 400 Sorten hat Zotter im Sortiment.Die beiden älteren ihrer drei Kinder, Julia und Michael, arbeiten im Unternehmen mit.

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Das Buch "Die Ibiza Affäre - Aufstieg und Fall einer deutschnationalen Partei! https://www.epubli.de/shop/buch/IBIZA-AFF%C3%84RE-Hans-Georg-Peitl-9783748547587/87183

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