David Schalko: "Dekultivierung
ist der Tod in Europa"

Ein Gespräch mit David Schalko über seinen Roman "Bad Regina", den Sinn von Corona- Tests, Rassismus und politisch korrekte Neurotiker.

von Interview - David Schalko: "Dekultivierung
ist der Tod in Europa" © Bild: Matt Observe/News
Er wurde 1973 in Waidhofen an der Thaya als Sohn eines Bankiers geboren. Er wuchs in Wien auf, begann ein Wirtschaftsstudium, arbeitete als Regisseur und entwarf die "Sendung ohne Namen" für den ORF. Mit John Lueftner führt er die Produktionsfirma Superfilm. Seine Fernsehserie "Braunschlag" (2011) ist seit über einem Jahr auf Netflix. Im Frühjahr strahlt Sky seine hochkarätig besetzte Serie "Ich und die anderen" aus. Schalko ist mit der Filmmacherin Evi Romen verheiratet. Das Paar hat zwei Kinder.

Aberwitzige Szenarien nah an der Realität sind die Themen von David Schalko. Die Straßen in Bad Regina sind verwaist. Das Grandhotel ist geschlossen, die Becken im Hallenbad liegen im Trockenen, die Schule steht leer.

Was auf einen ersten Blick wie ein Rundgang durch eine Stadt im monatelangen Lockdown anmutet, ist das Szenario von David Schalkos Roman "Bad Regina", der am 14. Jänner bei Kiepenheuer & Witsch erschien.

Doch nicht ein Virus ist der Verursacher der beklemmenden Stille im einst noblen Kurort, sondern ein Chinese namens Chen. Er bietet den Bewohnern stattliche Summen für ihre Häuser, um die Gebäude dem Verfall zu überlassen. Einer der nur noch 46 Verbliebenen ist Othmar. Der ehemalige Betreiber des Krake, des einst berühmtesten Klubs der Alpen, beschließt nun, dem Chinesen das Handwerk zu legen.

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Schalko verwebt auf 400 Seiten einen packenden Thriller mit den Elementen des österreichischen Dorfromans in der Tradition von Hermann Broch, Thomas Bernhard und Gerhard Fritsch. Er schafft damit eine düstere Atmosphäre, wie man sie von Dürrenmatt kennt. Vorbild für den Schauplatz seiner Handlung sei das reale Bad Gastein, das in China nachgebaut wurde, verrät der 47-jährige Schriftsteller und Filmemacher im Gespräch.

Was empfinden Sie dabei, dass Ihr Roman "Bad Regina" von der Corona-Wirklichkeit eingeholt wurde?
Es war schon ein seltsames Gefühl, dass mein Roman atmosphärisch ziemlich deckungsgleich ist mit dem, was draußen in der Wirklichkeit stattfindet. Aber ich war schon fast fertig damit, als das Virus auftrat. Aber dieser Lockdown ist auch ein Sinnbild unserer Zeit und dieser Vereinzelungsprozesse in unserer Gesellschaft. Daher ist ein Roman wie dieser kein Zufall, weil er auf eine gewisse Art und Weise mit einem Lebensgefühl in Europa zu tun hat.

Heißt das, dass die Vereinzelung auch ohne Lockdown stattfindet?
Genau. Auch dass sich Europa ein bisschen "tot" anfühlt, denn es lebt sehr stark von seiner Kultur und weniger davon, dass es produziert.

Aber die Kultur wird jetzt in eine Art Totenstarre versetzt.
Diese Dekultivierung ist der Tod in Europa, wenn die Kultur wegfällt, bleibt nicht sehr viel übrig. Man hat eher das Gefühl, dass der Blick in die Vergangenheit gerichtet ist und das 20. Jahrhundert das große europäische Jahrhundert war und das 21. Jahrhundert das nicht wird.

Ihrem Roman zufolge gehört China die Zukunft.
Wirtschaftlich gesehen sicher, aber auch gesellschaftlich, weil wir uns viel von China abschauen, und zwar in dem Sinn, dass alles funktionieren muss. Alles steht unter dem Diktat der Leistung. Es fallen immer öfter Sätze wie: "Was macht Südkorea, was macht China richtig, und was macht Europa falsch?"

» Der Österreicher ist ein Biedermeier Faschist. Er lässt sich gerne einsperren«

Wir übernehmen immer mehr diesen chinesischen Kapitalismus, wo alles auf Entindividualisierung ausgerichtet ist, aber auch solche Dingewie Überwachung. Unsere Demokratie muss immer mehrder Wirtschaft gehorchen. Bürgerrechte fallen weg. Wirverlassen den europäischen Grundwert der Aufklärung.

Während der Lockdowns konnte man leicht den Eindruck gewinnen, dass sich viele Österreicher nicht ungern erziehen lassen. Wie sehen Sie das?


Der Österreicher ist ein Biedermeier Faschist. Er lässt sich gerne einsperren (lacht). Abei m Ernst jetzt: Interessant ist der Unterschied zwischen dem ersten und dem zweiten Lockdown. Während der erste strikt verordnet war, der Österreicher sehr gern gehorcht hat und sehr viel denunziert hat, kam der zweite zögerlich daher, ohne Konzept. Man hatte nicht das Gefühl, dass da etwas vorbereitet wurde, von dem man monatelang vorher gewusst hat, dass es kommt. Es hat dann weder mit der Verordnung so richtig funktioniert noch mit der Eigenverantwortung, weil sich die Leute auch nicht diszipliniert haben.

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Woran liegt das?
Ich finde, dass wir die Prioritäten falsch setzen. In Schulen ist die Ansteckungsrate bei vier Prozent, in der Gastronomie nicht viel höher. In Theatern liegt sie bei null. Das alles sperrte man zu, nur die Skilifte lässt man offen, weil sie zur Interessengruppe der ÖVP gehören. Man würde nie auf die Idee kommen, Großkonzernen nahezutreten. Auch die Einkaufstage vor Weihnachten musste es geben, weil der Handel da 80 Prozent seines Jahresumsatzes macht. Man hat nicht das Gefühl, dass es um die Sache geht, sondern dass Interessengruppen bedient werden müssen.

Was halten Sie vom "Freitesten"?
Ich halte prinzipiell vom Testen viel. Wenn man umfassendere Schnelltests anbieten würde, dann hätten wir auch mehr Freiheit, bis alle geimpft sind. Da hat man versagt.

Lassen Sie sich impfen?
Ja, weil ich glaube, dass wir aus dem nur herauskommen, wenn sich möglichst viele aus der Bevölkerung impfen lassen. Ich glaube aber trotzdem, dass die Impfpflicht falsch ist, das wäre wie eine Vergewaltigung.

In unserem Interview im Mai sagten Sie, dass Andrea Mayer die Idealbesetzung für das Amt der Kulturstaatssekretärin sei. Nun schlug sie vor, dass die Theater länger geschlossen bleiben sollen. Hat sie da auch Ihre Zustimmung?
Ich weiß nicht, in welchem Zusammenhang sie das gesagt hat. Aber wie gesagt: Die Kultursteht auf deren Prioritätenlisteganz unten und die Skilifteganz oben. Genauso verhält essich mit den Schulen, Bildungsteht ganz unten, Wirtschaft ganz oben. Anhand des Virus können wir die Prioritäten dieser Gesellschaft sehr klar erkennen. In der Schweiz spielen die Theater derzeit für 50 Besucher.

Ich glaube aber, dass die Leute jetzt ohnehin nicht sehr gern ins Theater gehen würden. Aber natürlich ist es schlimm, wenn es sehr lange keine Vorstellungen gibt. Denn es geht nicht nur um Unterhaltung, um Lebensfreude, sondern auch um einen reflektierten Prozess, den die Kunst zur Verfügung stellt. Im Moment hat man den Eindruck, dass Kultur hauptsächlich aus Netflix und Amazon besteht.

Was ist mit dem Kulturminister Werner Kogler?
Es geht ja nicht nur um Kultur, es geht auch um Umweltpolitik. Da ist die Lage katastrophaler, diese Problematik istakuter als das Virus. Und da istvon den Grünen überhauptnichts zu hören, weil sie Angst haben, aus der Regierung zufliegen. So artig hat sich ein Koalitionspartner schon lange nicht mehr verhalten. Sie bringen nicht das in die Regierung ein, was man von ihnen erwartet. Ihr Verhalten klingt sehr nach Opportunismus, nach Feigheit, nach einem gewissen "Hauptsache, regieren".

»Man den Eindruck, dass die Grünen nur noch aus einem Gesundheitsminister bestehen«

Das Problem ist, dass die Grünen durch das Coronavirus ihr Hauptfeld verlassen mussten, nämlich die Umweltpolitik. Die große Hoffnung mit dieser Regierung war doch, dass die Ökologisierung der Wirtschaft eine Chance hat, aber die wird es in dieser Legislaturperiode nicht mehr geben. Dass sie mit ihrer Einstellung zur Immigration keine Chance haben, war ja von Anfang an klar. Aber jetzt hat man den Eindruck, dass die Grünen nur noch aus einem Gesundheitsminister bestehen.

»Europa ist total durchdrungen von Rassismus. Es gibt den unrassistischen Europäer nicht«

Es gibt nur Anschober, dessen beruhigende Stimme auf mich bestimmt nicht mehr die gleiche Wirkung hat wie beim ersten Lockdown. Interessant ist auch die Diskussionum die Intensivbetten, weil man ja stets mit der Angst vor Überlastung argumentiert. Aufgestockt hat man diese aber offenbar nicht. Das ist also eine ziemlich heuchlerische Argumentation. Und es geht eigentlich um etwas ganz andere.

Worum, um Nehammers Polizeistaat?
Nehammer ist mein Lieblingsminister, der ist gecastet wie für eine B-Movie-Version von einem Superman Film. Wenn er auftritt, hat man immer das Gefühl, ein mittelmäßiger Schauspieler spielt einen ständig alarmierten Innenminister. Ich finde das lustig, ich hoffe, er bleibt noch ganz lang Innenminister.

Wenn wir schon beim Casting sind. Von Gudenus wurde kolportiert, dass er in einem Film über die Ibiza-Affäre mitspielen will. Wäre das für Ihre Serie darüber eine Option?
Der Mann ist wirklich unerbittlich, wenn es darum geht, in der Öffentlichkeit zu stehen. Aber nein, bei mir nicht. Aber wir werden ihn bestimmt noch im Dschungelcamp sehen.

»Interessant ist, dass ausgerechnet Kickl, der das gesamte Verfassungsrecht massiv in Frage stellte«

Überrascht es, dass Kickl das Verhalten der Regierung autoritär nennt.

Interessant, dass ausgerechnet er, der das gesamte Verfassungsrecht massiv in Frage stellte, sich als Liberaler aufspielt. Wir müssen uns nur vorstellen, was wäre, wenn Kickl während der Corona-Krise Innenminister wäre. Da gäbe es wahrscheinlich eine Viren-Gestapo. Da würde jeder Lockdown auf furchtbarste Weise kontrolliert.

Aber wenn es um Kritik an den Maßnahmen geht, sind Rechte und Linke vereint.
Das Schlimme ist, dass jeder, der auch nur irgendetwas Kritisches zu diesen Maßnahmen sagt, automatisch ins Eck des Corona-Leugners gestellt wird. Das hat fast schon fundamentalistische Ausmaße, wie diese ganze Debatte geführt wird. Entweder du bist für oder gegen mich. Das ist total lächerlich. Es gibt keinen nuancierten Umgang mit diesem Thema mehr.

Kann die FPÖ davon profitieren?
Das glaube ich nicht, die FPÖ hat keine große Zielgruppe mehr, die ist in einem total desolaten Zustand. Die könnte einem fast leidtun. Aber man sollte nicht vergessen, die FPÖ war immer schon eine verlogene und durchkorrumpierte Partei. Das wird sich auch nicht ändern. Deshalb wählt die Mehrheit der Rechten in Österreich im Augenblick sicher Kurz und nicht Kickl oder gar nicht.

Denn oft sind diese Rechten nichts anderes als Menschen, die ihre eigene Kindheit bewahren wollen. Ihr Rechts-Sein ist ein Wickie-Slime-and-Paiper-Effekt. Die Angst vor dem, was von außen kommt, ist so groß, weil es nicht als Bereicherung, sondern als zerstörende Kraft empfunden wird. Wenn ein Afrikaner über das Meer kommt, hat man nicht das Gefühl, dass der die europäische Kultur bereichern könnte, sondern sie zersetzt. Das hat mit unserer Überheblichkeit zu tun und mit einer Verachtung einem Kontinent gegenüber, den wir ausgepresst haben wie eine Zitrone.

Insofern ist die Angst vor den Fremden verständlich. Man fürchtet, dass Migranten ähnlich vorgehen wie einst die Kolonialmächte.
Absolut, aber ich frage mich, ob man anders auf Ankommende reagieren würde, wenn es Weiße wären und nicht Afrikaner.

In Ihrem Roman eignen sich die Afrikaner, die in das Dorf gezogen sind, sogar die Lederhosen und Dirndln der Bewohner an. Die Einheimischen meinen aber, dass die Stadt und das Land nur ihnen gehören. Ist Bad Regina eine Art Symbol für das heutige Europa, das Einwanderer ablehnt?
Wir glauben, dass wir ein hundertprozentiges Anrecht auf dieses Europa haben, weil wir immer schon da waren. Wir Europäer blicken auf diese Leute herab. Europa ist total durchdrungen von Rassismus. Es gibt den unrassistischen Europäer gar nicht. Auch davon erzählt mein Roman. Rassismus ist das Grundthema Europas, das beginnt bei der Kolonialisierung und gipfelt im Naziterror.

Joe Biden löst schon vor seinem Amtsantritt als Präsident der USA Diversity-Forderungen ein. Ist die Situation in Amerika besser?
Diversität ist in Amerika ein viel größeres Thema als bei uns. Das heißt aber nicht, dass das in der Gesellschaft auch ankommt. Auch unter Barack Obama hat sich nichts verändert. Das ist Scheinpolitik, die da betrieben wird. Aber ich denke auch, dass die Diktatur der politischen Korrektheit derzeit sehr stark ist, und dem unterwirft sich gerade auch jeder vernünftige Gedanke. Es ist eine neurotische Gesellschaft geworden, wenn es um politische Korrektheit geht.

Sie verwenden in Ihrem Roman nicht nur einmal das Wort "Neger". Grenzen Sie sich damit von dieser politisch korrekten Gesellschaft ab?
Nicht ich, sondern Charaktere verwenden dieses Wort. Das ist ein Unterschied. Warum soll man die Leute nicht auch im Roman so reden lassen, wie sie in der Wirklichkeit reden?

Auch Mark Twain wurde deshalb schon zensuriert.
Das ist lächerlich. Man muss die Dinge in ihrem Kontext sehen, wie die Leute damals gesprochen haben, wie sie die Welt gesehen haben. Wenn man das verändert, verändert man auch das Geschichtsbild und weiß nicht mehr, wie sich diese Zeit angefühlt hat. Und ein Roman ist in erster Linie der Wahrhaftigkeit verpflichtet und nicht der politischen Korrektheit.

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Der Roman Im ehemaligen Nobelkurort Bad Regina leben nur noch 46 Einheimische. Ein Chinese namens Chen kauft die Häuser, die Bewohner verschwinden. Nur einer, der ausgediente Klubbetreiber Othmar, leistet Widerstand und stellt sich Chen entgegen. Ein packender Thriller, der die Erzähltradition des österreichischen Dorfromans nach Broch, Bernhard und Gerhard Fritsch fortschreibt. David Schalko, "Bad Regina", Kiepenheuer &Witsch, € 24,70. Ab 14. Jänner.

Der Artikel wurde in der "News-Printausgabe" Nr. 01/2021 erstmals veröffentlicht