Chris Lohner: "Ich lebe ja nicht
wie Alice im Wunderland"

Sie protestierte als Erste gegen Minister Herbert Kickl, nachdem dieser gesagt hatte, das Recht müsse der Politik folgen. Fernsehlegende Chris Lohner forderte den Bundespräsidenten auf, zu handeln. Dafür muss sie nun auch viel Hass einstecken. Das ist ihr egal. "Es geht doch hier nicht um mich", sagt sie

von Chris Lohner © Bild: News/Matt Observe

News: Frau Lohner, Sie haben Bundespräsident Van der Bellen in einem offenen Brief gebeten, seine "Möglichkeiten zu nutzen" und "den Attacken dieser Regierung auf die Demokratie Einhalt zu gebieten". Was erhoffen Sie sich davon?
Chris Lohner: Der Bundespräsident ist die wichtigste Instanz im Staat, er ist für alle Österreicher da und er hat Möglichkeiten. Über diese möchte ich mit ihm diskutieren, weil mich der Status quo unserer Regierung und konkret die Äußerungen des Innenministers ehrlich schockieren. Der Bundespräsident kann niemanden absetzen, er könnte nur die Regierung auflösen, aber darum geht es nicht. Diese Regierung ist demokratisch gewählt. Nur: Wenn sich jemand permanent danebenbenimmt, muss man handeln.

Was soll der Bundespräsident denn tun?
Ich hoffe, dass er sich den Bundeskanzler holt und sagt: "Überlege dir etwas. Dieser Innenminister ist untragbar." Lassen Sie es mich mit einer Schulklasse vergleichen: Wenn sich dort jemand immer wieder grauenhaft benimmt, hat das Konsequenzen, er muss zur Direktorin, und die wird handeln.

»Kickl ist seit Beginn als Innenminister untragbar«

Sie meinen, Herbert Kickl soll als Innenminister abgesetzt werden?
Ja, Kickl ist seit Beginn als Innenminister untragbar. Er ist der Vordenker der FPÖ, er hat Wahlkampfslogans verantwortet wie 2012 "Heimatliebe statt Marokkaner-Diebe". Er sagte im Jänner vor einem Jahr, dass Asylwerber konzentriert an einem Ort gehalten werden sollen. "Konzentriert" ist das eine schamlose Wort in diesem Zusammenhang, das andere ist "halten": Seit wann werden Menschen irgendwo "gehalten"? Gehalten werden Tiere in Ställen. Das ist Menschenverachtend, zynisch, respektlos und schamlos.

Van der Bellen ließ Ihnen im Privatfernsehen ausrichten, er wisse schon, was er tue, und agiere bestimmt in Ihrem Sinne, wenn auch nicht immer öffentlich. Was sagen Sie dazu?
Da kann ich mich nur bedanken und mich darüber freuen, dass auch etwas geschehen wird, das zu einem besseren Miteinander beiträgt.

Seit Ihrem offenen Brief werden Sie auf Ihrer Facebook-Seite angefeindet. Der Kolumnist einer Tageszeitung forderte Sie auf, sich aus der Politik rauszuhalten. Kränkt Sie das?
Nein, weil es mehr über den Schreiber als über mich aussagt, wenn er so etwas zu einem wahlberechtigten Staatsbürger sagt. Wieso darf ich denn dann wählen? Politik ist nichts anderes, als in einer Gesellschaft Regeln aufzustellen, damit alle gut miteinander leben können. Der Ton der Kolumne passt leider gut zur Atmosphäre, die dank dieser Regierung salonfähig geworden ist: Jeder kann alles sagen, egal, wie mies es ist, ohne dass es Konsequenzen hat.

»Ich bin bei keiner Partei. Ich weiß, was Recht und Unrecht ist«

Das klingt, als würden Sie eine der Oppositionsparteien unterstützen?
Nein, ich bin ein Freigeist, ich bin bei keiner Partei. Die brauche ich nicht, um zu entscheiden, was Recht und Unrecht ist. Wissen Sie, ich war mit Viktor Frankl befreundet, der gesagt hat: "Es gibt nur anständige und unanständige Menschen." Genau so sehe ich das auch.

Ihr Aufschrei wäre also genauso laut, wenn ein Minister der SPÖ, der Grünen oder Neos gefordert hätte, dass Recht der Politik anzupassen?
Natürlich, das ist unanständig und ärgert mich! Vor allem wenn ein Mensch so agiert, der mich in der Regierung vertritt. Ich bin Steuerzahler, die Politiker sind unser aller Angestellte, die mit unserem Haushaltsgeld diesen Staat zu führen haben. Da kann man auch sagen, wenn einem das nicht gefällt.

Minister Kickl erklärte seine umstrittene Äußerung: Er wollte nur auf die Veränderbarkeit von Gesetzen in einem demokratischen Prozess hinweisen. Keinesfalls wollte er die Europäische Menschenrechtskonvention oder die Menschenrechte infrage stellen. Was halten Sie von dieser Feststellung?
Nichts halte ich davon, denn es wird permanent zurückgerudert nach gruseligen Aussagen dieser Partei. Ich glaube ihm kein Wort. Man kann doch nicht permanent Gemeinheiten loslassen und Rassismus schüren und danach sagen, man habe es nicht so gemeint. Jeder kann einen Ausrutscher haben, aber das hier hat doch System, das sind keine Zufälle.

Wenn Sie sagen, es darf niemand ausgegrenzt werden: Würden Sie sich auch mit Vertretern der FPÖ an einen Tisch setzen?
Ja, denn gerade mit Menschen, die konträrer Meinung sind, muss man reden, sonst gibt man ihnen eine Plattform der Märtyrer. Außerdem hat es ja keinen Sinn, wenn ich nur mit denen rede, die sowieso meiner Meinung sind. Leider habe ich über die Jahre beobachtet, wie Macht die Menschen verändert, auch Sebastian Kurz. Als er Integrationssekretär war, habe ich ihn als jungen Mann mit humanistischem Gedankengut geschätzt. Heute orte ich bei ihm eine starke Veränderung nach rechts. Ich würde mir mehr Haltung von ihm wünschen, mehr Rückgrat. Er hat mich sehr enttäuscht.

»Ich bin kein Feigling«

Das scheint viele nicht zu stören: Bei einem Großteil der Bevölkerung genießen die Regierungsarbeit und der Bundeskanzler eine hohe Zustimmung.
Das hat auch damit zu tun, dass zuvor immer öffentlich gestritten wurde und diese Regierung offenbar ausgemacht hat, nie öffentlich zu streiten. Aber das ist doch bitte noch kein Regierungsprogramm! Hier wird ständig Angst geschürt und ein Feindbild geschaffen. Das Thema Frauenmorde ist ein gutes Beispiel: Dabei geht es um Gewalt in der Familie, aber geredet wird ständig nur von Asylanten und Flüchtlingsproblematik.

Seit Ihrer Regierungskritik sind Sie offenem Hass ausgesetzt. Wie stecken Sie das weg?
Ich habe doch gewusst, dass das passiert, ich lebe ja nicht wie Alice im Wunderland. Und ich bin kein Feigling. Ich bin 75 Jahre alt, und bitte nicht wörtlich nehmen, aber ich scheiß mir nix mehr. Was soll denn sein? Dass man mich beschimpft und sagt, meine Frisur ist schiach und ich bin deppert? Nach 45 Jahren in der Öffentlichkeit weiß ich, wofür ich von vielen geschätzt werde, und wenn eine Handvoll über mich herfällt, soll sie. Hass macht schiach, alt und krank. Das ist nicht mein Problem.

Sie wurden bereits früher angefeindet, als Sie mit Lance Lumsden liiert waren. Hat diese Erfahrung Sie gestählt?
Das war unglaublich. Man hat mir Scheiße in einem Karton geschickt. Wie armselig. Es hat mich im Höchstmaß erstaunt, dass ich in einem Land lebe, in dem Menschen zu so etwas fähig sind. "Negerhure, schleich dich aus Europa", haben sie zu mir gesagt. "Ja, ich fahr eh nach Afrika", habe ich darauf gesagt. Denn dort unterstütze ich ja die Organisation "Licht für die Welt". Man muss so einer Wut, so einem Hass auch mit Humor begegnen. Humor ist nach der Liebe das Wichtigste im Leben.

Ihnen wurde auch Wichtigtuerei vorgeworfen. Wie wichtig ist es Ihnen, in der Öffentlichkeit zu stehen?
Ich begegne dem Geschenkkorb des Universums mit großer Demut. Dass die Menschen mich gerne im Fernsehen gesehen haben und meine Bücher mögen, gehört dazu. Aber als Mensch, der in der Öffentlichkeit steht und damit sein Geld verdient hat, habe ich auch eine Verantwortung. Die ist mir wichtig, denn es gibt Menschen, die mir zuhören, und wenn ich nur einen zum bringen kann, ist schon viel gewonnen.

»Mein Vater hat mich dazu erzogen, auf Menschen zu achten, denen es schlechter geht als mir«

Wer oder was hat diese Haltung in Ihnen geprägt?
Mein Vater. Er hat mich dazu erzogen, auf Menschen zu achten, denen es schlechter geht als mir. Er war Volkshochschuldirektor, und jeder konnte mit seinen Anliegen zu ihm kommen. Er hat allen geholfen. Ich bin mit einem respektvollen Blick auf andere groß geworden. Gleichzeitig hat mich geprägt, dass meine Mutter ihn um Geld bitten musste, wenn sie sich Strümpfe kaufen wollte. Damals habe ich mir geschworen, dass ich mein eigenes Geld verdienen werde und dass ich einen Mann nur zum Liebhaben und als Freund will. So war es dann auch.

Gibt es eine Lehre in Ihrem Leben, die über allem steht?
Ja, in der Nachkriegszeit groß zu werden, hatte darauf großen Einfluss. Als Volksschulkind bin ich mit meiner Großmutter Brennnesseln pflücken gegangen fürs Abendessen. Ich habe Nachhilfeunterricht gegeben und mir im Räumungsverkauf Stoffe gekauft, damit ich mir was nähen kann. Mein erstes gekauftes Kleidungsstück war ein roter Dufflecoat von Texhages, da war ich 16. Vorher habe ich Pullover aus der aufgetrennten, neu gestrickten Kleidung meiner Mama getragen, die furchtbar gekratzt haben. Ich weiß, dass ich mit nichts auskommen kann, außer mit mir. Ich bin heute eine gute Konsumentin, keine Frage. Aber wenn ich all das nicht habe, bin ich auch ein glücklicher Mensch. Besitz, den man um sich anhäuft, schafft Distanz zum Nächsten. Dazu kommt die ständige Angst, dass einem jemand etwas wegnimmt.

Sind Sie deshalb so unerschrocken in Ihren "Wut Postings"?
Das war ein längerer Weg zu dieser Unerschrockenheit. Ich habe als Model und Fernsehsprecherin Berufe gehabt, die immer auf der Optik beruht haben. Ich habe immer schon ein funktionierendes Hirn gehabt. Mit 30 habe ich mich gefragt: Was ist da noch? Ich wollte wissen, wozu ich da bin. Man muss schauen, wer man ist, und verbessern, was einem nicht gefällt. Wenn man viel über sich weiß, wird man stärker und mutiger. Ein Beispiel: Jemand sagt: "Du hast so abstehende, große Ohren, du kommst nicht durch diese Tür!" Wenn ich nicht weiß, ob das stimmt, weil ich mich nie mit mir beschäftigt habe,werde ich bezweifeln, ob ich durch die Tür komme. Wenn ich aber meine Stärken und Schwächen kenne, ist es egal. Mich genau zu kennen, stärkt mich.

Sie könnten sich zurücklehnen, mit dem Hund spazieren gehen, das Leben genießen. Warum tun Sie sich das an?
Es geht doch nicht um mich, ich bin nach dem Krieg in einer funktionierenden Demokratie groß geworden. Aber die sehe ich gefährdet. Und was ist in 20 Jahren mit den heute jungen Menschen? Deren Zukunft ist mir doch nicht wurscht!

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr.5/19

Kommentare

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Hugo Sargnagl

!!!Bravo!!! endlich sagt jemand, was Sache ist. Ich wünsche Ihnen noch alles erdenkliche Gute für diese mutigen Zeilen. Die wahrhaftig blöden Reaktionen waren ja zu erwarten. Besonders die von einem Redakteur eines Revolerblattls,
das sich wider besseren Wissens täglich hochmütig Zeitung nennt. Leider stehen mir als pensi

Superguppy melden

Meinung sind. Ich werde alles dazu tun, damit Sie Ihre Meinung sagen können, auch wenn ich sie nicht teile. (Voltaire). Demokratie lebt von Diversität, nicht von medialer und politischer Monokultur. Sie waren als Fernsehsprecherin Teil des Systems, daher ist es verständlich und nachvollziehbar, dass Sie sich von Ihrem System einspannen lassen. Schade um Ihre Integrität.

sargnagl melden

Ja, ja, die empfindliche blau-braune Volksseele. Wer einen der Ihren kritisiert ist fremdgesteuert von Phantomen (System) und auf gar keinen Fall ehrlich (integer). Sie hätten sich das verlogene Gesülze zur freien Meinungsäußerung sparen können.

... und machen Sie von Ihrem Wahlrecht bei der nächsten Wahl davon gebrauch. Wenn die Wähler von der Arbeit der Regierung enttäuscht sein wollten, dann werden sie andere Parteien wählen. Da diese Regierung durch eine freie Wahl von der Mehrheit des Volkes mit dem Mandat versehen wurde, sind Wortspenden Ihrer Art obsolet. Demokratie hält aber auch Ihre Zurufe aus, auch wenn viele Andere nicht Ihrer

Superguppy melden

Werte Frau Lohner! Ich habe Ihren Beitrag gelesen und stelle fest, dass Sie "Ihre" Welt sehr einseitig sehen. Sie sagen, dass Sie sehr wohl zwischen richtig und falsch unterscheiden können. Ihre ganzen Tirade geht wie bei vielen Linken nur gegen einen Minister, der endlich! etwas gegen diese vielen Morde und den Missbrauch unserer Gastfreundschaft etwas unternimmt. Wettern Sie nicht, ...

sargnagl melden

Ja er tut etwas gegen den Missbrauch und so weiter. Aber man darf in trotzdem für andere Schweinereien (z.B. den Verfassungsschutz mutwillig in die Luft zu sprengen; Verfassung abschaffen wollen) kritisieren. Das Eine hat mit dem Anderen nix zu tun. So bedingungslose Verteidigung kann nur aus wie Sie Blindheit entstehen.

Meine Hochachtung über die Offenheit ihrer Worte.

mirucki melden

Sie ist ALT sie ist ABGEHALFTERT und sie ist SENIL. Sie gehört zu denen , die sich nicht damit abfinden können, dass WIR (DAS VOLK), eine andere zielstrebigere Regierung gewählt haben. Mit einem SUPER INNENMINISTER.

Freemind melden

WIR (DAS VOLK) haben diese Regierung nicht gewählt. WIR (DAS VOLK) hat Parteien gewählt. Zwei Parteien haben dann eine Regierung gebildet. Diese Regierung hat gemeinsam 2,91 mio Stimmen von 8,77 mio Österreichern. Soweit zu den Fakten.
Das mit dem Innenminister hab ich jetzt als sarkastischen Scherz verstanden...

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