Birgit Hebein: "Der Platz in Wien ist ungleich verteilt"

Die grüne Vizebürgermeisterin Birgit Hebein setzt auch in Coronazeiten auf die bekannten Themen ihrer Partei: mehr Platz für Fußgänger und Radler, weniger für Autos. Und sie fordert die Bundesregierung zur Armutsbekämpfung auf

von Interview - Birgit Hebein: "Der Platz in Wien ist ungleich verteilt" © Bild: Ricardo Herrgott

News: Wie wird sich Wien durch die Coronakrise verändern? Werden wir im Herbst viel mehr an geschlossenen Geschäften vorbeigehen?
Birgit Hebein:
Für einen Blick in die Zukunft ist es zu früh, wir stecken noch mitten in der Krise. Jetzt müssen wir alles tun, damit wir niemanden übersehen - von den Ein-Personen-Unternehmen über Künstlerinnen und Künstler bis hin zu obdachlosen und arbeitslosen Menschen. Viele sind in existenzbedrohenden Situationen.

Darauf zielt die Frage ab.
Darum ist es oberste Priorität, darauf zu achten, dass die Härtefonds und Unterstützungen auf Bundes-und Wiener Ebene auch wirken. Was wir noch tun: Raum schaffen, das halte ich für enorm wichtig. Die Schule beginnt, immer mehr Menschen gehen arbeiten, daher gilt es, Platz zu schaffen für jene, die zu Fuß gehen oder sicher mit dem Rad unterwegs sein wollen. Es ist wichtig, den öffentlichen Verkehr zu entlasten, darum die Sofortmaßnahmen: temporäre Begegnungszonen, Pop-up-Radwege und jetzt noch die "Wiener Schatten", denn der Hitzesommer steht bevor. Wir müssen alles tun, um das Alltagsleben der Menschen zu erleichtern. In weiterer Folge muss in Infrastrukturmaßnahmen und nachhaltige Arbeitsplätze im Klimaschutz investiert werden, um die verheerende Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Begegnungszonen und Pop-up-Radwege - von der SPÖ kam Kritik an "Aktionismus". Wird in Wien mit Corona Wahlkampf gemacht?
Wir haben keine Zeit für Wahlkampf und Partei-Hickhack. Wir haben die größte Krise seit Jahrzehnten, die gilt es gemeinsam zu bewältigen. Und ja: Am Ende hat die Vernunft gesiegt.

Woher kam die Uneinigkeit mit der SPÖ?
Das müssen sie andere fragen. Mein Motto ist: Mit Haltung und durch. Überlegen, wie kann ich das Leben der Menschen erleichtern. Der Platz in Wien ist ungleich verteilt. 30 Prozent sind zugepflastert mit Parkplätzen, umso wichtiger ist es, rasch Lösungen auf den Tisch zu legen und Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.

Bei den Coronahilfen klagen viele, dass sie für ihr Unternehmen nichts bekommen.
Wesentlich ist die Bereitschaft, bei der Vergabe immer wieder nachzuschärfen. Ich ärgere mich sehr über die Banken, die die Vorfinanzierung nicht gewährleisten, obwohl es hundertprozentige Rückendeckung gibt. Das ist unverantwortlich. Es darf jetzt nicht darum gehen, nur gesunde Betriebe zu fördern, sondern auch jene, die es schon vor der Krise nicht einfach gehabt haben. In Wien haben wir über 90 Prozent EPU, die brauchen Unterstützung. Eines der positiven Dinge dieser Krise ist, dass die Sozialpartner wieder an Bord sind, dass alle an einem Tisch sitzen, auch die Oppositionsparteien -das hat am Anfang gut funktioniert. Umso wichtiger ist es jetzt, dass man das Hickhack wieder beendet. Es stehen Hunderttausende Arbeitsplätze auf dem Spiel.

Wo entstehen Arbeitsplätze?
Wir stehen mitten in einer Veränderung. Ich sehe tatsächlich die Chance, nachhaltige Arbeitsplätze zu schaffen. Auf 60 Prozent der Dachflächen Wiens können wir Solar bzw. Photovoltaik installieren, das führt zu Aufträgen und nachhaltigen Arbeitsplätzen. Wir wissen, wenn man in Infrastruktur für den öffentlichen Verkehr investiert, schafft man um zwei Drittel mehr Arbeitsplätze als bei Autobahnen. Das sind Fakten. Ich halte es auch für wichtig, Arbeit neu zu definieren. In der Corona-Krise ist uns bewusst geworden, wie wichtig Sorgearbeit ist, Sozial-und Gesundheitsberufe. Das wird sich in Bezahlung und in Wertschätzung ausdrücken müssen, zudem müssen wir in gesundheitliche Infrastruktur investieren. Daran führt kein Weg vorbei. Ebenso wenig daran, dass Millionäre einen Solidarbeitrag bezahlen, wenn es um die Refinanzierung geht.

»Es führt kein Weg daran vorbei, dass Millionäre einen Solidarbeitrag leisten, wenn es um die Refinanzierung geht«

Grünen-Chef Werner Kogler hat sich für Vermögenssteuern ausgesprochen, dann ist er zurückgerudert. Sie haben ihn dafür kritisiert. Was ist denn nun die grüne Linie?
Ich finde es gut, dass er klargestellt hat, dass man jetzt, wo die Kredite günstig sind, in Sofortmaßnahmen investiert und damit es wieder Vertrauen in die Wirtschaft gibt. Und er hat auch betont, dass kein Weg daran vorbeiführt, dass Millionäre ihren Beitrag leisten.

Sie hätten das gerne eher früher, Kogler eher später, die ÖVP eher gar nicht. Also?
Ich rechne damit, dass das früher ein Thema sein wird. Aber wichtiger ist, dass wir alle an einem Strang ziehen und niemand übersehen. Es ist einfacher, von außen zu kritisieren als täglich an der Öffnung zu arbeiten. Auch parteiintern - für Hickhack ist keine Zeit.

Sie saßen bei den türkisgrünen Verhandlungen am Tisch. Nun wird kritisiert, dass sich die Grünen türkis färben. Bei der Wien-Wahl kann das Stimmen kosten.
Die Koalition auf Bundesebene besteht jetzt ein paar Monate, wir haben die größte Krise seit Jahrzehnten, da versteht kein Mensch, wenn man nicht gemeinsam handelt.

Die Kritik gab es aber schon vor der Corona-Krise.
Wir haben aktuell 571.000 Arbeitslose, 1,1 Millionen Menschen in Kurzarbeit -ich bin nicht bereit, ein halbes Jahr wahlzukämpfen und jemanden etwas auszurichten. Wir haben im Koalitionsübereinkommen mit der ÖVP festgehalten, dass die Armut halbiert werden muss. Ich finde das jetzt einen sehr guten Zeitpunkt, daran zu arbeiten. Ich begrüße, dass man den Familienfonds geöffnet und die Notstandshilfe erhöht hat, aber dabei kann es nicht bleiben. Ebenso steht im Koalitionsvertrag die Schaffung eines Generalkollektivvertrags. Auch dafür ist jetzt ein guter Zeitpunkt. Auch aus ökonomischen Gründen. Stimmt die Bezahlung, kann der Konsum erhöht werden - das nützt der Wirtschaft.

Die Bundesregierung muss liefern?
Jetzt geht es darum, rasch zu helfen und die Sicherheit zu geben, dass es einen Plan gibt, wie man das ganze wieder hochfährt. Ein Hickhack vor der Wien-Wahl würde kein Mensch verstehen.

Der wird aber kommen. Jeder Wahlkampf lebt auch davon.
Meine Aufgabe jetzt ist aber, zu überlegen, wie ich das Leben der Menschen erleichtern kann. Ich habe gegen viel Widerstand begonnen, Begegnungszonen in Straßen zu öffnen, jetzt kommen die Radwege und die "coolen Straßen", wir pflanzen in 90 Straßen Bäume, um die Stadt rasch abzukühlen. Wir haben ein Grünraumkonzept, damit die Bevölkerung klar sieht, wo bauen wir und wo schaffen wir weiteren Grünraum, und wir haben Klimakriterien für die Stadtplanung ausgearbeitet. Jetzt diskutieren wir, welche Projekte wir vorziehen können, um die Bauwirtschaft zu unterstützen.

Der Spitzenkandidat der ÖVP, Finanzminister Gernot Blümel, wird im Wahlkampf darauf verweisen, dass die Regierung Milliarden lockergemacht hat. Man weiß von der Krise 2008/09, die Unzufriedenheit danach nützt rechten Parteien. Die SPÖ setzt auf den Bürgermeisterbonus. Und die Grünen?
Wir haben den Menschen in den letzten zwei Monaten unglaublich viel zugemutet, dass das zu Unmut führt, kann ich nachvollziehen. Ich kann auch die Ungeduld nachvollziehen, aber das ändert nichts daran, dass man Fakten auf den Tisch legen und zeigen muss, die Politik hat einen Plan. Ich vertraue sehr auf Rudi Anschober. Ich weiß nicht, niemand weiß, wo wir in ein, zwei Monaten stehen, was die Corona-Krise anlangt. Wir wissen aber, ein Hitzesommer steht bevor, und es geht um Existenzen. Da können wir nicht ein Jahr lang Arbeitsgruppen bilden. Passieren Fehler? Natürlich! Im Nachhinein werden es alle besser gewusst haben. Das Spannende ist: In der Krise ist das Vertrauen in Regierungsparteien besonders hoch, und wir werden sehen, welche Lehren daraus folgen. Geht es in Richtung starker Staat, gutes Gesundheitswesen, gute soziale Versorgung und Solidarität? Oder geht es zum alten "Auto als Sicherheit, Autobahnen bauen, nur gesunde Betriebe überleben, und jeder schaut auf sich selbst"? Mein Ziel ist es, den Solidargedanken weiterzutragen und die Klimakrise in den Griff zu bekommen. Die Frage wird sein, ob Politik, Wirtschaft und Gesellschaft noch so funktionieren werden wie zuvor.

Vielleicht ist die Lehre aber auch, dass sich die Leute nun weniger von der Politik sagen lassen wollen.
Wir dürfen nicht übersehen, rechtzeitig die Kurve zu kratzen und die demokratischen Grundsätze wieder zu etablieren. In der Krise ist mir eine Maßnahme zu viel lieber als eine zu wenig.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 20/20

Kommentare

Schickt die Ausländer zurück und Wien wäre wieder sauber und sehenswert, aber dazu sind alle zu feige und mundtot gemacht!

Viel heiße Luft! Und...Der Platz in Wien ist ungleich verteilt. 30 Prozent sind zugepflastert mit Parkplätzen, .... und Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Auf die nicht vorhandenen Parkplätze? Vielleicht könnte man Autos für Kickl's Pferde eintauschen?

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